Emilie Ringseis (1831-1895) - Liebesgedichte

Emilie Ringseis



Emilie Ringseis
(1831-1895)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Phönix

Ist nicht Kunst des Phönix Ringen,
Sehnsucht, die den Tod begehrt
Und im Weh'n der eignen Schwingen
Feuer weckt, das sie verzehrt?

Goldentzündet das Gefieder,
Phönix singet - Alles lauscht -
Sterbehymnen, Siegeslieder
Jauchzend, todeslustberauscht.

Glutdurchdrungen, glutumschlungen
Wallt der Sang wie Opferrauch;
Bald hat Sehnsucht ausgerungen,
Ausgetönt im Todeshauch.

Doch da weh- und wonnetrunken
Welt in Träumen sich verlor,
Stieg geheim aus Aschenfunken
Sehnsucht neuverjüngt empor.
(S. 36)
_____


Ein Traum

Ich schwamm dahin, auf weißer Wolke liegend,
Durch unermeßne blaue Luft dahin;
Die Erde lag wie Gold tief unter mir,
Mit künstlerischem Farbenschmelz gezieret;
Auch Sterne sichtbar, nur wie goldne Funken
Verstreut im duftig lichten Tagesblau.
Die Sonne fühlt' ich ohne sie zu schauen.
Es war so friedlich warm, so wonnevoll;
Ich trank in sanften, langgedehnten Zügen
Die sel'ge Luft und schwamm und schwamm dahin.

Da regt es leise mir im Innern sich:
Wohin mit all der stillen Morgenwonne?
Ist Niemand denn, der mein Empfinden theilt?
Was um mich spielt, ist seelenlose Luft,
Ich bin allein. Still hub ich an zu weinen. -

Sieh, da vernahm ich steigend ein Geflüster
Und eine Stimme hauchte mir in's Ohr:
"Ich bin der Luftgeist. Du bist nicht allein,
Ich liebe dich, ich bin nicht seelenlos,
Wie du geglaubt! Ich war dir Lebensodem,
Mit jedem Hauch zog ich in deine Brust.
Ich bin in Allem, was dich nährt, erhält,
Was dich erfreut, was deine Hand berühret,
Dein Auge schaut, was je dein Ohr vernommen,
Du aber dachtest nie der armen Luft;
Nur wenn ich fächelnd stärker dich umhauchte,
Wenn ich versuchend dir im Haar gespielt,
Ob du mich kennest, sprachest du von mir,
Der seelenlosen rauh'n und linden Luft."

Der Luftgeist schwieg. Ich aber sprach mit Staunen:
""O zeige dich!"" - da tönt' es mir: "Geduld!
Einst wirst du schauen; jetzund fühle mich!"

Und es begann ein Brausen und ein Rauschen
Und schwoll und quoll an's bange Herz hinan;
Die Arme breitend wollt' ich ihn umfangen,
Entzücken rieselte durch ird'sche Brust,
In sel'gem Taumel hoben sich die Sinne ...
Und ich erwachte! Dunkel um mich her;
Nur schneidend hell, was mir das Herz durchzuckte:
"Es war ein Traum!" ... Und öde ward's in mir, -
"Elende Nüchternheit des Lebens Antheil,
Und die Entzückung heimisch nur im Traum!"

O Stimme, Stimme die mich jetzund traf,
Am äußern Ohr nicht, nein, in tiefer Seele!
"Wer hat wie sanfte Luft dich hingetragen?
Wer war der Lebensodem deiner Brust?
Ich liebe dich mit endlos reicher Liebe,
Du hieltest Mich wie seelenlose Luft!
Ich formte dich, du warst Mir Augenweide
Und süß Ergötzen, doch du hieltest Mich
Wie seelenlose liebesbaare Luft!"

Halt ein! O laß mit dem Gemüt mich fassen,
Was der Verstand bekennt! ... Dem Blinden gleich,
Dem trüb verhüllt ein matter Schein geblieben,
Dem Tauben gleich, der an des Uhrwerks Picken,
Mehr durch's Gefühl vernommen, Hoffnung schöpft,
So ringt mein Herz, den Lichtstrahl zu erfassen, ...
Ich bin geliebt mit mächt'ger Schöpferliebe,
Ich bin geliebt, das Leben Selbst liebt mich ...

O schäle, Gott, die Hüllen mir vom Auge,
Zum Ohr, zur Seele sprich: Eröffne dich!
Den Liebesdurst, reg ihn mir auf im Busen,
Einst fällt der Schleier dann, und nachtentronnen
Schwimm' ich, o Gott, in Deinem Hauch und Licht,
Von Angesicht Dich schau'nd zu Angesicht!
(S. 105-108)
_____


Drei Übersetzungen aus dem Spanischen
(Aus Boehl de Faber's "Floresta")

1.
Ay alma, me quieres bien?
(Glosse)

"Eia Seele, liebst du Mich?"
Herr, das weißt Du sonder Fragen!
"Doch wie wen? Wirst Mir es sagen?"
Ei mein Herr und Gott, wie Dich!

"Seele, so ward es geschätzt,
Wenn Ich deine Lieb' erstritte,
Daß Ich starb und gerne jetzt
Tausend Tode noch erlitte,
So Mich deine Liebe letzt.
Und nun weißt du sicherlich,
Nimmer so wahrhaft'gem Triebe
Soll Verachtung lohnen. Sprich,
Da Ich also sehr dich liebe,
Eia Seele, liebst du Mich?"

Tausend Dinge zwar verkünden
Deine Liebe meinem Geist;
Dennoch rühret mich zumeist,
Daß Du fragend willst ergründen,
Was Du, Herr, ja lange weißt.
Besser ist Dir offenbar
Maß der Liebe sammt Betragen
Als mir selbst; Du schauest klar.
Was ich sagen muß, fürwahr,
Herr, das weißt Du sonder Fragen.

"Ob die Neigung groß, du Schöne,
Oder klein, ist wohl Mir kund,
Nimmer dieß der Frage Grund;
Nur das lieblicher es töne
Mir aus deinem eig'nen Mund.
Gut, du liebst; doch will mein Fragen,
Daß der Welt auch Kunde gibst,
Herz, von also heil'gem Schlagen.
Sei's, daß innig du Mich liebst,
Doch wie wen? Wirst Mir es sagen?"

Find' in Himmel oder Erde
Ich ein Ding, so Dir nicht weiche,
Oder das ich lieben werde,
Gott, wie Dich, dann ohn' Gefährde
Ich mit Jemand Dich vergleiche;
Doch da Zwei nicht sind wie Du,
Wahrhaft, einzig, ewiglich
Du nur Gott, wie wen mag ich
Wohl Dich lieben, Herr? Sieh zu! ...
Ei mein Herr und Gott, wie Dich!
Diego Murillo
dulce y provechosa poesia


2.
Caminad esposa!

Ziehet, Gattin, ziehet,
Seltne Jungfrau, fort!
Da die Hähne krähen,
Unfern ist der Ort.

Ziehet, Herrin, ziehet,
Gut vor allem Gut!
Eh' die Stund' entfliehet,
Birgt uns Bethlems Hut;
Dort dann endlich ruht!
Wohl vermögt ihr's dort;
Da die Hähne krähen,
Unfern ist der Ort.

Herrin, sehr beklag' ich
Daß ihr Ruh nicht hattet!
Große Pein ertrag' ich,
Euch zu seh'n ermattet.
Bald, so Gott gestattet,
Find' ich einen Hort;
Da die Hähne krähen,
Unfern ist der Ort.

Herrin, Bethlehem
Sieht uns gleich entgegen;
Wohl bei irgendwem
Wird uns Herberg hegen.
Haben, Ruh zu pflegen,
Ja Verwandte dort.
Da die Hähne krähen,
Unfern ist der Ort.

Herrin mein, ach säh' ich
Euch doch nur entbunden!
Freudengabe gäb' ich
Was ich mein befunden;
Gäbe sorgentwunden
Gern dies Es'lein fort! ...
Da die Hähne krähen,
Unfern ist der Ort.
Franco de Ocana, Cancionero


3.
Vivo sin vivir en mi

Leben außer mir leb' ich;
Solches Leben wird mein Erbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

In dem göttlichen Beisammen
Jener Lieb', in der ich schmachte,
Gott Sich zum Gefangnen machte,
Aber frei mein Herz. Doch stammen
Draus so schmerzlich Liebesflammen,
Wenn ich Gott zum Knecht erwerbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

O wie hart ist die Verbannung,
Wie die Kettenlast beschweret,
O wie lang das Leben währet,
Kaum erschwingbar Selbstermannung!
Des Erwartens lange Spannung
Macht mir Pein so wild und herbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

Wenn wohl süß das Lieben sprießt,
Unsüß wird ein langes Harren;
Von der Last, der eisenstarren,
Löse Gott mich! Bitter fließt
Leben, das nicht Sein genießt
In der elend irdnen Scherbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe!

Einzig leb' ich vom Vertrauen,
Daß ich einst zu sterben habe;
Liegt das Leben todt im Grabe,
Wandelt Hoffnung sich in Schauen.
Tod, des Lebens Morgengrauen,
Säume nicht, mich bald entfärbe,
Da ich vor Nichtsterben sterbe.

Wolle Lästigsein doch meiden
Bei so großer Liebesstärke,
Leben! "Dich gewinnen", merke,
Muß erst "Dich verlieren" leiden.
O so komm, viel leichtes Scheiden,
Süßer Tod, umfaß mich derbe,
Da ich vor Nichtsterben sterbe.

In dem Droben sonder Gleichen
Ist das Leben erst, das wahre,
Doch nur auf der Todtenbahre,
Lebend nimmer zu erreichen.
Tod, nicht wolle mir entweichen,
Jtzt leb' ich in Todesherbe,
Da ich vor Nichtsterben sterbe!

Leben, sag selbst ohn' Verdrießen,
Was dem Gott, Der lebt in mir,
Kann ich bieten außer dir,
Um Ihn besser zu genießen?
Sterbend will ich Ihn umschließen,
Weil ich so um Ihn nur werbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

Mich erbarmet mein. Abwesend,
Gott, von Dir, wie leb' ich da?
Schlimmern Tod als je ich sah,
Leid' ich, nie zum Tod genesend.
Tod, mich nie zum Ziel erlesend,
Macht so voll mein Qualenerbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

Fisch, vom Wasser ausgenommen,
Nicht wird ihm Erleit'rung fehlen;
Wer sich muß im Tode quälen,
Endlich wird der Tod ihm frommen.
Ist ein Tod, der gleich mag kommen
Meinem Leben leidensherbe,
Da ich vor Nichtsterben sterbe.

Schlummern ein die Kümmernisse,
Schauend Dich im Sakrament,
Schmerzlicher die Wunde brennt,
Weil ich das Genießen misse.
Nicht nach Lust Dich schau'n, o wisse,
Wie dieß Lust zu Pein verderbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

Liegt vor meinem Geist auch offen
Die Erwartung, Dich zu schauen,
Schnell hat des Verlustes Grauen
Doppelt mich mit Schmerz getroffen:
Hoffend mit so großem Hoffen,
Fürchtend ob ich nicht verderbe, -
Daß ich vor Nichtsterben sterbe.

Wolle lösend mich erheben,
Gott, aus dieser Todesschickung,
Dieser mächtigen Umstrickung,
Wolle, Gott, mir Leben geben!
Ohne Dich kann ich nicht leben,
Gib Dich endlich mir zum Erbe,
Da ich vor Nichtsterben sterbe.

Sei mein Tod mir denn beklagt,
Sei mein Leben mir bejammert
Also lang als es umklammert
Hier in Sündenstrafe zagt!
Jener Tag, o Gott, wann tagt
Er, da wahrhaft ich's erwerbe,
Daß ich vor Nichtsterben sterbe!
Santa Teresa de Jesus. (S. 116-125)
_____


Mich dünket, als begönn' ich ...

Mich dünket als begönn' ich, Dich zu lieben,
Mein Herr, mein Gott!
Hat Knospen doch das starre Reis getrieben?
Das Auge, das so trocken stets geblieben,
Es feuchtet sich fürwahr! Doch was sind Thränen? ...
Laß mich nicht täuschen eitles Liebeswähnen!

Gleichwie sich Frühjahrsgrün in zarten Spitzen
Aus dürrem Holz
Zum Lichte drängt: so fühl' ich leise schlitzen
Die Rinde sich und durch die offnen Ritzen
Dringt mir in's Mark ein Strom seltsamer Wonne ...
Das bist Du, Gott, Du meine Frühlingssonne!

Auf einmal fühl' ich's freudevoll hell und schneidend:
Du warst ein Mensch,
Aus Adams Stamm ein Mensch, empfindend, leidend,
Mit uns Dich zur Hülflosigkeit bescheidend,
Durch Vaters Offenbarung Gott Dich wissend,
Doch Trostgefühl der eignen Gottheit missend!

An der Unendlichkeit allein der Schmerzen
Empfandest Du's,
(Dagegen tiefstes Erdenleid ein Scherzen,)
Daß im Urgrund des zartgebauten Herzen
Du Jener sei'st, der Anfang nicht genommen.
Wohl mag Betrachtung solchen Wunders frommen.

Wohl, mein Verstand, magst du dich dran ergetzen,
Wohl, Fantasie,
Mag also geistig süße Kost dich letzen!
Doch ... dient nicht etwa mir, o welch' Entsetzen,
Des Heilands Pein, Erfindung höchster Liebe,
Zum Kitzel nur verderbter Geistestriebe?

Trugspiel des Ich's! Wer wird mir Einfalt schenken?
Mein Herr, mein Gott!
Eins nur vermag aus Krümmen mich zu lenken:
Ach, Richtung stets erneuend, Dein gedenken,
Dich suchen, Dich, so oft das Ich auch sieget,
Nur Dich, nie mich, bis todt das Ich erlieget!
(S. 126-127)
_____


Eia Seele, liebst du Mich?
(In Erinnerung an das spanische Ay alma, me quieres bien)

"Eia Seele, liebst du Mich?"
- Still beschämet mich die Frage,
Da Bejahung kaum ich wage:
Lieb' mich selber, wenig Dich. -

"Eia Seele, liebst du Mich"
- Vorwurf hör' ich drin und Klage,
Daß ich kaum zu flüstern wage:
Lieb' verdienst Du sicherlich! -

"Eia Seele, liebst du Mich?"
- Herr, verhilf mir zu dem Tage,
Da ich kühn zu sprechen wage:
Eia Herr! Wohl lieb' ich Dich! -
(S. 128)
_____


Seele, soll Ich dich erziehen

"Seele, soll Ich dich erziehen
Ganz so wie es Mir gefällt?"
- Eia Herr, das sollst Du freilich,
Dazu bin ich auf der Welt.

"Seele, doch dann muß Ich schneiden,
Muß Ich sengen, thu dir weh!"
- Arzt, das mußt Du besser wissen
Als ich Kranker es versteh.

O so schneide, o so brenne!
Lächelnd will ich halten still,
Daß ich nur recht bald genesend
Werde wie mein Heiland will!

***

Dichtend hab' ich so empfunden,
Doch ein Seufzer gab Geleit,
Daß es ach für's Erste Dichtung,
Daß ich noch nicht schmerzbereit.
(S. 129)
_____


Seligkeit

Entzückung kenn' ich, doch sie muß entschwinden
Und kann sich drum dem Frieden schwer verbinden.
Auch das Gefühl des Friedens ward ich inne;
Doch ungesteigert ließ er oft die Sinne.
Einst hoff' ich, daß mich Seligkeit umschlinget,
Da Friede mit Entzückung sich durchdringet.
(S. 132)
_____


Geistliche Kommunion

1. Jesu, es brandet
Jesu, es brandet,
Es tost in mir!

Komm Du gezogen,
Glätte die Wogen,
Schreite wie sänftigend Oel drüber hin!
Sieh, eine Grotte,
Frei von der Rotte
Wilder Gedanken,
Die sie umschwanken!
Wohn' Du als göttlicher Einsidel drin!


2. Süßer Wirth
Süßer Wirth, komm in Dein Haus,
Bann' hinaus
Alles was von Dir mich trennt,
Alles was unheilig brennt,
Alles was das Ich bekennt!
Mache rein,
Schmuck und fein,
Süßer Wirth, denn Du allein
Sollst der Wirth im Hause sein!


3. O Jesu, ich umschließe Dich
O Jesu, ich umschließe Dich
Mit aller Liebesgewalt!
Geh ein, geh ein in meine Brust,
Entzünde neue Liebeslust!
Ich Dein, und Alles, was mein, sei Dein!
Du mein, und Alles, was Dein, ist mein!
Ich fasse Dich,
Umschling Du mich
Mit ewiger Liebesgewalt!


4. Nach einem zerstreuenden Besuch
Habt ihr wieder mich umsponnen,
Ird'scher Tand, nutzlose Rede,
Seichte Lieb', kleinsel'ge Fehde
Nun entronnen,
Jesu, laß mich in dem Bronnen,
In den frischen, klaren Wellen,
Die aus Deiner Seite quellen,
Untertauchen, laß mich baden
In dem vollen Strom der Gnaden!
Mach mich Du des Staubes ledig,
Hilf mir gnädig
Mich erneuen,
Schuld bereuen
Und fortan in bessern Treuen
Dein sein ewig, Amen.
(S. 182-185)
_____


Tabernakel

1. Bekenntniß
Ja, mein Gott, Du bist zugegen, -
Rhätsel, das die Liebe schafft, -
Nicht nur Deiner Gnade Segen,
Nein, Du Selber bist zugegen,
Gott- und Menschheit wesenhaft!

Ja, mein Gott, Du bist zugegen,
Thronest hier in Wunderkraft!
Daß wir Deiner Nähe pflegen,
Hält Dich Liebe hier zugegen
In der Broderscheinung Haft.

Ja, mein Gott, Du bist zugegen!
Mag die neue Heidenschaft
Uns mit Spott und Bann belegen,
Doch, mein Gott, bist Du zugegen,
Bis an's Ende, wesenhaft!


2. Einkehr am Morgen
O Jesu, ich begrüße Dich
Im trauten Gotteshaus!
Lind flutet Frühlingsmorgenlicht
Durch's Fenster ein und aus.

Am Tabernakel spielt der Schein,
Späht nach der Brodgestalt;
Durch Blätterschatten, Blütenduft
Ein Vogelgruß erschallt.

O Menschensohn, so nah, so traut,
O Lenzeskönig hold,
Heut bist Du königlich geschmückt
Mit Licht und Sonnengold.

Wohl wär' es wonnig ruhen hier,
Dir singen leisen Sang,
Und still belauschen nur von fern
Geschäft'gen Alltagsdrang.

Du Menschensohn, gib Deinen Gruß
Mir mit, dran über Tag
Still sich erinnernd, still erquickt
Die Seele zehren mag!


3. Abhaltung vom Besuch
Drüben, da drüben
Wohnet mein Hoher;
Aber gefesselt
Muß ich vorüber,
Darf Ihn nicht sehen,
Nicht Ihn besuchen,
Nicht zu Ihm sprechen,
Wie mir gefällt.

Aber es fliegen
Grüße hinüber,
Grüße herüber,
"Grüße Dich, Hoher!"
""Grüße dich, Seele!""
"Kann heut nicht kommen,
Muß hier vorüber;
Morgen doch komm' ich,
Morgen doch lieg' ich
Dir ja zu Füßen,
Morgen Dir bring' ich
Alle Beschwerde
All' meine Liebe,
Mit Dir zu sprechen,
Hoher, mit Dir!"


4. Trost des Heimatlosen
So lang an einem Kirchlein
Ein Pförtchen knarrt,
Wo still der Herr verborgen
Der Gäste harrt,
So lang bin ich auch hüben
Nicht herberglos,
Bis ich heimate drüben
In Himmelsschooß.


5. Das ewige Licht
Daß hier Du weilest
Still, wo die Ampel brennt,
Und Gnad' ertheilest,
Jesus im Sakrament,
O Gott, wer faßt es,
Himmel, wer denkt es aus,
Solch hohen Gastes
Huld für solch Haus!

Führt spät im Dunkeln
Hier mich der Weg vorbei,
Weckt Lichtes Funkeln
Mich aus dem Vielerlei
Von Weltgedanken;
Plötzlich durch meinen Sinn
Zuckt hell ein Danken:
"Jesus hier drin!"


6. Der einsame Heiland
Saget nicht, in unsern Tagen
Sei die Einfalt ausgegangen,
Die so herzlich glaubt und liebt!

O wie lieblich sprach das Mädchen,
Sprach das junge Schweizermädchen:
"Herzlich Mitleid mich beweget,
Wenn ich in der Nacht erwache
Und gedenke, wie so einsam
In den Kirchen weit und öde
Nun der gute Heiland weilt;
Zur Gesellschaft dann entsend' ich
Meinen Engel schnell zu Ihm."

O wie lieblich sprach das Mädchen!
O wie traulich spricht die Einfalt,
Die so herzlich glaubt und liebt!


7. Die Nachtigall
Als ich zum ersten Male,
Vom Schlafe schnell erwacht,
O Nachtigall, dich hörte,
Laut klagend durch die Nacht, -
O Schmerz, o Kraft, o Inbrunst,
O liebesdurst'ger Schall!
Ist dieß ein Vogel? Ist es
Die Seelennachtigall?

Des Bräutigames Stimme,
Die mächtig klagend frei't
Aus stiller Tempelklause
Durch Nacht und Einsamkeit?
O Schmerz, o Ernst, o Sehnsucht,
O liebesdurst'ger Schall!
Gibst du dem Gott die Stimme,
O Vöglein Nachtigall!
(S. 187-195)
_____


Vor dem ausgesetzten Allerheiligsten

1. Freudenspender
Freudenspender, Ruhmgenießender,
Huld- und Liebreizüberfließender,
Welterquickender,
Liebumstrickender
Heiland, sei gegrüßt!

Sieh, wir knie'n, o Brodgestaltiger,
Du zu Dienst uns, Herrschgewaltiger,
Den ein sündiger
Wortverkündiger
Machtvoll niederrief!

In armsel'gem Tand Versunkene
Schwingen sich hochauf wie Trunkene, -
Dem verschrobenen
Ich enthobenen
Edenschaaren gleich.

Rebstock Salems, Blütensprießender!
Wonnekelch, mild überfließender!
Weltumstrickender,
Gnaderblickender
Heiland, sei gegrüßt!


2. Wenn ich ausgesetzt Dich sehe
Wenn ich ausgesetzt Dich sehe,
Fühl' ich besser Deine Nähe.
Ist ein kurz Gebet verrichtet
Und die Trägheit und Zerstreuung
Zieh'n mich fort, dann leise wieder
Zieht's mich auf die Kniee nieder,
Inniger fühl' ich zur Erneuung
Des Gebetes mich verpflichtet,
Jener Stimme mich zu fügen,
Die da ruft: "O weile, weile!
Hat die Welt so große Eile?
Trink, o Herz, in voller'n Zügen,
Hier nur findest du Genügen!"
(S. 196-198)
_____


aus: Gedichte von Emilie Ringseis
Freiburg in Breisgau
Herder'sche Verlagsbuchhandlung 1865

 

Biographie:

Ringseis, Emilie, zweite Tochter des bekannten Obermedizinalraths und Professors Dr. Joh. Nep. von Ringseis, wurde am 15. Novbr. 1831 zu Münschen geboren. Gesinnung und Ausbildung verdankt sie bei Besuch einer Klosterschule und mannigfachem Privatunterricht vorzüglich dem Elternhause, dem lebendigem Umgange mit einer Reihe von Professoren, Künstlern, allgemein gebildeten und sonst tüchtigen einheimischen und auswärtigen Männern und Frauen verschiedenen Standes. Sie ererbte und entwickelte frühe Sinn und Neigung für das Dramatische, indem ihre Mutter Marionettenstücke (Erinnerungen aus der eigenen Kindheit an die alten echten Volksmarionetten), später kleine Komödien verfaßte und von den Kindern aufführen ließ, was zwar selten geschah, dann aber voll Anregung und Freude für die Spielenden war. Emilie begann, einige Gelegenheitsgedichte abgerechnet, ihre dichterische Produktion erst im 21. Jahre, ist aber seitdem unausgesetzt, besonders als dramatische Dichterin, thätig gewesen.

D.: Veronika. Schausp. in 3 A. (anonym) München 1854. 3. Aufl. (unter dem Namen der Dichterin) 1859. - Die Sybille von Tibur. Schausp. in 3 A. Ebd. 1858. - Die Getreue. Dramat. Märchenspiel in 5 A. n. d. Volksmärchen vom "Singenden springenden Löweneckerchen" in der Sammlung der Brüder Grimm. Ebd. 1861. - Gedichte. Freiburg i. Br. 1865 (als Anhang die kleine biblische Handlung: Des Blindgebornen Heilung). - Sebastian. Martyrertragödie in 5 A. Ebd. 1868. - Gesammelte Dichtungen. Ebd. 1869. - Neue Gedichte und kleine Dramen. Ebd. 1873.

aus: Deutsches Dichter-Lexikon
Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten.
Unter besonderer Berücksichtigung der Gegenwart von Franz Brümmer
Eichstätt & Stuttgart 1876

_____


Der Name Ringseis ruft das Andenken an die glänzendste Epoche der bayrischen Hauptstadt, an das kraftvoll aufblühende München der ersten Regierungsjahre Ludwigs I. wach. Dr. Johann Nepomuk v. Ringseis, geboren am 16. Mai 1785 zu Schwarzhofen, einer oberpfälzischen Landgemeinde, gestorben am 22. Mail 1880 in München, stand zu all jenen Männern, die im Laufe der Jahrzehnte in wissenschaftlicher, künstlerischer und religiöser Hinsicht der Isarstadt zu ihrem Aufschwung verhalfen, in näherer Beziehung. Als langjähriger Professor an der Universität, als vielbeschäftigter Arzt, als Gelehrter und Schriftsteller, nicht zum wenigsten aus als Gastgeber und Mitglied eines zahlreichen, geistig hochstehenden Freundeskreises hat er einen tiefgehenden Einfluß in weiten Kreisen ausgeübt und namentlich der katholischen Sache unschätzbare Dienste geleistet. Seine Gattin Friederike, einen geborene v. Hartmann, vereinigte dichterische Anlagen mit den feinsten Formen, und das gastliche Haus Ringseis war jahrzehntelang Mittelpunkt eines großen Teils der geistigen Elite Münchens.

Die drei Töchter Marie, Emilie und Bettina erbten sämtlich vom Vater den geraden, scharf ausgeprägten Rechtssinn, solide Religiosität und begeisterte Anhänglichkeit an die katholische Kirche. Marie, die älteste, liebte Zurückgezogenheit und Sammlung, sie ging ihre eigenen Wege, um die ihre glänzend beanlagte Schwester Emilie sie oft in edler Demut beneidete. Emilie (Emi) und Bettina dagegen verband nicht nur die innigste schwesterliche Liebe, sondern fast noch mehr dasselbe künstlerische Streben, ein gleichgerichtetes, schöngeistiges Talent, ein verwandtes ästhetisches Interesse und Verständnis. Beider Namen sind in der literarischen Welt bekannt und erscheinen durch mannigfache Beziehungen miteinander verknüpft.

Das Schwesternpaar wuchs in einer geistigen Atmosphäre auf, in der es als erste gesellschaftliche Pflicht galt, persönliche Achtung vor der Überzeugung Andersdenkender mit unnachgiebigen Festhalten an der eigenen harmonisch zu vereinigen. So hielt es der geistesstarke Vater, und so verlangte er es von seinen Angehörigen. War nach der ethischen Seite hin der Einfluß des großen Mannes auf die Kinder von wohltätigster Wirkung, so wurde auch die Ausbildung des Verstandes unter der Überwachung des erfahrenen, kenntnisreichen Gelehrten mächtig gefördert. Emilie und Bettina, beide schon von Natur wißbegierig, lebhaft, stets zum Fragen bereit, hatten an ihm ein lebendiges Nachschlagewerk, aus dem sie unvergleichlich gediegeneres Wissen schöpften, als eine tote Enzyklopädie ihnen hätte vermitteln können. Die Männer der Wissenschaft und Kunst: Klemens Brentano, Peter Cornelius, Joseph und Guido Görres, Ernst v. Lasaulx, Karl v. Obercamp, Phillips, Overbeck, Schelling, später namentlich auch der liebenswürdige Direktor des Münchener Konservatoriums Franz Hauser, die Frauen von Geist und künstlerischem Feinsinn: Bettina v. Arnim und ihre Tochter Gisela Grimm, Emilie Linder, später die Schauspielerin Sophie Schröder, welche im Hause Ringseis verkehrten, trugen alle bei zur geistigen Entwicklung und natürlichen Veredelung der reichbegabten Ringseisschen Töchter.
Häufige Spaziergänge ins reizende Isartal, Ferienausflüge ins bayrische Hochland und in die österreichische Alpenländer, eine Reise nach Belgien, die sie mit Sulpiz Boisserée und dem greisen Jugendschriftsteller Christoph v. Schmid zusammenführte, erschlossen den Sinn für die Schönheiten der Natur und bereicherten Verstand und Herz. "Es war aber auch herrlich, mit dem Vater zu reisen", schreibt Emilie später in ihrer Rückerinnerung an diese schöne Zeit, "die rege Viel-, um nicht zu sagen Allseitigkeit seiner Interessen, seine liebenswürdige Originalität und Güte, nach Umständen schon der Klang seines Namens öffneten ihm Pforten und Herzen und wandten ihm freundliche und lehrreiche Führer und Begleiter zu, wovon denn auch wir unsern Vorteil zogen".

Ein Puppentheater im elterlichen Hause weckte frühzeitig die Vorliebe für szenische Darstellungen, und hier war es vorzüglich die dichterisch veranlagte Mutter, welche anregend und leitend eingriff, während der gestrenge Vater eher kritisch beobachtend sich zurückhielt. Friederike v. Ringseis hat selbst einige Märchen- und Koboldstücke verfaßt, andere umgearbeitet, die von den beiden Töchtern und einigen Gästen des Hauses mit begeisterter Hingabe bei festlichen Anlässen aufgeführt wurden. Später kamen die Werke Emiliens an die Reihe; die Darbietungen wurden anspruchsvoller, künstlerischer, bedeutender. Auch der Zuhörerkreis erweiterte sich, und die beiden Schwestern wagten sich selbst auf die Bretter des Residenztheaters. König Ludwig I. beehrte die Aufführungen wiederholt mit seiner Anwesenheit. So erwachte in Emilie der Gedanke, selbst Schauspielerin zu werden, und jahrzehntelang machte ihr diese "chronische Versuchung" viel zu schaffen.

Vom Passionsspiel in Oberammergau im Jahre 1840 hatten die Eltern ihren eifrig lauschenden Kindern viel erzählt. Im Jahre 1850 fanden sich nun Emilie und Bettina selbst zu dem einzigartigen, damals allerdings noch recht anspruchslosen Spiele ein. Es machte auf sie einen unvergleichlichen Eindruck, und Bettina hat bis zu ihrem Tode nie unterlassen, jedes zehnte Jahr nach dem dem lieben Oberammergau hinzupilgern. Auch die Theater der Residenzstadt wurden frühzeitig besucht; mit acht Jahren wohnte Emilie der Aufführung von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" bei. So waren denn alle äußeren Bedingungen vorhanden, unter denen sich das eigene poetische und schriftstellerische Talent der beiden Schwestern regen und entfalten konnte.
Vorzüglich war es Emilie, deren Werke die Aufmerksamkeit der literarischen Welt auf sich lenkten und in weiten Kreisen uneingeschränkte Anerkennung fanden. Nach dem Tode der Dichterin widmete am 5. Februar 1895 die liberale "Allgemeine Zeitung" ihr folgenden ehrenvollen Nachruf, der es verdient, hier unverkürzt wiedergegeben zu werden, da er zugleich die wichtigsten Ereignisse dieses Künstlerlebens in prägnanter Kürze zusammenstellt:

"Die am 3. dieses Monats verstorbene Dichterin Emilie Ringseis war geboren zu München am 15. November 1831. Als die zweite Tochter des durch seine Charakterfestigkeit berühmten Obermedizinal- und Geheimrats Professor Dr. Johann Nepomuk v. Ringseis (1785-1880) erbte sie vom Vater den mächtige Geist und von der Mutter den feinpoetischen Sinn: Vorzüge, welche sich in einer ganzen Reihe von bedeutenden Leistungen rühmlich dokumentierten. So erschien 1854 ihr Schauspiel "Veronika", welchem 1858 die "Sibylle von Tibur", dann das reizende Märchenspiel "Die Getreue" (1862) und die Tragödie "Sebastian" (1868) folgten, sorgfältig gebaute und mit bewunderungswerter Feinheit durchgearbeitete Charakterbilder, welche mit überraschendem Erfolge, freilich meist nur von Dilettanten dargestellt, über die Brette gingen, wobei die Dichterin mit einer ganz eminenten Begabung die jeweilige Hauptrolle spielte. Im Jahre 1865 erschien die erste Sammlung ihrer "Gedichte", welcher 1873 eine zweite, neue Kollektion nebst mehreren kleinen Dramen folgte. Ein besonderes Verdienst erwarb sich Fräulein Ringseis durch die mit größter Sorgfalt ausgearbeiteten "Erinnerungen" an ihren Vater, welchem sie dadurch ein biographisches Denkmal setzte, das zugleich die Ära König Ludwigs I. in gründlicher Weise beleuchtet. Dann stimmet sie noch einmal ihre Harfe zu einem großen, hochbedeutsamen religiösen "Der Königin Lied" betitelten Epos, ein wahres Magnifikat, Hosanna und Halleluja des positiven Glaubens, voll großartiger Erfindung und strenger Durchbildung der Form, welche überhaupt alle ihre Schöpfungen kennzeichnet. Eine ausführliche kritische Würdigung ihres Schaffens gibt H. Keiter in seinen Zeitgenössischen Dichtern" (Paderborn 1884, 247-256); ihre Werke genügen vollauf, um ihr den wohlverdienten, unvergänglichen Lorbeer zu sichern."

aus: Alban Stolz und die Schwestern Ringseis. Ein freundschaftlicher Federkrieg. Herausgegeben von Alois Stockman S. J.
Sechste und siebte Auflage Freiburg im Breisgau 1923 (S. 16-21)

 

 


zurück zum Dichterinnen-Verzeichnis

zurück zur Startseite