I.
1. Kamst du von Nu'ms Stamme heute Morgen, brichst also morgen in der
Frühe wieder auf, oder langtest du bereits am Abend an und gehst nun in
des Mittags Hitze fort,
2. um eines Mannes Wünsche zu bestellen, über deren Erfüllung sie nicht
verlauten liess, so dass sie mir [wenigstens] eine Entschuldigung hätte
zukommen lassen, ein einfaches Wort genügt ja als Entschuldigung!
3. Leidenschaftliche Liebe erfüllt dich für Nu'm, obwohl euch kein
Beisammen vergönnt ist, nicht ist das Liebesband zusammengeschlungen, aber
das Herz mag doch nicht entsagen.
4. Wenn Nu'm dir naht, bringt ihre Nähe dir keinen Nutzen und wenn sie
sich entfernt, so giebt dir das die Ruhe nicht zurück, noch kannst du
Fassung finden.
5. Und eine andere als Nu'm ist schon dagewesen, doch eine wie sie hat
auch den verständigen Mann zurückgewiesen; wenn du dich nur zurückhalten
und nachdenken wolltest!
6. Wenn ich Nu'm aufsuche, ist ein Verwandter von ihr stets grimmig, so
oft ich sie treffe,
7. dem es furchtbar ist, dass ich ihrem Hause nahe, der mir seine
Feindschaft zu bergen sucht und doch den Hass zu Tage treten lässt.
8. Bring' du ihr meinen Gruss, denn meine Annäherungen bieten nur Anlass
für schlimmes Gerede und Entstellungen.
9. Wie damals, als ich sie am Morgen zu Madfa-aknan traf und als sie
fragte: Ist das der Vielgeschmähte?
10. Bleib' stehen, Asma, schau' doch einmal hin, ist er nicht der Enkel
des Mugira, von dem so viel die Rede ist?
11. Ist er's, an dem du so viel zu rühmen wustest, als du mir ihn
beschriebst, und den ich nun wahrhaftig nie und nimmer vergessen kann bis
zu dem Tage, da man mich zu Grabe trägt?
12. Die erwiederte drauf: Ja zweifellos [ist er's], das Reisen in voll
durchwachten Nächten und in des Mittags Glut hat sein Aussehen gewandelt.
13. Wenn er's ist, so hat er sich zur Unkenntlichkeit verändert, seitdem
wir ihn gesehen haben - Menschen können sich ja verändern.
14. Sie erblickte einen Mann, der gar oft Schweisstropfen vergiesst, wenn
ihm die Sonne ins Gesicht scheint und der gewöhnlich am Abend vor Kälte
erstarrt,
15. einen Wanderer, der das Land durchstreift, den eine wasserlose Steppe
nach der anderen aufnimmt und dem nun das Haar wirr und der Leib mit Staub
bedeckt ist,
16. der auf dem Rücken seines Tieres keinen Schatten findet ausser dem
Schutze, welchen ihm der gestreifte Mantel gewährt.
17. Ihr dagegen gefällt gar wohl an ihrem Leben der Schatten in einem
Obergemache und ein wasserreicher üppig bestandener grüner Baumgarten
18. und ein Beschützer, der sie vor jeder Sorge bewahrt, so dass ihr
nichts den Schlaf bis in die Morgenstunden raubt.
19. Aber mir hast du in der Nacht von Du Dauran die nächtlichen Reisen
aufgebürdet - der waghalsige Liebende lässt sich ja das Furchtbare
aufbürden.
20. Damals brachte ich die Nacht zu scharf die Gefährten musternd, solang
der Neumond noch am Himmel stand, in Furcht vor denen, die noch
umhergingen und beobachtend,
21. wann der Schlaf sie übermannte und ich hätte doch eine gesellige
Unterhaltung [mit ihnen] haben können, wenn nicht das Ziel meiner Wünsche
so hoch gewesen wäre;
22. und mein junges Kamel brachte die Nacht zu [schutzlos] auf freiem
Felde, während sein Sattel als Beute preisgegeben war dem nächtlichen
Wanderer oder wer sonst daher kam.
23. Und ich hielt Zwiesprache mit mir in nächtlicher Stunde [und fragte
mich]: Wo wird ihr Zelt sein und wie wird der Ausgang der Unternehmung
sein, an die ich mich begebe?
24. Da wies ein süsser Duft - ich wusste, dass er von ihr war - und meine
Leidenschaft, die beinah sich verraten hätte, das Herz zu ihr.
25. Als ich dann keinen Laut mehr von ihnen vernahm und die am Abend
entzündeten Leuchten und Feuer verloschen waren,
26. als der Neumond, auf dessen Verschwinden ich sehnlichst wartete,
verschwunden war, [die] Hirten eingetrieben hatten und die, welche am
Abend mit einander plauderten, fest entschlummert waren
27. und nur noch leises Geräusch an mein Ohr traf, da bewegte ich mich
vorwärts wie eine Hubab-Schlange den Leib vorüber gebeugt in Furcht vor
ihren Stammesgenossen.
28. Als ich dann plötzlich ihr nahe gekommen war, sprach ich den Gruss, da
stutzte sie und hätte fast laut aufgeschrieen statt leisen Grusses.
29. Und sie sprach sich auf die Finger beissend: Du bringst mich in
Schande und du bist ein Mann, dem sein Vorhaben gelingt, der aber
[anderen] Unglück bringt.
30. Sag' mir, wenn meine Ehre dir auch wenig gilt, hast du denn nicht für
dich gefürchtet - Gott schütze dich - da rund um mich Feinde von dir auf
der Lauer liegen?
31. Bei Gott, ich weiss nicht, ob allein die Dringlichkeit eines Wunsches
dich in der Nacht zu mir trieb, oder ob [du darum kamst, weil] die Männer
gerade jetzt schlafen, vor denen du stets dich hüten musst.
32. Da erwiederte ich ihr: Nein, mich hat Sehnsucht und Liebe zu dir
geführt und keine Menschenseele weiss darum.
33. Drauf sprach sie zärtlich, nicht mehr furchtbefangen: Gott der
Erhabene schütze gnädig dich!
34. Du, mein Abul-Hattab, bist mein Gebieter mit unumschränkter
Herrschgewalt, so lange ich hier weile.
35. Wie brachtest du's nur fertig, dass die Nacht in ihrer Länge mir noch
zu kurz erschien, obgleich mir vordem keine zu kurz war.
36. Wie klug hast du es angestellt, dass Liebeskosen und Geselligkeit uns
hier vergönnt war ohne jede Störung.
37. Entströmen liess gar starken Moschusduft ihr Mund, dess Vorderzähne
schmuck, hellglänzend, scharfgezackt.
38. Man meint, so oft sie sich beim Lächeln zeigen, es seien Hagelkörner,
ein Chamolillenflor.
39. Sie blickte unverwandt mich an mit ihrem Augenpaar, wie ein
Gazellenjunges nach seiner Mutter schaut im Sandrevier.
40. Als nun die Nacht beinahe ganz zu Ende war und die Hayden fast zum
Untergang sich neigten,
41. da wies sie mich drauf hin, dass die Stammesgenossen vom Schlaf sich
bald erheben würden [indem sie sprach]: Indess zum nächsten Stelldichein
sollst du am Azwar sein.
42. Mich brachte nur ein Mann in Schrecken, der da rief: Zum Aufbruch! als
schon ganz deutlich war entglommen die Morgenröthe purpurrot.
43. Als sie dann sah, wer schon von ihnen aufgestanden und wach war, da
sagte sie: Gieb an, wozu du rätst.
44. Ganz offen, sprach ich, will ich mich doch ihnen zeigen, entweder kann
ich ihnen dann entwischen, oder das Schwert darf seinen Rachdurst kühlen;
dann mag es Rache üben.
45. Drauf sagte sie: Willst du des Hassers schlimme Rede wider uns
bestätigen, willst den Gerüchten sicheren Boden geben?
46. Wenn wirklich etwas Unvermeidliches vorliegt, so ist ein andres Mittel
um verborgen zu bleiben näher liegend und bietet grössren Schutz.
47. Erzählen will ich meinen Schwestern den Anfang unsrer Liebe und alles,
dessen Kenntnis ich ihnen vorenthielt.
48. Vielleicht, dass sie dir einen Ausweg suchen und dass ihr Blick noch
frei ist, wo ich ratlos bin.
49. Verstört erhob sie sich, blutlos war ihr Gesicht, vor Trauer liess sie
eine Thräne fliessen, die langsam niederrann.
50. Dann traten zu ihr zwei edle Frauen angethan mit Gewändern von weisser
und grüner Seide.
51. Sie sprach zu ihren Schwestern: Helft einen jungen Mann in Sicherheit
zu bringen, der zu Besuch gekommen war und - wie das Schicksal will, folgt
eins aufs andre.
52. Da traten sie näher und erschraken, endlich sagten sie: Mache dir
nicht zu viel Selbstvorwürfe, die Sache ist leichter, [als du meinst].
53. Er soll sich aufmachen und zwischen uns unerkannt gehen, dann wird
unser Geheimnis nicht bekannt werden und er den Blicken verborgen bleiben.
54. So waren denn mein Schild gegen die Männer, die ich fürchtete, zwei
mit schwellendem Busen und eine die eben zur Jungfrau erblüht war.
55. Als wir dann über den Bereich des Stammes hinaus waren, fragten sie
mich: Hast du denn gar keine Furcht vor den Feinden gehabt, da doch die
Nacht mondhell war?
56. Und sie sagten: Ist es stets deine Gepflogenheit so unüberlegt zu
handeln, - schämst du dich nicht, oder kommst du von deiner Thorheit
zurück und wendest Überlegung an?
57. Wenn du wieder kommst, so spende die Blicke deiner Augen einer anderen
als uns, damit man glaubt, deine Liebe gelte der Person, die du ansiehst.
58. Das Letzte aber, was ich von ihr sah, war, dass sie sich abwandte,
während ihr hell erglänzten die Wangen und die Augen.
59. Nur das ich noch ein einzige Mal ihr zurief: "Meine Nu'm", während die
edlen arhabitischen Renner schon angetrieben wurden.
60. Heil der Familie des amiritischen Mädchens, deren lieblicher,
herzerfreuender Duft noch jetzt den Gegenstand meiner Erinnerungen bildet.
61. Dann trat ich zu einer starkgebauten (Kamelin), deren Fett meine
Nachtreisen allmählich vermindert hatten, bis selbst das Fleisch
geschwunden war.
62. Auch hatte ich sie ja auf die notwendigsten Bedürfnisse beschränken
müssen, so glich sie endlich einem Brettergerüst, oder einem
zusammengefügten Sänftegestell.
63. Wie manchem einsamen Wasserquell in der Wüste Steppen, an dem zur
Sommerzeit keine menschliche Niederlassung neu erstanden war,
64. an dem die Spinnweben so dicht sind, dass es scheint, als wäre oben an
der Quellenumfassung ein weisses Baumwollgewand ausgebreitet,
65. habe ich aufgesucht, ohne zu wissen, ob der Teil der Nacht, der mir
bevorstand, nachdem ich zur Tränke gekommen, grösser war, oder der,
welcher bereits verflossen war.
66. So trat ich denn zu einer hurtig das Land durcheilenden, welche den
Eindruck einer Besessenen macht, wenn sie den Kopf zur Seite wendet und
sich umsieht,
67. indem sie ihn mir zu entziehen sucht in heftigem Verlangen nach
Wasser, während doch ein verschütteter Brunnen ihren Wünschen nicht
genügen kann,
68. und auf jede Weise zum Wasser zu gelangen sucht; hätte ich sie nicht
am Zügel und zöge sie nicht zurück, so ginge sie manchmal fast in Stücke.
69. Als ich jedoch ihren angegriffenen Zustand bemerkte und erkannte, dass
ich mich in einem wüsten Landstriche befand, in welchem kein Zufluchtsort
uns winkte,
70. da teilte ich ihr ab an der Seite der [alten] Wasserrinne eine ganz
neue, die fast nur die Grösse einer Spanne hatte oder noch kleiner war.
71. Wenn sie sich anschickt draus zu trinken, so lassen ihre geschlossenen
Lippen nicht einen Handteller weit Raum übrig.
72. Und keinen Schöpfeimer hatte ich ausser einem hölzernen Trinkgefäss
und das Brunnenseil zum Wasser[schöpfen] ersetzte ein Sattelriemen und das
geflochtene Leder (des Zügels).
73. Dann schnupperte sie und wies es nicht zurück und es hinderte sie beim
Trinken nicht an der Stillung ihres Durstes, dass das Wasser trüb und
dunkelfarbig war.
(S. 33-38)
II.
1. Mein Gefährte sagt zu mir, als der Geliebten sänftentragende Kamele
Sautan verlassend fortgezogen waren: So suche doch Fassung zu gewinnen!
2. Doch ich entgegnete ihm: Fassung und Geduld können nimmermehr mein Herz
vor der Liebe zu ihr frei machen, drum lass ab [von den guten
Ratschlägen]!
3. Und wie können wir auf eine Begegnung mit ihrem Stamme hoffen, nachdem
sie fortgezogen ist, ausser einem Zusammentreffen am Orte der Kiesel.
4. Drum gieb mir ein Heilmittel gegen die Liebesglut, die mich erfüllt und
wenn [du das] nicht [kannst], so verschone mich mit deinem Tadel und suche
lieber nach Entschuldigungsgründen
5. für die verzehrende Leidenschaft eines Mannes, dessen Zustand der Arzt
nicht heilen kann, und dem nicht zu Teil wird das Heilmittel froher
Botschaft (von der Geliebten),
6. und für die wechselnden Stimmungen, wobei der Betroffene bald ohne
Thräne ist, bald wieder gleichsam eine regenschwere Wolke im Augen sehen
lässt,
7. vom Blitzstrahl der Liebe getroffen, in weiter Ferne von einer
Unerreichbaren mit schmächtigem Leibe, schöner Stirn und Arm und Fuss,
8. die langsam schreitet, voll jugendlicher Unschuld im Fraungemach am
liebsten weilt und unterhalb der Gürtung des Izar gar volle Formen hat,
9. die ihn gefangen hat mit ihrem reichen Haupthaar, dem gesträhnten, das
in seinem üppigen Wuchs der vollen Datteltraube gleicht,
10. mit ihrer zarten Wange, die so glatt wie blankes Silber ist - wenn
jemand sie anblickt, glaubt er den Neumond zu sehen und wird bezaubert -
11. und mit den Augen einer die sandige Ebene bewohnenden Gazelle mit
dunklem Lide, die ein Junges hat und für dasselbe sucht, was es wünscht.
12. Beim Lächeln zeigt sie wohlgebildete Zähne, scharfgezackt, den eben
aufgeblühten Chamomillen gleich.
13. Sie schreitet einher auf Schenkeln, die den Papyrusstauden gleichen,
zu denen Bächlein [Öls] vom feuchten Scheitel niederströmen.
14. Sie gehört zu den Vornehmen, den ganzen Vormittag ist sie untätig,
stolz ist ihr Gang, schwer ihre Hüften, wenn sie zu einer Thätigkeit sich
erhebt, ermattet sie.
15. Als mir nun ihre Abreise bekannt wurde, nachdem mir schon vorher, da
ich nach Vorzechen suchte, ein Unglücks-Omen aufgestossen war, so dass ich
Schlimmes ahnte,
16. und schon ein hohes Gebirge sie [von mir] trennte - das Aug' erlahmt,
wenn man den Blick zu ihm erhebt - da klagte ich Bekr meine Not.
17. Ich sprach: Gieb guten Rat! - Entschliesse dich doch selbst,
erwiederte er. Bist du schon in Verzweiflung, während sie doch keinen
grossen Vorsprung haben können? Drum gieb an, was du wünschest.
18. Da sagte ich: Fort, wir wollen ihnen folgen, noch einmal sie zu sehen
ist Arzenei fürs kranke Herz.
19. Da brachen wir am Abend auf und trugen dem Diener auf: Besorg' uns,
was wir brauchen, dann suche uns einzuholen und zögere nicht!
20. Schnell sollst du die Vögel bedecken, wenn ihr Flug uns ungünstig ist
und wenn die Reiter mit uns zusammentreffen, so gerate nicht in
Bestürzung!
21. Als nun das Frührot uns aufgeleuchtet war, da zeigten sich uns die
Gipfel von en-Nahl und das Castell unterhalb des Azwar.
22. Dann sagte ich: Verlass die betretene Strasse, denn wenn wir gesehen
werden, so erkennen uns die Aufpasser und wir sind entdeckt.
23. Da blieben wir den Tag über bei el-Asla, während der Ostwind uns heiss
ins Gesicht blies und unsere Tiere hatten keinen Unterschlupf,
24. vom Morgen an bis ich den Einbruch der Nacht (über sie) erwartet hatte
und der Tag für den, der Mittags unterwegs war, angenehm geworden war.
25. Doch als wir die Sandhügel am Thalgrunde von Rabig hinter uns hatten,
da kam ihr Feuer zum Vorschein, hell leuchtend dem sehnlich nach ihm
blickenden.
26. Da sprach ich: Nähere dich ihrer Schaar, du wirst die Karawane sorglos
finden, und lege eine Tracht an, dass man dich nicht erkennt;
27. denn du wirst nicht ruhn, bis du ihr Nachricht gebracht hast und wenn
du sie ohne die Gefährtinnen triffst, so bin ich bereit.
28. Sie sprach zu Gespielinnen: Geht einmal hinaus [vor's Lager], ich
meine Abul-Hattab ist an dem Orte, wo wir weilen,
29. auf einem Wege in unmittelbarer Nähe von Leuten, herumgehenden und
wachenden, vor deren Augen man sich in Acht nehmen muss.
30. Seinetwegen, glaub' ich, zitterte mein Auge am Abend und näherte sich
eine Gazelle bedeutungsvoll, als wenn sie frohe Kunde brächte.
31. Sie erwiederten ihr jedoch: Nein, du empfandest nur einen Wunsch, dem
du in liebevollem Gedenken dich ganz hingabst.
32. Da sprach sie zu ihnen: Lasst uns gehen, entweder treffen wir ihn
dann, wie ich gesagt habe, oder wir machen uns wenigstens von der
Ungewissheit frei und stellen uns vor Tadel sicher.
33. Und wie die Schlange im Waldbach dahingleitet, so kam ich heran auf
der Hut vor den Spähern, indem ich meine Spur unkenntlich machte für den,
der sie etwa verfolgen wollte.
34. Als wir uns dann getroffen hatten, da sprach sie: Sei gegrüsst! und
lächelte so freudig, wie ein Glücklicher - wer sich befriedigt fühlt, der
ist ja glücklich. -
35. O süsse Freude, die ich da genoss, indem ich ihren Worten lauschte und
o welch schöne Augenweide! (S. 38-41)
III.
1. O würde mir doch Glück von dir zu Teil! So oft ich dein gedenke, bringt
dir der Liebesbote ein Zeichen der Erinnerung an mich.
2. Ich suche ja die Liebe zu mir nur in der gleichen Stärke zu entfachen,
wie ich dich liebe, nichts Übertriebenes noch Ungehöriges zu erlangen.
3. Vielleicht willst du meine Gefühle gegen dich erst prüfen, dann eines
Tages zum Bewusstsein kommen, dass du sie völlig kennst,
4. um dir ganz klar zu werden und zu entscheiden, ob ich Entgegenkommen
finden soll, wenn ich dich zu besitzen strebe, oder Widerstand.
5. Doch sie sprach lachend: Du bist ein Liebesritter, dem's an Vernunft
gebricht, und jeder findet leicht Entschuldigung für sein Thun, sobald er
sich auf dich beruft;
6. ein Mann, der die Geliebte mit seinen Launen plagt und raschen Wechsel
liebt, ein Mann mit heissen Wünschen, der oftmals Liebe heuchelt und
ungestüm dann drängt.
7. Drauf sagte ich zu ihr im Tone eines Mannes, der sich zur Härte zwingt,
obwohl mir schon die Thräne vom Auge [niederrann und mir] die Brust
benetzte.
8. Du hast mein Herz geraubt - Gott leite dich auf rechtem Wege - drum übe
Gnade, gieb es mir zurück, nachdem du siegreich es erbeutet!
9. Und durch Versprechen und Wünsche hast du's mir aus dem Leib gerissen,
in seine Tiefen deinen Blick gedrängt und dann in enge Fesseln es
geschmiedet.
10. Denn keine Nacht verfliesst dem Menschen, um dem Tage Platz zu machen,
in der ich nicht Thränen vergösse, die mir die Brust benetzen,
11. um deinetwillen, nicht am Liebesgram [beinah] erstickte und nicht
immer wieder die berauschende Gewalt der Liebe an meinem Herzen verspürte,
obwohl ich doch nüchtern bin. -
12. Doch mein Herz ward zum Verderben euch zugetrieben, ich kam, aber ich
fand weder Glück noch Kraft das Schlimme zu ertragen.
(S. 41-42)
IV.
1. Wenn ich über meine Liebesschmerzen klage und die in meinem Innern
wütende Krankheit zum Durchbruch kommt, dann sagt Atik:
2. Beruht's auf Wahrheit, dass dir dein Herz entflieht, sobald die
Wohnstatt er-Rebabs sich in die Ferne rückt, oder das Liebesband
zerreissen will?
3. Komm zu Verstande! Kamen doch auch andere Liebestolle zu Verstande,
wandten der Liebe den Rücken zu und blieben als Männer ihrem Vorsatz treu.
4. Zügle dein Herz und schone dein Leben, denn nur des Schicksals Walten
bringt er-Rebab dir ferne oder nahe.
5. Doch wenn du er-Rebab nicht lassen kannst, so werde doch wenigstens
nicht zum Gespött dem Beduinen und dem Städter.
6. Die Lieb' zu ihr lass' nur ersterben und behandle sie, mit der du
früher Umgang und Verkehr gepflogen, wie eine Fremde.
7. Denk' sie sei nicht vorhanden oder wohn' in weiter Ferne oder gar sei
geborgen in den Gräberreihn.
8. Doch wenn du weder jetzt noch später den Rat des Mannes, der dich
zurückzuhalten sucht, befolgst und annimmst,
9. so gieb dir wenigstens vor Niemand Blössen; du hast's soweit gebracht,
wie du nun siehst, und hast dem Herzen nachgegeben, da du geblendet warst.
-
10. Doch ich liess nicht ab, bis schliesslich die Leute mein Kommen
seltsam fanden und ich mich von den Spähern beobachtet sah.
(S. 42)
V.
1. Halt an bei der Niederlassung, von deren Bewohnern jede Spur
verschwunden ist und deren Überbleibsel Wind und Regen verwischt haben.
2. [Halt an] bei dem freien Platze vor den Zelten, der in zwei Teile
zerrissen ist, da ein Giessbach zwischen ihnen sich ein Bett gewühlt hat
zum Sammelbecken, zu der Stelle, wo unten frisches Regenwasser steht.
3. Dort zeigen sich deinen Augen, so oft sie Umschau halten, die Stätten,
wo wir sonst den Stamm getroffen, eine Stelle, wo der Kinder Schaukel war
und ein Versammlungsplatz
4. und Steine, welche sonst den Kessel trugen, um ein erstorbnes Feuer, an
dem die Frauen emsig einst gewaltet und dessen Zier verschwunden und durch
[Aschen-]staub bedeckt ist.
5. Verödet sind die Stätten, wo der Stamm geweilt, nun er nicht mehr dort
wohnt, die jungen Gazellen und Antilopen kommen jetzt, um frei sich da zu
tummeln.
6. An einem andren Orte haben die Stammgenossen der Geliebten seitdem sich
niedergelassen und diese Stelle hat der Zeiten Wandel verändert, ihr
blosser Wechsel bringt schon die Veränderung.
7. Lange blieb ich stehn an jener Stelle sie zu fragen, jedoch die
Wohnstatt weiss nichts, kann nichts künden.
8. die Stätte, wo sie wohnte, zu deren Anblick ein Verderben mich
geleitet - zuweilen führt den Jüngling das Geschenk ja ins Verderben -
9. ein jugendschönes Mädchen, deren glänzende Erscheinung des Zeltes
Dunkel durchstrahlt, wie der Mond die nächtliche Finsternis.
10. Ihr Wuchs ist schlank, nie sind die Schultern ihr entschleiert, wer
sie umschlingen darf, dem füllt sie wohl den Arm und Wohlgeruch ist ihrem
Busen nah vertraut.
11. Von üppigem Wuchs sind ihre Schenkel, die Spangen, die sie ihnen
umlegt, drohn zu zerspringen; so füllt sie dem, der an ihr hangt das Herz
bis zum Zerspringen.
12. Dünn ist ihr Leib, die Schenkel stark, die Seitenzähne [?] glatt, die
Lenden verliert sie fast infolge ihrer Schwere.
13. Beim Lächeln öffnet sie den Mund, dessen Zähne blinkend wohlgereiht
und glatt und scharfgezackt, von dem ein Kuss gar lieblich mundet,
14. wie Moschus mit lauterem Bienenhonig, dem sich vereint der Schnee in
altem Gadarener Weine.
15. Die ist's, die mich um den Verstand gebracht hat und nun unnahbar ist
- es bleiben treulos doch die Schönen, auch wenn sie mit uns ganz vertraut
sind!
16. Fern war ich ihr dereinst, doch nun bestimmte mich ihr Anblick zum
Verderben, als er mich trieb zum Äussersten.
17. Ich will - [so schwöre ich] bei dem, in dessen Furcht die Pilger ihre
matten Tiere zur Eile treiben, Hagg und Umra unternehmen -
18. nie wieder meine Liebe von dir wenden, indem ich einer anderen sie
widmete, um mit ihr eng vertraut zu werden, [niemals] so lang die Bäume
Blätter treiben.
19. Du nur bist meiner Wünsche Ziel, mit dir allein beschäftigen sich
meine Gedanken, mag ich allein sein, oder in der Menge, und dich nur seh'
und hör' ich.
20. O träfe doch die Leute, die mich ob meiner Liebe tadeln, nur ein
Zehntel dessen, was ich durchgemacht, auch wenn sie es nicht recht in
Anschlag bringen wollten,
21. damit sie kosten, was ich durchzukosten hatte, dann würden ihnen der
Gedanken Unruhe und die schlaflosen Nächte jede Freude wehren.
22. Im stillen sandte sie mir Botschaft: Sei unbesorgt, doch wende
Vorsicht an - Gott schütze dich - des Klugen Sache ist's ja Vorsicht
anzuwenden.
23. Ich hab' erfahren, dass Männer meiner Sippe, die im Verborgenen dir
feind, sich fest entschlossen haben
24. dich zu töten - er, der die Macht darüber hat, mög' vor dem Tode dich
bewahren, Gott wird dein Schutz sein wider die Anschläge der Menschen.
25. Wenn ein Geheimnis zwei bewahren, so bleibt es ihnen nur bekannt, doch
jegliches Geheimnis, von dem mehr als zwei erfuhren, das ist der
Öffentlichkeit preisgegeben,
26. und wenn ein Mann bei seiner Liebe unvorsichtig ist mit seiner Augen
flüchtigen Blicken, dann kommt er [bald] in schlimmen Ruf.
(S. 43-44)
Aus: Umar Ibn Abi Rebia
Ein arabischer Dichter der Umajjadenzeit
Inaugural-Dissertation der hohen philosophischen Facultät zu Leipzig
zur Erlangung der Doctorwürde
vorgelegt von Paul Schwarz [1867-1939]
Leipzig 1893
Biographie:
'Umar ibn abi Rabi'a, arab. Dichter, um 643 - um 719; Sohn e. reichen, als
Statthalter im Jemen tätigen Mekkaners und e. südarab. Kriegsgefangenen.
Führte in Medina und Mekka e. unabhängiges, amourös-geselliges Leben und
soll gegen Ende s. Lebens wegen s. poet. Huldigungen, die er der Liebe
erwies, mit e. Verbot zu dichten belegt worden sein; Reisen nach
Südarabien, Syrien und Mesopotamien. - Widmete sich ganz der
Liebesdichtung, die er zu hoher Vollkommenheit führte. Bezeichnend ist die
Lösung von der konventionellen erot. Einleitung der Qasiden (Nasib) und
deren stereotyper melanchol. Haltung zugunsten e. Darstellung eigenen
Erlebens in anmutigen
Bildern und Dialogen. Bevorzugung biegsamer metr. Formen und Verwendung e.
natürl., einfachen Sprache; daher trotz Hochschätzung bei den Zeitgenossen
und den Späteren nur geringe Beachtung bei den Lexikographen.
WERKE: Diwan, hg. P. Schwarz II 1901-09.
LITERATUR: P. Schwarz, Diss. Lpz. 1893; ders., Diwan II 1909.
Aus: Autorenlexikon: 'Umar ibn abi Rabi'a, S. 1.
Digitale Bibliothek Band 13: Wilpert: Lexikon der Weltliteratur
siehe auch:
www.deutsche-liebeslyrik.de/arabische_dichter/arabische_dichter70.htm