Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Osttürkische (Tschagataische) Dichter



Aus dem Bachsi-Buche
(Sammlung der Troubadourenlieder)


Soll in voller Trunkenheit dein Lob ich preisen?
Schwärzer als ein Kessel ist dein Angesicht.

Soll dir zu Ehren ich ein Wundermährchen sagen?
Reiner als Glas ist dein Angesicht.

Dein Haarband ist eine Schlange, dein Wuchs einem Thurme gleich,
Platanenzweigen gleichen deine Arme.

Rede nicht viel mir zugewandt,
Denn bitterem Gifte gleichen deine Worte.

Um die Lenden hast ein schwarzes Kleid umgelegt.
Um wen du eigentlich trauerst, das weiss ich nicht.

Strecke deine Arme nicht aus, sie sind der Marter voll.
Härter als ein Stock sind deine Hände.

Deine Diener sind eine ganze Rabenschaar,
Aufs Haupt hast eine alte Mütze du gesetzt.

Im Wuchse gleicht meine Freundin einem bunten Stricke,
Im Liebesspiel der Ziererei einem weiblichen Kameel.

Deiner Wangen Mal hat Sanuber in Flammen gesteckt.
Vom Kopf bis zum Fuss, wie fürchterlich ist dein Ansehen.

Deines Gartens Flur gleich Kerbela's Wüste,
Ein düsteres Winterbild geben die Flüsse.
(S. 132-133)

Sanuber
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Die knäuelfussigen* Nymphen weinen,
Es hat deine letzte Stunde geschlagen.

Dein Wehklagen hilft dir wenig,
Umkommen wirst du doch heute.

Sogleich schneid' ich deinen Kopf dir ab,
Und mache deinem Leben ein Ende.

Umsonst ist jetzt dein Flehen,
Jetzt gebe ich keinen Pardon dir mehr.

Den ganzen Kopf schneide ich dir ab,
Und peinige dir die süsse Seele.

Gleich dem Wasser trink' ich dein Blut,
Denn du verdienst nicht dieses Leben.

Oder ich hänge dich ganz am Galgen auf,
Und umhülle mit Schwarz dein Antlitz dir.

Ueber deinen Kopf will ich einen Schädelthurm
Zum Grabmal dir setzen.

Gott bereite selbst
In der Hölle ein Quartier für dich.
(S. 133-134)

Sanuber

* rude paj= Gedärmfüsse werden jene Wassernymphen genannt,
welche der Sage nach am Ufer des Oxus sitzen, durch Gesang
Opfer herbeilocken, und solche in ihren endlosen Gedärmen
gleichen Füssen einwickelnd, in den Abgrund hinabreissen.

_____



Zur Freundin ging eines Abends ich, auf den Füssen tretend leise, leise.
Im süssen Schlaf lag die Theure. Ich umarmte sie leise, leise.

Ich nahm einen Kuss von ihren Lippen, und erquickte meine Seele damit,
Ich umschlang ihre zarten Lenden, und küsste sie nochmals leise, leise.

Ich sagte: "Gib einen Kuss doch mir." "Was, schämst du dich nicht?" sagte sie.
"Von wo du kamst, dorthin geh' schnell, auf den Füssen tretend, leise, leise."

Ich spielte den Starren und wollte nicht gehen. Sie ergriff meinen Arm und
schob mich fort.
Endlich sah ich keinen Ausweg mehr und schlich mich weiter, leise, leise.

Ich ging, doch hielt ich es nicht lange aus, und kam zurück,
"Oh! Erbarmungslose," flehte ich, "so gib mir einen Kuss doch leise, leise."

Mit Ungestüm stiess der Dolch und stark verwundete ich mich.
Ich sah, dass mir Unrecht geschah, entfernte mich auch leise, leise.

Revnak sagt: "Da die ganze Welt mit Scherz und Spass voll ist,
So tadele niemand mich, und lese dieses leise, leise."
(S. 137-138)

Revnak
_____



In Flammen lodert meine Seele, doch die Freundin kommt noch nicht.
Was sage ich zur Freundin? Die Herzensgeliebte, sie kommt noch nicht.

Mein Inneres sie ganz zu Asche verbrannt,
aus Liebe zu dieser Cypressengleichen,
Sie ist so grausam, ich komme in ihren Sinn gar nicht.

Ihre Locke erblicke ich im Traum, und tiefbetrübt
erwache des Morgens ich,
Und vom Haare dieser Locke trennt sich mein Herz doch nicht.

Leila und Megnun nehmen in Liebe Lection von mir,
Die holde Theure, sie achtet auf meine Liebe doch nicht.

Des tollen Mesrefs Leben scheint wohl nahe dem Ende zu sein,
Und die scheulos flatternde, sie denkt an mich noch nicht.
(S. 138-139)

Mesref
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Der Noruz kam, in eine Rosenflur verwandelt die ganze Welt sich heut',
Die Rose blüht, Klagelieder stimmt der Sprosser heute an,
Der Wonne und Lust zu fröhnen ist der wahre Zeitpunkt heut',
Für jedermann gibt's Freude und Entzücken heut',
Besonders aber für Liebende ist die wahre Epoche heut'.

Mit Zier und Schmuck erschien die Reihe der rosenwangigen Holden,
In bunter Farben gekleidet, in weiss und roth, in goldfarbige Stoffe,
So dass von ihrer Schönheit Glanz die ganze Welt einem Tulpenfelde glich.
Unendlich war mein Liebesschmerz, berauscht wurde ich und besinnungslos,
O tadelt mich nicht, denn die Verliebten sind alle wonnetrunken heut'.

Im Noruzaufzuge* kamen die Rosenwangigen heran, . . . . . .
die mit den rubinrothen Lippen und zuckersüssen Worten,
Und sollten den Schleier lüften diese cypressengleichen Schlanken,
So würden Tausende gemordet werden
von den blutrünstigen Augen (Wimpern),
Und ist es denn ein Wunder, wenn der Liebende
für seine Theure sich aufopfert heut'?

Spazieren gingen der Schmucken unendlich viele,
Die Augenbrauen mit Wesme gemalt, die Hände
und Wangen in Rosenduft getränkt,
Einige sind verschleiert, andere ganz unverhüllt.
Welche von ihnen soll ich lobpreisen, da sie alle
dem strahlenden Monde gleichen,
Da von ihrer Schönheit Pracht Sejdai ganz verwirrt ist heut'?
(S. 139-140)

Sejdai

* Gestei-Noruz = die Noruzpassage, wo die jungen Mädchen,
manchmal auch untermischt mit jungen Männern,
in Parademarsch das Feld durchziehen.

Noruz: Frühlingsäquinoctium, Neujahr
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Samstag begegnete ich der cypressengleichen Holden,
Sie machte zerstreut und zum Weltenstreicher mich.

Sonntag ward ich wahnsinnig, und stürzte nieder besinnungslos,
Ich sah ihr Gesicht und hielt es für den leuchtenden Mond.

Montag endlich erzählte ich mein Herzensgeheimniss,
Ihr, deren Augen Narcissen, deren Wangen Rosen,
deren Augenbrauen einem Bogen gleichen.

Dienstag ward ein Jäger ich und ging ins Feld (spazieren) hinaus,
Doch wurde eine Jagdbeute ich selbst und fiel als Opfer der ewig spröden.

Mittwoch spazierte meine Schöne in der Flur umher,
Der Sprosser sah ihr Antlitz und stimmte wilde Klagen an.

Donnerstag sagte ich der Theuren: "O höre meinen Rath doch an,
Verbirg dein Geheimniss doch vor der guten und schlechten Welt."

Freitag endlich sah Nesimi ihre Schönheit ganz,
Und trank ganz satt sich am Serbet ihrer Rubinlippen.
(S. 143)

Nesimi (1369-1417)
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Aus: Mahbub ul-kulub

O Herz, komm, lass uns vereint ein Liebchen aussuchen,
Lass uns die Cypressenwuchsige, die Silberwangige aufsuchen.

Da unsres Auges Theure ein Andrer hat erspäht.
Auch wir haben Augen, drum wollen auch wir eine Andere aufsuchen,

Sie erfreut nur mit des Todes Staub der Menschen Blick,
Wozu sehnsuchtsvoll dastehn? So lass uns eine andere Schöne aufsuchen.

Und sollte ich eine dir ähnliche,
alle Welt in Unheil stürzende Holde nicht finden,
So will ich eine demuthsvolle, bescheidene,
aber barmherzige aufsuchen.

Feld und Flur wollen wir durcheilen, einer Theuren wegen,
Den Garten wollen wir durchforschen, die Wiesen
wollen wir durchsuchen.

Obwohl es besser wäre, so soll der Wunsch
keine leere Sehnsucht bleiben,
Zwischen Gross und Klein, so weit nur möglich,
alles wollen wir durchsuchen.

O Nevai, von dieser Sucht wirst du nie befreit,
Komm daher, lass vor dem Zusammenkommen
uns Geduld und Ausdauer aufsuchen.
(S. 177-178)

Mir Ali Schir Nevai (1441-1501)
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O dich zu loben ist, trotz aller Beredsamkeit, ganz unmöglich,
So auch, mit grösster Ergebung, unmöglich sich zu nähern dir.

Mit Wundersinn und Phantasie dich zu finden,
Mit Scharfsinn ist es doch unmöglich zu nahen dir.

Das vollkommenste der Geschöpfe steht kraftlos dir gegenüber.
Trotz aller Eloquenz kann genügendes Lob sagen Niemand dir.

Jeder Unglückliche, der dich zu sehn den Weg gefunden,
Ist von deinem Leitstern geleitet, gelangt zu dir.

Ist deine Huld mir nicht bescheert, wie wäre möglich, dass ich gelangen soll,
Ich, der von Kopf bis Fuss ein Sündiger bin, zu dir?

Da nur du allein bist mein Hort, was soll ich beginnen,
Als zu fliehen mühevoll von meinen Sünden zu dir.

O übe Huld, denn nimmst du dich meiner nicht an,
So ist ganz unmöglich, mit der Andacht des ganzen Lebens,
das Gelangen zu dir.

Nevai hat der Sünden viele, doch erröthet er nicht,
Dich aufsuchend, mit so vieler Scham, zu gelangen zu dir.
(S. 178-179)

Mir Ali Schir Nevai (1441-1501)
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Entfernt von der Theuren ist das Herz gleich einem Lande ohne König.
Ein Land ohne König, ist wie ein Körper, der keine Seele hat.

Was nützt der unbeseelte Körper, o Muselmanen?
Denn er ist wie eine schwarze Erde, die keine duftenden Rosen hat.

Schwarze Erde, die keine wohlduftenden Rosen hat,
Gleicht einer finstern Nacht, die keine strahlenden Monde hat.

Eine finstere Nacht, die keine strahlenden Monde hat,
Gleicht der Finsterniss, die keine Lebensquelle* hat.

Eine Finsterniss, die keine Lebensquelle hat,
Gleicht der Hölle, die keine Paradiesesfluren hat.

O Nevai, da die Theuren so viele Qualen geben,
So ist es gewiss, dass die Trennung ihre Schmerzen,
das Wiedersehen aber keine Hülfe hat.
(S. 179-180)

Mir Ali Schir Nevai (1441-1501)

* Eine Anspielung auf die mythische Sage von der Finsterniss,
durch die man zur Quelle der Unsterblichkeit gelangt.

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übersetzt von Herrmann Vambery (1832-1913)

Aus: Cagataische Sprachstudien
enthaltend grammatikalischen Umriss, Chrestomathie und Wörterbuch
der Cagataischen Sprache
von Herrmann Vambery
Leipzig F. A. Brockhaus 1867

 


 

 


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