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Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)
Unter der Linde
Unter der Linde
Auf der Heide,
Wo ich mit ihm zusammensaß,
Da mögt ihr finden,
Ach, wohl beide
Zerknickt die Blumen und das Gras.
Vor dem Walde in dem Thal
Tandaradei!
Sang gar schön die Nachtigall.
Als ich gegangen
Kam zur Aue,
Da fand ich meinen Liebsten schon.
Da ward ich empfangen,
Heil'ge Fraue!
Daß ich noch selig bin davon.
Küßt' er mich? - ach, tausendfach
Tandaradei!
Seht, wie rot mein Mund danach.
Da hatte mein Lieber
Uns gemachet
Ein Bett von Blumen mancherlei,
Daß mancher drüber
Herzlich lachet,
Zieht etwa er des Wegs vorbei.
An den Rosen er wohl mag
Tandaradei!
Merken, wo das Haupt mir lag.
Daß er mich herzte,
Wüßt' es einer,
Behüte Gott, wie schämt' ich mich!
Wie er da scherzte,
Keiner, keiner
Erfahre das, als er und ich
Und ein kleines Vögelein,
Tandaradei!
Das mag wohl verschwiegen sein.
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 32-33)
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Die verschwiegene Nachtigall
Unter der Linden
Bei der Heide,
Wo unser zweier Bett gemacht,
Da mögt ihr finden,
Wie wir beide
Pflückten im Grase der Blumen Pracht.
Vor dem Wald im tiefen Tal,
Tandaradei!
Lieblich sang die Nachtigall.
Ich kam gegangen
Hin zur Aue –
Mein Trauter harrte schon am Ort.
Wie ward ich empfangen,
O Himmelsfraue!
Des bin ich selig immerfort.
Ob er mich küßte? Wohl manche Stund,
Tandaradei!
Seht, wie ist so rot mein Mund.
Da tat er machen
Uns ein Bette
Aus Blumen mannigfalt und bunt.
Darob wird lachen,
Wer an der Stätte
Vorüberkommt, aus Herzensgrund:
Er wird sehn im Rosenhag,
Tandaradei!
Sehen, wo das Haupt mir lag!
Wie ich da ruhte,
Wenn man es wüßte,
Barmherziger Gott – ich schämte mich.
Wie mich der Gute
Herzte und küßte,
Keiner erfahr es als er und ich,
Und ein kleines Vögelein –
Tandaradei!
Das wird wohl verschwiegen sein!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 19-20)
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Die verschwiegene Nachtigall
Unter der Linden
An der Haide,
Wo ich mit meinem Trauten saß,
Da mögt ihr finden,
Wie wir beide
Die Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald mit süßem Schall
Tandaradei!
Sang im Thal die Nachtigall.
Ich kam gegangen
Zu der Aue,
Da fand ich meinen Liebsten schon:
Ich ward empfangen,
Heil'ge Fraue!
Daß ich noch selig bin davon.
Ob er mir auch Küsse bot?
Tandaradei!
Seht, wie ist mein Mund so roth!
Da ging er machen
Uns ein Bette
Aus süßen Blumen mancherlei,
Deß wird man lachen
Noch, ich wette,
So Jemand wandelt dort vorbei.
Bei den Rosen er wohl mag,
Tandaradei!
Merken wo das Haupt mir lag.
Wie ich da ruhte,
Wüst es Einer,
Behüte Gott, ich schämte mich.
Wie mich der Gute
Herzte, Keiner
Erfahre das als er und ich.
Und ein kleines Vögelein,
Tandaradei!
Das wird wohl verschwiegen sein.
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 4-5)
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Unter der Linde
"Unter der Linden,
Bei der Haide,
Da unser beider Bette was.
Da könnet ihr finden,
Wie wir beide
Die Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald in einem Thal,
Tandaradei!
Sang so süß die Nachtigall.
Kam da gegangen
Hin zur Aue
Und mein Liebster war schon da.
Da ward ich empfangen,
Hehre Fraue!
O welches Glück, daß ich ihn sah!
Ob er mich küßte? So manche Stund':
Tandaradei!
Seht, wie roth mir ist der Mund.
Da hat er gemachet
Schnell bei Scherzen
Von Blumen reich die Ruhestatt.
Ja, mancher noch lachet
Von ganzem Herzen,
Wenn er kommt denselben Pfad.
An den Rosen er wol mag,
Tandaradei!
Merken, wo das Haupt mir lag.
Wüßte das einer,
Daß geblieben
Er bei mir, ich schämte mich.
O, wollte doch keiner,
Was wir trieben,
Erfahren je, nur er und ich
Und ein kleines Vögelein:
Tandaradei!
Das wird wol verschwiegen sein."
Nachgedichtet von
Karl Pannier
Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 25-26)
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Unter der Linden
"Unter der Linden
Auf der Haide
War uns ein Ruhplatz ausgeschmückt;
Dort könnt ihr finden
Niedlich beide:
Die Blumen und das Gras zerdrückt.
Vor dem Wald am grünen Hang
Tandaradei!
Klang der Nachtigall Gesang.
Ich kam gegangen
Zu der Aue,
Da stand der Liebste schon bereit,
Mich zu empfangen,
Heil'ge Fraue!
Glückselig bin ich allezeit.
Küßt' er mich im stillen Grund?
Tandaradei!
Seht, wie roth mir ist der Mund.
Aus mannigfachen
Blumen sinnig
Errichtet war ein Bett zu seh'n.
Drob werden lachen
Still und innig
Sie Alle, die des Weges geh'n.
An den Rosen kann man gut
Tandaradei!
Merken, wo mein Haupt geruht.
Daß er mich herzte,
Wüßt' es Einer -
Verhüt' es Gott! - ich schämte mich.
Wie dort er scherzte,
Möcht' es Keiner
Erfahren doch, als er und ich,
Und das kleine Vögelein
Tandaradei!
Wird ja zuverlässig sein."
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 166-167)
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Unter der
linden
An der heide,
Wo unser beider lager was,
Da könnet ihr finden
Zärtlich beide
Gebrochen, blumen und das gras:
Vor dem wald in einem tal,
Tandaradei,
Lieblich sang die nachtigall.
Ich kam gegangen
Zu der aue,
Mein liebster war gekommen eh'r,
Da ward ich empfangen,
Hehre Fraue,
Dass ich bin selig immer mehr.
Küsst er mich? Wohl tausend stund,
Tandaradei,
Seht, wie rot mir ist der mund.
Da hat er gemachet
Reich und sinnig
Von blumen eine bettestatt,
Drum wird noch gelachet
Froh und innig,
Kommt jemand an denselben pfad:
Bei den rosen er wohl mag,
Tandaradei,
Merken, wo das haupt mir lag.
Dass er nah sich legte,
Wüsst es jemand,
- verhüt es Gott - so schämt ich mich.
Was er mit mir pflegte,
Nimmer niemand
Erfahre das, als er und ich
Und ein kleines vögelein,
Tandaradei,
Das mag wohl verschwiegen sein.
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 85-87)
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