Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)

 

Trost im Leide

Ist denn keiner gern mehr froh,
Daß man nicht mehr immer nur in Sorgen lebt?
Ach, die Jugend thut schon so,
Statt, daß sie vor Freuden in den Lüften schwebt.
Keinen weiß zu tadeln ich mit Recht
Als die Reichen nur und auch die Jungen.
Die sind nicht gezwungen;
Drum steht wohl Freude ihnen gut, doch Trauern schlecht.

Wie Frau Glück so kleiden kann,
Daß sie Not mir gibt bei meinem frohen Mut!
Aber einem reichen Mann
Gibt sie Unmut: ach, was nützt ihm dann sein Gut?
O, Frau Glück vergaß mich gar zu sehr,
Daß sie mir sein Gut zu meinem Mute
Nicht zuschnitt, die Gute!
Zu seinen Sorgen paßte meine Not doch mehr.

Wer ein Leid trägt in der Brust,
Denk' an edle Frau'n - er wird davon befreit -
Und an sonn'ger Tage Lust:
Die Gedanken trösteten mich jederzeit.
Machen mir die trüben Tage Not,
Richt' ich mein Verhalten nach der Heide,
Die sich schämt im Leide:
Wenn sie den Wald sieht grünen, wird sie immer rot.

Herrin, denke ich an dich,
Wie du, Reine, doch voll einz'ger Tugend bist,
Ach, laß ab! Dann rührst du mich
Mitten in das Herze, wo die Liebe ist.
Lieb und lieber mein' ich nicht, o nein,
Du bist mir das Liebste, wie ich meine,
Du nur mußt alleine,
Was auch gescheh', mir, Herrin, lieb vor allem sein!

Nachgedichtet von Bruno Obermann

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 43-44)

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Trost im Leide

Wird denn Keiner wieder froh,
Daß wir ewig nicht in Sorgen müssen leben?
Ach, wie tun die Jungen so,
Die vor Freuden sollten in den Lüften schweben?
Wüßte nicht, wen ich sonst tadeln sollt,
Nur die Reichen schelt ich und die Jungen:
Die sind unbezwungen,
Drum steht Kummer ihnen schlecht, doch Frohsinn ihnen hold!

Wie das Glück schlecht walten kann,
Daß es Armut mir verliehn bei frohem Mut;
Aber einem reichen Mann
Gibt es Anmut: ach! was nützt ihm nun sein Gut?
Wie doch Frau Fortuna sich versehn,
Daß sie mir nicht gab zum frohen Mute
Von des Reichen Gute;
Besser würde meine Not zu seinem Unmut stehn!

Wen da preßt ein heimlich Leid,
Der gedenke guter Fraun – er wird erlöst –
Denke auch der heitern Zeit:
Stets hat solch Erinnern Trost mir eingeflößt.
Ängstigt mich in finstern Tagen Not,
Nehm ich mir ein Gleichnis an der Heide,
Die sich schämt im Leide:
Sieht sie prangen grün den Wald, so wird sie immer rot!

Herrin, wenn ich denk an dich.
Was dein reiner Leib für keusche Tugend birgt,
O laß ab, du rührest mich
Bis in Herzensgrunde, wo die Liebe wirkt.
Lieb und lieber, nein das mein ich nicht;
Du bist mir das liebste, das ich meine:
Du bist mir alleine,
Herrin, doch vor aller Welt stets Trost und Zuversicht!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 31-32)

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Trost im Leide

Wird denn Keiner wieder froh,
Daß wir ewig nicht in Sorgen müssen leben?
Weh, was thun die Jungen so,
Die vor Freuden sollten in den Lüften schweben?
Weiß nicht, wen ich anders tadeln soll,
Nur die Reichen tadl' ich und die Jungen:
Die sind ungezwungen,
Drum stehet ihnen Trauern schlecht, nur Freude wohl.

Wie Frau Glück schlecht kleiden kann!
Daß sie Armuth mir verlieh zu frohem Muth;
Aber einem reichen Mann
Gab sie Unmuth: weh! was nützt dem Geld und Gut?
Wie Frau Glück so böse mein vergaß,
Daß sie mir nicht gab zu frohem Muthe
Von des Reichen Gute!
Die Armuth mein ständ' dem bei seinen Sorgen baß.

Wer gedrückt von stillem Leide,
Der gedenke guter Fraun - er wird befreit -
Und gedenk' der Sommerfreude:
Der Gedanke gab mir Trost zu jeder Zeit.
An den trüben Tagen hab' ich Noth,
Nur daß ich mich richte nach der Haide,
Die sich schämt im Leide:
So sie den Wald sieht grünen, wird sie immer roth.

Herrin, wenn ich denk' an dich,
Was dein reiner Leib für keusche Tugend hat,
O laß ab! du rührest mich
Mitten an das Herze, wo der Liebe Statt.
Lieb und lieber, nein! das mein' ich nicht:
Du bist mir am liebsten, dies ich meine:
Lieb bist du alleine
Vor aller Welt mir, Herrin, meine Zuversicht!

Nachgedichtet von
Karl Pannier

Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 34-35)

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