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Hennie Raché geb. Fock
(1876-1906)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Ecce ego
Ein Sklave meiner Pflicht, ein Arbeitspferd,
so schlich ich mühsam die gewohnten Pfade.
Den Weg voll Dornen, endlos, grau und öd,
ich ging ihn schweigend, ohne laute Klage.
Ich war kein Ich – Staffage war ich nur,
ein Stück Coulisse auf der Lebensbühne.
Man schalt mich nicht, ich that ja meine "Pflicht"
gleich jenen Tausenden von müden Pilgern;
ob ich auch seufzte unter meiner Last
und heimlich rüttelte an meinen Ketten,
so schleppt ich doch mein Joch geduldig weiter.
In meinem Herzen aber schlummerte
ein Fünkchen von der Lebenskraft, der hohen,
die machtvoll stürmend Mauern niederbricht
und höhnend übersteigt Philisterschranken.
Da bat ich Gott in meines Daseins Nacht
um einen Sturm gewaltig und verheerend,
daß aus dem Funken er die Flamme wecke,
um einen Sturm, und wär's mein Untergang!
Da sah ich Dich – und eine große Liebe
begann allmächtig in mir aufzulodern. – –
das war der Sturm, das war die Feuersglut,
und jubelnd fühlt ich neue Lebenswonne. –
Wo ist es nun, das alte, blöde Ich,
das scheu den ausgetreten weg gewandelt?
Mit Staunen und mit heißer Dankbarkeit
seh ich ein neues Ich in mir erstehen,
ich, die ich schüchtern andre sonst gefragt,
ob ich auch bieder meine Pflicht erfülle –
ich geh jetzt furchtlos meinen eignen Weg.
Was kümmert's mich, ob Ihr Philisterseelen
die Köpfe schütteln mögt ob meinem Thun;
ich hab Euch keine Rechenschaft zu geben:
Ich selbst bin Ich und Richter über mich!
Ich lache Eurer weisen Tugendlehren
und kleinlichem Begriff von Pflicht und Recht.
Einst war's mein Recht, für andre mich zu opfern;
da nanntet Ihr mich brav und tugendhaft.
Ob ich im Herzen meinem Dasein fluchte
und knirschend fluchte der verkehrten Welt –
das saht Ihr nicht! – Was kümmert Euch die Seele,
wenn das Gewand nur fleckenlos und rein!
Daß selber Ihr in einem Sumpfe watet
voll Vorurteil und ekler Heuchelei,
Ihr wißt's wohl kaum, bis eines schönen Tages
Ihr bis zum Hals in Eurem Sumpfe steckt
und dann erstickt! –
Ihr hört ja nicht die Stimme,
die immer lauter nach der Freiheit ruft. – –
Mir gilt es gleich – ich habe mir genommen
mein angebornes, vorenthaltnes Recht,
hab mich befreit von jenen falschen Pflichten,
durch die das Dasein mir zur Marter ward.
Wie! Bin ich denn ein Sklave meines Lebens?
Nein, Pflicht und Leben sind mir unterthan!
In einen Panzer stecktet Ihr die Seele –
weh Euch, wenn sie den Panzer niederzwingt!
(S. 167-169)
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Für uns
Sphinx ist ein jedes Weib, das unberührt
vor seinem eignen Rätsel staunend steht;
doch mit dem ersten Kuß flieht schon das Morgenrot
unschuldger Liebe — — die Erkenntnis naht:
Ich bin ein Weib!
Und zitternd ahne ich den Augenblick,
da Du das Rätsel dieses Weibes lösest. — — —
Werd ich dem Sieger willig mich ergeben?
Werd ich nach heißem Kampfe unterliegen?
Ich weiß es nicht — 's ist Dein Vermächtnis Eva,
und die Versuchung, Schlange, war der Kuß!
(S. 169-170)
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Hingebung
Ich liebte einst;
doch blieb von all den Gluten
ein totes Häufchen Asche nur zurück –
so wähnte ich
und ahnte nicht das Fünkchen,
das tief verborgen in der Asche schlief!
Und nun? Und nun?
Du schürtest diese Flamme –
Du schleudertest die Fackel mir in's Herz!
Die Leidenschaft
erwachte unter Küssen,
und meine Gluten brachen heiß hervor!
Ach, welch Geschick!
Ich seh den finstern Abgrund,
dahin mich dieser Weg voll Blumen führt – –
ich wehr mich nicht –
ich leg in Deine Hände
mein Leben, meine Liebe und mein Glück.
Wär ich doch blind
und dürfte es nicht sehen,
wie immer schneller mir das Ende naht!
Ach, führ mich recht!
Erbarm Dich meiner Schwäche –
nicht diesen Weg, der mich zur Hölle treibt.
Reich mir die Hand,
dann laß uns beide fliehen.
Da ist kein Glück – wo auch die Reue weilt!
Doch ich bin Dein!
Ich suche nicht zu kämpfen,
weil doch der Sieg auf Deiner Seite ist – –
ich liebe Dich!
Und Dein ist meine Seele –
Du bist mein Gott! So thue, wie Du willst . . .
(S. 170-171)
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Die Sünde
Du siehst mich an mit Augen groß und trunken,
Du ziehst in Deinen Bannkreis mich hinein;
ich bin in Deinem Anblick ganz versunken –
ach, kann so schön wie Du die Sünde sein?
Du siehst mich an – und deine Blicke funkeln;
wie bebt Dein Purpurmund, zum Kuß bereit!
Es leuchtet mir aus Deinem Aug, dem dunklen,
nicht Glück, nicht Friede – doch Vergessenheit.
Ich seh an Deinem Busen wohl die Schlange,
ich fühle ihres Atems giftgen Hauch;
es klopft mein warnend Herz wohl schwer und bange,
zwar warnt es mich, doch ach, es lockt mich auch.
Ich will Dich einmal, schönes Weib, umfassen,
und sollt ich auch in Deinem Arm vergehn,
ich will mich einmal von Dir küssen lassen! –
Warum, o Weib, bist Du so zaubrisch schön?
(S. 171-172)
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Aus: Liebeslieder moderner
Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt Berlin Hermann Costenoble 1902
Biographie:
Hennie Raché (geb. Fock, * 15. August 1876 in Hamburg; † 18. Juni 1906
ebenda) war eine deutsche Schriftstellerin.
Raché schrieb Romane, Theaterstücke und Lyrik. Sie war verheiratet mit dem
Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Paul Raché (1869–1939).
Werke:
Gedichte von Hennie Fock, Dresden & Leipzig: Pierson 1901
Liebe, Roman, Leipzig: Müller-Mann [1901]
Nocturno. Pathologische Liebesgeschichten, Leipzig u. a.: Schuster &
Loeffler 1902
Die Scham. Geschichte zweier Ehen, Berlin und Leipzig: Schuster & Loeffler
1903
Das Gasthaus zum deutschen Michel, Roman, Berlin und Leipzig: Schuster &
Loeffler 1905
Töff-Töff. Lustspiel in einem Akt (für 1 Herrn und 2 Damen), Berlin: E.
Bloch 1906
Literatur:
Brand, Guido K.: Henny (sic!) Raché. In: Die Frühvollendeten. Ein Beitrag
zur Literaturgeschichte. Berlin und Leipzig: W. de Gruyter & Co. 1929
[1928]. S. 257–260.
(aus: wikipedia)
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