Clara Müller-Jahnke (1860-1905) - Liebesgedichte

Clara Müller-Jahnke

 


Clara Müller-Jahnke
(1860-1905)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Mit leisem Nicken

An einem fernen, fremden Ort
war's, wo ich all mein Glück verloren;
ich ging, dich suchend, fort und fort
vorbei an festverschlossenen Toren.

Am fernen Horizont erblich
der Abendröte letzter Schimmer -
mit blutendem Herzen sucht ich dich
und suchte dich und fand dich nimmer.

Dann war's nach Jahren, als sich grau
das Haar um meine Schläfe schmiegte,
als auf der blütenleeren Au
der letzte Halm im Wind sich wiegte,

Daß wir uns trafen - daß du mir
von fern gewinkt mit leisem Nicken . . . . . . .
Ein Gruß von dir - ein Laut von dir -
ein Widerschein aus feuchten Blicken!

Und eh ich noch die liebe Hand
mit zärtlich festem Druck umfangen,
war schon dein Bild am Himmelsrand
wie Spätrotschein dahingegangen.

Da wacht ich auf. - Vor Sehnsucht blaß
sah Morgendämmrung in mein Zimmer;
mein Herz schlug laut, mein Aug war naß - - -
ich fühl's: ich seh dich nun und nimmer.
(S. 127-128)
_____

 

Erinnerung

I.
Das ist der Platz, auf dem ich stand
zum letzten Mal, zum letztem Mal
an deiner Seite Hand in Hand - - -
nun ging ein Wetter übers Land,
die Luft ward kühl, das Laub wird fahl.

Jenseits der Düne schäumt das Meer,
sein Rauschen klingt wie Klagesang;
scharf weht der Wind von Osten her - - -
mir pocht das Herz so sehnsuchtsschwer:
ich seh dich nicht, weiß Gott, wie lang!

So schleppt sich müde Tag für Tag,
schon färbt sich rot der Waldessaum;
in Tränen steht der Rosenhag - - -
daß ich in deinen Armen lag,
es dünkt mich wie ein Traum . . .


II.
Als noch von deinem Munde
mir Wort und Gruß erklungen,
in glückberauschter Stunde
ist mir kein Lied gelungen.

Erst wenn der Sonnenball
verglomm in sprühenden Funken,
anhebt erinnerungstrunken
ihr Lied die Nachtigall.
(S. 134-135)
_____


Weltflüchtig

Das Mondlicht überfloß den Strand
mit sanftem, süßem Schein;
wir gingen beid im Dünensand
weltflüchtig und allein.

Kein Menschenauge hat gesehn,
wie du herab dich bogst
und liebesicher lächelnd mich
in deine Arme zogst.

Ich weiß nicht, war's ein Liebeswort,
das flüsternd zu mir drang,
war's träumerischer Nixenruf,
der aus den Wassern klang?!
(S. 126)
_____


Stummes Glück

Das war zur schimmernden Maienzeit,
da sang ich Lieder voll Lust und Leid:
des Waldquells Rauschen, der Vögel Singen,
in tönende Reime tät ich's bringen.

Und wenn ich der kommenden Lust gedacht -
wie wollt ich erst singen zur Rosenpracht,
wie wollt ich in jubelnden Tageweisen
die Sommersonne, die goldene, preisen!

Der Frühling schwand, und die Sonne stieg,
der Fink und die Finkin fanden sich -:
in Waldes Dunkel, an Baches Borden,
die jubelnden Sänger sind still geworden.

Und mir auch erging es wundersam:
als meinem Leben der Sommer kam
und die Rosendüfte mein Haupt umfingen,
In Kuß und Seufzer verklang mein Singen . . .

Von der Lippe flutet das Lied zurück:
im namenlosen, im stummen Glück
nur kann ich vor dir die Seele neigen,
nur lieben und schweigen.
(S. 124)
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Im Novembersturm

Der Sturmwind rast und der Regen schlägt
ans Fenster in schweren Tropfen -
Ich fühl in der tollen Novembernacht
mein Herz wohl hörbar klopfen.

Es schlägt in brennender Ungeduld
sehnsüchtig und beklommen . . .
Ach, wenn die Stunde doch Flügel hätt'
und wäre der Winter gekommen!

Und deckte die Ströme das blinkende Eis
und der Schnee die schweigende Runde -
und wären wir endlich allein, allein
in der heimlichen Mitternachtsstunde!

O Liebster, Liebster, - der Sturmwind rast
und der Regen rauscht endlos nieder -
mir aber fluten durch Haupt und Herz
traumselige Liebeslieder.
(S. 117-118)
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Tannenduft

Die Douglastanne streute ihren Duft
voll herber Würze in die Spätjahrsluft.
Die Düne barg uns vor des Nordsturms Wut -
tief war die Nacht, so tief wie Meeresflut,
wie Liebe tief.
Da rang aus feuchtem Moos
zu unsern Füßen sich ein Keimchen los
und senkte seine Fasern tief zum Grund;
und fabelhurtig wuchs es, Stund um Stund,
und trieb im Schnee - -
und nun der Sommer kam,
erblüht ein Baum hier, hoch und wundersam;
in seiner Zweige immergrünen Schlingen
fängt sich der Wind, daß sie wie Saiten klingen;
aus seiner Krone aber bricht der Brand
der Flammenlilie aus dem Märchenland,
und Elfenkinder schweben hin und wieder
und gießen Duft aus vollen Schalen nieder,
so stark und süß, wie einst in Spätherbstnacht
der Tannenduft, der uns berauscht gemacht . . .
(S. 168-169)
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Wetterleuchten

Durch die dichtverhüllten Fenster dringt
noch der letzten Blitze mattes Leuchten, -
und die Stunde naht auf regenfeuchten
Sohlen, die dich wieder zu mir bringt.

Jahre liegen zwischen dir und mir:
Herzen, deren Pulse nicht mehr pochen,
Klüfte, deren Brücken abgebrochen -
tote Gluten, Staub und Grabeszier.

Aber heut umweht von Liedern mich
noch ein Ton, die einst so süß mir däuchten,
und die Brust durchzuckt's wie Wetterleuchten,
das noch blitzt, wenn schon die Wolke wich.

Lächle, ob ich finster blicken mag!
Strahle mir mit deiner Augen Sonnen
neu ins Herz die längstverrauschten Wonnen,
unserer Liebe heitern Frühlingstag.

Aus den Schalen duftet Veilchenpracht
dir zum Gruß, und volle Kelche schäumen:
o, noch einmal laß den Traum mich träumen,
der mein Herz so selig einst gemacht!
(S. 136)
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Morgenandacht

Ein scheues Ahnen, das sein Haupt verhüllt,
ein tiefes Sehnen, das sich nie erfüllt,
ein blasser Mondstrahl der verträumten Nacht,
so irrt dein Bild durch diese Morgenpracht.

Aus feuchten Nebeln steigt der klare Tag,
aus zartem Grün ein erster Finkenschlag, -
und fern schon grollt, der großen Stille satt,
der Straßenlärm der Millionenstadt.

Sie ruft nach mir, sie ruft mein Herz, mein Hirn
zu harter Fron . . . da rührt an meine Stirn
ein Hauch, so lind wie eine liebe Hand:
und deinen Namen schreib ich in den Sand.
(S. 166)
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Sommernachtszauber

Einsam in der Julinacht bin ich träumend heimgegangen;
schmeichelnd hielt Resedenduft meine Sinne süß umfangen.
Durch die Lindenzweige ging flüsternd ein geheimes Sehnen,
von den Blüten fiel der Tau leis und lind wie Liebestränen.

Einsam durch die Julinacht irrten Mandolinenklänge,
ach, als ob aus Fernen weit deine Stimme zu mir dränge,
deine Stimme, die mir einst weich in wogenden Akkorden
wie Musik ertönt - und jetzt klanglos, unstet, fremd geworden . . .

Fern aus Süd ein Windhauch kam; heimlich durch das Lindendunkel
blitzte, deinen Augen gleich, träumerisches Lichtgefunkel.
Leuchtend fiel ein Stern herab - ach, wo mocht' sein Strahl sich senken?!
Einsam in der Julinacht, weinend mußt ich dein gedenken. –
(S. 27-28)
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Sonnenwende

Es fiel ein Blütenregen
herab auf Wald und Feld,
ein Netz von Sonnenstrahlen
umspinnt die grüne Welt;
das flammt und blüht und duftet
und höhnt den Glockenschlag,
als ging er nie zu Ende,
der süße, goldene Tag . . .

O Tag der Sonnenwende,
vollblühende Rosenzeit,
du hast mir ins Herz geduftet
berauschende Seligkeit!
Das pocht und glüht und zittert
und bebt im Vollgenuß,
als ging er nie zu Ende,
der süße, erste Kuß -

O Tag der Sonnenwende -
- - - - - - - - - - - - -
(S. 124-125)
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Meerfahrt

Fühlst du die Bretter schwanken?
schon brandet dumpf das Meer -
am Horizonte lagern
die Wolken schwül und schwer . . .

Ha, Wogen und Blitz und Stürme!
mir wird so froh zu Mut:
ich fahre mit dir zusammen
durch die wildeste Flut!
(S. 126)
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Kreuzweg der Liebe

Ganz leise gehst du nächtens durch mein Zimmer,
ich höre deine Schritte nicht. Ich fühle
nur deines Atems welke Rosenschwüle
und seh von deiner Stirn den fahlen Schimmer
sich phosphorleuchtend in die Nacht ergießen,
und seh von deiner Stirn wie Blutrubinen
die dunkeln Tropfen auf die Diele fließen . . .

Wo kamst du her? - ich hatte doch die Tür
zur Nacht geschlossen, und kein Fenster klang,
und durch die Scheiben schaut, die vorhanglosen,
der scheue Mond, - wo kamst Du nur herein
mit deinem wehen, wunden, schleppenden Schritt,
mit deinem Kranz von abgeblühten Rosen?
O komm denn, komm!
ich will dich nicht verstoßen!

O komm du! meine Sehnsucht schrie nach dir
und suchte dich auf unentdeckten Sternen,
im Märchenwald, in blauen Inselfernen,
ging fehl und irr . . .
und heut kommst Du zu mir
und weilst bei mir und bist mir selig nah!
Und wie ich flehend meine Arme breite,
weichst du zurück und siehst mich seltsam an,
und deine Augen schaun in eine Weite,
die meine Seele nicht ermessen kann, -
und schaust mich an und wandelst stumm vorüber
und gehst - auch du! - den Weg nach Golgatha.
(S. 180)
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Auf dem Ball

Heut in der rauschenden Festespracht
hab ich, mein Schatz, an dich gedacht, -
an prunkender Tafel, in schimmernden Reihn
war meine Seele mit dir allein.

Mit Blumen, die deine Hand gepflückt,
hatt ich mir Haare und Brust geschmückt;
als am vollsten der Becher der Lust geschäumt,
hab ich vergangene Lust geträumt.

Die Weise schwoll und der Tanz begann -
mich rührte der Odem Gottes an;
aus der Seele hallte der Klang zurück:
ein Lied von künftigem großen Glück.
(S. 123)
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Ihm

Ich hab mich dir so ganz ergeben
und bin mit Leib und Seele dein,
du meines Lebens wahres Leben,
du meines Daseins tiefstes Sein!

Wie sich der Mond sein mild Gefunkel
vom goldnen Glanz der Sonne leiht,
so fällt in meiner Seele Dunkel
der Schimmer deiner Herrlichkeit!

Denn was dereinst mit süßem Beben
durch meines Busens Tiefen drang,
vermocht ich Worte nicht zu geben -
da sah ich dich, und sieh! - ich sang!

Was in geheimnisvoller Stille
in meines Herzens Garten sproß,
verborgen lag's in duft'ger Hülle,
bis es sich deinem Licht erschloß!
(S. 24)
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Frieden

Ich möchte still durch einen Tannenwald
mit dir im roten Abendfrieden schreiten,
wenn ganz von fern das Aveläuten hallt
und lichtgesättigt sich die Zweige breiten.

Dann legtest du die Hand auf meine Brust
und fühltest, wie die heißen roten Wellen
beruhigt gleiten und in sanfter Lust
nur unterm Drucke deiner Finger schwellen.
(S. 176)
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Still

In Waldes Dunkel, an Baches Borden,
die jubelnden Sänger sind still geworden.
Und mir auch erging es wundersam: -
Als meinem Leben der Sommer kam
und die Rosendüfte mein Haupt umfingen,
da wollt ich singen und konnt nicht singen.
Von der Lippe flutet das Lied zurück -
im namenlosen, im stummen Glück
nur kann ich vor Gott die Seele neigen,
nur lieben und schweigen.
(S. 26)
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Für heut

Ich will dir keine Freude rauben
und binde dich mit keiner Pflicht;
ich baue nicht auf Treu und Glauben,
ein festes Wort begehr ich nicht!
Für all die Liebe laß mich danken,
die du mir reich und glühend gibst, -
und mag dein Herz schon morgen wanken:
Ich weiß, daß du mich heute liebst!

Noch schäumt der Wein im Goldpokale,
noch duftet frisch der Blütenstrauß,
die Jugend gießt die volle Schale
des Glücks ob unsern Häupten aus; -
mit allen seinen Glutgedanken
zu eigen nimm mein tiefstes Sein . . .
und mag der Erdball morgen wanken:
Für heut, Geliebter, bist du mein!
(S. 28)
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Lied

Laß ab mit deinen Blicken -
nicht können sie fortan
mich fester noch umstricken,
als sie es schon getan.

Laß ab mit deinen Worten,
die schmeichelnd mich betört, -
mein Ohr doch allerorten
nur deine Stimme hört.

Laß ab mit deinen Küssen, -
mein Herz pocht bang und schwer:
ich hab dich lieben müssen
und seh kein Ende mehr . . .
(S. 125)
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Nachtlied

Liebling, laß mich schlafen gehen,
laß mich ruhn an deiner Seite!
Du mein seliges Geschick!
Hohe blasse Träume stehen
uns zu Häupten. In die Weite,
in die sternenstille Weite
geht ihr blauer Märchenblick.

Leise durch das Dunkel singen
sie mit zaubersüßen Stimmen
uns das hohe Lied der Ruh!
Und sie heben ihre Schwingen:
tausend Funken glühn und glimmen,
tausend goldne Welten schwimmen
über unserm Lager, du . . . .
(S. 265)
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Das ist der Schatten

Magst du mich ganz in deine Flammen hüllen
und mag das Blut, das deinen Leib durchmißt,
mein Herz durchpulsen, meine Adern füllen -
es bleibt ein Rest, ein Rest, der du nicht bist!

Das ist der Schatten unsrer Sonnenliebe,
auf unsern Himmelstraum, der Erdenspott.
Wenn dieser Rest, du, dieser Rest nicht bliebe:
wir wären Gott. -
(S. 265)
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Lavasturz

Mein Herz ist wie die Märchenstadt,
drin Lachen und Lust erklungen,
bis donnernden Grimms die Lavaglut
ihr Totenlied gesungen.

Da sank dem Zecher der Goldpokal,
gefüllt bis zum Ueberlaufen,
da ward der Liebe das Hochzeitsbett
zum lodernden Scheiterhaufen.

Und ein Glutschrei war es, ein Flammenmeer
wie stürzender Sonnen Gefunkel,
dann legte darüber bleiern und schwer
sich Asche und Nacht und Dunkel . . . . . .
(S. 127)
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Herbstliche Liebe

Meine Seele spinnt dich ein;
schimmernde Marienfäden
sollen ihre Häscher sein.

Ihre Schlingen fühlst du kaum.
Eine rote Märtyrkrone
brech ich dir vom Eschenbaum.

Deine Stirne küß ich bleich -
und so führ ich dich gefangen
mitten durch mein Schattenreich.

Du wirst ganz mein eigen sein,
wirst verbluten und verblühen -
meine Seele spinnt dich ein.
(S. 263)
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Glut

Mit roten Kressen hatt' ich mich geschmückt -
du hast sie jäh an deiner Brust zerdrückt.

Mit bleichen Wangen bot ich dir den Gruß -
in Flammenwogen tauchte sie dein Kuß.

Mit ruhigem Herzschlag trat ich zu dir her, -
und nun, und nun: ich kenne mich nicht mehr....
* * *

Nun lachst du mich verstohlen an
mit dunklem Auge, du fremder Mann;
mit brennender Lippe streifst du mich -
heiß pocht mein Herz: ich kenne dich!

Aus schwüler Träume Zauberspuk,
aus Wüstenschemen voll Lug und Trug,
aus Frühlingsnächten voll Windeswehn
hab ich dein Bild mir winken sehn!

Aus düster flammendem Morgenrot,
das Hagelschauer den Saaten droht,
aus lohendem Blitz, wenn ein Wetter braut,
hat schon dein Auge mich angeschaut . . .

Nun trittst du selbst in meinen Pfad:
ich weiß, daß mein Verhängnis naht;
mit brennender Lippe streifst du mich -
wild rast mein Blut - ich grüße dich!
* * *

Und als ich aus dem liebebangen,
dem Kindertraum emporgeschreckt,
hieltest du meine Hand umfangen
und hast mit Küssen sie bedeckt.

Ich hab im Blick dir lodern sehen
der Sehnsucht zwingende Gewalt - -
ich sah die Fieberschauer gehen
durch deine trotzige Gestalt.

Umsonst! umsonst nun Kampf und Beben:
du hast gewußt, was dir gefrommt . . . .
ein Blütenopfer war dein Leben,
neige dein Haupt - der Herbststurm kommt!
* * *

Auf meinen Lippen brennt dein Kuß,
er brennt wie Feuer und Sünde,
er brennt wie himmlischer Hochgenuß
und macht mich zum schwachen Kinde.

Viel wilde Rosen erblühn und glühn
und glühn und verwelken am Hage -
und der Wald ist duftig, der Wald ist grün
am leuchtenden Julitage . . . . .

Vom Meer herauf die Sonne grüßt,
Tautropfen am Riedgras beben: - -
wir haben uns kaum Willkommen geküßt
und sollen uns Abschied geben!

Und gehen sollst du, geliebter Mann,
mit all' dem zitternden Bangen,
mit der ungelöschten Glut hindann -
und durften uns kaum umfangen.

Wie lange währt es, so schwillt der Wein,
im Felde die Sicheln klingen;
all', was da blühte im Sonnenschein,
wird reifen und Früchte bringen.

Die Luft wird kühl, und das Laub verdorrt,
Schnee liegt auf Hängen und Hagen . . . ..
wir aber werden von Ort zu Ort
die zehrenden Gluten tragen.
* * *

Ich lag in deinen Armen
in willenloser Haft,
durch deine Seele brauste
der Sturm der Leidenschaft.

Du zogst an deine Lippen
aufjauchzend meine Hand -
auf deiner stolzen Stirne
ein Wort geschrieben stand.

In schweren dunklen Zügen
ein rätselwirres Wort, -
ich seh' vor meinen Augen
es leuchten immerfort.

Es glüht in meinem Herzen
und brennt sich in mein Hirn,
es lockt mich in die Hölle
das Wort auf deiner Stirn . . . .
* * *

Und weil du meinem besseren Wesen mich
entfremdet hast in jener schwülen Stunde,
weil ich dich liebe, darum hass' ich dich,
ja, hass' ich dich aus meines Herzens Grunde!

Ich rüttle wild das eiserne Geflecht,
das ich mir selber habe schmieden müssen;
in deinen Armen hass' ich dich erst recht -
und töten möcht' ich dich mit meinen Küssen!

Laut pocht mein Herz - und dürstend blickt dein Aug':
den Becher hebst du, - wohl, so laß uns trinken!
Verglühen sollst du noch in meinem Hauch
und sterbend mit mir in die Flammen sinken!
* * *

Und siehst du nicht auf meiner Stirn
das blutige Mal, den roten Streif? -
Er drückte weh und wund mein Hirn,
und ich zerbrach den Kettenreif.

Des frommen Spieles ward ich müd,
aus meinem Herzen bricht ein Schrei:
es wogt die Nacht - die Lippe glüht -
und aller Bande bin ich frei!
* * *

Zieh mich noch einmal an deine Brust,
erstick mich in lodernden Küssen:
wir haben vom ersten Blick ja gewußt,
wie bald wir scheiden müssen.

Wir haben geschwelgt in heißem Genuß,
als gält' es ein ewiges Meiden,
und doppelt geküßt jeden feurigen Kuß,
als wär' es der letzte vorm Scheiden!

Bei dem die Minne am längsten wohnt,
nicht der mag am besten fahren - -
wir haben genossen in einem Mond
die Seligkeit von Jahren!
* * *

Ich habe aus dem übervollen
Pokal der Liebe rasch gezecht,
ich nahm im Sturm, im heißen, tollen
lenzseligen Rausch mein Jugendrecht.
Dann hat der Trotz zu roten Flammen
empört in mir das wilde Blut -
und all mein Leben brach zusammen
in schrankenloser Liebesglut.

Was mir das Reinste schien und Beste,
begraben liegt's im Flammenschoß.
Am glühend heißen Aschenreste
harre ich schauernd atemlos
des lichten Wunders, das sich zeigen:
des Phönix, der da lebensvoll
aus toten Erdengluten steigen
und mich gen Himmel tragen soll.
(S. 59-64)
_____



Blaue Träume

Nadelspitzen des Novemberregens
peitscht der Nordwind prasselnd an die Scheiben,
aber warm und mollig ist's hier drinnen.
Zigarettenduft durchwellt das Zimmer,
in den Gläsern flammt der Sorrentiner.
Und du hebst das Glas, und lächelnd trinken,
langsam schlürfend, tropfenweise trinken
wir das Herzblut einer heißern Sonne.
Setz dich zu mir, komm!
Auf Deine Schulter
laß die sehnsuchtfeuchte Stirn mich stützen,
lauschen laß mich deinen wachen Träumen,
deinen Märchen aus dem Reich der Sonne,
deinen Liedern von der goldnen Katie . . .
Lies mir, Liebster, von der goldnen Katie!

Linde heilend will ich mit den Fingern
deiner Stirne blutige Male rühren,
dürstend küß ich alle deine Wunden,
küß sie zu mit meinen weichen Lippen.
Lies mir, Liebster, von der goldnen Katie.

Lies mir deine allerblausten Träume
aus den Zaubergrotten von Caprera,
aus dem schönheittrunkenen Land der Sonne.
Sag mir: liebst du denn die goldne Katie?

Du verstummst, - und durch die große Stille
raunt die Ostsee dumpfe Klagelieder.
Du verstummst, - und von der großen Stille
scheu erschreckt, hebt in den tiefsten Tiefen
deiner Seele die verstoßne Sehnsucht
ihre feuchten grünen Nixenaugen . . .

Langsam schlürfend, tropfenweise trinken
wir das Herzblut einer fernen Sonne . . .
sag mir, kennst du denn die große Liebe?
(S. 177-178)
_____



Suleika

Nicht im Rosenschmuck der Jugend
fand ich dich und liebt ich dich,
grau schon ringelten die Locken
um der Stirne Weisheit sich,
doch in deinem Kusse lodert
ungezähmte Jugendkraft,
stimmt die Harfe meiner Seele
zur Musik der Leidenschaft. -

Deine grauen Haare bergen,
was in deiner Seele ruht,
wie die Asche des Vulkanes
Zeuge ist der innern Glut,
und aus deiner Augen Tiefen,
sprühet blitzend, göttlich rein,
ewig junges Leben kündend,
deines Geistes Feuerschein.
(S. 41-42)
_____

 

Empfängnis

Nimm mich fest in deine Arme,
kette mich an deine Brust,
daß mein zitternd Herz erwarme.

Zu dem Eiland, das inmitten
liegt des breiten Stroms der Lust,
gleiten wir mit Christusschritten.

Fern am Ufer unser Boot.
In den früchteschweren Bäumen
glüht das erste Morgenrot.

Eine süße Stimme ruft,
und es wandeln weiße Träume
durch der Heimat Ambraduft.

Dort im grellen Mittagsschein,
wo die tiefsten Wünsche reifen,
werden du und ich nicht sein . . .

Aber wieder ich und du: -
Zartgewebt aus Wolkenstreifen
winkt ein liebes Bild uns zu.
Seidenweiches Lockenhaar

seh ich goldne Schleier breiten . . .
und mich grüßt aus Ewigkeiten
unsres Kindes Augenpaar.
(S. 164-165)
_____



Verlornes Glück

Noch einmal, eh' am Himmelsrande
der letzte Sonnenblick verglüht,
zieht mich ein Sehnen an die Stätte,
wo meines Lebens Glück geblüht.
Durch hochgewölbte Gänge fluten
der Dämmrung Schatten kalt und bleich -
leis mahnend pocht wie Geisterfinger
ans Fenster ein Spireenzweig.

Und rings im Haus ein tiefes Schweigen,
wie ausgestorben jeder Raum . . .
An meiner Seite lächelnd wandelt
ein halbvergessner Jugendtraum;
von weltverlornen Küsten zaubert
entflohene Wonnen er zurück
und küßt mir in die müde Seele
ein letztes Bild vom Erdenglück.

Ein letztes Lied in diesen Räumen!
Der Herbstwind rast am Gartentor -
hier aber wogen Rosendüfte
und singt ein Nachtigallenchor.
Von all den süßen Liebesworten,
die schmeichelnd deine Lippe sprach, -
von meinen Seufzern, deinen Küssen
wird hier ein flüsternd Echo wach.

Der alte Zauber lockt mich wieder,
der Leib und Seele mir gebannt:
dein Odem über meiner Stirne,
auf meinem Herzen deine Hand!
Der Spiegel wirft im Dämmerschimmer
mir dein geliebtes Bild zurück - -
zum letzten Male trink ich wieder
aus deinem Born, verlornes Glück!

Und lauter tönt des Windes Brausen,
der Sonne letzter Strahl erblich;
ich aber berg in meine Hände
das Haupt und weine bitterlich.
Nun liegt die Nacht auf allen Wegen . . . . . .
und langsam wend ich meinen Schritt
und nehm aus den geliebten Räumen
mir der Erinnrung Sterne mit.
(S. 129-130)
_____

 

Gesundung

Nun fiel der Schlag. Nun hast du's leicht.
Ich hatte dir mit vollen Händen
des Lebens Seligkeit gereicht
und sah kein Ende meiner Spenden.

Und für die Rosen, die ich dir
um Stirn und Brust gewunden habe,
gabst du die Dornenkrone mir
als königliche Gegengabe.

Vor meine Augen schoß die Glut,
in meinen Schläfen fühlt ich klopfen
das lechzende Erlöserblut -
heiß rann's herab in roten Tropfen.

So ging ich blind im Mittagsglanz
und durch den Flackerschein der Blitze -
und deine Hand auf meinem Kranz
trieb tiefer nur der Dornen Spitze.

Und über Südlandsbergen zog
ein Wetter auf am Himmelsbogen,
und der Scirocco sang und bog
der Pinien Wipfel in die Wogen.

Da wuschen mir vom Angesicht
den blutigen Tau die Regengüsse,
da ward ich sehend, ward ich licht
und wissend, daß ich sterben müsse -

Und griff empor im letzten Schmerz!
Im Zucken eines ungebornen
schuldlosen Glückes Herz an Herz
riß ich vom Haupte mir die Dornen.

Und war gesund. Mit klarem Blick
schau ich in abendlichte Ferne.
Nimm deine Krone dann zurück -
und mich laß finden meine Sterne.
(S. 276-277)
_____



Zuversicht

Nun mag kommen, was da will,
mag die Lust verwehen:
Jedem Unglück halt ich still,
seit ich dich gesehen!
Seit ich dir im Arm geruht,
schreckt mich nicht der Hölle Glut,
find ich noch in Schmerzen
Trost an deinem Herzen.

Mag dich hundert Meilen auch
weit das Schicksal führen,
mein ich deines Mundes Hauch
immer noch zu spüren,
strahlt mir deiner Augen Schein
leuchtend bis ins Herz hinein -
wenn mir nichts mehr bliebe,
bleibt mir deine Liebe!

Will ich heut vom Haupte mir
eine Locke trennen,
sollen morgen schon auf ihr
deine Lippen brennen, -
deine Lippen, die sich fest
jüngst auf meinen Mund gepreßt,
dort in seligen Stunden
süße Rast gefunden.

Draußen unter Schnee und Eis
will der Lenz sich regen,
aus den Wolken rauscht es leis,
linder Gottessegen.
Liebster, schau: die Welt erwacht . . .
Höher als die Frühlingspracht,
als die Blütentriebe
preis ich deine Liebe.
(S. 122-123)
_____



Maiensegen

Nun ruht in weißen Schleiern
die See, umspielt vom West,
und Himmel und Erde feiern
das große Liebesfest.
Da strömt in rinnendem Regen
hernieder Kuß auf Kuß,
der rings zu Frucht und Segen,
zur Blüte werden muß.

So ruht in weißen Schleiern
mein Herz in deiner Brust,
und unsere Seelen feiern
die ewige Hochzeitslust.
Da strömt wie rinnender Regen
dein Kuß auf meinen Leib,
daß er zum Maiensegen
werde deinem Weib . . .

Ein Duften reifer Tage
um unsere Stirnen weht,
da wieder die singende Sage
durch flimmernde Fluren geht:
- daß kein Leid mehr bliebe,
wenn über der grünen Welt
die junge Frühlingsliebe
die flatternde Fahne hält!
(S. 162-163)
_____

 

Mittagstraum

Sengend über den Feldern
brütet die Juliglut,
der Weizen reift im Brande,
und alles Leben ruht.

Kein Grashalm wogt im Winde,
kein Vogel singt im Baum;
durch meine Seele flutet
ein goldiger Mittagstraum.

Tief in zitternde Aehren
bin ich der Welt entflohn,
großblumig mir zu Häupten
blüht der rote Mohn . . .

Er kränzt mir Haar und Stirne
mit flammendem Geschmeid, - -
all meine Wünsche reifen
der großen Erntezeit.
(S. 169)
_____



Helle Nächte

Siehst du, wie tief schon die Sonne steht
und wie so rot ihr Licht?!
Ob sie in funkelnden Wassern zergeht,
uns beiden stirbt sie nicht.
Uns leuchtet die Nacht, die niedersinkt
und ladet zum letzten Genuß - -
und unsre lebendige Seele ertrinkt
jauchzend im Schöpferkuß!

Du und ich, wir beide
träumen in trunkner Nacht.
Von verblaßter Seide
sind wir überdacht.
Ein Flimmern wie vom Tage
fließt um den schwarzen Tann -
eine blasse süße Sage
sieht uns lachend an.

Sie singt: »wenn zwei sich finden,
die sich von je gehört,
ein Leuchten soll es künden,
das keine Nacht zerstört.
Ein Singen soll es sagen,
das nicht im Sturme zerrinnt« -
und in den Syringenhagen
säuselt Mittsommerwind.
(S. 167-168)
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Den letzten Trank

So laß uns trinken den letzten Trank,
den Trank, der nicht verschäumt,
in dessen Tiefen die Perle versank,
die unsere Jugend erträumt.
Leere das Glas bis auf den Grund,
singe dein Lied bis zum Schluß -
von meinem glutweinfeuchten Mund
trinke den letzten Kuß.

Siehst du, wie tief schon die Sonne steht
und wie so rot ihr Licht? -
Und ob sie in funkelnden Wassern zergeht,
uns beiden, uns stirbt sie nicht.
Uns leuchtet die Nacht, die niedersinkt,
und ladet zum letzten Genuß -
Und unsere lebendige Seele ertrinkt
jauchzend im Schöpferkuß.
(S. 266)
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Letzte Liebe

So weiß ich, daß in blauer Ferne
dein Herz in Liebe für mich schlägt,
daß dich bis hoch ins Reich der Sterne
der Sehnsucht Engelsfittich trägt;
so seh ich noch im welken Garten
dich, lächelnder Gedanken voll,
der letzten Rosenknospe warten,
weil sie für mich erblühen soll.

Und mag auf unserer Sehnsucht Flammen
herniedertaun der Reif der Nacht,
mag schonungslos die Welt verdammen
den Traum, der uns so selig macht, -
vergeblich wird sie drohn und schelten:
in Treuen bleib ich dir geeint
und will's dir königlich vergelten,
daß du um mich - um mich geweint.

Da bricht aus winterlichem Schweigen
ein lichter Sonnenblitz hervor,
da lacht auf halbentlaubten Zweigen
ein sommerlicher Rosenflor,
und aus dem fast erstarrten Herzen,
wie einst zur holden Maienzeit,
entspringt ein Strom von Lust und Schmerzen,
ein heißer Quell der Zärtlichkeit.

So mag die Liebe dich behüten,
sie, »die nichts Böses sinnt und sucht«;
wirst atmen mit dem Duft der Blüten
zugleich den Duft der reifen Frucht.
So mag denn gleich der goldnen Sage
von Frühlingsglück und Auferstehn
durch unsrer Jugend Spätherbsttage
der Traum der letzten Liebe gehn.
(S. 116-117)
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Johannisnacht

Umwogt von weißen Nebelschleiern
von blühenden Rispen überdacht -
komm mit ins Korn! Wir wollen feiern
die heilige Johannisnacht.

Da treibt aus taugetränktem Grunde
in alle Halme hoch der Saft,
da wirkt in klarer Vollmondstunde
uralter Gottheit Wunderkraft.

Wir fühlen tief das heilige Reifen
und - eins im andern fromm bereit -
stillsegnend unsre Stirnen streifen
den Blütenhauch der Ewigkeit.
(S. 266)
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Die eine Saite

Und wieder spielt der Abend auf den Wogen
in seiner herbstlich sonnenroten Pracht.
Auf goldner Straße kommt dahergezogen
die stille Sehnsucht, die so selig macht.
In lila Purpurdämmrung träumt der Strand.

Ein lauer Wind aus rosenroter Weite:
und mir im Herzen tönt die eine Saite, -
- die du gespannt.
(S. 264)
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Im Dämmerschein

Verronnen ist der schwüle Tag,
verrauscht ist Sturm und Wetterschlag,
und durch die regenfeuchte Luft
weht träumerischer Lindenduft; -
es spinnt die Welt ein Zauber ein:
Ich harre dein!

Ich harre dein seit langer Zeit;
gewintert hat es und gemait, -
für jede Rose, die erblich,
entfaltet eine andre sich;
aus jeder Nacht bricht Frührotsschein:
ich harre dein!

Ich harre dein am alten Platz, -
und weißt du's noch, herzlieber Schatz,
weißt noch, wie du vor Jahresfrist
allabendlich gekommen bist?
Allabendlich im Dämmerschein
ich harrte dein!

Nun dünkt's mich fast ein süßer Traum;
vorm Haus der alte Lindenbaum,
die alte Sehnsucht in der Brust
nach Märchenzauber, Liebeslust -
und rings die Welt im Dämmerschein
und ich allein! -

Und unten tief im Böhmerland
ein Städtchen liegt an Bergesrand;
der letzte feuchte Abendstrahl
küßt Meeresstrand und Felsental -
es spinnt auch dich der Zauber ein:
Gedenkst du mein?
(S. 35-36)
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Flamme

Was sträubst du dich der süßen Glut,
die züngelnd schon dein Haupt versengt,
die liebeheißen Atems dich
mit Flammenarmen eng umdrängt?!

Die Glut bin ich - und du bist mein!
wirf ab, wirf ab das Alltagskleid:
gib deine ganze Seele hin
in ihrer nackten Herrlichkeit!

Umschlingen will ich glühend dich
und pressen dich ans heiße Herz,
die Kette schmelzen, die dich band,
in meinem Kuß wie tropfend Erz!

Und flüstern will ich dir ins Ohr
ein Wörtlein, zaub'risch wunderfein,
daß du nichts andres denken sollst,
als mich allein, als mich allein . . .
(S. 162)
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Alle Gedichte aus: Clara Müller-Jahnke: Gedichte, herausgegeben und illustriert von Oskar Jahnke, Berlin: Buchhandlung Vorwärts (Hans Weber) [1910]

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Clara_Müller-Jahnke



 


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