Aaschikpascha
gest. i. J. 733 (1332)
Liebe hält Vernunft am Leben,
Ohne Lieb' ist todt Vernunft.
Der Vernünft'ge, der nicht liebt
Gott, den Herrn, ist wahrlich todt;
Ohne Liebe ist Vernunft
Von Geburt aus abgestorben;
Ohne Liebe kann Vernunft
Nicht zum Grund der Weisheit dringen,
Liebe leitet die Vernunft,
Die Lebendige, zu Gott.
Die Vernunft, die nicht erstaunt
Vor des Herren Majestät,
Ist wahrhaftig nicht beseelt von
Wahrer, reiner Gottesliebe,
Solche ist versenkt im Kummer,
Ohne Seele ist sie todt.
Seele der Vernunft ist Liebe,
Die allein zur Wahrheit führt.
Liebe ist Vernunft der Seele,
Aber was belebt die Liebe?
Was erhält am Leben sie?
Laß uns dieses nun besehen.
In der Lieb' ist nichts als Gott,
Weltenvoll ist d'rob das Herz.
Gott gibt aller Liebe Leben,
Ohne Gott verfällt die Liebe,
In der Welt stirbt alle Liebe,
Deren Gegenstand nicht Gott.
Liebe gibt zwar keinen Nahmen,
Aber hält verborg'nen Schatz,
Zunge spricht der Liebe Worte,
Werk der Liebe thut die Hand.
Gottes Licht schaut aus dem Auge,
Welches schaffet und zerstört.
Die Vernunft und Leib und Seele
Sind der Liebe Diener nur.
Liebe ist durch Gott lebendig,
Nur durch sie gelangst zu Gott;
Wenn du willst zu ihm gelangen,
Sey ein wahrer Liebender;
Trenne dich nicht von der Liebe,
Bann' sie nicht aus deinem Herzen,
Spurlos ist die Liebe Gottes,
Sey von innen spurlos auch.
Dieses sind die sieben Dinge,
Deren eins des andern Seele;
Gottes Liebende sind Männer,
Deren Treu' sich stets bewährt,
Liebe hält Vernunft am Leben,
Die deßhalb zu ihr sich kehrt.
Wissenschaft bedarf zum Leben
Die Vernunft, so selbe hält,
Wissenschaft gibt Seelen Leben
Durch die Handlungen, die Tugend.
Ohne Seel' ist todt der Leib,
Der sonst nur ein Thon des Staubes;
Durch den Anbau wird belebt
Als durch Seele Leib des Reichs,
Anbau hält die Welt lebendig,
Ohne Anbau nichts gedeiht.
Durch die sieben nun erklärten
Stationen mußt du gehen;
Jedes steht an seinem Orte,
Welchen du erreichen mußt,
Durch dieselben mußt du wandern,
Was zu thun, wenn Wand'rung schwer,
Zum Wegweiser nimm die Liebe,
Die dich sicher führet durch;
Denn das Innerste ist Liebe,
Liebe ohne Zeit und Raum,
Wer durch sie zum Gott gelanget,
Wird das wahre Leben finden;
Wer mit Lieb' anschaut den Freund,
Sieht zugleich in Gottes Aug'.
Liebender, lieg ob der Liebe,
Welcher alle Nahmen schwinden.
Wer mit Liebe sich emporschwingt,
Wird des Wunsches nicht entbehren:
Trenn' uns nicht, durch deine Gnade,
Gott, vom wahren Liebespfade.
Scheich Aaschik, d.i. der Liebende, ein
frommer und gelehrter Mann und die Zierde der Heiligen seiner Zeit,
trägt den Ehrennahmen Pascha, nicht weil er mit drey Roßschweifen
bekleidet, Wesir des Reiches gewesen, sondern als Wesir im Reiche der
Geister und Mystiker.
Zu Kirschehr in Anatoli geboren, lebte Aaschik schon unter Sultan Urchan,
später ein Zeitgenosse Hadschi Beiram's unter Sultan Murad I. In die
Fußstapfen der großen mystischen Dichter Mewlana Dscheleddin's und
seines Sohnes Weled tretend, wetteiferte er mit denselben durch ein
großes türkisches Gedicht von zehntausend Distichen, dessen Gegenstand
die göttliche Liebe ist. Daraus das obere Gedicht.
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