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Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)
Die Zauberin
Mich nimmt immer wunder, was ein Weib
Hab' an mir erseh'n,
Daß sie mir bezaubern will den Leib.
Wie ist ihr gescheh'n?
Sie hat doch auch Augen,
Woher täuscht sie ihr Gesicht?
Denn der Männer schönster bin ich nicht,
Leugnen wird nichts taugen.
Log ihr einer etwas vor von mir,
Schau' sie recht mich an.
In mir täuscht sie sich, wenn Schönheit ihr
Nur gefallen kann.
Ist mein Haupt zu preisen?
Da ist nicht viel Schönes dran.
Leicht betrügt sie da ein eitler Wahn,
Läßt sie sich nicht weisen.
Wo sie wohnt, da sind wohl tausend Mann
Schöner von Gesicht;
Nur daß ich ein wenig Kunst wohl kann,
Schönheit hab' ich nicht.
Wenig nur verstehen
Mag ich die, gemeinsam auch
Ist sie, und man möge sie im Brauch
Noch bei vielen sehen.
Nimmt sie freilich Kunst für Schönheit an,
Zeigt sie Edelmut.
Will sie das, dann steht ihr alles an,
Was sie an mir thut.
Ich will mich verneigen,
Alles thun, was sie nur will.
Was bedarf sie dann noch Zaubers viel?
Ich bin doch ihr eigen.
Hört, worin die Künste nun besteh'n,
Die so viel sie übt:
Sie ist ein Weib, das, tugendhaft und schön,
Stete Freude liebt.
Daß sie mehr verstehe,
Glaube keiner doch von ihr:
Nur ihr reizend Wesen ist's, das mir
Lust bringt, sowie Wehe.
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 66-67)
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Verzaubert
Wunder nimmt mich immer, was dies Weib
Denn an mir ersehn?
Daß sie mir verzaubert Herz und Leib,
Was ist ihr geschehn?
Hat sie keine Augen,
Warum täuscht sich ihr Gesicht?
Aller Männer schönster bin ich nicht –
Leugnen will nicht taugen.
Ob ihr jemand etwas von mir log?
Ei! So schau sie doch
Meine Schönheit an, die sie betrog!
Und sie will mich noch?
Nur den Kopf betrachtet –
Ist der wohlgetan?
Wirklich, sie betrügt ein eitler Wahn,
Wenn sies recht beachtet.
Tausend Männer gibt es, wo sie weilt,
Schöner von Gesicht –
Etwas Kunst hat Gott mir zuerteilt.
Aber Schönheit nicht.
Meiner Kunst erfreuten
Sich schon viel, ist sie auch klein,
Pfleg ich sie doch als Geschenk zu weihn
Allen lieben Leuten.
Will sie Kunst statt Schönheit an mir preisen,
Tut sie daran gut,
Will sie das, muß dem ich Lob erweisen,
Was sie an mir tut.
So will ich mich neigen
Und ihr gern zu Willen sein –
Was bedarf sie denn der Zauberein?
Ich bin doch ihr eigen.
Nun vernehmt auch von der Zauberkraft,
Die zu eigen ihr:
Schönheit, Ehre ziert sie – und sie schafft
Lust und Schmerzen mir.
Daß sie Kunst ersonnen
Wider mich – das kann nicht sein:
Ihres Wesens Lieblichkeit allein
Bringt mir Weh und Wonnen!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 55-56)
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Die Zauberin
Wunder nimmt mich immer, was erblickt
Wohl dies Weib an mir,
Daß ihr Zauber eben mich bestrickt?
Wie geschah das ihr?
Hat sie denn nicht Augen?
Oder trügt sie ihr Gesicht?
Aller Männer schönster bin ich nicht;
Läugnen will nicht taugen.
Hat ihr Jemand was von mir gelogen,
Schaue sie doch her:
Sie ist an meiner Schönheit arg betrogen,
Denn die wiegt nicht schwer.
Schaut den Kopf nur, schauet,
Der ist nicht zu wohlgethan;
Sie betrügt fürwahr ein eitler Wahn,
Wenn sie dem nicht trauet.
Tausend Männer weilen, wo sie weilt,
Schöner von Gesicht;
Kunst ward mir ein wenig zugetheilt,
Aber Schönheit nicht.
Ist die Kunst geringe,
Thu ich doch nicht karg damit:
Mancher freut sich, der an Kummer litt,
Wenn ich Lieder singe.
Nimmt sie Kunst für schönes Angesicht,
Daran thut sie gut;
Will sie das, so tadl ich fürder nicht,
Was sie an mir thut.
So will ich mich neigen
Und ihr ganz zu Willen sein:
Was bedarf es aber Zauberein?
Ich bin doch ihr eigen.
Nun vernehmt von ihrer Zauberlist,
Damit steht es so:
Sie ist ein Weib, die schön und ehrbar ist,
Und mit Andern froh.
Daß sie mehr ersonnen
Wider mich, das kann nicht sein:
Ihres Wesens Lieblichkeit allein
Schafft mir Schmerz und Wonnen.
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 43-44)
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