Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Derwisch
gest. i. J. 980 (1572)
 

Wenn der rosenwangichte Geliebte
Kommt in's Schmerzenshaus nicht jede Nacht,
Wird mein Herz gleich seinen wirren Locken
Ganz zerstört, verwirrt in jeder Nacht.

Wenn ich diesen Sonnenaugichten
Nicht umarmen sollte eine Nacht,
Würde ich herumgeh'n bis zum Morgen,
Wie der helle Vollmond jede Nacht.

Wenn der Greis, der Himmel noch erwarmet,
Ist darob sich zu verwundern nicht,
Weil mit Sonne und mit Mond am Busen,
Nackt er pflegt zu schlafen jede Nacht.

Immer mögen schlafen die Narcissen,
Mit dem kranken Aug' die ganze Nacht,
Unverwandten Auges wacht die Kerze
In dem Nachtgemach die ganze Nacht,

Voll Begierde, daß ich ruhen möge
An dem warmen Busen eine Nacht,
Reiße ich an meines Hemdes Kragen,
Und zerreiße selben jede Nacht;

Deiner Liebe heißer Schmerz verweilet
In dem wüsten Busen jede Nacht;
In dem Hause von Derwischen wischen
Gäste aus und ein in jeder Nacht.
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Aus Konia, ward der Secretär Kasimpascha's, und hielt sich hernach an Lala Mustafapascha, den Eroberer Cyperns, stets die Tracht und das Wesen eines Derwisches beybehaltend.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Zweiter Band (von der Regierung Sultan Suleiman's des Gesetzgebers
bis zu der Sultan Murad's III. 1521-1574)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 346-347)