Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Iunis Imre


Unser Imam ist die Liebe, dem die Herzen
Sind geweiht auf heil'gen Stätten;
Unsre Kibla ist das Angesicht des Freundes,
Welcher wir inbrünstig bethen;

Seele hat sich nieder auf den Grund geworfen,
Vor des Freundes Hochaltar,
Hat die Wangen auf die Erde hingelegt,
Um zu flehen immerdar;

Sprecht nicht ohne (ohne Zuversicht und Hoffnung)
Haben wir zuerst gesagt,
Und es ist zur Stunde noch in unsren Herzen,
Was zu flehen wir gewagt;

Keinem Glauben irgend eines Staubgebornen
Treten streitend wir entgegen;
Jeder Glaube, wenn derselbe nur vollkommen,
Leitet zu der Liebe Wegen.

Als das Angesicht des Freund's gesehen worden,
Ward ungläubig erst die Welt;
Deßhalb ist es, daß man an der hohen Pforte,
Auf Gesetze so viel hält.

Immer sagen mir die Leute: wirf Gebothe
Nicht von dir, sey nicht so frey;
Doch das erste der Gebothe ist für Jeden
Hier nur die Verrätherey.

An des Freundes harter Schwelle heißt es wachen,
Mit geradem schlichtem Sinn,
Gott! mein Gott! denn ohne diesen Sinn, den schlichten,
Ist das Glück für immer hin.

Wisset ihr, worinnen unser Glück bestehet?
Männergeist ward uns zu Theil,
Deßhalb sind wir aus dem Wirbel der Empörung
Doch zuletzt gelangt zum Heil.

Junis liegt an dieser Pforte angekettet,
So gewöhnt an Sclaverey,
Daß er and'ren Wunsch nicht heget in dem Herzen,
Als zu werden nimmer frey.
 

War ein Scheich der Derwische, Verfasser eines Diwans von anderthalb hundert Ghaselen, rein mystischen und geistlichen Inhalts.

 

zurück

Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Dritter Band (von der Regierung Sultan Murad's III.
bis zu Ende der Regierung Sultan Mohammed's IV. 1574 - 1687)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 431)