Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Jehuda Halevi
(1075-1141)


Lieder der Liebe


An ihn

Ich wiegt' ihn einst auf meinen Knieen,
Er sah sein Bild in meinen Augen;
Er küßte mich mit Liebesglühen, -
Der Schelm! er wollt' sein Bild einfangen.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 17)
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O schlafe nicht, erwach', erwache,
Daß mich Dein Anblick glücklich mache!
Du träumst vielleicht, man küsse Dich?
Erwach', den Traum dann deute ich.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 17)
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Ofrah*

In meinen Thränen wäscht sie ihr Gewand
Und trocknet es an ihrer Blicke Brand,
Denn meine Thränen sind ihr Wasserfluth,
Und Sonnenlicht ist ihrer Augen Gluth.

* Das Reh, kosende Bezeichnung für die Geliebte

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 17)
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Die Trennung

So müssen wir uns trennen! Weile,
Daß ich den Blick noch in Dein Auge senke.
Vergiß die Tage unsrer Lust nicht, Liebe,
Wie ich der Nächte Deiner Huld gedenke.
Im Traum' erscheinet mir Dein Bild,
O, sei auch Du im Traum mir mild!

Wenn einst gestorben, werd' ich doch vernehmen
Von Dir den Tritt, das Rascheln des Gewandes,
Wenn aus dem Grabe Du den Gruß mir sendest,
Ich schlürfe gern den Hauch des kalten Landes.
Nimm hin mein Leben, nimm, befiehl,
Verlängert's nur Dein Lebensziel.

Nicht hör' ich mehr die Stimm' aus Deinem Munde,
Doch tönt sie mir aus meines Herzens Grunde.
So zieht Dir nach die Seele; meine Glieder
Ein Schattenbild nur, hier verweilend.
O, eine bald dem Leib die Seele wieder,
O kehr' zurück, o komme eilend!

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 18)
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Ein Hochzeitslied

1.
"Ein Täubchen seltnen Werths,
Von hoher Lieblichkeit!
Ach, warum wendet sie
Von mir sich ab so weit?
In meinem Herzen wär'
Für sie ein Zelt bereit.

2.
Sie fing mein armes Herz
Durch ihres Zaubers Macht,
Sie blendet mir das Aug'
Durch ihrer Farben Pracht,
Nicht Gold begehr' ich, nur
Daß süß ihr Mund mir lacht.

3.
Die Wangen Rosen gleich,
D'ran pflücken meine Augen,
Die Lippen glühend heiß,
Möcht' doch an ihnen saugen,
Der Locken schwarze Schatten
Mit Morgenlicht sich gatten."

4.
So sprach mein Freund, noch nicht
Von Frauenhuld beglückt;
Sei Freundin ihm, er sei
Durch Deine Huld erquickt,
Daß nicht die Einsamkeit
Ihn ferner niederdrückt.

5.
Nun wohl, die Zeit ist da,
Von Liebeswonn' erfüllt,
Bald werdet ihr geeint,
Das Sehnen euch gestillt.
Ach, naht' auch meinem Volk
Erlösungszeit so mild!

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 23)
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Wie sprüht Dein Aug', o Schöne, Funken,
Bist glühend, doch von Wein nicht trunken!

Willst, Holde, unsern Kreis Du meiden,
Wir sollen harte Strafe leiden,
Weil wir an Deinem Glanz uns weiden,
In Deinen Anblick tief versunken?

Laß uns an Deinen Antlitz hangen,
An Deinen saphirgleichen Wangen,
Nicht brauchst Du Schmuck von Kettlein, Spangen,
Nicht mit erborgter Zier zu prunken.

"Nun, Freund, laß uns der Liebe lauschen,
Die Pfänder unsrer Huld austauschen;
In Deinen Küssen sich berauschen,
Ist süßer, denn vom Wein betrunken."

So lasset uns denn, Freunde, trinken!
Im Haus, wo Glanz und Adel blinken,
Dem lieben Sohne Freuden winken,
Laßt's, mit Enthaltsamkeit zu prunken!

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 24)
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"Siehst Du über meine Wangen
Schlangenähnlich wallen Locken,
Fürchte nicht, sie sind geschlungen,
Dich zu mir heranzulocken."

Also spricht das holde Täubchen,
Höre auf Dein liebes Weibchen:
"Ach, wie lange wart' ich, bis der
Traute, der das Herz mir raubt,
Leget kosend mir die Linke
Unter das erglühte Haupt!"

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 25)
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Geistliche Gedichte

Wie wogt's in mir, so oft ich Deinen Namen denke;
Da breiten aus vor mir sich Deiner Hand Geschenke,
Der Seele forsch' ich nach, wie sie mit mir verbunden
So wunderbar geheim, und hab's noch nicht gefunden.
Doch schaut's mein Herz und glaubt so froh in tiefster Ahnung,
Als hätt' ich selbst am Sinai gehört die Mahnung.
Zur heil'gen Stätte ist mein Herz von Dir gegründet,
Dort thronst Du herrlich, dort Dein Walten sich verkündet.
Drum ist mir ein Sehnen, Beben und Erklingen,
Um Deinen Namen, Deine Herrlichkeit zu singen.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 59)
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Gott, ich hab's in mir vernommen,
Gläubig treu will ich Dir dienen,
Will nicht fragen, will nicht grübeln,
Dich zu meistern mich erkühnen,

Bist mein Hort, mein starker Schutzfels,
Bist ein Licht, das All durchdringend.
Also preist Dich jede Seele,
So mein Herz auch, Dir lobsingend.

Und die Himmel, sich verneigend,
Künden Deine Macht und Ehre,
Und von deiner Größe zeugen
Deine Boten, Engelheere,

Daß du trägst und nicht ermattest,
Ohne Arm' und ohne Hände,
Heil'ge Wesen in der Höhe,
Erdgeschöpfe ohne Ende.

Wer ergründet den Verborg'nen?
Doch in Seiner Gnadenfülle
Läßt herab Er sich zum Sohne,
Zeigt sich ihm in heil'ger Hülle.

Und es schau'n Ihn die Propheten
Als Gestalt nicht, nicht im Bilde,
Nur als König, hocherhaben,
Groß an Weisheit, voll von Milde.

Wer vermag's, Sein Thun zu schildern?
Doch zu huldigen nicht säume
Ihm, o Mensch, der trägt umfassend
Aller Welten Grund und Räume

Und erfülle Dich mit Ehrfurcht,
Ohne Wechsel, ohne Wandlung,
Und verehre treu Sein Walten,
Wie Er richtet jede Handlung.

In Dich selbst bewundernd blicke,
Was Du bist, wer Dich gegründet,
Gottes Werk betrachte staunend,
Seine Größ' es Dir verkündet.

Doch Ihm selbst zu nah'n vermeide,
Laß vorwitziges Beginnen;
Undurchdringlich bleibt verborgen,
Was verhüllet ist den Sinnen.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 59-61)
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O Sinai, und ihr, des Schilfmeers Wogen,
Zeigt mir den Weg an, wo mein Freund gezogen!
Ich zieh' Ihm nach, dem freundlich milden Herrn,
Ruh' dann in Seinem Schoß, Ihm nie mehr fern.
Horch, Dich frag' ich: stieg im Dornbusch wieder
Zu Seinem treuen Seher Er hernieder?
Hin durch der Erde Ball, soweit er reicht,
Ich frage überall, und Alles - schweigt.

Wie? Sollt' Er gar nach mir, der düstern, bangen,
Der harten Druck Erduldenden verlangen?
Ja sieh, in meiner Brust fand ich Ihn thronen,
Als treuen lieben Freund vertraulich wohnen.
Nun schien geschwunden Sorge mir und Schmerz,
Der Gram verließ das seufzerreiche Herz.
Als kennt' ich keine Leiden, fühl' ich Kraft,
Hält Er mich liebend ja in meiner Haft!
Nicht sei das Reich, die Herrschaft mein Begehr,
Auch nicht das Land, so herrlich und so hehr,
Umschlinget mich nur Seiner Liebe Band,
Ist Er mir nahe nur, dem Geist verwandt.
Letzt Seiner Liebe Honigseim den Gaum,
Wozu bedarf's der eitlen Hoffart Traum?
Ist Er mir Schmuck und Zier um Hals und Wangen,
Wozu noch Diadem, Geschmeid' verlangen?

O Du, mein Freund, von mir schon früh erkannt,
Voll Sehnen ist mein Herz nach Dir gewandt.
Ich blieb in Liebe treulich Dir geeint,
Drum droht mit bittrem Hasse mir der Feind.
Ich dächte mein nicht mehr, vergäß' ich Dein,
Häuft sich auch Schmerz auf Schmerz und Pein auf Pein.
Für meine treue Liebe gegen Gott
Verfolgt ihr Grimm mich, Fallstrick, Hohn und Spott.
Doch mir ist's Lohn, daß ihr als Feind mich achtet,
Lohn, daß ihr mich verwerfet und verachtet.

O, gründe wieder Deinen heil'gen Bau,
Nach Deiner Heerde, Vater, wieder schau'.
Lös das Gelübde, das Du einst gethan,
Nimm unser Fleh'n mit offnem Ohre an;
Die Taube, nistend an des Grabes Schlünden,
Laß Fried' in Deinen trauten Räumen finden!
Wie einst, ist meine Seele dann verjüngt,
So Deines Glanzes Strahl neu auf mich dringt.
O, kehr' in meine alte Stätte wieder,
Dein Glanz, er leuchte hell auf mich hernieder!

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 61-62)
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"Mein Täubchen, warum seufzest Du
Und irrest ohne Rast und Ruh?
Magst Deine Feste froh begehn,
Hat Dich Dein Gott ja ausersehn!"

Bleibt mir denn Hoffnung noch und Kraft,
Befreit zu werden aus der Haft?
Wird meine Sehnsucht denn gestillt,
Das Land zu sehn, das heilerfüllt?
Der Freund ist fern, bedrückt die Brust;
Wo giebt's für mich noch süße Lust?

O, wäre doch beflügelt ich,
Ich schwänge nicht zu Sternen mich;
Zum Gottesberg flög' ich empor,
Dort würzt' ich meines Tempels Thor,
Auf Staub und Trümmer, die mein Fuß
Betritt, drückt' ich der Liebe Kuß.

"Laß g'nügen Dir! Dir ist ein Schild
Dein König, immer freundlich mild;
Im finstrem Land auch ebnet Er
Den Pfad, drum schreite froh einher,
Des Festtags Freude gieb Dich hin,
Getrost erheit're Herz und Sinn!"

Nun, mich erquickt das hohe Wort
Von Ihm, der meines Lebens Hort.
Er, der die Sehnsucht mir entbrannt
Nach Sinai, dem heil'gen Land -
Auch hier erleuchtet mich Sein Licht,
Ich trau' auf Ihn, Er läßt mich nicht.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 62-63)
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Ich schlaf' auf ferner Wanderschaft,
Ich schlumm're hier in enger Haft;
Ist auch verhüllt mein Angesicht,
Ich weiß es, dennoch strahlt mein Licht
Geeint ist mit dem Freund mein Herz,
Gestärkt in mir des Geistes Macht;
Drum leg' ich ab den düstern Schmerz,
Ich kleide mich in Schmuck und Pracht.

Was such' ich Ihn in weiter Fern'?
Er weilt in meinem Innern gern.
Im Herzen hab' ich Ihn geschaut,
Dort hat den Thron Er sich erbaut.
Das ist mein Heil, das ist mein Glück,
Ich sehne mich nach Freunden nicht,
Verschmäh' der Kön'ge Gnadeblick,
Durch Ihn allein nur strahlt mein Licht

Wohl wär's mir Lust zu weilen dort,
Wo Seines heil'gen Tempels Ort,
Ihm dort in heil'gem Dienst zu nah'n,
Nicht Wohlsein, Herrschaft zu empfahn.
Des Grundes Grund, der Alles hält,
Des Heiles Quell, dem's nie gebricht,
Der Urglanz und der Schmuck der Welt,
Ich weiß, es strahlt auch mir sein Licht.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Divan des Castiliers
Abu 'l-Haßan Juda ha-Levi
Von Abraham Geiger
Nebst Biographie und Anmerkungen
Breslau 1851 (S. 64)
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Der Labetrank

Dir singe ich so lang' ich lebe!
Dem süssen Saft auch Deiner Rebe -
Ich füll' davon mir meinen Krug
Und lab' mich stets mit einem Zug.

Wenn Trunkenbold mein Freund mich schilt
Und fragt: "Wird nie Dein Durst gestillt?" -
Sprech' ich: "Hab' Balsam nun gefunden -
Und soll nicht heilen meine Wunden? -

Der Lust soll ich gebieten Halt,
Der ich nicht vierundzwanzig alt?" -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 250)
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Das Reh und der Leu

O seh't den Baldachin, das Ehrenbette!
Der lieblichen Gazelle Ruhestätte,
Wie Saba's Kön'gin reich an Glanz und Ehren.
Bald kommt sie selbst und lässt das Räthsel hören:
"Kennt Ihr das Reh, das sich zum Leu gesellt,
Ohn' dass es Zagen oder Furcht befällt?"
So sprecht: "Das Reh bist Du, o holde Braut!
Die wird dem Leu Jehuda angetraut." -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 250)
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Die Holde

Sie taucht ihr Tuch in meiner Thränen Welle,
Und trocken wird's bei ihrem Blick, der glüht;
Braucht keinen Bach bei meiner Zähren Quelle, -
Die Sonne nicht, da Feu'r ihr Auge sprüht.

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 251)
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An den Schlummernden

Erwach', Geliebter, aus dem Schlummer!
Vor Deinem Blick entweicht mein Kummer;
Träumst Du von Kusses-Seligkeiten? -
Erwach'! ich will den Traum Dir deuten. -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 251)
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Sie im Selbstgespräch

Wie bin zum Schatten ich herabgekommen,
Seit der Geliebte Abschied hat genommen!
Schau' alt nun aus, nicht durch der Jahre Zahl -
Nein, nein! nur durch der Trennung bitt're Qual!
O könnt' ich ihn in meine Arme ziehen -
Bald würde meine Jugend wieder blühen! -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 251)
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Die Rechtsfrage

Ihr Sänger stimmt die Harfe!
Die Schönheit zu besingen;
Lass't eu're Stimm' erschallen,
Lass't Wettgesang erklingen!

Es gilt den edlen Jungfrau'n,
Den lieblichen und reinen,
Die holdverschämt kaum wagen,
Am Fenster zu erscheinen.

Die aber mit dem Blicke,
Wenn arglos auch, verwunden, -
Die manchen Mann erschlagen -
Und werden rein befunden!

Die keines Schwerts bedürfen, -
Der Lilienarm genügt;
Wozu erst das Geschmeide,
Wenn schon das Auge siegt? -

Und wollten auf sie schau'n -
Die Sonne stünd' erschrocken;
Ihr Antlitz ist der Tag,
Nacht ihre Rabenlocken.

Hell glänzt ihr Kleid, wie's Aug'
Der Liebenden beim Küssen;
Doch finster schaut das Haar,
Wie Die, die scheiden müssen.

Mein Herz - es ist der Himmel,
Wo diese Sterne funkeln, -
Die alle Himmelslichter
Mit ihrem Glanz verdunkeln.

Die süssen zarten Wesen!
Mit ihrem Wuchs, dem schlanken! -
Mit ihren Purpurlippen,
Mit Zähnen perlenblanken!

Ihr Blick - er raubt die Fassung, -
Wär's auch nicht ihre Wahl;
Die Brust, die Rosenwange -
Welch' süsses Labesal! -

Und ihre schöne Haltung,
Der Palme gleich an Pracht;
Ach, ihrer Hüft' Bewegung
Die Herzen beben macht.

O frag', ob sie, die morden,
Wenn auch mit Absicht nicht, -
Ob schuldig sie verfallen
Dem strengen Strafgericht.

Ob nicht der Blitzgetroffne
Verdien' sein Missgeschick,
Als Ahnung für die Kühnheit,
Den unehrbiet'gen Blick. -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 251-253)
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Die Liebe

Zu Ophra's Füßen lieg' ich gebannt,
Ein Thränenstrom dem Aug' entquillt,
Mein Auge netzet das Gewand,
Das Ophra's Lichtgestalt umhüllt.

Wer zählte die Tropfen, die perlen im Quell,
Wer zählte die Thränen, die all' ich geweint -
Doch alle die Thränen trocknen schnell,
Wenn Ophra's sonnige Huld mir scheint.

Übersetzt von Bernhard Löwenstein (18?-1889)

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 87)
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Warnung

Die Harfe her mit vollen Tönen!
Erklinge Lied zum Ruhm der Schönen!
Es wechsle Saitenspiel mit Singen,
Den Preis im Wettkampf zu erringen.
Dort lugt sie aus des Fensters Gittern
Und läßt das Herz mir schauern, zittern.
Sie ist als reinster Schmuck der Frauen
Im Strahl der Tugend nur zu schauen,
Erfüllt von Armut, Seelenadel,
An Geist und Körper sonder Tadel.
Und dennoch hat sie Menschenleben
Dem jähen Tode preisgegeben.
Sie schoß auf mich den Pfeil vom Bogen
Der mir gar tief ins Herz geflogen.
Als ob der Pfeil noch nicht genügte,
Der in so raschem Kampfe siegte,
Erhob das Schwert sie, zu vollenden
Den Mord, den Mord mit Unschuldshänden.
Ihr Arm, der sonst nur Lilien spiegelt,
Hat mir als Schwert den Tod besiegelt!
Ich rufe Sonn' und Mond als Zeugen,
Sie sind von ihr geblendet - schweigen!
Ich ruf' Euch, Richter, unbestechlich!
Der Richter Sinn ist, ach, gebrechlich ...
Und soll sie's ungestraft so treiben?
Es scheint, es müsse schon so bleiben ...
Doch will ich dies zur Warnung schreiben!

Übersetzt von Bernhard Löwenstein (18?-1889)

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 88)
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An Ophra

Wie staunenswert, fürwahr, und wunderbar:
Die zarte Taube fängt den Aar!
Der mächt'ge Löwe ist gebändigt gar,
Durch der Gazelle sanftes Augenpaar.
Wer sie erblickt, vor Sehnsucht sterben muß,
Doch Leben giebt dann rasch der Lippen Kuß.
Der Blick, ein Blitz, er schmettert nieder,
Der Kuß, wie Tau, belebet wieder!

Ihr Wort - ein Zauber,
Ihr Geist - ein Wunder.
Ihr Blick - ein Feuer,
Mein Herz - der Zunder.

"Wie, Geliebte, Abschied schon so raschen?"
""Muß zur Quelle, mein Gewand zu waschen!""
"Bleib' bei mir, Holde, hier,
Hast als Quelle meiner Thränen Flut
Und zum Trocknen meiner Liebe Glut!"

Ich bin dir mehr als Sonnenglanz,
Ich bin dir mehr als Blumenkranz.
Der Sonne fehlts an Strahlen nicht,
Allein sie bietet nimmer Duft!
Die Blumen würzen süß die Luft,
Jedoch sie senden nimmer Licht.
Nur ich, Geliebter, ich allein
Dir spende Duft und hellen Schein,
Und leb' als Sonne und als Blume
In deines Herzens Heiligtume.

Übersetzt von Bernhard Löwenstein (18?-1889)

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 89)
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Ophra

Wenn Ophra vom Schlaf ist umfangen,
Verbreitet sie magischen Glanz -
Es leuchten die roten Wangen,
Es leuchtet der Lockenkranz.

Die roten Wangen erglühen
Als wie ein Karfunkelstein,
Die glatten Schläfen sprühen
Zurück den rosigen Schein.

Die rosigen Schläfen der Holden
Umsäumen das dunkle Haar,
Wie Frührotstrahlen vergolden
Die dunkle Wolkenschar.

Übersetzt von Samuel Kristeller

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 90)
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Dein helles Sonnenantlitz spricht:
"Es werde Licht!"
Es ruft des Rabenhaares Pracht:
"Es werde Nacht!"
So kämpft in deinem Angesicht,
Geliebte, mit der Nacht das Licht.

Übersetzt von Bernhard Löwenstein (18?-1889)

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 90)
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Abschied

In Gottes Totengarten,
Im Grabe will ich lauschen,
Still horchend auf dich warten,
Auf deines Kleides Rauschen,
Auf das Rascheln deiner Füße,
Auf das Flüstern deiner Grüße.
Was drüben sich werde erfüllen,
Hier bleibt es dem Auge verborgen.
Mich aber soll Eins nur erfüllen,
Ein Sehnen nur und ein Sorgen:
Die hohe Seligkeit drüben,
Zu schauen dich, dich zu lieben.

Übersetzt von Samuel Kristeller

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 90-91)
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Gelobt!

Ja Herr Dich
dich rühme ich;
dein Recht, durch mich
leucht' es weit.

Horch, ein Ton -
gehorch ich schon,
Frage schmilzt
und Widerstreit.

Und glich' es dem
nicht, wie wenn Lehm
den Töpfer: "Was
tust du!" zeiht?

Des ich verlang,
den ich empfang
zu Turm und Wehr
und Sicherheit:

All-um glühnd,
Geleucht aussprühnd,
schleierlos,
verhangbefreit -

Daß gelobt,
o daß umkränzt,
o daß gerühmt
er, und geweiht.

Herr: Deiner Pracht,
Werks Deiner Macht -
die Himmel sind
sein Bericht,

Ihr Steigen und
ihr Neigen und
wenn tief sich beugt
ihr Gesicht.

Und Engel, hin-
wandelnd in
Gemäuer aus
Flut und Licht,

Bekennen dich
und nennen dich,
der du schufst
den Laut, der spricht.

Denn du wägst
ohn' Müh, und trägst,
und nicht im Arm,
auf Händen nicht:

Tiefsten Grund,
hochhimmlisch Rund,
den Thronsitz und
die sein Geleit -

Daß gelobt,
o daß umkränzt,
o daß gerühmt
er, und geweiht.

Und wes Mund, wes,
wär würdig Des,
der Wolken ballt
mit seinem Wort,

Ewig lebt
- Geheimnis webt
auf Höhn der Höhn
um seinen Ort -

Und doch vom Thron
ins Zelt zum Sohn
herab sich ließ,
zu wohnen dort.

Wohl Abglanz-Schein
den Sehern sein
vergönnt er aus
des Wesens Hort.

Doch ohne Form
und ohne Norm
zieht hin sein Geist,
und ohne Port.

Profetie
nur sah ihn wie
in Königskleids
Erhabenheit -

Daß gelobt,
o daß umkränzt,
o daß gerühmt
er, und geweiht.

Die Werke groß,
Gebild zahllos -
wer umzirkt
des Lobs Gestalt?

Heil dem Mann,
der früh begann,
in ihm zu sehn
die Allgewalt,

Und kühn sich stellt
auf den, der hält
fest das All
in ewgem Halt,

Mit regem Geist
hoch ihn preist
und sein Gericht
nie Unrecht schalt

Und gibt frei zu,
daß, was Gott tu',
seinem Ziel
das Tun stets galt

Und daß er nah
den Tag bringt, da
der Welt ihr Spruch
hängt bereit -

Daß gelobt,
o daß umkränzt,
o daß gerühmt
er, und geweiht.

Auftaue dich,
neu baue dich,
klar schaue dich
in tiefster Brust!

Erfaß, o Geist,
was du seist
und daß aus Nichts
kam all dein Blust.

Wer gab dir Kraft?
wer Wissenschaft?
wer ruft dich einst?
ist dirs bewußt?

So schaue an
die Macht, und dran
entflamm dein Herz
zu heilger Lust!

Erkenn sein Werk!
Ihn doch, merk,
unberührt
lassen mußt.

Forsch wie viel!
Keim ruht und Ziel
in Wunder und
Verborgenheit -

Daß gelobt,
o daß umkränzt,
o daß gerühmt
er, und geweiht.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 13-17)
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Gewaltiger

Gewaltger! Wer ohn' Ihn! Wer stritte den Rang Ihm!
Er Bronn des All ringsum, des Schöpfung entsprang Ihm!
Seine Gestalt - kein Aug hat sie gesehn, nur das
Herz seelenvoll, schaund und erkennend, zudrang Ihm.
Sein mächtger Glanz umringt des Weltalls Rund; so heißt
"Raum" Er dem All, weil kein Raum rings sich umrang Ihm.
Schaunde, die nie zu schaun! Schaundem, der nie zu schaun,
nah' du und bring Preisdanks- und Segensworts Klang Ihm!

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 18)
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Sehnsucht

Zu ihm, des wahren Lebens Quell, hintracht ich.
Das Leben drum, das schal und leer, mißacht ich.
Schaun meines Königs Antlitz – was begehrt' ich noch!
Nicht kenne andre Macht und andre Pracht ich.
O dürfte ich ihn sehen doch, wärs nur im Traum!
Gern schlief' ich ewgen Schlaf und nie aufwacht' ich.
Und säh sein Antlitz ich in meines Herzens Schacht,
Nicht gäb dem Aug, hinauszuspähn, noch Macht ich.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 19)
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Nachts

Jüngst weckten mich Gedanken Dir zu eigen
und ließen schaun mich Deiner Gnaden Reigen.
Hell lehrten sie, wie Dein Gebild, die Seele,
mit mir verflochten – Wunder, nie zu schweigen!
Und sah mein gläubig Herz dich nicht, als hätt es
gedurft sich mit am Sinai erzeigen?
Dich suchten meine Schauungen. In mich trat
dein Glanz, in mein Gewölk herabzusteigen.
Aufscheuchte da mein Sinnen mich vom Lager,
vor Deiner Herrlichkeit mich, Herr, zu neigen.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 20)
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Ereignis

Die Sphären des Himmels sahn dein Glänzen, da wanken sie.
Die Wogen des Abgrunds, als du auszogst, still sanken sie.
Und wie solln die Seelen stehn, dort wo Dein Geheimnis haust,
wo Feuer durch Felsen schlägt, daß flammend zerschwanken sie.
Doch stark wird ihr Herz durch Dich, wofern Du sie stärken willst,
daß folgend den Geistern, die dein Sein schauen, danken sie.
Drum Lob aller Seelen steig' zu Dir auf, o Herregott,
denn Lobworte finden Dich, den prächtig umranken sie.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 21)
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Der Unvergleichliche

Wer gleicht Dir, dem Tiefen helle,
Lobumraunt du, Wunderquelle!

Jäh umschuf er Nichts ins Sosein;
Herzen naht er, Augen floh sein
Bild; drum frag nicht, wie und wo! Sein
Voll im All ist jede Stelle.

Hältst dir ferne böse Lust du,
Findest Gott in deiner Brust du;
Herzensstill nur wandeln mußt du -
Er senkt, hebt des Lebens Welle.

Und Rätsel sieh: der Seele Pfade!
In dieser Weisheit selig bade, -
Findest drin der Freiheit Gnade:
Bist ja Häftling, Welt die Zelle.

Denken – sends, dich Ihm zu einen!
Lösch deinen Willen und tu Seinen!
Wohin würd nicht Sein Auge scheinen?
Sein Tun kennt Grenze nicht noch Schwelle.

All-erst lebt vor Weltstaubs Krume
Er. Und erschuf. Und trägt. Wie Blume,
Die welkt, so gehts des Menschen Ruhme:
Wie ein Blatt welkt, welkt er schnelle.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 23)
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Die Liebenden

Ihm flehn seine Liebenden, sein Lieben umfragen sie,
des Spätregens seiner Huld zu harren doch wagen sie.
Haust nicht seine Gnade nah, er thron hoch und ragend gleich?
so sind seine Taten groß, und weitherrschend ragend sie.
Und jene sähn gern sein Licht, mit Augen, drum prüfen sie
ihr Herz; sehn sie dann das Licht, sein hehres, so zagen sie.
Doch seines Gesetzes Wort, sein Reich – auf sich nehmen sies,
getragen von seinem Ruhm, und sein Ruhm – den tragen sie.
All Glanz, alle Herrlichkeit errufen und künden sie,
und wie's ihre Kehle beut, das Größeste sagen sie.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 25)
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Der Wahre

Mit ganzer Kraft, Du Wahrheit, ganzer Seele
hab ich Dich lieb, im Licht, in Busens Hehle.
Dein Name mein! – wo gäbs, der den mir stehle?
Mein Liebster Er! – wen gäbs, der da mir fehle?
Mein Licht Er! – meinem Docht gebrächs an Öle?
Gäbs Wank? Wo solchem Stab ich mich empfehle!
Ihr Hohn schmält – Toren! Wird doch Hohngeschmäle
ob Deiner Krone mir zum Kronjuwele!
Mein Lebensborn! Sei Dir Ein Preis mein Leben
und Sang, solang noch Hauch in meiner Kehle.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 34)
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Sein Friede

Des Lebendgen Hand – ihr Schatten wird dein Dach,
stellst du schlicht und redlich nur auf Ihn dein Sach.
Wenn du wandelst, sorgt er, daß dein Fuß nicht schwank;
wenn du handelst, - Er wirkt, daß dein Arm nicht schwach.
Suche Frieden, jag ihm nach! Bekennst du nicht,
Er sei: "Herr des Friedens", und "Der Frieden mach'"?

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 38)
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Gebet

O Gott Du, wenn ich Dir mein Flehen breite,
hör meine Stimme, meinen Schrei, o Du Gott.
O Gott Du, Deine Hand laß sehn, enthülle
die Allmacht und begnade mich, o Du Gott.
O Gott Du, stürmisch geht mein Herz im Busen,
ich hüll mich ein in meine Not, o Du Gott.
O Gott Du, nah' dir freundlich mein Gedächtnis,
gedenke mein und walte mein, o Du Gott.
O Gott Du, Deiner Hilfe immer harr ich,
werd' Deine Liebe mir zum Trost, o Du Gott.
O Gott Du, mein Erschaffer Du, mein Felsen,
wer ist mein Helfer außer Dir, o Du Gott.
O Gott Du, über mich wall' Dein Erbarmen,
nicht acht' auf meiner Sünden Zahl, o Du Gott.
O Gott Du, einzig Dich will all mein Denken,
und meine Seele spricht: mein Teil, o Du Gott.
O Gott Du, meine Angst umhüllt mein Herze,
dir schütt ich meine Seele aus, o Du Gott.
O Gott Du, höre mich um Deinetwillen
und annimm heute mein Gebet, o Du Gott.

O Gott Du, sieh in Deiner Hand mein Sinnen,
mein Herzgeheimnis, Dir ists kund, o Du Gott.
O Gott Du, bringe Balsam meinen Schmerzen,
tu Deine Augen auf und sieh, o Du Gott.
O Gott Du, stelle meinen Fuß auf Boden,
vor allem Volk bekenn ich Dich, o Du Gott.
O Gott Du, sieh mich Deiner Hilfe harren,
bis her Du blickst und wendest Dich, o Du Gott.
O Gott Du, neige meinem Schrei die Ohren,
sei gnädig mir und merke her, o Du Gott.

O Gott Du und mein Gott, zu Dir hin hang ich,
mein Herz, nach Deinem Heil verlangts, o Du Gott.
O Gott Du, bürg für Deinen Knecht zum Guten,
nicht blick auf seiner Sünden Zahl, o Du Gott.
O Gott Du, sitzt noch lang, der Dir verhaftet,
in seiner Sünde Haft verstrickt, o Du Gott?
O Gott Du, meinem Herzen rät sein Denken,
sich Dir zu weihn in seiner Not, o Du Gott.
O Gott Du, ja denn! ich – in Dir frohlock ich,
erlös den Armen seiner Pein, o Du Gott.
O Gott Du, Herr der Welt, zu Dir hin hang ich,
dieweil Du liebst den Hang zu Dir, o Du Gott.

O Gott Du, Deinem Knecht zeig Deine Langmut,
der sich an deine Huld gewandt, o Du Gott.
O Gott Du, sieh, ich leg Gebet hier nieder, -
bevor ich rufe, antwortest o Du Gott.
O Gott Du, mach mich stark durch Deine Liebe,
und Balsam reich dem kranken Herz, o Du Gott.
O Gott Du, krank gemacht hat mich mein Kummer,
die Seele fiebert Tag und Nacht, o Du Gott.
O Gott Du, reiße Du mich aus dem Abgrund
und Deines Knechts Gefängnis wend, o Du Gott.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 59-60)
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Umkehr

O Gott nach Dir allein steht mein Verlangen,
auch wenns mir von den Lippen nie gegangen.
Lebt einen Augenblick in Deiner Huld ich,
wie gerne würd ich dann den Tod umfangen,
Beföhle meines Geists Rest Deinen Händen
und schliefe sanft, ein Lächeln um die Wangen.
Von Dir entfernt – o Tod in Lebens Bechern!
an Dich geschmiegt – o Leben in Tods Zangen!
Jedoch nicht weiß ich, womit ich dir nahn soll
und welcher Dienst, welch Tun zu Dir hindrangen.
Woll Deine Wege doch, o Gott, mich lehren,
mich ziehn aus Torheits Banden, die mich zwangen.
Und weise mich, solang noch Kraft zur Buße
in mir, und nicht mißacht mein büßend Bangen,
Eh ich mir selbst zur Last bin, eh sich beugen
dem obern Druck der untern Knochen Spangen
Und ich mich lege wider Willn, und Motte
die Knochen frißt, die lang sich müde schwangen,
Und hin ich zieh, wohin die Väter zogen,
und finde Ruh, wo sie sich Ruhstatt dangen.
Ein Beisaßfremdling auf der Erde Rücken,
in ihrem Bauch werd ich als Erbherr prangen.
Die jungen Jahre schafften für sich selbst nur -
wann werd ich stecken meines Zeltes Stangen?
Die Welt gab er ins Herz mir – deren Lüste
in Schlummer, der des Ends vergaß, mich sangen.
Wie kann ich meinem Bildner dienen, wo ich
gebildumstrickt, ein Knecht noch dem Verlangen.
Die morgen Brüder Erdgewürmen, - dächt man,
daß heut sie noch um Ehr' und Würden rangen?
Wie mag mein Herz an Freudentagen froh sein!
vielleicht daß sie schon morgen mir verklangen.
Vereint die Tag' und Nächte rastlos an dies
mein Fleisch, den Garaus ihm zu machen, sprangen.
In Luft verstreut, in Staub verkehrt ich – die zwei
sinds, die am Ende ihrem Haß gelangen.
Was sag ich, den die Triebe hetzten, feindgleich
von Jugend an, bis daß sie mich verschlangen!
Was hab ich in der Zeit, wenn Deine Huld nicht?
Empfang ich Dich nicht, was werd ich empfangen?
Nackt bin und bloß ich aller guten Werke -
Dein Recht allein als Mantel mir umhangen.
Was reg ich noch die Zunge viel, was dräng ich -
o Gott, nach Dir allein steht mein Verlangen.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 62-63)
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Der Lohn

Juwel sie, das im Leibe weilt,
ein Licht in Dunkel eingekeilt -
Es lockt sie, Flucht zu rüsten hin
zur Werkstatt, wo ihr Schmuck gefeilt,
Hin, wo, wenn Flucht sie rüstet, was
von Frucht sie lüstet, wird verteilt:
Urseim von Eden, Wonnesaft,
und Weisheit reich und ausgefeilt.
Des Schöpfers Wandel schaut sie dann,
von Leids Erinnerung geheilt,
All-aller Seelen Zeile rings,
die Gott lobsingen, eingezeilt.

Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 64)
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Liebeswunder

Je blickst du hold auf meines Lieds
und Lobs Geschmeid und Ausgesiebe?
Herztrauter, der mir ferne floh
ob meiner Bosheit irrem Triebe!
Und halt ich Seinen Saum auch nur,
o Wunderkraft, die noch mir bliebe!
Dein Name wär mir Lohns genug,
wenn meine Arbeit mich zerriebe.
Ach mehr' du Leid – mehr liebe ich!
Mein Lebenswunder: Deine Liebe.
Übersetzt von Franz Rosenzweig (1886-1929)

Aus: Jehuda Halevi Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte
Deutsch von Franz Rosenzweig
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
Berlin Verlag Lambert Schneider (o. J.) [1926] (S. 109)
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Biographisches:

siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Jehuda_ha-Levi




 

 


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