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Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)
Ein Tagelied
Ein schmucker Ritter lag
In trauter Zärtlichkeit
In seiner Herrin Armen;
er sah das Morgenlicht,
Das schon durch die Wolken
von fernher glänzend brach.
Die Frau im Leide sprach:
"Weh gescheh' dir, Tag,
Daß du mich nun beim Liebsten
läßt länger bleiben nicht!
Was man da Minne nennet,
ist nichts als Herzeleid!" -
"Süße Freundin mein,
Laß dir nicht Trauer nah'n!
Gut ist es für uns beide,
wenn ich jetzt von dir geh'.
Schon glänzt der Morgenstern ja
herein ins Zimmer licht." -
"Mein Freund, ach, geh' noch nicht.
Laß solch Reden sein,
Wodurch du mir das Herz nur
beschwerst mit bitterm Weh.
Was eilst du doch so balde?
Das ist nicht wohlgethan." -
"Herrin, mag's denn sein,
Ich bleibe noch bei dir.
Sag' nur mit kurzen Worten,
was noch begehrt dein Herz,
Daß wir die Späher täuschen
auch heute wie bisher." -
"Freund, es betrübt mich sehr:
Bis wieder so allein
Mit dir ich bin, bedrückt mich
ach, leider zu viel Schmerz.
Drum meid' mich nicht zu lange!
Wie lieb doch wär' das mir."
"Nein, das wird nie gescheh'n,
Soweit ich's nur vermag.
Ob fern ich von dir, Herrin,
einen Tag lang bin,
Glaub' mir, so bleibt mein Herz doch
nur immerfort bei dir." -
"Nun, Freund, dann folge mir:
Komm bald, um mich zu seh'n,
Wenn fest und ohne Wanken
mir zugethan dein Sinn.
O weh des bittern Anblicks!
Nun seh' ich selbst den Tag!" -
"Was glänzt ihr Blumen rot,
Wenn ich von hinnen soll?
O du vielliebe Freundin,
so unwert sind sie mir
Als wie den kleinen Vöglein
die winterkalte Zeit." -
"Freund, das ist auch mein Leid
Und meine stete Not.
Ich seh' ja gar kein Ende,
wie lang ich dich verlier'.
Ach, bleib' nur noch ein Weilchen,
du thatst mir nie so wohl." -
"Herrin, es ist Zeit.
Leb' wohl, es muß nun sein.
Ich thu's um deine Ehre,
verlangt es fort mich nun,
Da ja sein Lied der Wächter
schon laut erhoben hat." -
"Freund, ist dafür kein Rat,
So geb' ich nach im Streit.
Doch daß ich Urlaub gebe,
muß mir gar wehe thun.
Der mir das Leben schenkte,
mag seinen Schutz dir leih'n!" -
Als nun der Ritter schied,
Da grämte sich sein Leib.
Er ließ die Schöne, Gute
in thränenreichem Schmerz;
Doch lohnt' er ihr mit Treue,
daß sie ihm war so nah.
Sie sprach: "Wer künftig da
Nun singt ein Tagelied,
Der wird nur jeden Morgen
beschweren mir das Herz.
Nun bin ich ohne Liebsten
recht wie ein sehnend Weib." -
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 23-26)
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Tagelied
Kosend ein Ritter lag
In seliger Liebesnot
In seiner Herrin Armen
Und sah das Morgenrot,
Wie es durch Wolkenferne
Mit blassem Schimmer brach.
Die Frau bekümmert sprach:
"O weh dir, Morgenrot,
Daß du mich nicht beim Liebsten
Läßt länger selig sein.
Was sie da nennen Minne,
Ist eitel Herzenspein." –
"Vielsüße Freundin mein,
Laß alle Traurigkeit:
Muß ich von dir auch scheiden,
Uns beiden schaffts kein Leid!
Des Morgensternes Schimmer
Macht schon die Kammer licht." –
"O Liebster, scheide nicht,
So bitter klingt Ade,
Womit du mir bedrückest
Des Herzens frohen Mut.
Was eilest du von hinnen?
Wie mir das wehe tut!" –
"Herrin, du bittest mich?
So geb ich mich besiegt;
Sag denn in kurzem Worte,
Was dir am Herzen liegt,
Daß wir die Späher täuschen
Heut wie schon manches Mal." –
"O Freund, ich leide Qual!
Bis daß ich wieder dich
Umfangen darf, bedrücken
Viel Schmerzen meine Brust.
Bleibst du nicht lange ferne,
Bereitest du mir Lust."
"Das wird nur dann geschehn,
Wenns anders nicht kann sein.
Muß ich dich, Teure, meiden
Ach nur ein Stündelein,
So weilt doch all mein Sinnen
Allewiglich bei dir." –
"Mein Freund, versprich es mir;
Laß bald dich wieder sehn,
Falls dir es ohne Wanken
Zu dienen mir behagt!
O weh der Augenweide:
Nun seh ich, daß es tagt!"
"Was helfen Blümlein rot,
Da ich nun muß von dir,
Vielsüße Herzensfreundin?
Die sind zuwider mir
Gleichwie den kleinen Vögeln
Die kalte Winterszeit!" –
"Das ist auch mir ein Leid
Und immerneue Not:
Ich seh ja noch kein Ende,
Wie lang ich einsam blieb:
Ach liege noch ein Weilchen,
Du warst noch nie so lieb." –
"Nein, Herrin, es ist Zeit,
Leb wohl und laß mich fliehn,
Ich darf um deine Ehre
Nicht länger hier verziehn.
Sein Tagelied der Wächter
Schon laut erhoben hat." –
"Ach, Freund, weißt du nicht Rat,
So füg ich mich ins Leid:
Daß ich dich nun muß lassen,
Viel Herzleid schafft es mir:
Von dem ich hab die Seele,
Der Schöpfer sei mit dir!"
Der treue Ritter schied
In tiefbetrübtem Mut;
Er ließ zurück die Herrin
In bittrer Tränenflut.
Doch er vergalt mit Treuen
Die Gunst, die er gewann.
Sie sprach: "Wer nun hebt an
Und singt ein Tagelied,
Der macht mir alle Morgen
So schwer den frohen Mut.
Nun fühl ich, wie die Sehnsucht
Einsamem Weibe tut."
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 11-13)
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Tagelied
Freundlich kosend lag
Ein Ritter wohlgestalt
In seiner Herrin Armen:
er sah den Morgen licht,
Als er durch ferne Wolken
mit schwachem Scheine brach.
Die Frau im Leide sprach:
"O weh gescheh' dir, Tag,
Daß du mich nun beim Liebsten
lässest länger nicht!
Was sie da heißen Minne,
erzeigt als Leid sich bald." -
"Liebe Freundin mein,
O laß den Trauerwahn,
Ich will jetzt von dir scheiden,
das ist uns beiden gut.
Des Morgensternes Leuchten
erhellt das Zimmer licht." -
"Mein Freund, nein! thu' das nicht
Und laß die Rede sein,
Damit du nicht betrübest
so heftig meinen Muth.
Was eilest du von dannen:
es ist nicht wohlgethan." -
"Herrin, es soll sein,
Ich bleibe noch bei dir.
Erzähl' mit schnellem Worte,
was dein Herz sagen will,
Damit wir täuschen können
die Späher wie bisher." -
"Freund, das betrübt mich schwer.
Bis wieder ich allein
Bei dir verweil', erwarten
mich Schmerzen, ach! so viel.
Nun meid' mich nicht zu lange,
so schaffst du Freude mir." -
"Das wird nur dann geschehen,
Wenn ich es nicht vermag.
Muß von dir, Herrin, ferne
ich einen Tag nur sein,
So bin mit meinem Sinnen
ich immer doch bei dir." -
"Mein Freund, nun folge mir:
Du sollst mich balde sehen,
Wenn du mir ohne Wanken
willst deine Treue weihn.
O weh der Augenweide!
nun seh' ich selbst den Tag." -
"Was helfen Blumen roth,
Da ich von hinnen soll?
Geliebte Herzensfreundin,
die sind zuwider mir,
Gleich wie den kleinen Vögeln
die winterkalten Tage." -
"Das ist auch meine Klage
Und immer meine Noth.
Ich sehe noch kein Ende,
wie lang' ich dich verlier'.
Ach liege noch ein Weilchen!
du thatst noch nie so wohl." -
"Herrin, es ist Zeit:
Leb' wohl, ich muß nun ziehn.
Ich thu's um deine Ehre,
daß ich nun von dir geh':
Sein Tagelied der Wächter
so laut erhoben hat." -
"Freund, ist dafür kein Rath?
So weich' ich dir im Streit.
Daß ich muß Urlaub geben,
thut meinem Herzen weh!
Vom Schöpfer meines Lebens
sei Schutz dir treu verliehn." -
Als da der Ritter schied,
Da härmte sich sein Leib;
Er ließ in bittern Thränen
zurück die Herrin gut.
Doch lohnt' er ihr mit Treue,
daß sie ihm zugethan.
Sie sprach: "Wer da hebt an
Und singt sein Tagelied,
Der will mir jeden Morgen
bekümmern Sinn und Muth.
Nun lieg' ich ganz vereinsamt,
recht wie ein sehnend Weib."
Nachgedichtet von
Karl Pannier
Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 18-20)
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Tagelied
Ein Ritter freundlich lag
In Liebesseligkeit
Der Herrin in den Armen:
er sah des Morgens Schein,
Der schon durch ferne Wolken
mit schwachem Schimmer brach.
Die Frau im Leide sprach:
"O weh, gescheh dir, Tag,
Was läßt du mich in Liebe
nicht länger glücklich sein?
Was sie da heißen Minne
ist lauter Herzeleid." -
"Süße Freundin mein,
Nicht laß dir Trauer nahn:
Ich muß nun von dir scheiden,
das ist uns Beiden gut.
Die Kammer schon erhellte
des Morgensternes Licht." -
"Mein Trauter, thu das nicht,
Und laß die Rede sein,
Womit du mir beschwerest
das Herz und auch den Muth.
Was eilst du so von hinnen?
es ist nicht wohlgethan." -
"Herrin, du bittest mich,
So bleib ich noch bei dir;
Nun sag es in der Kürze,
was du mir sagen mußt,
Daß wir die Späher täuschen
Wie heut ein ander Mahl." -
"Ach Freund, ich dulde Qual,
Bis ich wieder dich
Umarme: weh, die Schmerzen,
sind groß in meiner Brust.
Nun meide mich nicht lange,
so machst du Freude mir." -
"Das fürchte nimmermehr,
Weil ichs ja nicht vermag;
Muß ich dich, Herrin, meiden
eines Tages Frist,
So läßt doch all mein Denken
nimmer ab von dir." -
"Mein Freund, nun folge mir,
Und komm bald wieder her,
Wenn du mit steter Treue
mir ganz ergeben bist.
O weh der Augenweide!
nun spür ich selbst den Tag." -
"Was helfen Blumen roth,
Wenn ich von hinnen soll?
O traute Herzgeliebte,
die sind mir jetzt so werth,
Als den kleinen Vögeln
die winterkalte Zeit." -
"Das ist auch mir ein Leid
Und eine stete Noth:
Ich seh ja noch kein Ende,
wie lang die Trennung währt:
Nun liege noch ein Weilchen,
du thatest nie so wohl." -
"Herrin, es ist Zeit,
Gieb du den Urlaub mir:
Es ist um deine Ehre,
daß ich nun scheiden muß:
Sein Tagelied der Wächter
schon laut erhoben hat." -
"Ach, ist kein andrer Rath?
So füg ich mich ins Leid:
O weh des Urlaubes,
den geb ich mit Verdruß:
Dem ich das Leben danke,
der Himmel sei mit dir."
Der treue Ritter schied
Und härmte seinen Leib,
In bittern Thränen ließ er
die schöne Herrin gut.
Doch lohnt' er ihr mit Treue
die Gunst, die er gewann.
Sie sprach: "Wer nun hebt an
Und singt ein Tagelied,
Der wird mir stets am Morgen
betrüben Herz und Muth:
Nun lieg ich freundberaubet,
recht wie ein sehnend Weib." -
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 78-81)
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