Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Auch jetzt noch ...

An die Geliebte

Fünfzig Abschiedsstrophen auf dem Wege zum Richtplatze

Nach Tschaurapantschasika



1.
Auch jetzt noch denk' der Liebsten ich
so schön wie Tschampasprossen,
Im Schmuck der feinen Haare, wie
ein Lotuskelch erschlossen,
Wie sie von Liebesqual erschlafft
dem Schlafe sich entwunden, -
Ein Wissen gleichsam, das mir aus
Sorglosigkeit entschwunden!
(S. 119)
 

2.
Auch jetzt noch, säh' ich jugendfrisch
die Mondantlitz'ge wieder,
Der Feuer von dem Liebespfeil
des Gottes heert die Glieder,
Mit ihres Busens Wogen, und
mit gold'nem Glanze spielend,
Wie thät' es meinem Leibe doch
so wohl, so süß, so kühlend!
(S. 119)

3.
Auch jetzt noch, säh' ich wieder sie
mit ihren Lotusaugen,
Gehindert an dem Gange fast
durch hohes Busenwogen,
Mit Küssen sie erstickend wollt'
am süßen Mund ich saugen,
Wie Bienen an der Lilie Kelch,
von Liebeslust gezogen.
(S. 120)
 

4.
Auch jetzt noch denk' ich ihrer, die
von Liebeslust ermattet, -
Die bleiche Wange von der Haa-
re dunkler Füll' umschattet, -
Im Herzen mein Gedächtnis trug,
als thät sie heimlich Sünde,
Und um den Hals mir zärtlich schlug
der Arme holde Winde.
(S. 120)
 

5.
Auch jetzt noch denk ich ihrer, die,
ein Königsschwan, verweilte
Im lotusreichen See der Lust,
früh Morgens dann enteilte,
Beschämt und wonnewachenbleich
das Antlitz von mir wandte,
Doch aus den Äuglein Sternen gleich
mir sprühnde Blicke sandte.
(S. 120-121)

6.
Auch jetzt noch, säh das Liebchen ich,
das Auge matt und trübe,
Des Leibes zarte Blüth gedorrt
vom Trennungsschmerz der Liebe,
Wie zärtlich wollt' ich, brünstig sie
in meine Arme fassen,
Und nicht das Auge öffnen, nie
und nimmermehr sie lassen!
(S. 121)

7.
Auch jetzt noch denk ich, wie sie vor-
getanzt dem Liebesreigen,
Die Schlanke, die der Hüfte Last,
des Busens Fülle neigen,
Aus deren holdem Antlitz sich
des Mondes Licht ergossen,
Von hin und her bewegter Fluth
des Lockenmeers umflossen.
(S. 121)

8.
Auch jetzt noch denk ich schlafend sie:
dem Bette Düft' entstiegen
Von Moschus und von Sandelstaub,
den Sinn mir zu benebeln, -
Sie, deren Äuglein lustig wie
ein Taubenpärchen fliegen,
Die sich von brünstger Liebe voll
einander kosend schnäbeln.
(S. 122)

9.
Auch jetzt noch denk des Mädchens ich,
das sich, vom Trunk des Weines
Geröthet, zart im Liebesspiel
und hold bewegt wie keines;
Des Mundes mit der Betelnuß,
des feinen Augs, des schwanken,
Des Krokus-, Sandel-, Moschusduft-
umhauchten Leibs der Schlanken.
(S. 122)

10.
Auch jetzt noch denk ihr Antlitz ich
gefärbt mit Krokus leise,
Und auch mit manchem Tröpfchen noch
beperlt von kaltem Schweiße;
Der holden Äuglein der nach vol-
ler Lusterschöpfung Blassen,
Der Mondesscheibe gleich, die Râ-
hus Finsternis verlassen.
(S. 122-123)

11.
Auch jetzt noch schwebt's vor meinem Geist,
wie einst mit Zorngeberde
Dem Haar sie goldnen Ohrenschmuck
entriß und warf zur Erde;
Wie dann die Königstochter, als
zur selben Nacht ich nies'te,
Versöhnt mit ihrem Heileswort:
"so lebe du!" mich grüßte.
(S. 123)

12.
Auch jetzt noch denk ihr Antlitz ich,
wie einst in glühndem Lieben
Die Wange war vom goldnen Ohren-
schmucke fast zerrieben,
Wie nach der Liebeslust gar vie-
le Tröpfchen drauf erglänzten
Und es wie Perl und Edelstein,
ein schöner Schmuck, umkränzten.
(S. 123)

13.
Auch jetzt noch denk des Blickes ich,
der ihrem Aug entschwebte,
Des Leibes, der von Liebesweh
gebrochen gleichsam bebte,
Des Busens, wenn ein wenig er
des Schleiers sich entledigt,
Der Lippe roth, von heißem Biß
der Zähne wie beschädigt.
(S. 124)

14.
Auch jetzt noch denk der Liebsten ich,
die müd, wie Schwäne, schreitet,
Und gleich dem Rothasôkakelch
die zarte Hand ausbreitet,
Sie deren Busen Perlenschnür
wie küssend rings umgeben,
Und deren Wangengrübchen sich
beim Seufzen hoch erheben.
(S. 124)

15.
Auch jetzt noch seh das Mal ich, das
von Nägeln eingeritzet
Dem weichen Busen, der von gold-
nem Staube glänzt und blitzet;
Wie sie mit zarten Händchen dann,
vom Sitze sich erhebend,
Das goldenfarbne Kleid ergriff,
gar züchtig weiterschwebend.
(S. 124-125)

16.
Auch jetzt noch denk ich heimlich an
ihr Aug' gesalbt, bemalet,
Ihr Lockenhaar vom blüthenrei-
chen Kranze licht umstrahlet,
Das goldne Ohrgeschmeide, dann
der Zähne bunte Reihen,
Die sich wie Perlenschnüre dicht
wohl aneinander reihen.
(S. 125)

17.
Auch jetzt noch seh der Haare Schmuck,
von Bändern schlecht bewachet,
Entfluthen ich, die Lippe süß,
die Nektar gleich mir lachet,
Ihr mattes Auge, das mir heim-
lich manchen Gruß zugrüßte,
Die Perlenschnur, die tändelnd auch
der Holden Hals umküßte.
(S. 125)

18.
Auch jetzt noch denk ich ihrer, wie
einmal sie im Palaste,
Wo finstres Dunkel wich der E-
delsteine Kerzenglaste,
Zu mir bald heimlich flüsterte:
"nun schlaf' ich, ja nun träum' ich."
Und dann von Furcht ergriffen sprach:
"hinweg, hinweg, was säum' ich!"
(S. 126)

19.
Auch jetzt noch denk ich ihrer, die
von Trennungsweh getroffen,
Die Rehgeäugte, Schüchterne,
mein Labsal und mein Hoffen,
Die alle Zierden mannigfach
und bunt am Leibe trägt,
Und sich dem Königshansa gleich
im Gange fortbewegt.
(S. 126)

20.
Auch jetzt noch denk ich nur an sie
vom Blüthenpfeil die wunde,
Der unter allen Schönen auf
dem weiten Erdenrunde
Kein Mädchen sich an Lieblichkeit
und Anmuth darf vergleichen, -
Ein Liebesbecher süß, um ihn
zu leeren auf die Neigen.
(S. 126-127)

21.
Auch jetzt noch keinen Augenblick
vergeß' ich der Geliebten
Die theurer als das Leben mir,
der nun durch Weh Getrübten,
Die wie ein feucht Gewand so fest
an meinen Arm geschlossen,
Und nun – so schutzbedürftig, jung -
von Mannes Schutz verlassen.
(S. 127)

22.
Auch jetzt noch, Götter! nimmermehr
vergeß' ich doch der Schlanken,
Die Trennungsschmerz, o weh! mir hält
lebendig im Gedanken;
Der Königstochter, die fürwahr
die schönste aller Frauen,
Und einer Liebesschaale gleicht,
so lieblich anzuschauen.
(S. 127)

23.
Auch jetzt noch denk ich wie die Bu-
senschwere lächelnd nickte,
Wie ihren Hals die Perlenschnur
mit lichtem Glanze schmückte;
Die sich der Liebesgott fürwahr
zum Lusthaus ausersehen,
Die wie ein flammend Banner sollt'
in seiner Nähe wehen.
(S. 128)

24.
Auch jetzt noch denk ich ihrer, wie,
vom Liebesgott verirret,
Sich ihre Zunge einst zu mir
im Sprechen gar verwirret,
Wie sie mir hundert Schmeichelein
und Zärtlichkeiten lallte,
Und wie von Liebesworten gar
der Mund ihr überwallte.
(S. 128)

25.
Auch jetzt noch, - ja ich werde dran
im andern Leben denken
Wie sie den wonnemüden Blick
einst thät verlegen senken,
Als ihrer Brust das Tuch entschlüpft,
die Haare niederglitten, -
An Liebe sie ein Königsschwan
des Lotushains inmitten.
(S. 128-129)

26.
Auch jetzt noch, säh die Liebe ich,
da sich der Tag mir neiget,
Die Nektar auf dem Munde trägt,
die gleich dem Reh geäuget,
In ihrem Arme wollt ich ruhn
und nicht des Königs Freuden,
Noch alle Seligkeit und Wonn'
des Himmels ich beneiden.
(S. 129)

27.
Auch jetzt noch kann in meinem Geist
allein ihr Bild ich finden,
Das läßt mir alles Andere,
die Götter selbst, verschwinden; -
Was thu ich, da im Augenblick
der Tod mir ist beschieden?
Ich weiß! Doch sie ist meine Lust
und sie mein Trost hienieden.
(S. 129)

28.
Auch jetzt noch denk ich, wie sie gleich
dem schüchternbangen Rehe
Die Äuglein ängstlich rollte, da
von meinem Scheiden, wehe!
Die Leute sprachen; wie sich dann
ihr Blick mit Thränen füllte,
Und bittrer Schmerz und Gram ihr blei-
ches Angesicht umhüllte.
(S. 130)

29.
Auch jetzt noch denk ich – ohne sie
mein Leben ist vergället,
Vergiftet; nektarsüß mit ihr,
von Sternen licht erhellet:
Sie ists, die holde Traute, die
mein Leben einzig stützet,
Was hätten Brachma, Vischnu denn,
was Siva mir genützet!
(S. 130)

30.
Auch jetzt noch, sandt' ich gleich umher
die Augen ohne Ende,
Ob irgendwo auf Erden sich
ein gleiches Wesen fände,
Hab ich kein Antlitz doch geschaut,
das ihrem möchte gleichen,
Dem selbst des Liebesgottes Weib,
des Mondes Licht entweichen.
(S. 130-131)

31.
Auch jetzt noch, was um meinetwilln
nicht alles sie gelitten,
Als ich, aus ihrem Königshaus,
gefolgt von wilden Tritten
Der Jamagleichen Häscher, ward
Verbrechern gleich verjaget,
O das thut mir unsäglich weh,
und nie ein Mund es saget.
(S. 131)

32.
Auch jetzt noch thut es Tag und Nacht
dem Herzen mein so wehe,
Daß ich ihr liebes Angesicht
fortan nie vor mir sehe,
Das holde, gleich dem Vollmond klar,
dem Rati selbst erbleichet,
Daß drob der stolze Sinn des Gotts
der Liebe sich erweichet.
(S. 131)

33.
Auch jetzt noch, da sie nah mir sei
in jenem andern Leben,
Soll ihr Gedächtnis unverrückt
mich immerdar umschweben,
Sie, deren jugendfrischer Reiz
sich mir allein erschlossen,
Mein Lebenstrost, den außer mir
kein Anderer genossen.
(S. 132)

34.
Auch jetzt noch wird mein Herz berauscht
beim Ton der goldnen Spangen,
Die hold bei Handgezweiges Hin-
und Herbewegen klangen,
Beim Kosen von den Bienen, die,
nach Lotuskelchen lüstern,
Von süßem Dufte trunken ihr
um Mund und Wangen flüstern.
(S. 132)

35.
Auch jetzt noch denk ich, wie vom Kuß
des Honigmund's ich trunken,
An ihren sanften Busen war
vergehend fast gesunken,
Wie sie mit Wonneschauern dann,
als ob sie mir nicht traute,
Gewaltsam sich im Wachen hielt
und ängstlich nach mir schaute.
(S. 132-133)

36.
Auch jetzt noch denk' ich, wie erzürnt
sie mir sich wollt' entwinden,
Und wie auf ihrem Mund für mich
kein Wörtchen war zu finden:
Dann küß ich sie; aus ihrem Aug
die hellen Thränen fließen;
Ich liege "schau, Geliebte! hier
den Sklaven" ihr zu Füßen.
(S. 133)

37.
Auch jetzt noch weilt mein Geist bei ihr;
was sollt ich denn beginnen?
Wohlan! in ihrer Nähe geh
die Zeit mir rasch von hinnen,
In ihrem goldnen Palast, von
der Freundin Schaar umgeben,
Die sie mit Spiel und Sang und Klang
und heitrem Tanz umschweben.
(S. 133)

38.
Auch jetzt noch weiß ich nicht, ist sie
denn Urvasi, vom Indra
Verbannt? Ist sie des Siva Weib?
ist Laxmi sie des Krischna?
Erschuf denn Brachma dies Gebild,
die Dreiwelt zu verführen?
Wollt' er vielmehr ein Meisterstück
der Weiber hier vollführen?
(S. 134)

39.
Auch jetzt vermag im Erdenrund
kein Mensch sie nachzumalen,
Denn nirgends gibt ein Mädchen es
mit ihrer Schöne Strahlen:
Nur wer die Zwillingsschwester säh,
die gänzlich glich der Einen,
Dem möcht's vielleicht gelingen, sonst
fürwahr auf Erden Keinem.
(S. 134)

40.
Auch jetzt noch denk der Liebsten ich,
der Holden ohne Gleichen,
Die jede Leibeszier geschmückt,
der hohen Tugendreichen,
Wie einst erzürnt die Äugelein
manch helle Thränen weinten,
Die sich, zum Ohr hinrieselnd, mit
der Augenfarb' vereinten.
(S. 134-135)

41.
Auch jetzt noch, wenn ihr Angesicht
das gleich dem Herbstmond blicket,
Und selbst des Weisen kaltes Herz,
das unsre mehr entzücket, -
Wenn ich das nektarsüße jetzt
noch einmal könnte küssen,
Vergessen wär die Trennung, frei
mein Herz von Kümmernissen.
(S. 135)

42.
Auch jetzt noch, könnt' des Liebesgot-
tes glühndes Pfeilverletzen
Zu lindern, ich im Ocean
der Liebe mich benetzen,
Im Wonnebad mich baden, in
den Düften, die entschweben
Wie Lotusstaub so süß dem Mund,
ich gäbe gern mein Leben.
(S. 135)

43.
Auch jetzt noch, gibt es auf der Welt
gleich hunderttausend Frauen,
Die eine wie die andere
gar lieblich anzuschauen;
Doch nirgends wohl die Eine, die
ihr ähnlich wär', erreich' ich:
Drum ist mir auch das Herz beschwert,
denn sie ist unvergleichlich.
(S. 136)

44.
Auch jetzt noch läßt die Liebste, wie
die Königshansi prangend
In frischer Jugend Liebesreiz,
am zarten Leibe bangend
In Liebesschauerwogen, aus
dem Sumpf der Trennungsschmerzen
Allmählig doch ein Blatt entstehn
am Lotus meines Herzen.
(S. 136)

45.
Auch jetzt noch denk ich nur an sie,
das holde Königsmädchen,
Die in der Jugend Rausch umher
die Äuglein dreht wie Rädchen,
Die eher für ein Götter-, ein
Gandharvenkind zu halten,
Vom Himmel hergeflogen, um
auf Erden nun zu walten.
(S. 136-137)

46.
Auch jetzt vergeß ich Tag und Nacht
der Heißgeliebten nimmer,
Wie sie vom Schlafen sich erhob
beim ersten Morgenschimmer,
Ihr Leibchen dann, wie Säule schlank,
und all die zarten Glieder
Mit manchem bunten Kranz und Schmuck
sich aufgeputzt hinwieder.
(S. 137)

47.
Auch jetzt noch denk ich ihrer, die,
von goldnem Glanz umflittert,
Verschämt im bangen Sehnen nach
der Liebe fast erzittert,
Von glühnder Küsse Macht besiegt
sich der Umarmung fügte -
Die meinem kranken Herzen stets
als Arzenei genügte.
(S. 137)

48.
Auch jetzt noch denk des Kampfes ich,
der waffenlos gefochten,
Wenn wir, verschlungnem Lotus gleich,
die Händ' zusammenflochten,
Und dann, wenn unsre Lippen fast
einander blutig küßten,
Des Liebeskampfes Weh sogleich
durch Zärtlichkeit versüßten.
(S. 138)

49.
Auch heute noch, kann ich mich gleich
in Liebe nicht versenken,
Leb' ich nur jeden Augenblick
in ihrem Angedenken:
Drum, Henker! nimm das Leben mir,
ist mir der Tod beschieden,
So schneide rasch den Faden durch
und nimm den Schmerz hienieden!
(S. 138)

50.
Gott Siva wird das Gift, wie er
versprochen, ewig halten,
Und immerdar der Ocean
des wilden Feuers walten;
Die Schildkröt' trägt die Erd' auf ih-
rem Rücken ohne Schwanken:
Bei dem was er versprochen, soll
der Gute nimmer wanken!
(S. 138-139)
 

Aus: Indische Gedichte
In deutschen Nachbildungen von Albert Hoefer
(Erster Teil) Leipzig F. A. Brockhaus 1844



Siehe auch unter Stichwort Bilhana:

http://en.wikipedia.org/wiki/Bilhana

 




 

 


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