Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Persische Duftkörner
 


Rosenperlen
Buch der Schönheit und der Liebe


1.
Lippen, Flaum, Wuchs, Wangen und Auge

Den Lenz sticht Neid ob deiner Schönheit,
Und Scham treibt ihm den Schweiß heraus,
Deßhalb mit Dornen sticht die Rose,
Der Schweiß entträuft in Tropfen Thau's.1

Der dunkle Flaum um ihre Lippen,
Er macht ein doppelt Sprüchwort wahr:
Am schönsten grünt der Rand der Quellen,
Ein schöner Lenz bringt gutes Jahr.

Ob deines hohen Wuchses fallen
Cypress' und Palme dir zu Füßen,
Sie seh'n zu dir hinauf beschämet,
Wie auf den Rosenstrauch Narzissen.

Auf deiner Wangen Rose kriechet
Des Bartflaums schwarze Ameis' um,
Was ganz natürlich, denn der Neger
Bewacht der Schönheit Heiligthum.2

Zwei helle Lampen sind die Augen,
Die löschen aus der Sonnen Schein,
Zwei trunk'ne Hirsche sind die Augen,
Die weiden in dem Rosenhain.3

Die ganze Welt ist ein Gemische
Von Bösen und von Guten nur,
Ormusd gab deines Wangen Frische,
Das Haar trägt Ahrismanens Spur.4
(S. 149-150)

1 Ssaib I. 103
2 Suseni I. 67
3 Dschami I. 87
4 Esedi I. 86
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2.
Der Ring

Der Ring am Finger ist der Herrschaft Zeichen,
Der Ring am Ohr das Pfand der Sklaverei;
Du bist der Schah auch ohne Ring am Finger,
Und ohne Ring am Ohr bin ich nicht frei.

Eidechs und Lotos beten an die Sonne,
Doch wirfst du einen Blick auf diese hin,
Wird Eidechs, Lotosblum' und selbst die Sonne
Vor deiner Schönheit Sonnanbeterin.
(S. 151)
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3.
Wangen und Haare

Rosen müssen jährlich welken
Und die Hyacinthen sterben,
Weil die Wangen und die Haare
Ihnen stets den Markt verderben.1

Farb- und marklos ist die Feder,
Der des Lebens Wort entträuft,
Achte nicht gering den Dichter,
Dessen Flug an Sternen streift.2
(S. 152)

1 Kemal Ismail II. 325
2 Rudegi II. 327
_____
 

4.
Wangenrosen

Weil ich deiner Wangen Rosen
Angerühret mit der Hand,
Kommen, selbe mir zu küssen
Nachtigallen von dem Land.1

Deiner Füße Staub ist Schminke
Meiner Augen fort und fort,
Siehe, wie im Staub die Wimper
Meiner Thränen Perlen bohrt.

Mitten in dem Schmerz der Trennung
Eine Hoffnung vom Genuß,
Lindert, wie die Höllenflammen,
Eines Himmelslüftchen Kuß.
(S. 153)

1 Naßirai von Hamadan I. 420
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5.
Morgenroth und Nacht


Nachtgreifer1 heißt das Morgenroth,
Weil es die Nacht ergreift,
Und von dem Angesicht der Welt
Die finstern Wolken streift.

In deinem Antlitz, deinen Brau'n
Ist Morgenroth und Nacht,
Was diese noch so feindlich droh'n,
Vergeht, wenn jenes lacht.2
(S. 154)

1 Schebgir
2 Katran Ermewi II. 121
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6.
Augen und Brust

Trunken waren ihre Augen,
Wie Narzissen voll von Lust,
Um aus Lilien Glanz zu saugen,
Weidete das Schaf der Brust.

Meiner Augen trunk'ne Hirsche
Weideten mit ihrem Lamm,
Sahen, wie im Wein die Kirsche
Und in Milch die Erdbeer' schwamm.

Ihres dunklen Auges Kirsche,
In dem Weine süßer Lust,
Und als Weid' für meine Hirsche,1
Süße Erdbeer' weißer Brust!
(S. 155)

1 Dschami I. 87
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7.
Hauch und Wort

Die Nacht lag leblos auf der Erde,
Da kam von deinem Hauche Duft,
Der Leben gab dem Geist des Morgens,
So daß er weht als Morgenluft.1

Die Wasser lagen ohne Leben,
Da kam ein Wort aus deinem Mund,
Das Wassern Seele hat gegeben,
Seitdem ward Quell des Lebens kund.
(S. 156)

1 Selman I. 17
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8.
Zauber des Blicks

Wider deines Auges Zauber
Schützet mich kein Amulet,
Weil die Kraft von deinen Blicken
Selbst durch Stein und Eisen geht.

Wider deine trunk'nen Augen
Schützt das Herz kein Talisman,
Weil man die entblößten Trunknen1
Niemals ganz bedecken kann.
(S. 157)

1 Ewhadi
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9.
Stirne und Locken

In der Moschee sind deine Brau'n die Nische,
Und in der Kirche sind sie der Altar;
Ungläub'ge werden gläubig durch die Stirne,
Und Gläubige ungläubig durch das Haar.1

Denn wie das helle Licht des Islams, leuchtet
Die Stirne allen gläubigen Herzen vor,
Und um die Stirne dunkeln finst're Locken,
Die für Ungläubige das Höllenthor.

Des Islams Kunde strahlet Heil und Rettung
Für alle Gläub'gen, die um Rettung fleh'n;
Doch keine Rettung ist für die Ungläub'gen,
Die zur Verdammniß durch das Thor eingeh'n.
(S. 158)

1 Schems Fachri I. 329
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10.
Kraftlosigkeit der Talismane

Um Kinder zu verwahren
Vor bösen Aug's Gefahren,
Schreibt man an ihre Stirn ein L1
Was kann mich aber schützen,
Vor Diwen,2 welche sitzen
In deinen Augen klar und hell?

Um von den Zaubereien
Des Bösen zu befreien,
Sind Amulett und Talisman.
Wer aber kann mich retten
Vor jenen Zauberketten,
Die mir die Locken legen an?

Wenn grause Flüche fallen,
So dienen Glaskorallen,
Um fernzuhalten allen Bann;
Was kann von dannen halten
Des Zaubers Banngewalten,
In die dein Reiz mich hat gethan?
(S. 159)

1 Den Buchstaben Lam II. 334
2 Genien, böse Geister
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11.
Augen und Zähne


Würmer giebt es gar viel, doch wirket nicht jeglicher Seide,
Augen giebt es gar viel, doch schießt nicht jegliches Blicke,
Mäuler giebt es gar viel, doch hat nicht jegliches Zähne,
Seid vor and'ren gelobt, o Mund und Augen der Schönsten!
Perlen führt sie im Mund und Seide webt sie im Blicke.1
(S. 160)

1 Dschaleddin Rumi II. 270
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12.
Häkeligkeit

Wenn eine Speise ziehet an
Durch ihre Trefflichkeit vor allen,
So rühre ich sie doch nicht an,
Wenn Fliegen sind darauf gefallen.

Wie sehr du mich auch ziehest an
Durch deiner Schönheit Wundergaben,
So rühre ich sie doch nicht an,
Seit du gefallest so den Knaben.1
(S. 161)

1 II. 339 l. Z.
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13.
Löwen achten Mücken nicht

Ungetreue! blutig sitzet
Mir im Auge meine Treu',
Vorgesehen! sonsten spritzet
Blutig sie auf dich als Reu'!

Eines ist nur all' mein Trachten,
Eines nur ist all' mein Thun,
Doch dies Eine hat kein Ende,
Und es läßt mich nimmer ruh'n.

Deine Liebe ist die Flamme,
Und der Schmetterling das Herz,
Deine Liebe ist der Löwe,
Und die Mücke ist der Schmerz.

Bis der Schmetterling verbrennet,
Kreiset stets er um das Licht;
Achtest du wohl meines Schmerzens?
Löwen achten Mücken nicht!
(S. 162)
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14.
Liebesklage

Trübes Wetter bringt bald Regen,
Bringet bald den Fluren Thau,
Schau' mir in das trübe Auge,
Wo bald Regen und bald Thau.

Aus den Augen ging die Freundin,
Doch sie ging nicht aus dem Herz,
Wo mit Malen ihren Namen
Eingebrennet hat der Schmerz.1

In der Hoffnung des Genusses
Ging mein ganzes Leben hin,
Bei dem Worfeln dieser Saaten
War der Wind nur mein Gewinn.2

Ich verzehrte mich in Sehnsucht,
Statt im Schlafe auszuruh'n,
Schlief ich nur mit off'nen Augen,
Wie geschreckte Hasen thun.

In der krummen Locke sah ich
Meines Lebens eig'nes Bild,
Denn gekrümmt hat mich das Unglück
Und wie Seide ward ich mild.3

Mit der Hand des Freundes zieh' ich
In die Arme mir das Glück,
Und mit seinem Fuße stoß' ich
Die Verzweiflung mir zurück.4
(S. 163-164)

1 Ustad Latifi I. 361
2 I. 367
3 Kemal Chodschendi I. 376
4 Mir Nasmi I. 375
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15.
Das Tabakschmauchen des Liebchens

Die Wimpern meines Auges sind
Nur Pfeile, die dein Blick hinschoß,
Der schwarze Mann1 im Auge ist
Das Bild von meinem schwarzen Loos.

Wie steht dem Rosenwangichten
Das Rauchen des Tabaks so schön!
Wie stehet an dem Lebensquell
Die dunkle Hyacinth' so schön!

Wie steht es schön, wenn statt der Locke
Der Rauch sich um die Stirne flicht,
Und wenn des Rauches finst're Wolke
Versteckt das schöne Mondgesicht.

Es wird an deinen süßen Lippen
Der Pfeife Rohr zum Zuckerrohr,
Und aus dem dunkelen Gewölke
Schau'st du als Sonne selbst hervor.2
(S. 165)

1 Der Augapfel
2 Nachli von Buchara I. 290
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16.
Was kümmert's mich

Die Liebe ist das Licht der Welt,
Durch sie nur wird das Leben heller,
Die Liebe ist das Zuckerwerk
Und alles And're nur der Teller.1

Weht nur der Glückswind deiner Liebe,
Was kümmert Liebende zumal
Die finst're Nacht, die Regenwolke,
Der Donner und der Wetterstrahl.2
(S. 166)

1 Dschelaleddin Rumi I. 301
2 Schems Fachri I. 305
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17.
Rosenfeuer

Morgenwind zerwühl' gelinde
Ihres weißen Busens Flor,
Eine Rose wirf geschwinde
Mit heraus aus diesem Flor.1

Ist es möglich, daß ich finde
Linderung an diesem Thor!
Gluthen fachen an die Winde.
Feuer! Feuer! Gott davor!2

Wünscht die Freundin deine Seele,
O so gib sie freudig hin,
Denn es gibt im Markt der Seele
Keinen größeren Gewinn.3
(S. 167)

1 Hekim Schisaji I. 108
2 I. 164
3 I. 318
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18.
Laute und stumme Liebe

Unstät treibt in der Brandung
Das Schiff, dem Steuerruder fehlt,
Und schwer geräth die Landung
Der Brust, die Liebe nicht beseelt.

Aus Flaschen, umgekehret,
Fließt, wenn sie voll, doch nichts heraus;
Doch Flaschen, halb geleeret,
Entleeren stets sich mit Gebraus'.

Ein Herz, das voll von Liebe,
Verschließet stumm in sich den Schatz,
Wenn halb erwärmt durch Triebe,
Macht's dem Gefühl durch Worte Platz.
(S. 168)
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19.
Des Liebenden Paradies und Hölle

Ich weiß, daß mich ob deiner Liebe
Die ganze Stadt für einen Narren hält,
Es sei, wenn nur durch meine Seele
Du bist verherrlicht worden in der Welt.

Das Paradies ist Nachgeschmack
Von deiner Liebe innigstem Genuß,
Die Hölle ist nur Vorgeschmack,
Von dem, was ich durch Trennung leiden muß!
(S. 169)
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20.
Ferhad und Schirin

So sehr ist abgewelkt
Die Rose meines Lebens,
Daß mich der Tod verschmäht,
Ich rufe ihn vergebens.1

Was von Ferhad, Schirin
Die Welt erzählt, sind Sagen
Vergang'ner Liebe nur
Aus grauer Vorzeit Tagen.2

Am Berge Bisutun
Sind ausgelöscht die Bilder,
Und nach Jahrtausenden
Erscheint das Leiden milder.3

Was mir im Herzen tobt,
Ist aber frische Kunde,
Mit jedem Pulsschlag schlägt
Auch meine Todesstunde.

Im Herzen gräbt ihr Bild
Sich immer fester ein,
Ich lebe, und schon ist
Zerbrochen mein Gebein.
(S. 170-171)

1 Mewlana Aßafi I. 147
2 Newii Chamuschan I. 232
3 Chodscha Selman I. 207
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21.
Haar und Bart

Die weiße Stirn, um die
Die schwarzen Haare glänzen,
Ist Islams helles Land,
An das Ungläub'ge gränzen.1

Rund um die Sure Sonne 2
Ist hier der Vers der Nacht, 3
Mit kleinster Schrift geschrieben
Von Gottes ew'ger Macht.

Es möge Gott, der Herr,
Den Islam vor Gefahren,
Die Sonne vor der Nacht,
Den Mund vor Flaum bewahren.
(S. 172)

1 Reschidai der Goldschmied I. 354
2 1ster Vers 90ste Sure des Korans
3 1ster Vers der 92sten Sure des Korans
_____

 

22.
Nachtigall und Schmetterling

Nachtigall, du prahlst mit Liebe,
Wenn du über Lose klagst,
Wenn du deiner Liebe Schmerzen
Laut in tausend Weisen sagst.

Von dem Schmetterlinge lerne
Erst die Lieb', o Nachtigall!
Er verbrennt sich an der Flamme
Ohne Seufzerlaut und Schall.1
(S. 173)

1 Saadi I. 73
_____



23.
Der Unersättliche

Nimmer ruht' ich nach Verlangen
Aus an deiner schönen Brust,
Nur vorübergehend brach ich
Frische Rosen süßer Lust.1

Lenze kamen, Herbste gingen,
Immer sah ich nach der Au,
Gleichwie sie, in Früh' und Späte,,
War mein Auge feucht von Thau.2
(S. 174)

1 Ursi I. 170
2 Attar I. 170
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24.
Der Schweigsame


Wolken schießen Regenpfeile,
Auf den Fluren Tulpen bluten,
Von des Frühlings Schmerzenspfeilen
Muß mein armes Herz verbluten.

Hör', was mit zehnfacher Zunge
Schweigend dir die Lilie spricht:
Wer nicht fesseln kann die Zunge,
O der liebt wahrhaftig nicht!
(S. 175)
_____



25.
Der Ring

Es sprachen deine Finger sonst,
Wenn du mir sanft die Hand gedrückt,
Sie schweigen jetzt, indem der Ring
Als Vorwurf dein Gewissen drückt.1
(S. 176)

1 Omar Ibnol Faridh II. 156
_____



26.
Ermahnung der Nachtigall und Cikade
1

Weißt, was die Nachtigall dort singet iauf schwankem Reis?
Was für ein Mensch ist dies, der nichts von Liebe weiß?
Weißt, was Cikaden dort hell schwirren durch das Laub?
Welch' eine Lieb' ist die, so haftet an dem Staub?
(S. 177)

1 Dscheddsched ist der arabische Name der Cikade,
die auf Türkisch Augustuswurm heißt, weil sie im August singt;
das Sprichwort: "Verborgener im Hinterhalt,
als die Cikade im dichten Wald", gibt das zu zu Constantinopel gedruckte
türkische Wörterbuch Lehd Schettul-Lughat S. 77
_____



27.
Zauber des Blickes

Diesen Blick kann ich nicht tragen,
Allerliebstes Mondgesicht!
Denn es wird mein Herz geröstet,
Wie der Hanf vom Mondenlicht.1

Weil ich blut'ge Thränen weine,
Sind die beiden Augen trüb',
Weil ich nicht mehr fröhlich scheine,
Hat sie mich auch nicht mehr lieb.2
(S. 178)

1 Mir Nasmi II. 252
2 Kemal Ismail
_____



28.
Geradheit und Gebücktheit

Die Geradheit lieb' ich wünschend,
Daß gerade Sie nicht sei,
Denn Cypressen, wenn gerade,
Sind, ihr wißt es, immer frei.

Besser gehe ich gebücket,
Daß sie mich nicht wähne frei,
Freier! o wie höchst beglücket
Ist nicht meine Sklaverei!

Lange litt ich Höllenstrafe,
Bis ich kam zur Himmelfahrt,
Lange beugt' ich mich als Sklave,
Bis durch sie zum Schah ich ward.

Wenn, was ich an Lasten trage,
Tragen müßten die Kameele,
Unterlägen sie der Plage,
Während stark wird meine Seele.

Liebe wohnet in dem Kloster,
Liebe wohnt im Irrenhaus,
Wo sich Glanz der Schönheit zeiget,
Ist die Liebe auch zu Haus.1

Alt bereits und abgetragen,
Ist der Leib, der Seele Kleid,
Nichts ist werth, sich zu beklagen,
Sey es enge oder weit.2
(S. 179-180)

1 I. 378
2 Naßir Chosrew I. 425
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29.
Die Lektion der Liebe

Als Ziegel ist mein Thon geknetet,
Durch deine Lieb' und meine Treu',
So daß ich nicht die Fluth der Thränen,
Und nicht die Gluth der Seufzer scheu'.1

Der Liebe Schulaufgabe lern' ich
Auswendig wohl den ganzen Tag,
Ist's Wunder denn, wenn ich sie nächtlich
Inwendig wiederholend sag'!2

Du bist der Mittelpunkt des Kreises,
Den meine Lieb' durch dich beschreibt,
Du bist es, welche mich als Kreisel
Auf einen Punkt beständig treibt.3

Die Liebe, sagt Sindbad, ist Feuer,
Im Sturme ras't der Sinne Macht,
Natürlich wird ein großes Feuer
Vom Sturme noch mehr angefacht.
(S. 181)

1 Ustad I. 385
2 Abder-Rasii I. 413
3 I. 418
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30.
Die vier Laute

Der Weise sagte, der vertraute,
Ich kenne nur vier liebe Laute.
Ich sprach: o Meister, welche sind es?
Er sprach: o Lehrling, ich verkünd' es!

Die Lippe spricht Busbus dir zu,
Die Flasche ruft dem Glas Gluglu,
Schepschep1 ertönt gezähltes Geld,
Kliffklaff mir aber wohlgefällt,
Wenn die Pantoffeln nah'n im Haus
Und ich die meinen ziehe aus.2
(S. 182)

1 Tschepatschep ist das onomatopäische Wort
im Persischen, welches sich im Oberdeutschen
Scheppern, so wie das persische Ghulghul
im Deutschen Gluglu, das Busbus in Bußerln erhalten hat.
2 Saadi I. 329
_____



31.
Eigene Schuld

Kann ich klagen?
Selber warf ich in die Scheuer
Meines armen Herzens Feuer,
Kann ich klagen?1

Soll ich fragen,
Ob mein Herz je kann gesunden
Von der Liebe tiefen Wunden,
Selbst geschlagen?
(S. 183)

1 Ebu Said Ebulchair I. 387
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32.
Unzertrennlichkeit

Immer folg' ich Ihr nach, wie der Schatten folget der Sonne,
Immer flieht Sie vor mir, wie vor dem Abend der Tag;
Ohne die Süße kann ich vom Schmerze nimmer gesunden
Und von der Holden kann ich nimmer ertragen den Schmerz.1
Sei nicht so stolz auf deine welterobernde Schönheit,
In der Welt ward sie erst durch den Sänger berühmt.2
(S. 184)

1 Kemal Chodschendi I. 82
2 Sawedschi I. 89
_____



33.
Das Auswendiglernen

Wer da will, ihr wißt's, auswendig lernen die Sprüche,
Schließt die Augen zu, daß er so leichter sie lern';
Tag und Nacht les' ich die gold'nen Sprüche der Weisheit,
Alle die Lehren dazu, wie man sich übt in Geduld.
Nimmer bin ich im Stand, auswendig sie zu behalten,
Weil bei Tag und Nacht nimmer das Auge sich schließt.1
Seh' ich Sie auch nicht, schwebt mir ihr Bild vor den Augen,
Könnt' ich auswendig denn jemals behalten Geduld?
(S. 185)

1 Chakani I. 105
_____
 


34.
Selbstaufopferung

Fort, hinaus in das Feld, treibt mich der liebende Wahnsinn,
Durch das Thal und den Hain, sinnenverwirrt wie Medschnun,1
Besser ist es für mich, wie Ferhad zu irren in Wüsten,
Als zum Gespötte der Stadt liebend mit silbernem Haar!
Nimm  den Rath an von mir, wirf dich in die Schlachten der Liebe,
Fürchte nicht den Tod, welcher dir droht im Gemeng',
Seit einst Saadi so geblieben auf blutigem Schlachtfeld,
Währt sein Namen erst unter den Liebenden fort.2
Denn es schwebt der Geist vom liebgetödteten Leibe
Aus dem Munde fort tönendem Flugs in die Höh'.
(S. 186)

1 Molla Haireti I. 21
2 Saadi I. 27
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35.
Klugheitsregel

Willst durch Reue du erwachen
In dem Geist der schönen Frau,
Darfst du nicht wie Frühroth lachen,
Mußt du weinen wie der Thau.1

Langsam sprich am rechten Orte
Nachdrucksvoll den Sinn zu geben,
Nicht zu langsam, daß die Worte
In dem Mund wie Mastix kleben.2

Red' auch schnell an rechter Stelle,
Dich vom Herzgram zu befreien,
Aber rede nicht zu schnelle,
Daß die Worte deutlich seien.

Meide des Wortmeeres Klippen,
Gieße nicht wie Krüge gießen,3
Laß das Wort von deinen Lippen
Mäßig und verständig fließen.

Weise sprachen: laß dir sagen,
Saadi, lärm' wie Trommeln nicht,
Soll die Trommel denn nicht klagen,
Wenn geschlagen zum Gericht?4
(S. 187-188)

1 II. 310
2 Mir Nasmi I. 97
3 Mewlana Dschelaleddin Rumi I. 272
4 I. 342
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36.
Medschnun

Wenn einst der Morgenwind vom Zelte Leila's
Auf's Grab Medschnun's den Duft herüberweht,
Entsprühen Funken seinen morschen Beinen,
Aus welchen eine Flamme aufersteht.1

Nach ganz durchwachter Nacht sah er den Schimmer
Des Morgenroths, und bildete sich ein,
Er finde sich nun vor dem Zelte Leila's,
Das Morgenroth sei ihrer Lampe Schein.2

Medschnun erblickt' den schwarzen Stein der Kaaba,
Er glaubt', er sähe Leila's Wangenmaal,
Er heftet fest die Lippen auf den Stein hin,
Durchglühend ihn mit Küssen ohne Zahl.3

Er sieht den Mond aufgehen hinter'm Berge,
Und hält ihn für den Knopf von ihrem Zelt,
Worauf er der Moslime als Sabäer,
Anbetend vor dem Monde niederfällt.4

Und weht der Morgenwind von Leila's Gaue,
Medschnun haucht ihn wie Lebensfluthen ein,
Und statt zu kühlen, zerschmilzt er dem Armen
Wie Wachs am Kerzenlichte Mark und Bein.5

Er sieht Gazellen durch die Fluren rennen
Und rennet ihnen nach durch Thal und Feld,
Weil er die schönen Augen der Gazelle
Für Leila's dunkle Schelmenaugen hält.6

Als er noch glücklich, waren seine Kleider
Aus Sammt und Seide und von Farben hell,
Doch als unglücklich er von Liebe ras'te,
Da kleidete er sich in braunes Fell.

Wer Leila liebt, ist nur mit brauner Farbe,
Mit schwarzer Unglücksfarbe nur vertraut,
Und von dem ganzen Wohlstand seines Leibes
Erübrigt ihm zum Kleide nur die Haut.
(S. 189-190)

1 Ursi I. 81
2 I. 148
3 Nahisi I. 31
4 Schuuri II. 362
5 Ursi I. 81
6 Ssaid I. 31
_____



37.
Die goldene Bulle

Seit du in meinen treuen Busen
Gesä't der Liebe hoffnungslose Saat,
Verging kein Tag, wo nicht das Auge
Mit Thränenfluth sie reich begossen hat.1

Seitdem du dich von mir gerissen,
Vergeht in Schmerz der Tag, in Gram die Nacht,
Im Schlummer schwinden meine Kräfte,
Indeß das Aug' als Stern der Trennung wacht.2

Ich litt zwar tausendfache Schmerzen,
Doch mußt ich fliehen aus dem Paradies,
Ferhad hat zwar den Stein behauen,
Doch den Rubin Schirins genoß Perwis.3

Nach der Geliebten Machtbefehle
Opfert der Liebende ihr Herz und Sinn,
Die Locke schrieb die goldne Bulle4
Auf das Geheiß der Schönheitskönigin.5
(S. 191-192)

1 Kemal Ismail I. 70
2 Mir Nasmi I. 73
3 I. 55
4 Al temghani, das Wort al ist das abgekürzte Altun, Gold,
bedeutet aber auch Purpurroth, temgha ist die Fertigung
oder der Stempel; in Ermangelung des Goldes
wurden die Befehle mit Purpurtinte überschrieben,
wie die Chrysobullen der byzantinischen Kaiser.
_____



38.
Bittersüß

Mein bitt'rer Mund kann süß're Dingen sagen,
Kein bitt'rer Baum kann süß're Früchte tragen.1
(S. 193)

1 I. 288
_____



39.
Der Liebe Siegel

Der Wangen finstre Male,
Der Lippen dunkler Flaum,
Sind einer Sonne Flecken,
Sind eines Mondhofs Saum.

Die Lippe ist des Schönheitsbuches Rand,
Der Flaum ist zarte Schrift darauf,
Die Wange glüht vom Sonnenschein der Liebe,
Und Liebe drückt das Siegel1 d'rauf.
(S. 193)

1 Dreifaches Wortspiel zwischen Mohr, die Sonne (Mithras),
und Mihr, die Liebe, und Mühr, das Siegel,
welche alle drei Vokale mit demselben
Schriftzuge Mhr geschrieben werden.
_____


Übersetzt von Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856)

Aus: Duftkörner aus persischen Dichtern gesammelt
von Hammer-Purgstall
Zweite verbesserte Auflage mit einer Einleitung
von Friedrich Bodenstedt
Stuttgart 1860


 

Anmerkung von Hammer-Purgstall
(aus der Einleitung):
(...) Man darf hier keineswegs durchaus treue Übersetzung suchen, dergleichen in Hafis, Montenebbi, Baki und selbst in Abul Maanis Bruchstücken gegeben worden, sondern meistens nur freie Nachbildung. Die übersetzten oder nachgebildeten Stellen sind größtentheils gewissenhaft citirt und das Citat nur dort nicht beigesetzt, wo es in den Auszügen fehlte, daß aber selbst solche Stellen, wo die Citate fehlen, dennoch auf morgenländischem Grunde und Boden und nicht auf dem eigenen des Übersetzers, gewachsen, wird auch denen, die dem Übersetzer auf sein Wort glauben wollten, einleuchten. (...)
 



 

 


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