Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Dschem
gest. i. J. 901 (1495)
 

Wenn man tausend Jahre brennt
In dem Liebesfeuer Dschem,
Kommt in seiner Leiden Meer
Nimmer zu dem Ufer Dschem,

Deiner Trennung Herbstorkan
Hat gegelbt so mein Gesicht,
Daß auf Frühlingswiederkunft
Hoffnung aufgegeben Dschem.

Eine Huld ist's, daß du mich
Deinen Wegstaub hast genannt,
O mein Götze ist wohl werth
Solcher hohen Achtung Dschem?

Gegen Unglückspfeile hält
Dschem entgegen stets das Schild.
Herr, was Leides hat gethan
Seinem harten Loose Dschem,

Keine Grenzen hat die Pein,
Flüchte dich zu seiner Thür,
Und vergieße Thränenströme,
Unglücklich gestirnter Dschem.
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Wischt er seine Locken ab am Handtuch,
Machet er von Moschus voll das Handtuch;

Wischt er von dem Angesicht die Thränen,
Machet er von Perlen voll das Handtuch;

Wischet ab der Freund die Rosenwangen,
Machet er von Rosen voll das Handtuch;

Wischt er ab damit die Zuckerlippen,
Machet er mit Zucker voll das Handtuch;

Weil es deinen Schönheitsmund verschleyert,
Woll'st entfernen von dem Blick das Handtuch;

Weinet Dschem ob deines Mundrubins,
Wird mit blut'gen Thränen voll das Handtuch.
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Ich, Bettler, ließ das Land des Freundes,
Begab mich auf die Reise,

O Gott, wie schwer ist mir gefallen
Die widerwärt'ge Reise.

Ich hoffte, daß an deiner Thür
Ich käme ins Geleise.

Da trennte mich auf diese Weise
Ganz unverseh'ns die Reise,

Wiewohl der Liebe Arzeney
Geduld und reine Weise,

So glaubet nicht, daß mir Geduld
Genützt hat auf der Reise;

Da in der Ferne klein dein Wuchs,
Und immer hoch die Reise.

Bist du, o Lebensbaum*, nicht mit,
Hat keine Lust die Reise,

Bist du mit mir, so ist vollbracht
Mit wahrer Lust die Reise.

Da mich der Staub von deinem Fuß
Gebracht hat ins Geleise,

So möcht' ich wissen, was mir nicht
Nützt ferne noch die Reise,

O Herzensliebster, komm zum Dschem,
Daß er mit Freuden reise;

Es findet, wer nicht Liebchen hat,
Geschmack nicht an der Reise.

* Sidret Munteha, der Lotosbaum des Paradieses,
ein Wortspiel mit dem im folgenden Distichon
vorkommenden Munteha, begrenzt, vollendet.
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Seit deiner Liebe Mond mir zugefallen,
Ist meinem Kopf gar Manches vorgefallen,

Das arme Herz, das zum Genuß nicht kam,
Begnügt sich trauernd nun mit deinem Gram.

Verweig're Liebenden nicht Arzeney'n,
Es hilft ihm deines Mund's Rubinenwein.

Bey meinem Fenster ging der Mond nicht auf,
O wehe! mein Geschick hat schlimmen Lauf.

Wie wär' ich nicht mit meinem Schmerz vergnügt,
Da deinen Herrn zu schauen dein Gesicht genügt.

Es ging mein Herz zu ihrem Haar zurück,
Weil jedes Ding zum Ursprung kehrt zurück.

Vergieß' nicht ungerecht das Blut von Dschem,
Das deinem Wimpernschwerte so genehm.
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Da du weißt, du wohnst zuletzt im Staube,
Trink' im Neumond' neuen Wein im Raube,

Zeit ist's anzubau'n zerstörtes Herz,
Das verödet liegt, verheert durch Schmerz.

Seit ich weiß, daß dich gewinnet Wein,
Gieß' ich Thränenwein zum Herzensrein*,

Hohe Zeit ist's, o erbarm' dich mein,
Auf der Schwell' entströmt dem Auge Wein,

Dschem beständig sieh zum Schwellenstaube,
Weißt, du wirst zuletzt dem Staub zum Raube.

* Auf des Herzens Braten
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Der unglückliche Bruder und Thronnebenbuhler Bajesid's, ein ritterlicher, der Liebe zur Dichtkunst ergebener Prinz, der schon als Statthalter von Karaman der beste Ringer, seinem Vater Mohammed II. schon als Knabe von zehn Jahren das romantische Gedicht: Dschemschid und Chorschid, zueignete, und dessen Ghaselen in einem Diwan gesammelt, noch heute vorhanden. Die nächsten Umgebungen und Vertrauten Dschem's, sein Defterdar Haider, sein Nischandschi Saadi, waren romantische Dichter.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 146-148)