Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Riasi
gest. i. J. 1111 (1699)


Laß alles and'res, Herz, und folg' der Liebe,
Es folgen ihr die Wahrheitkennenden;

Vor allem Seyn und Wesen war die Liebe,
In welcher ein Beginn gefunden ward;

Wenn alles geht zu Grund, so bleibt die Liebe,
Man sagt deßhalb: die Liebe ist unendlich.

Von dir, o Gott! erfleh' ich Hülf' und Leitung,
Laß keinen Augenblick mich ohne Liebe,

Nimm aus dem Herzen Alles, was nicht Liebe;
Mach beyden Welten mich vertraut durch Liebe;

Die Hölle wird zum Paradies durch Liebe,
Und ohne Lieb' ist Paradies nur Hölle.

Zum Leiter nimm, Riasi, du die Liebe,
Propheten, heil'ge führet nur die Liebe.
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Verborg'ner Schatz, aus dem das Seyn wird offenbar,
Aus dem bald Finsterniß, bald Licht wird offenbar,

O Einheitsmeer, des Wogen unablässig treiben,
Aus dem der Welten Weisheit erst wird offenbar;

Welch eine Zauberey, daß, wo der Nebenbuhler
Nur durch die Liebenden wird kund und offenbar;

Es gehen hunderttausend Seelen in das Nichts,
Und hundertfach wird rings das Leben offenbar.

Als Augen drehen sich um seiner Schönheit Kerze
Der Himmel und die Kreise werden offenbar;

Propheten steigen auf nach ihrem Rang und Grade,
Der Gläubige, Ungläubige wird offenbar;

Als des Geheimnisses Palast verkläret worden,
Da wurden dieser Welt Gestalten offenbar;

Es sind sein Wesen, seine Allmacht stets unendlich,
Und Wirkung ist in jedem Nahmen offenbar;

Wann einst die Majestät der Schönheit sich verkläret,
Wird Schönheit hier und dorten Feuer offenbar;

Wann seine Schönheit blüht, brennt auch die Majestät,
Wo eine Rose blüht, wird Dorn auch offenbar;

Deßhalb, so oft Vollkommener kommt in die Welt,
Wird mit Bekennen auch das Läugnen offenbar;

Ein kund'ges Herz sieht Schönheit in der Majestät,
Im Dornenfeld wird Rosenhain ihm offenbar;

Wann Zwey betrachten diesen wunderbaren Bau,
Wird Einem Haus, dem And'ren Länder offenbar;

Das Inn're Einheitsmeer, das Äuß're Vielheitsfeld,
Wie unter Fremden wird Geliebter offenbar;

Wer Einsicht hoffet, wird befreyet von der Zweyheit,
Und dem Riasi wird nur Eines offenbar:

Er sieht, wie aus verborg'nem Schatz die Ding' entstehen,
In jedem Zug wird ihm Geheimniß offenbar.
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Mohammed, berühmt unter dem Nahmen des Scheichs El-Mißri, d.i. des Ägyptischen, ist der geschichtlich merkwürdigste Charakter dieses Zeitraumes, nicht nur als mystischer Dichter, sondern vorzüglich als mystischer Scheich, Stifter eines nach ihm genannten neuen Ordens der Derwische, welcher ob seiner gepredigten Lehre und des großen Anhanges willen, womit ihm das Volk zulief, für politisch gefährlich erachtet, mehr als einmal verbannt und im doppelt zweydeutigen Rufe eines Unruhestifters und Heiligen starb.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Dritter Band (von der Regierung Sultan Murad's III.
bis zu Ende der Regierung Sultan Mohammed's IV. 1574 - 1687)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 590-591)