Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Ulrich von Singenberg Truchsässe von St. Gallen
(um 1209 - 1228)

 

Wie lange noch?

Frau, wie könnt ihr sehen,
Da ihr gut und milde seid, den langen Schmerz?
Laßt doch Gnad' ergehen,
Sonst verzagt an aller Freude mir das Herz.
Und verderbet ihr mich so,
Deuten es euch übel
all die Besten, die noch gerne wären froh.

Frau, ich kann's beschwören:
Allezeit bleibt eure Huld mein einzig Ziel.
Nie mich zu erhören,
Nein, dazu besitzt ihr Güte doch zu viel.
Ja, ich weiß, ihr seid so gut,
Daß von euch ein hoher
Herzenstrost mich einst erhebt zu frohem Muth.

Frau, all mein Verlangen
Ist nur dies - geschähe das, so schwände hin
Alles Leid und Bangen,
Das mir immerdar wird fesseln Herz und Sinn -:
Daß ihr mein euch nähmet an
Und ich lieb euch wäre,
lieb wie auf der Welt euch sei kein andrer Mann.

Frau, wenn ich verderbe,
Bringt es Nutz und Frommen Euch und Andern je?
Und ein Leid erwerbe,
Daß ihr selber müßtet sprechen: "Weh mir, weh!
Wie doch hab' ich so getobt,
Daß ich den zu Grunde
richte, der mich oft und andre Frau'n gelobt!"

Nachgedichtet von Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 157-158)

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