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Bhartrihari
(6.- 7. Jh.)
Buch der Liebe
1.
An Anangas
Die schelmisch im Auge der Schönen lacht,
Und Götter zu zärtlichen Hausvätern macht;
Deren Walten mit heiliger Scheu wird gedacht:
Der blumengewaffneten Gottheit Macht
Sei unsre Verehrung dargebracht!
(S. 3)
2.
Lob der Frauen
Mit Geberden, Scham und Grollen,
Lächeln, Reden, Scherz und Schmollen,
Mit gewandten Liebesblicken
Wissen Weiber zu berücken.
(S. 3)
3.
Coquetterie
Seitenblicke mit lieblicher Red' und holdem Erröthen,
Lächeln und zierlicher Gang schmücken und waffnen die Frau.
(S. 4)
4.
Augenweide
Bald runzelt sie die Brau',
Und senkt verschämt das Auge nieder;
Bald zittert sie aus Furcht,
Bald tändelt sie mit Scherzen wieder:
So muß der Männer Blick
Umflattern das Gesicht der Schönen,
Gleich Bienen, die mit Lust
Dem aufgeblühten Lotus fröhnen.
(S. 4)
5.
Frauenschmuck
Ein Gesicht, wie Vollmond klar,
Augen, wie die Lilie schmachtend,
Schwarz, wie Bienenschwarm, das Haar,
Farbe, die das Gold verachtet;
Sanftgehügelt Brust und Hüfte,
Gleich des Elefanten Stirne,
Und die Rede, zart wie Düfte,
Sind die Zierden einer Dirne.
(S. 5)
6.
Vollkommenheit
Ein zartes Lächeln um den Mund,
Und Augen, die sich leicht bewegen,
Die Sprache lieblich und geschmückt,
Um süße Scherze auszuprägen;
Anmuthig dann der leichte Gang,
Wie sich die Blüthenzweige regen:
O, saget, was der Jungfrau gleicht,
Wenn sie des Lebens Blüth' erreicht?
(S. 5)
7.
Die Genüsse
Alle Sinne zu erquicken,
Zeigen sich die holden Frau'n:
Was ist lieblicher den Blicken,
Als ihr Antlitz anzuschaun?
Was kann würziger es geben,
Als des Mundes Wohlgeruch?
Was kann mehr das Ohr beleben,
Als der Stimme Zauberspruch?
Was giebt süßeres Entzücken,
Als der Lippenknospe Kuß?
Aber an die Brust sie drücken,
Ist vollendeter Genuß.
(S. 6)
8.
Kriegslist
Mit Spangengeklingel und Gürtelklang
Besiegen die Schönen des Schwanes Gang;
Sie winken mit scheuem Gasellenblick,
Und führen als Beute das Herz zurück.
(S. 6)
9.
Die Unwiderstehliche
Sie, die mit Krokus die Glieder verschönet,
Die sich mit Kränzen den Busen umflicht,
An deren Füßen der Knöchelring tönet,
Welchen der Männer besieget sie nicht!
(S. 7)
10.
Das schwache Geschlecht
Nur jene Dichter sind nicht recht bei Trost,
Die ewig singen von des Weibes Schwäche
Durch deren Augenwink die Götter selbst
Gefesselt werden, heißen solche schwach?
(S. 7)
11.
Der Waffenträger
Wahrlich, Anangas selber ist der Schönbrauigen Sclave,
Denn er bewaffnet das Aug' mit dem geflügelten Pfeil.
(S. 7)
12.
Gefährliche Nähe
Es fesselt uns das schöne Haar,
Es droht das Auge, groß und klar,
Mit reinen Zähnen lacht der Mund,
Und von dem Busen, voll und rund,
Die Perlenschnur hernieder wallt:
Und so verwirret ganz und gar,
O Mädchen, Deine Prachtgestalt.
(S. 8)
13.
Die Jägerin
Holde, welche Bogenschützin
Ist wohl je, wie Du, erschienen?
Du verwundest nicht mit Pfeilen,
Triffst die Herzen mit den Mienen.
(S. 8)
14.
Des Lebens Sonne
Bei der Lampe, des Heerds Flamme,
Bei Mond-, Sternen- und Sonnenschein,
Fern von des Mädchens Rehaugen,
Liegt die Welt mir in Finsterniß.
(S. 9)
15.
Amor als Maler
Ist's ein Wunder, wenn der Busen,
Wenn das Auge und der Mund,
Wenn die Brauen so verwirren,
Daß wir ganz von Liebe wund?
Sage, warum hat die Gottheit
Mit dem Pfeil und Blumenbogen
Und zur Qual an Deinem Körper
Schönheitslinien gezogen?
(S. 9)
16.
Die Göttin
Mit Busenfülle rund und schwer,
Das Antlitz, wie der Mond, so mild,
Schwebt sie mit leichtem Fuß daher,
Erglänzend, wie ein Götterbild.
(S. 10)
17.
Eins ist Noth
Was flatterst du, mein Herz, mit Lust
Um ihre Hüft' und Wangen,
Und trägst nach ihrer vollen Brust
Ein sehnendes Verlangen?
Vor allem sey du selber rein,
Dieß Eine nur kann frommen,
So wird sie dir gewogen seyn,
Und dir entgegen kommen.
(S. 10)
18.
Freie Wahl
Wählt nach Belieben,
Buße zu üben:
Schwellende Hüfte,
Bergesgeklüfte.
(S. 11)
19.
Die beiden Wege
Zwei Wege sind in dieser argen Welt,
Auf denen sich der Sterbliche gefällt:
Er mag aus heil'gen Schriften Weisheit trinken,
Er mag an eines Mädchens Busen sinken.
(S. 11)
20.
Der Juwel
Schwarz von Haar, wie Sapphir glänzend,
Mit Gesicht Krystallenrein,
Mit Rubingefärbten Fingern
Glüht sie wie ein Edelstein.
(S. 11)
21.
Weiberkünste
Sie ergötzen und verletzen,
Und sie heucheln und sie schmeicheln,
Sie berauschen Aug' und Mund;
Und mit allen diesen Scherzen
Schleichen sie in Männerherzen,
Bis man ganz von Liebe wund.
(S. 12)
22.
Zusammenkunft
Seht, die Schlaue: Mondenschein
Fürchtend in dem dichten Hain,
Lüftet sie des Busens Flor,
Hält ihn dem Gesichte vor.
(S. 12)
23.
Die Wünsche
Noch ungesehn, soll sie gesehen werden,
Und wenn gesehn, soll sie umarmet werden;
Dann mögten wir länger an ihr uns weiden,
Und ungetheilt schmecken der Liebe Freuden.
(S. 13)
24.
Das Paradies
Mit lächelnder Wange, mit Blumen im Haar,
Mit Sandel durchduftet die liebliche Brust,
Verlocken die Schönen und bieten uns dar,
Erreichen wir sie, paradiesische Lust.
(S. 13)
25.
Schritt vor Schritt
Spröde kommt die Dame hergegangen,
Holde Scham verweilt auf ihren Wangen,
Und verstohlen giebt sie nur den Kuß;
Darauf naht sie schüchtern und mit Bangen,
Aber endlich wächset ihr Verlangen,
Ohne Scheu begehrt sie den Genuß.
(S. 14)
26.
Die Glücklichen
Glücklich, die sich Honig nippen
Von der Gattin Rosenlippen,
Wenn das Auge Freuden strahlt,
Purpur ihre Wange malt;
Wenn die Locken niederwallen,
Blumen von dem Haupte fallen.
(S. 14)
27.
Die lindernde Fluth
Wenn die Thräne der Wonne dem Auge entquillt,
Dann ist schon die Glut des Verlangens gestillt.
(S. 15)
28.
Ursach und Wirkung
Wie die Männer, wenn sie alt,
Für die Liebesfreuden kalt:
Also ist der Weiber Sinn,
Schwinden ihre Reize hin.
(S. 15)
29.
Leben und Tod
Das ist der Liebe Leben in der Welt,
Daß Zweien stets das Nemliche gefällt:
Wird aber Zwietracht die Gemüther trennen,
So kann man's eine Leichenliebe nennen.
(S. 15)
30.
Die Sirene
Welchen Jüngling hat die Stimme
Seiner Schönen nicht verlockt?
Wenn sie, bald vor Liebe lallend,
Oder im Gesang erschallend,
Schüchtern nun und bald unschuldig,
Minnestammelnd und geduldig,
Oder bald vor Wonne stockt.
(S. 16)
31.
Das Asyl
Wohn' an der Ganga Stromfluthen,
Sündendrückenden, quellenden,
Oder an zarter Brust Hügeln,
Sinnenentzückenden, schwellenden.
(S. 16)
32.
Umwandlung
Nicht länger der Geliebten Sprödigkeit besteht,
Als bis die Frühlingslust mit Wohlgerüchen weht.
(S. 17)
33.
Lenzesfreuden
Wenn der Zephir duftet süßen Hauch,
Wenn mit Knospen pranget jeder Strauch,
Wenn der Nachtigallen Klag' ertönet,
Wenn die Liebe jedes Weib verschönet,
Dann erwachen unsre Freuden auch.
(S. 17)
34.
Der Verfallende
Ach, wenn im Lenze der Nachtigall Lied erschallt,
Und aus dem Süden der würzige Zephir wallt,
Aber die Trennung zernaget des Jünglings Brust,
Wird ihm vergiftet die liebliche Frühlingslust.
(S. 17)
35.
Geselligkeit
Magst in irgend einer Hütte,
An der Freundin Seite wach,
Horchen auf die Nachtigallen,
Oder bei des Mondes Strahlen
Unter einem Rankendach
Weilen in der Sänger Mitte:
Wird Dir angenehm verbracht
Eine schöne Frühlingsnacht.
(S. 18)
36.
Aufforderung zur Liebe
Die Nachtigall sitzt auf den Mangobäumen,
Und sieht mit Sehnsucht ihre Blüthen sprießen,
Die, wie des Wandrers Gattin, in die Flammen
Der Trennung ihre Opfergabe gießen;
Und wenn die Lüfte über Berge streifen,
So bringen sie auf ihren leichten Flügeln
Erquickend frische Paatalagerüche
Mit Freuden her von des Srikhanda Hügeln.
(S. 18)
37.
Das Erwachen
Wenn rings umher die ganze Luft
Geschwängert ist von Mangoduft;
Wenn Bienen nach dem Honig streben:
Wen sollte nicht der Lenz beleben!
(S. 19)
38.
Sommerlust
Mädchen mit Gasellenaugen,
Deren Hand von Sandel duftig,
Bäder, Blumen, Mondesschimmer
Und ein freundliches Gemach,
Oder ein Gezelt von Ranken,
Wo der Zephyr kühl und luftig,
Halten auch im heißen Sommer
Unsre Liebesfreuden wach.
(S. 19)
39.
Weltmenschen
Fächerkühlung, Kranzesduft und Mondenschein,
Lotusteiche, Blumen, Sandel, alter Wein,
Schöne Wohnung und Gewänder, zart und fein,
Mädchen, deren Lilienauge klar und rein:
Glücklich, die mit solchen sich des Sommers freun!
(S. 20)
40.
Alles hat seine Zeit
Ein schönes Haus, des Mondes reiner Glanz,
Der Liebsten Angesicht, dem Lotus gleich,
Des Sandels Wohlgeruch und Blumenkranz,
Sie machen nur den Liebetrunknen reich:
Für Andre, die den Sinn gebunden,
Ist solcher Reiz dahingeschwunden.
(S. 20)
41.
Die Regenzeit
Liebesscherze, Putz und Salben,
Blumen und ein schönes Weib
Gaben in den Regentagen
Freuden uns und Zeitvertreib.
(S. 21)
42.
Naturleben
Wenn Regenwolken kühle Labung bringen,
Mit frischem Grüne sich das Thal verschönt,
Wenn süße Düfte auf des Zephirs Schwingen
Und Pfauenruf in jedem Walde tönt,
Dann muß in jedes Herz die Freude dringen,
Und selbst der Gram wird wieder ausgesöhnt.
(S. 21)
43.
Wanderlust
Wolken streben zu Wolk', und auf Bergen tanzen die Pfauen,
Glänzend woget das Rohr: hätte der Pilger denn Ruh'?
(S. 22)
44.
Trennung
Blitze tändeln, Bäume duften,
Und die Wolke donnert schwer,
Und es ruft das Pfauenweibchen
Spielend den Genossen her:
Sollten wohl die Regentage
Für die Schönen glücklich seyn,
Wenn sie auf den Gatten harren,
Einsam in dem Kämmerlein?
(S. 22)
45.
Wiedersehn
Wenn die Natur in stiller Feier
Sich eingehüllt mit Wolkenschleier,
Bis Regengüss' auf Berge fallen,
Und laut die Donner wiederhallen:
Dann mag der Blitze Goldgefunkel
Den Pilger leiten durch das Dunkel,
Mag von der Gattin ihm erzählen,
Wie sehr sie Freud' und Kummer quälen.
(S. 23)
46.
Ersatz
Wenn bei kalten Regengüssen
Du daheim hast bleiben müssen
Mit der Gattin im Gemach:
Wärme Dich an ihrer Seite,
Und Du hast dieselbe Freude,
Wie an einem Frühlingstag'.
(S. 23)
47.
Warnung
Wer bei Lieb' und Wein die halbe Nacht
Unter frohen Scherzen hat durchwacht,
Hüte sich, um seinen Durst zu stillen,
Kaltes Wasser in den Krug zu füllen:
Lieber mag er von des Mädchens Lippen
Nochmals honigsüße Küsse nippen.
(S. 24)
48.
Genügsamkeit
Glücklich, die im kalten Winter
Einen warmen Mantel haben,
Die den Leib mit Krokus salben,
Sich an Milch und Butter laben;
Die den Mund mit Betel füllen,
Und zur Nacht in stiller Klause
An der Liebsten Seite ruhen,
Ungestört im eignen Hause.
(S. 24)
49.
Der windige Liebhaber
O seht, wie hat der Sisira-Wind
Die Jungfrau buhlend umfangen:
Verwirrt die Locken dem schönen Kind,
Und küßt die lieblichen Wangen;
Die Lippe zittert, der Busen schwillt,
Schon hat er lüstern die Hüft' enthüllt,
Und glühet vor Verlangen.
(S. 25)
50.
Gleiche Wirkung
Die Haare flattern, die Augen thränen,
Die Kleider fallen, die Lippe schmerzt,
Die Glieder zittern, wenn, gleich dem Liebsten,
Der kühle Zephyr die Mädchen herzt.
(S. 25)
51.
Der Welt Lauf
Mancher verachtet die irdischen Freuden,
Nennt sie die Quelle von Sorgen und Leiden:
Aber mit Weisheit-gezügeltem Sinn
Neigt er beständig den Mädchen sich hin.
(S. 26)
52.
Geständniß
Geht ihr zu euren Philosophen hin,
Die durch Vedanta ihren Geist bezwingen;
Wir fi8nden bei den Dichtern nur Gewinn,
Die von der Frauen Lieb' und Schönheit singen:
Denn nichts kann uns auf Erden so beglücken,
Als schöne Mädchen mit den Lilienblicken.
(S. 26)
53.
Guter Rath
Warum viele Worte machen?
Zwiefach könnt ihr selig sein:
Setzet euch zu schönen Weibern,
Oder in den Büßerhain.
(S. 27)
54.
Lust und Schmerz
Ich rede wahr, ihr könnet mir vertrauen,
Denn alle Völker geben's zu:
Entzücken bringen uns die schönen Frauen,
Allein sie nehmen auch die Ruh'.
(S. 27)
55.
Das höhere Licht
So lange brennt der Weisheit Fackel klar und hell,
Bis schöne Augen winken: dann verlöscht sie schnell.
(S. 27)
56.
Ding der Unmöglichkeit
Priester, deren glatte Zunge
Ewig von den Veden spricht,
Meinen, daß das Weib zu fliehen,
Aber ach, wir können's nicht:
Denn wer kann die Schönen lassen,
Und ein Lotusauge hassen?
(S. 28)
57.
Des Frommen Lohn
Sich und Andre betrügt, wer die Mädchen wie Sünde verachtet:
Buße erringt ja den Himmel, und im Paradiese sind Nymphen!
(S. 28)
58.
Der schwere Kampf
Den Elefant zur Ruhe bringen
Kann Mancher, und mit Löwen ringen
Durch Heldenmuth:
Doch wird es Wenigen gelingen,
Mit ihren Kräften zu bezwingen
Ananga's Gluth.
(S. 29)
59.
Der Pfeil
So lange wandelt man hienieden
Auf gradem Wege hin,
Man ist bescheiden und zufrieden,
Und zügelt jeden Sinn,
Bis aus dem Auge schöner Frauen
Ein Pfeil herüber fliegt,
Und vom Geschosse schwarzer Brauen
Das Herz danieder liegt.
(S. 29)
60.
Götterohnmacht
Was Weiber durch Künste der Liebe verstehn,
Macht Brahma wohl selber nicht ungeschehn.
(S. 30)
61.
Liebestaumel
Ansehn bleibet und Wissen, nebst kluger Verwaltung des Hauses,
Nur so lang', bis die Lieb' alle fünf Sinne betäubt.
(S. 30)
62.
Entschuldigung
Selbst der heiligen Schriften Kenner
Wandelt nicht immer auf rechtem Pfad:
Weil das Weib den brauigen Bogen
Stets gespannet zum Unheil hat.
(S. 30)
63.
Naturtrieb
Der Hund sei mager, blind und schwach,
Verwundet, hungrig, ohne Schwanz,
Er leid' an jedem Ungemach,
So folgt er doch der Hündin nach:
Den Todten tödtet Liebe ganz.
(S. 31)
64.
Der Liebesfirman
Ein strenges Edikt hat Ananga geschrieben
Zu Gunsten der lieblichen Frau'n,
Und wehe den Thoren, die, ohne zu lieben,
Auf höhere Dinge vertrau'n:
Du siehest sie büßen und pilgern durch's Land,
Als Mönche geschoren, im Bettelgewand.
(S. 31)
65.
Die Vorbilder
Selbst Wiswamitras und andre Weisen,
Die nur Wasser, Wind und Kräuter aßen,
Ließen sich von Mädchen so bethören,
Daß der harten Buße sie vergaßen:
Und wir Schwache sollten sie vermeiden,
Die von Reis und Leckerbissen leben?
Wahrlich! eher mögten Windhya's Berge
Wie die Schiffe durch das Weltmeer schweben.
(S. 32)
66.
Amtseifer
Wie mögt' auf dieser argen Welt
Der Reine sich dazu verstehen,
Um, vor Tyrannen hingestellt,
Mit Ernst um einen Dienst zu flehen,
Wenn nicht die schönen Kinder wären
Mit Mondgesicht und voller Brust,
Mit Gürtelklang und Augenlust,
Für welche wir das Amt begehren?
(S. 32)
67.
Die Buße
Welcher Weise würde büßen
Unter Siva's heil'gem Baum,
Oder an der Ganga Saum
Den Himalaya begrüßen,
Wär' es nicht, um zu gesunden
Von den heißen Liebeswunden,
Welche mit Gazellenblicken
Weiber in das Herz uns drücken?
(S. 33)
68.
Die Wegweiser
Ständen nicht Mädchen mit feurigem Aug' am Wege des Lebens,
Wahrlich! es wandelte dann ohne Gefahr sich dahin.
(S. 33)
69.
Genuß des Lebens
Niemand ist auf dieser Erde
Durch's Begierdemeer geschwommen,
Und was nützen auch die Schätze,
Wenn die Jugend abgenommen?
Laß uns aus den Blumenaugen
Schöner Mädchen Wonne saugen,
Bis das böse Alter kommt,
Wo die Liebe nicht mehr frommt.
(S. 34)
70.
Tadel der Jugend
Verderben jeder Tugend
Bring sicherlich die Jugend:
Sie ist des Haders Quelle
Und der Begierde Zelle,
Erzeuget Höllenqual
Und Leiden ohne Zahl;
Sie ist der Thorheit Samen,
Macht den Verstand erlahmen,
Ist Kama's treuer Freund,
Mit Sünden nur vereint.
(S. 35)
71.
Lob der Jugend
Glücklich, wer in guten Stunden
Jugendschönheit hat gefunden:
Denn die Jugend ist die Wolke,
Die den Baum der Liebe tränkt;
Ist ein Strom von süßen Freuden,
Worin Kama sich versenkt;
Ist ein Meer, in dessen Gründen
Sich der Tugend Perlen finden;
Sie das Ziel der holden Jungfrau,
Die dahin die Augen lenkt,
Und ein Schatz der Glückesgöttin,
Welcher tausend Wonnen schenkt.
(S. 36)
72.
Liebe ist blind
Geliebte! Lotusmündige! Schönbrauige!
Hochbusige! Schönhüftige! Lilienaugige!
So girrt der Thor und ist auf seine Lieb' erpicht,
Und sieht nicht, daß sie wüst und häßlich von Gesicht.
(S. 37)
73.
Die Grausame
Wir lodern auf, wenn wir sie hören,
Und taumeln, wenn wir sie gesehn,
Berührung kann uns ganz bethören:
Warum denn heißt sie gut und schön?
(S. 37)
74.
Sein und Schein
Stehet sie vor Dir und tändelt, so ist sie linde wie Nektar,
Wenn sie den Rücken gewandt, ist sie verderbliches Gift.
(S. 38)
75.
Belladonna
Honig nennst Du und Gift, wenn ihren Namen Du aussprichst:
Honig, wenn sie verliebt, giftige Pflanze im Zorn.
(S. 38)
76.
Quelle der Übel
Ein tiefer Strudel von Begier
Und alles Bösen Quelle,
Ein Riegel an der Himmelsthür
Und Vorstadt in der Hölle;
Ein Korb, mit Falschheit angefüllt,
Ein Acker voller List und Lug,
Ein Schatz von Bosheit und Betrug:
So ist für uns des Weibes Bild.
(S. 39)
77.
Prosa
Die Dichter schwatzen von den Lotusaugen,
Von Mondgesicht und Brust wie Goldesschein:
Doch wer die Schönen mit Verstand betrachtet,
Der findet einen Klumpen Fleisch und Bein.
(S. 39)
78.
Anziehungskraft
Des Weibes Schönheit zieht
Der Thoren Herz und Sinn:
Denn wo der Lotus blüht,
Da fliegt die Biene hin.
(S. 40)
79.
Sonst und jetzt
Wie honigsüß ist der Mund, wenn die Schöne den Vollmond
An Glanz übertrifft;
Doch herbe, wenn sie verwelkt ist, wie Koloquinten
und bitteres Gift.
(S. 40)
80.
Gefährliche Fahrt
Es gleicht das Weib des wilden Stromes Wellen:
Wie Lotus sieht man ihre Augen blühn,
Und Schönheitslinien wie die Wogen ziehn,
Wie Schwäne sich die beiden Brüste schwellen;
Und wollt Ihr in das Weltmeer nicht versinken,
So dürft Ihr nimmer aus dem Strome trinken.
(S. 41)
81.
Erfahrung
Hier kosen sie, dort schau'n sie hin,
Den Dritten haben sie im Sinn,
Und sie betrügen alle Drei:
Das ist der Weiber Liebestreu.
(S. 41)
82.
Die Täuschung
Auf der Lippe des Mädchens Honig ist,
Aber Galle wohnt ihr im Herzen;
Und wer einmal den süßen Mund geküßt,
Der bereut es mit bitteren Schmerzen.
(S. 42)
83.
Die Schlange
Fliehe vor der Weiberschlange,
Freund, wenn Du vernünftig bist:
Denn ihr Auge sprühet Flamme
Und ihr Odem giftig ist;
Schau', sie hat, gleich einem Kamme,
Ihre Reize ausgespannt,
Und bist Du von ihr gebissen,
Heilt Dich nicht des Arztes Hand.
(S. 42)
84.
Der Fischer
Den Hamen legt der Liebesgott als Fischermann,
Und Weiberlippe hängt als süßer Bissen dran:
Die Männerfische beißen gierig allzuhauf,
Und schmoren in der Sehnsucht Feuer bald darauf.
(S. 43)
85.
Der Räuber
Wandle am Körper der Schönen, im Berg und Thale des Busens
Nicht, o Gedanke, es wohnt Kamas, der Räuber, darauf.
(S. 43)
86.
Liebeszauber
Wohl mir, daß ich nicht bezaubert
Von dem Blicke jener Schlangen
Mit den hellen Blumenaugen,
Den beweglichen und langen;
Ärzte giebt es allenthalben,
Die den Schlangenbiß beschwören,
Aber nirgend, wenn die Augen
Einer Schönen Dich bethören.
(S. 44)
87.
Sinnenreize
Sang und Tanz und Duft und Leckerbissen,
Und ein Mädchen in dem Arm:
Seht, an so verderblichen Genüssen
Halten sich die Sinne warm.
(S. 44)
88.
Unheilbare Krankheit
Weder Zauber noch Kraut noch Salbe wird
Für den Liebestaumel gefunden,
Denn ewig umher der Kranke irrt,
Und nimmer kann er gesunden.
(S. 45)
89.
Die Buhlerin
Die jedem Blinden, Ungestalten,
Dem Rohen, Kranken oder Alten
Mit ihrem Leib' zu Diensten stehn;
Die für Belohnung Netze stellen
Und der Erkenntniß Bäume fällen:
Wer mag nach solchen Dirnen gehn!
(S. 45)
90.
Die Priesterin
Opfert der Buhlerin nur der Jüngling Jugend und Güter,
Schürt sie das Feuer und braucht gern ihre Reize als Holz.
(S. 46)
91.
Das unreine Gefäß
Diebe, Spione und Knechte, Soldaten und Tänzergesindel
Küssen der Buhlerin Mund, nimmer der würdige Mann.
(S. 46)
92.
Festigkeit
Wohl Jenem, der sich nimmer läßt berücken,
Wenn große Augen lüstern auf ihn blicken,
Wenn runde Brüste ihm entgegenschwellen,
Und Schönheitslinien zittern, wie die Wellen!
(S. 47)
93.
Altersschwäche
O Mädchen, spare den Liebesblick!
Wir sind nicht mehr die Thoren;
Wir haben in dem Büßerhain
Uns ein Asyl erkoren,
Der Jugendtaumel schwand dahin,
Und darum hat für unsern Sinn
Die Welt den Reiz verloren.
(S. 47)
94.
Gleichgültigkeit
Augen, die wie Lotus strahlen,
Wirft zu wiederholten Malen
Jene Lose zu mir her:
Ach, die Thorheit ist vorüber,
Kama's Pfeil und Liebesfieber
Haben keine Wirkung mehr.
(S. 48)
95.
Die Perlenschnüre
Die sich guter Werke freun,
Werden von des Glückes Walten
Ansehn, Weib und Haus erhalten;
Aber wie die Perlenreih'n
Sich in alle Welt zerstreun,
Wenn der Faden abgerissen:
Also werden Güter sein,
Wo die Tugend wir vermissen.
(S. 48)
96.
Absagung
Wer jede Herzensregung überwunden,
Und durch Entsagung seinen Sinn gebunden,
Dem lächelt ungetrübtes Glück;
Was sollen süße Lippen ihm und Brüste,
Was sollen Schmeichelred' und Augenlüste,
Die Salben und der Liebesblick?
(S. 49)
97.
Verlorne Mühe
Kamas mit dem Blumenbogen
Den die Bienenschaar umschwirrt,
Nachtigall mit süßem Sange,
Die in jeder Laube girrt,
Mädchen mit den muntern Scherzen
Und den holden Augen winken,
Höret auf: zu Siva's Füßen
Will mein Herz sich Ruhe trinken.
(S. 49)
98.
Der Bekehrte
So lang' ich noch in Finsterniß beklommen,
Und in der Liebe Strom dahingeschwommen,
Erschien als Mädchen mir die ganze Welt;
Nun aber ist der Geist auf mich gekommen,
Und hat die Nebenhülle weggenommen:
Ich blicke fromm hernieder auf die Welt.
(S. 50)
99.
Jedem das Seine
Einer freut sich der Lieb', und der Andre folgt der Entsagung,
Andere lieben die Pflicht: so ist das Leben der Welt.
(S. 50)
100.
Der Trost
Wer auch nichts Schönes hat,
Der hat doch Freud' am Schönen,
Und liebt er nicht den Mond,
Mag er dem Lotus fröhnen.
(S. 51)
Übersetzt von Peter von
Bohlen (1796-1840)
Aus: Die Sprüche des Bhartriharis
Aus dem Sanskrit metrisch übertragen
von P. von Bohlen
Hamburg 1835
_____
Die Stufen der Liebe
1.
Was ist Edlen gut zu sehen? Liebchens klares Angesicht.
Was zu atmen? dessen Mundhauch. Was zu hören? dessen Wort.
Was zu kosten? dessen Lippe. Was zu fühlen? dessen Leib.
Was zu denken? dessen Anmut. Reizend ist es allerwärts.
2.
Sagen denn nicht unsre Dichter etwas sehr Verkehrtes
Von den Frauen, wenn sie stets von schwachen Frauen reden?
Die, von deren schwanker Augensterne Blitz getroffen
Himmelsgötter selbst erliegen, sind die schwach zu nennen?
3.
Ohne daß die Locken flattern und sich weit das Aug' auftut,
Ohne daß die Lippen aufgehn mit der reinen Zähne Glanz,
Ohne daß die Perlenschnur schwankt auf des Busens Doppelhöhn,
Auch in völl'ger Ruhe setzt in Unruh' uns ein schöner Leib.
4.
Scheine Lampe, glänze Feuer, leuchte Sonne, Mond und Stern;
Fern von euch, Gazellenaugen, ist die Welt mir Finsternis.
5.
Sieht man sie nicht, begehrt man sie zu sehn nur,
Und sieht man sie, wünscht man sie bloß zu küssen,
Und wenn man dann sie küßt, die Großgeaugte,
Verlangt man völlig mit ihr zu verwachsen.
6.
Der an die Brust gesunkenen mit aufgelösten Locken,
Der noch ein wenig blinzenden mit zugeknosptem Auge,
Der von des Liebeskampfes Schweiß am Wangensaum betrieften
Geliebten Frauen Lippenseim, ihn trinken Hochbeglückte.
7.
Wenn der Freund im Regengusse nicht das Haus verlassen kann,
Und des Frostes wegen fester ihn die Schöne drückt ans Herz,
Dann der Wind mit kalten Tropfen ihre Lustermattung kühlt,
Wird das schlechte Wetter gutes für beglückte Liebende.
8.
Ihr wählt euch eure Meister von den frommen Schriftgelehrten,
Doch wir, anmutig redender Poeten Jünger sind wir.
Denn nicht in jenem Leben gibt's ein höhres Glück als Tugend,
Doch keine Lust in dieser Welt als klargeaugte Frauen!
9.
Sich selbst und uns betrügt der Schriftgelehrte,
Der ungebührlich schöne Mädchen schimpft.
Zwar ist das Paradies die Frucht der Buße,
Doch Mädchen sind die Paradiesesfrucht.
10.
Nenne nur das Weib! und weder Gift noch Nektar gibt es sonst;
Abgeneigt ist sie ein Giftbaum, zugeneigt ein Nektarzweig.
11.
Mit dem einen kost sie traulich, nach dem andern blickt sie hold,
Denkt im Stillen an den dritten; wen denn liebt sie eigentlich?
12.
Als uns umgab Unwissenheit verliebter Finsternisse,
War in Gestalt des Weibes uns die ganze Welt erschienen,
Nur unser Aug' erhellet ist von bess'rer Einsicht Salben,
Erkennt der einsgeword'ne Blick die ganze Welt als Brahma.
Übersetzt von
Friedrich Rückert (1788-1866)
Aus: Indische Liebeslyrik
In deutscher Sprache nachgebildet von Friedrich Rückert
Eingeleitet, herausgegeben und erläutert
von Helmuth von Glasenapp
Verlag Hans Bühler jr. Baden-Baden 1948 (S. 123-125)
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Biographisches:
Bhartrhari, ind. Dichter; möglicherweise 7. Jh. n. Chr.; über s. Leben
berichten ledigl.Legenden, die ihn als Sohn des Brahmanen Candragupta u.
e. Sudra-
Frau, als König (so die Hindi-Fassung 'Baitalpacisi' der Märchensammlung 'Vetala-pañcavimsati'
u. das Drama 'Bhartrhari-nirveda' von Harihara) oder als
buddhist. Mönch (so der chines. Pilger I-tsing) bezeichnen u. auf versch.
Weise zu erklären suchen, weshalb der nach allen Traditionen in s. Jugend
sehr lebenslustige B. offenbar schließl. zum Asketen wurde; die ind.
Tradition, die ihn m. dem Grammatiker Bhartrhari, Vf. des 'Vakyapadiya',
u. mit Bhatti identifiziert, ist bis jetzt durch nichts beweisbar; B.
werden drei Sammlungen von in Sanskrit abgefaßten, lyr.-gnom. Gedichten, 'Srngara-sataka'
(Hundert Strophen über die Liebe), 'Niti-sataka' ('Hundert Strophen über
die Lebensklugheit') u. 'Vairagya-sataka' (Hundert Strophen über die Welt-
entsagung) zugeschrieben; 200 dieser Strophen übersetzte der Missionar A.
Roger 1651 ins Holländ. (Anhang zu 'De Open-Deure To het Verborgen Hey-
dendom', Leyden 1651; d. 'Offne Thür zu dem verborgenen Heydenthum',
Nürnberg 1663); B. ist somit der erste ind. Dichter, der in e. europ.
Sprache übersetzt worden ist. - B.s 'Satakas', eher Betrachtungen als
Beschreibungen, umfassen, in sehr durchsichtig-klarem Stil abgefaßt, das
ganze menschl.
Leben vom rein diesseitigen Lebensgenuß über weltkluges Verhalten zu
strenger, allem entsagender Askese, e. widerspruchsvolle Vielfalt, die
einige Gelehrte dazu verführt hat, in B. nicht den Dichter, sondern nur
den Kompilator zu vermuten.
Aus: Autorenlexikon:
Bhartrhari, S. 2. Digitale Bibliothek Band 13: Wilpert: Lexikon der
Weltliteratur
siehe aus:
http://en.wikipedia.org/wiki/Bhartrihari
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