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Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)
Frühling und Frauen
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie zur hellen Sonne,
Des Morgens früh an einem Maientag,
Wenn die kleinen Vöglein munter singen,
Ihre schönsten Weisen, welche Wonne
An solche Lust dann wohl noch reichen mag?
Halb gleicht's wohl schon dem Himmelreiche;
Soll ich nennen aber, was ihm gleiche,
So weiß ich, was mein Auge je
Noch mehr entzückt hat und auch stets
entzücken wird, wenn ich es seh'.
Wo ein edles Fräulein, hold zu schauen,
Wohl gekleidet und das Haar geschmücket,
Sich unter Leuten heitern Sinns ergeht,
Sittsam froh, vereint mit andern Frauen,
Nur zuweilen etwas um sich blicket
Und wie die Sonne über Sternen steht:
Da bring' der Mai uns alle Wunder,
Was wohl wär' so Wonnereiches drunter,
Als ihr viel minniglicher Leib?
Wir lassen alle Blumen steh'n
und schau'n nur an das schöne Weib.
Nun wohlan, wollt ihr die Wahrheit schauen,
Geh'n wir zu des Maien Jubelfeste,
Der jetzt ins Land mit allen Kräften kam!
Schaut ihn an und sehet schöne Frauen,
Was von beiden da wohl sei das beste,
Und sagt, ob ich das bess're Teil nicht nahm?
Ach, wenn mich einer wählen hieße,
Daß ich eines für das andre ließe,
Wie bald doch wär' die Wahl gescheh'n!
Herr Mai, Ihr möchtet März sein, eh'
ich sollt' von meiner Herrin geh'n!
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 28-29)
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Frau und Frühling
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie empor zur Sonne,
Morgens früh an einem Tag im Mai,
Und die Vögel lieblich dazu singen
Ihre schönsten Weisen – welche Wonne
Meinet ihr, daß dieser ähnlich sei?
Ach, man glaubt sich halb im Himmelreiche;
Soll ichs sagen, was ich dem vergleiche,
Wohl! so sag ich, was mein Aug erquickt
Heut und immerdar, wenn ichs erblickt.
Denkt: ein schönes Edelfräulein schritte
Reich- und feingeschmückt die Straße nieder,
Daß sie unterm Volke sich ergeht,
Fröhlich in der Dienerinnen Mitte.
Züchtig blickt sie um sich hin und wieder,
Wie die Sonne neben Sternen steht.
Ach, der Mai mit allen Wundergaben
Kann doch nichts so wonnigliches haben,
Als ihr süßer Leib – mit leichtem Sinn
Gäb ich alle Blumen für sie hin.
Wollt ihr, ob ich Wahrheit künde, schauen?
Kommt zum Mai, wenn festlich er gekleidet
Einzug hält mit seinem ganzen Troß!
Schaut ihn an und schaut die edeln Frauen!
Sagt, für wen der Sieg sich nun entscheidet,
Sagt, ob ich kein bessres Spiel genoß –?
Ja, und wenn mich einer wählen hieße,
Daß ich eines hier fürs andre ließe –
Rasch entschied ich mich: Eh nicht der Mai
März wird, geb ich nicht die Herrin frei!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus:
Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 15-16)
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Frühling und Frauen
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen
Gleich als lachten sie empor zur Sonne,
Am Morgen früh an einem Maientag,
Und so schön die kleinen Vögel singen
In der besten Weise; welche Wonne
Sich ihrem Liede da vergleichen mag?
Es ist wol halb ein Himmelreich!
Soll ich sprechen, was ich dem vergleich',
So sag' ich, was mir mehr entzückte
Die Augen stets und immer noch
mich freuen würd', wenn ich's erblickte.
Wenn voll Schönheit eine edle Maid,
Wohl gekleidet und das Haupt geschmücket,
Sich zu erfreuen unter Leute geht,
Hochgemuth in ihrer Fraun'n Geleit,
Und bisweilen züchtig um sich blicket,
Der Sonn' bei Sternen gleich an Majestät -
Der Mai bring' alle seine Wunder,
Sagt, was ist so Wonnigliches drunter
Als ihr viel minniglicher Leib?
Wir lassen alle Blumen stehn
und schauen an das werthe Weib.
Nun wolan, wollt ihr die Wahrheit schauen,
Gehn wir zu des Maien Freudenfest!
Der ist mit aller seiner Macht gekommen.
Schauet ihn und schaut die edlen Frauen,
Seht, wer in dem Streit den Kampfplatz läßt;
Ob ich das bess're Theil mir nicht genommen.
Ja, wenn mich Einer wählen hieße,
Daß ich das Eine für das Andre ließe,
Gar bald die Wahl entschieden wär'!
Herr Mai, da müßtet März ihr sein,
eh' meine Herrin ich verlör'.
Nachgedichtet von
Karl Pannier
Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 22-23)
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Frauen und Frühling
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie hinauf zur Sonne,
Des Morgens früh an einem Maientag;
Und die kleinen Vöglein lieblich singen
Ihre schönsten Weisen: welche Wonne
Hat wohl die Welt, die so erfreuen mag?
Man glaubt sich halb im Himmelreiches;
Wollt ihr hören, was sich dem vergleiche,
So sag ich, was mir wohler doch
An meinen Augen öfters that
und immer thut, erschau ichs noch.
Denkt, ein edles, schönes Fräulein schreite
Wohlgekleidet, wohlbekränzt hernieder,
Sich unter Leuten wandelnd zu erbaun,
Hochgemuth im fürstlichen Geleite,
Etwas um sich blickend hin und wieder,
Wie Sonne neben Sternen anzuschaun:
Der Mai mit allen Wundergaben,
Kann doch nichts so Wonnigliches haben,
Als ihr viel minniglicher Leib;
Wir lassen alle Blumen stehn
und blicken nach dem werthen Weib.
Nun wohlan, wollt ihr Beweise schauen:
Gehn wir zu des Maien Lustbereiche,
Der ist mit seinem ganzen Heere da.
Schauet ihn und schauet edle Frauen,
Was dem Andern wohl an Schönheit weiche,
Ob ich mir nicht das bessre Theil ersah.
Ja, wenn mich Einer wählen hieße,
Daß ich Eines für das Andre ließe,
Ach, wie so bald entschied ich mich:
Herr Mai, ihr müßtet Jenner sein,
eh ich von meiner Herrin wich.
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 12-13)
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