Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)

 

Winterlied

Wieder sing' ich, wie ich sang:
Wird denn niemand wieder froh?
Reichen sei dafür kein Dank
Und der Jugend ebenso!
Wüßt' ich, was sie störte
(sie dürften mir's wohl sagen frei),
Hülf' ich klagen auch dabei.

Wo ein Lieb beim Lieb kann sein
Ganz von allen Sorgen frei,
Glaub' ich, daß gar lieb den zwei'n
Doch wohl auch der Winter sei.
Sommer so wie Winter,
ein jeder hat der Lust soviel,
Daß ich beide preise will.

Zwar ist kurz des Winters Tag;
Doch er hat auch lange Nacht,
Daß beim Lieb dem Liebsten mag
Schwinden, was ihm Not gemacht. -
Ach, was sagt' ich eben?
O, hätt' ich doch geschwiegen fein!
Werd' ich je so bei ihr sein?

Nachgedichtet von Bruno Obermann

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 88)

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Lob des Winters

Jetzt von Neuem klingt mein Sang:
"Wird denn Keiner wieder froh?
Reichen bringt es wenig Dank
Und den Jungen ebenso!"
Wüßt' ich, was sie trauern
(sie dürften mir es ruhig sagen),
Wollt' ihr Leid ich mit beklagen.

Wo ein Lieb ganz ohne Leid
Bei dem andern sorglos ruht,
Denen kommt die Winterzeit
Wahrlich, denke ich, zu gut.
Sommer wie der Winter,
die haben beide Freud' so viel,
Daß ich beide preisen will.

Hat der Winter kurzen Tag,
Hat er doch die lange Nacht,
Daß dem Lieb beim Lieben mag
Schwinden, was ihm Kummer macht.
Was hab' ich gesprochen?
Weh, besser hätt' ich still geschwiegen,
Will ich so je bei ihr liegen.

Nachgedichtet von
Karl Pannier

Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 69)

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Winterloblied

Nun wie früher tönt mein Sang:
Wird denn niemand wieder froh?
Reichen bringt es keinen Dank,
Und der Jugend ebenso.
Wüßt ich, was sie trauern,
(Dürften dreist mirs sagen)
Wollt ihr Leid ich mitbeklagen!

Wo ein Lieb von Leid befreit
Selig bei den andern ruht,
Denen kommt die Winterzeit,
Denk ich, immerdar zugut.
Sommer oder Winter,
Beide Freuden bringen,
Drum soll beiden Lob erklingen!

Hat der Winter kurzen Tag,
Hat er dafür lange Nacht,
Daß sich Lieb beim Liebsten mag
Lösen aus des Kummers Macht.
Was hab ich gesprochen?
Hätt ich doch, geschwiegen!
Werd ich je so bei ihr liegen?

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 74)

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Sommer und Winter

Jetzt von Neuem heb ich an:
"Wird denn Niemand wieder froh?"
Schande bringts dem reichen Mann
Und dem jungen eben so.
Wüßt ich, was sie trauern,
(sie dürften mir es immer sagen)
So wollt ich ihnen helfen klagen.

Wo ein Lieb beim andern ruht,
Von den Sorgen ganz befreit,
Diesen ziemt wohl nichts so gut
Als die süße Sommerzeit.
Winter wie der Sommer
sie bieten solchen Hochgenuß,
Daß ich beide preisen muß.

Hat der Winter kurzen Tag,
Hat er doch die lange Nacht,
Daß sich Lieb bei Liebe mag
Lösen aus dem Kummers Macht.
Was hab ich gesprochen?
o weh mir, hätt' ich stillgeschwiegen!
Werd ich je so lieblich liegen?

Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 24)

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