Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Moses ibn Esra
(1055-1138)



An seine Geliebte

Die Welt wird uns're Liebe seltsam finden -
So grausam Du, - ich weiss es zu verwinden!
Von Spott bedroht, verschliesse ich mein Herz;
Du kennst mein Leid - und mehrst durch Flucht den Schmerz! -

Ohn' Dich ist mir die Welt ein Kerker nur,
Und Wildniss Alles, wo nicht Deine Spur.
Dein Wort - ein Honig, der nicht mich erquickt!
Dein Hauch - ein Duft, der Andere beglückt! -

Bist jung, voll Geist, - ein Reh, das Löwen zwingt, -
Das Liebende, ach! zur Verzweiflung bringt.
Mit Deiner Schuld wächst meine Liebeslust -
Du lebst in meinem Aug', in meiner Brust.

Und gluthvoll ist die Brust, das Aug' voll Zähren -
Bin krank - und trag' nach Heilung keine Begehren!
Dir bleib' ich treu, bis um sich kehrt das All!
Leb' wohl! so lang' nur schlägt die Nachtigall. -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 194)
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Die Holde im Tanz

Die Holde gleicht der Myrte ganz,
Wenn auf sich löst ihr Haar im Tanz;
Ach, Ströme Bluts vergießt ihr Pfeil -
Und doch wird Straf' ihr nicht zu teil!

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 209)
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Die Trennung

Aus meinen Augen strömt's am Trennungstage,
In meinem Munde find' ich da nur Klage,
Kaum kann die Arm' ich zur Umarmung regen, -
Zum Lebewohl die Lippen kaum bewegen.

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 210)
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Nachts sucht Dich meine Seele, Herr!

Die Seele sehnt sich nach dem Ruheorte,
Nach ihres Ursprungs Quelle, ihrem Horte, -
Ein möcht' sie ziehen in des Himmels Pforte,
Dahin wallfahrten Tag und Nacht.

Zur lichten Höh' möcht' sie den Blick erheben, -
Möcht', ob auch unbeschwinget, aufwärts streben,
Die Gottheit da zu schau'n mit süssem Beben
Zur Abendzeit, in düst'rer Nacht.

Das Werk giebt von des Meisters Gröss' ihr Kunde,
Drum sehnt sie sich nach Seinem sel'gen Bunde -
Ein Tag vernimmt es aus des andern Munde,
Und Nacht verkündet es der Nacht. -

Stets war Dein Heil, o Gott, bei mir zu finden, -
Ich aber liess vor Dir die Ehrfurcht schwinden! -
Ach, Du durchschauest mich, kennst meine Sünden -
Du prüfst mich, suchst mich heim bei Nacht.

Drum wollt's auf weichem Pfühl mir nicht gefallen,
Mich zog es hin nach Gottes heil'gen Hallen,
Indess die Menschen tiefem Schlaf verfallen
Und träumen, träumen in der Nacht.

In Wahn hab' meine Jugend ich verschwendet,
O Schmach! wie schlecht hab' ich die Zeit verwendet -
Drum sind nun Reuethränen mir gespendet
Als meine Speise Tag und Nacht.

O Himmelsspross! vermählt dem Erdgeschicke -
Bedenke, diese Welt ist eine Brücke!
Auf, auf! erheb' in Andacht Deine Blicke,
Lobsing' dem Schöpfer in der Nacht! -

Eil', Dich des Sündenjoches zu entwinden,
Such' auf der Tugend Pfad Dein Heil zu finden, -
Erwäg', wie eilig Deine Tage schwinden, -
Wie eine Wache in der Nacht! -

Der Mensch - ob sträubend auch - ist da zum Müh'n!
Nach Eitlem aber stehet ihm der Sinn! -
Wie eine Blume blüht und welkt er hin -
Verschwindet, wie ein Traum der Nacht.

Ihn klaget an sein Wandel laut und schwer,
Ihm naht der Tod, es weicht des Schutzes Wehr,
Und Andere beerben ihn, da er
Stirbt unverseh'ns um Mitternacht.

Ob meiner Schuld ist traurig mir zu Muth,
Da ich noch nicht verlöscht der Sünde Gluth, -
Drum seufz' ich tief, und meiner Thränen Fluth
Benetzt mein Lager Nacht für Nacht.

Mein Auge weint ob meines Herzens Wahn
Ohn' Unterlass; ich gleich' dem Pelikan,
Und Klageton stimmt meine Seele an -
Sie gönnt sich Rast nicht in der Nacht.

Sie trägt ein Trau'rgewand seit sie gefangen, -
Hat abgelegt den Schmuck, entsagt dem Prangen, -
Ach, Zähren rollen über ihre Wangen -
Sie weinet, weinet in der Nacht.

Ich ruh', wenn sich ergoss der Thränen Fluth,
Wenn aus ich strömte meines Herzens Blut! -
Verzagt mein Geist, gebricht es ihm an Muth -
Sing' ich ein Loblied in der Nacht.

Wie Schatten schwanden meiner Jugend Jahre,
Die Tage flohen rascher als die Aare!
Welch' schöne Zeit ich im Gedächtniss wahre?
Ach, keinen Tag und keine Nacht.

Wie sie mich quälen, wie sie mich verhöhnen!
Die friedlich thun - und beissen wie Hyänen!
In Deinem Rathe wolle, Herr, erwähnen,
Was ich erdulde Tag und Nacht.

O ruf't ein Fasten aus, um Euch zu weihen, -
Um Euer Herz von Schlacken zu befreien!
O schweig't nicht still, hör't auf nicht zu bereuen
Vor Gott bei Tage und bei Nacht.

Sprich, Herr: "mein Kind, vernimm das frohe Wort!
Ich bin Dir hold, führ' Dich zum Heilesort;
Hast keinen nähern Freund als mich, den Hort -
O harre aus nur diese Nacht!" -

Übersetzt von Saul Isaac Kaempf (1818-1892)

Aus: Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter
aus dem elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters
Von Dr. S. I. Kaempf
Prag 1858 (S. 200-203)
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Liebeslied

Mein Herz ist krank vor Liebe,
Bekennen soll dir's mein Mund,
Und daß du mich verlassen,
Das richtet mich zu Grund.

Verriegelt und versiegelt
Ist mir das weite Land;
Wohin ich auch immer schaue,
Ich finde nur Kerkerwand.

Und wäre die Welt mir auch offen
Und wär' sie mit Engeln erfüllt,
Sie schiene mir doch entgöttert,
Wenn fehlte dein süßes Bild.

Übersetzt von Samuel Kristeller

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 97)
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Mein Lieben

Es wird wohl einst mein Lieben
Gar seltsam erscheinen den Leuten,
Und späte Geschlechter werden
Es fast als Wunder deuten.

Von außen erscheine ich heiter,
Und innen vergeh' ich vor Bangen;
Denn wie gegen mich du gesündigt,
So hat sich noch keine vergangen.

Der Welt mein Leid zu klagen,
Das wäre ein thöricht' Beginnen;
Die Spötter würden nur sagen:
Der Ärmste ist ganz von Sinnen.

Übersetzt von Samuel Kristeller

Aus: Die Zionsharfe
Eine Anthologie der neuhebräischen Dichtung
in deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Gustav Karpeles
Leipzig 1889 (S. 97-98)
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Aus seinem Divan

Lob der Rose

In bunter Kleider kleidet der Garten sich,
Der Gräser bunte Hüllen ihn umwinden,
Schmuckgewänder tragen alle Bäume auch;
Aller Augen seine Wunder sich verkünden.
Neue Blüthen zur neuen Zeit,
Seiner Ankunft entgegen lächelnd ein sich finden,
Doch allen geht als Königin die Rose vor,
Hoch über alle kann ihren Thron sie gründen,
Aus der Blätter Gewahrsam sie entschlüpfet
Sich verändernd, ihre Gefängnisskleider schwinden.
Drum, wer ihr seinen Wein nicht trinket,
Hat schwer zu tragen an seinen Sünden.

Übersetzt von Leopold Dukes (1810-1891)

Aus: Der poetische Orient
enthaltend die vorzüglichsten Dichtungen
In metrischen Übersetzungen deutscher Dichter
Mit Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. H. Jolowicz
Zweite veränderte Ausgabe Leipzig 1856 (S. 321)
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Aus dem Buche Tarschisch

Wie ein Myrtenzweig wiegt im Tanz die Gazelle sich,
Aufgelöst fliessen hin ihrer Locken Massen,
Kann tödten mit ihren Pfeilen; mit meinem Blute
Sie immerfort berauschend, will nimmer los mich lassen.


Gemach doch, o Gazelle!
Nicht umgebracht den armen Gast
Mit Blicken wie die Pfeile,
Süsser als der Honig fast.


Liebe herzlich die Gazellen, die in Zelten wohnen,
Die junge Löwen mit dem Munde zerreissen,
Und deren Rosenwangen Skorpionen
Wache halten vor der zudringlichen Schaar.


Wie entfliehen vor Liebchens Augen?
Wie Steines Härte nur erreichen?
Gottes Diener könnte verführen sie wahrlich,
Mit ihren Thränen Propheten auch beschleichen.


Was kümmerten in geselligen Nächten die Sterne mich?
Wie der Vogel sind an des Himmels Raum sie hingeflogen.
In der Trennungsnacht glichen den Lahmen sie,
Ohne fortzuschreiten, sind müde sie nur herangezogen;
Ach! ohne sie verfinstern mir nur die Tage sich,
In ihrer Gesellschaft erglänzt die Nacht in Lichteswogen.


Sprach vom Trennungstag zur Gazelle: wie nun leben,
Wenn deine Gestalt ferner nicht ich soll schauen?
Erwiderte: ausser meinem Gesicht ist kein Heil für dich,
Musst auch hoffnungsvoll daher nur vertrauen.

Übersetzt von Leopold Dukes (1810-1891)

Aus: Der poetische Orient
enthaltend die vorzüglichsten Dichtungen
In metrischen Übersetzungen deutscher Dichter
Mit Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. H. Jolowicz
Zweite veränderte Ausgabe Leipzig 1856 (S. 321)
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Liebesklage

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust,
An ihm hat meine Seele ihre Lust.
Ach, lebte sie nicht, möcht' auch ich nicht leben,
Der Tod allein wär' dann mein eifrig Streben.
Doch hat den Fuss der Fallstrick mir umwunden,
Wie Vieh, geführt zur Schlachtbank, wird gebunden.
Im Mühsalstiegel werd' ich nun geläutert,
Die Seele auf der Wandrung Bahn geschleudert.
Weh mir, so muss in Edom ich verweilen!
Doch möge Gott die Wunde nie mir heilen,
Sollt' deine Huld aus meinem Mund je weichen,
Die Liebe ich aus meinem Herzen streichen.
Du klagst ob unsrer langen Trennung, Liebe?
Die Klage macht das Auge mir trübe,
So finster schwarz, dass ich mein weiss Gewand
Mit meinem Auge habe schwarz gebrannt.
Doch fesseln jetzt mich des Geschickes Ketten,
Vielleicht wird Gott - noch harr' ich - mich erretten,
Das Leid in meiner Thränen Fluth versenken,
Dem schon Verschiednen neues Leben schenken.

Übersetzt von Abraham Geiger (1810-1874)

Aus: Der poetische Orient
enthaltend die vorzüglichsten Dichtungen
In metrischen Übersetzungen deutscher Dichter
Mit Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. H. Jolowicz
Zweite veränderte Ausgabe Leipzig 1856 (S. 322)
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Biographisches:

siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Moses_ibn_Esra

 

 


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