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Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)
Liebesklage
Ihrer Augen süße Blicke dringen
Mir ins Herz, sobald ich ihr darf nah'n.
Könnt' es nur mir öfter doch gelingen,
Die zu seh'n, der ich bin unterthan!
Ja, leibeigen dien' ich ihr,
Sicher mag sie das wohl glauben mir.
Drin im Herzen trag' ich Leid und Schwere,
Da ich nimmer von ihr lassen mag,
Bei der gerne ich wohl heimlich wäre,
Sei's bei Nacht nun, sei's am lichten Tag.
Leider aber kann's nicht sein,
Mir versagt's die liebe Herrin mein.
Wenn ich meiner Treue so entgelte,
Dann mag keiner mehr vertrauen ihr.
Sie verdiente mehr, daß man sie schelte,
Als sie preise, ja, das glaubet mir.
O, warum doch thut sie das?
Trag' ich ihr doch, ach! so wenig Haß.
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 33)
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Ergebung
Ihrer Augen holde Liebesblicke
Dringen schmerzlich mir ins Herz hinein.
Wies sie mir doch öfter das Geschicke,
Sie, der ich will gern zu eigen sein.
Ja leibeigen dien ich ihr –
Glauben solls die Herzensfreundin mir!
Tief im Busen ich die Sorge nähre,
Wie ich nimmer von ihr lassen mag,
Der ich stets gern heimlich nahe wäre,
Sei es Nacht auch oder heller Tag!
Aber ach, es darf nicht sein,
Denn die liebe Herrin spricht ihr Nein!
Muß ich meiner Treue so entgelten,
Nie mehr trauen sollen Männer ihr.
Sie ertrüge leichter wohl mein Schelten
Als mein ständig Lob, das glaubet mir.
Weh mir, warum tut sie das,
Der mein Herze weiht so kleinem Haß?
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 20-21)
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Ergebung und Versagung
Ihrer himmlisch schönen Augen Blicke
Dringen tief mir in das Herz hinein;
Säh' ich sie doch öfter, welches Glücke!
Sie, der ich so ganz will eigen sein.
Wie leibeigen dien' ich ihr,
O, daß sie doch wollte glauben mir.
Eine Sorg' ich tief im Busen nähre,
Weil von ihr ich lassen nimmer mag.
Heimlich gern ich oftmals bei ihr wäre
Spät bei Nacht und an dem lichten Tag.
Doch das kann ja nimmer sein,
Denn nicht will's die liebe Herrin mein.
Wollt' sie meine Treue so vergelten,
Sollte nie mehr einer trauen ihr.
Sie ertrüge leichter wol mein Schelten
Als mein stätes Lob, das glaubet mir.
Wehe, warum thut sie das,
Der mein Herze trägt so kleinen Haß?
Nachgedichtet von
Karl Pannier
Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 26)
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Es kann nicht sein
Ihrer Augen minnigliche Blicke
Rühren schmerzlich, schau ich nach ihr hin,
Mir das Herz. Weh, zeigt mir das Geschicke
Sie noch oft, der ich gern eigen bin!
Denn leibeigen dien ich ihr,
Glauben solls die liebe Herrin mir.
Hier im Herzen trag ich große Schwere
Ihrethalb, die ich nicht lassen mag,
Bei der ich so gerne heimlich wäre
Wie die Nacht, so auch den lichten Tag.
Aber leider kanns nicht sein,
Denn nicht will die liebe Herrin mein.
Muß ich meiner Treue so entgelten,
Nie getrauen sollten Männer ihr.
Sie vertrüge besser wohl ein Schelten,
Als ein Loben, glaubet sicher mir.
Weh, warum denn thut sie das,
Der mein Herze trägt so kleinen Haß?
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 40)
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