Lebst du auch von jedem Wunsch geschieden,
Uns doch wirst du suchen und uns fröhnen;
Hast du stets auch Sängerruhm gemieden,
Uns doch wird ein Lied von dir ertönen.
Bist du reich auch, wie Carun* gewesen,
Bei der Liebe wirst du betteln gehen;
Warst du auch zur Herrschaft auserlesen,
Dienend wird man uns dich huld'gen sehen.
Eine Fackel dieses Saal's voll Schimmer
Wird wohl hundert Fackeln noch entzünden.
Leblos oder lebend, wirst du immer
Nur durch uns das Leben dir begründen.
Deiner Füsse Fessel wird sich lösen,
Reine Klarheit wird dich rings umstrahlen,
Und es wird auf deinem ganzen Wesen
Sich, durch uns, ein Rosenlächeln malen.
Tritt herein mit dem zerfetzten Kleide,
Dass du Herzen schau'st, die lebend leuchten;
Hüllst du auch in Atlas dich und Seide,
Wirst bei uns du doch zerfetzt dir däuchten.
Wenn zur Erde niederfällt der Samen,
Steigt empor als mächt'ger Baum er wieder:
Fandst du sinnig dieses Räthsels Namen,
Fällst mit uns auch du in Demuth nieder.
Tebris' hehres Sonnenlicht der Wahrheit**
Spricht zur Knospe auf den Herzens-Auen:
»Wenn dein Auge sich erschliesst in Klarheit,
Wirst, durch uns, du hell und deutlich schauen.«
* Carun
ist der Moses der heiligen Schrift. Er besass, nach den Mohammedanern,
unermessliche Reichtümer, die er sich durch Hilfe der Alchimie erworben
hatte,
in welcher Kunst der Prophet Moses, sein naher Anverwandter, ihm
Unterricht
gegeben. Eben so geizig als reich, weigerte er sich den von Gott
eingesetzten Zehend
seiner Habe zu bezahlen. Moses, wegen eines früheren Aufruhres dessen
Urheber Carun
gewesen war, schon gegen ihn erbittert, beklagte sich bei Gott über
diesen
Undankbaren; Gott erlaubte dem Moses ihn nach seinem eigenen Gutdünken
zu bestrafen, worauf der Prophet der Erde befahl, ihn sammt seiner
Familie
und allen seinen Reichtümern zu verschlingen.
** Bekanntlich beziehen alle persischen Odendichter den Endvers ihrer
Gedichte
auf sich selbst; Dschelaleddin Rumi aber, sich selbst vergessend,
bezieht ihn meistens auf seinen mystischen Lehrer, den Scheich
Schemseddin Tebrisi (Glaubenssonne aus Tauris, Verfasser des
mystischen Tractates: Mergubul-Kulub, d.i. Wunsch der Herzen), der,
angeblich ein Sohn des Fürsten der Assassinen
Choand Alaeddin, nachdem dieser die Bücher seiner Vorfahren
verbrannt hatte, von ihm nach Tauris, der Hauptstadt Aserbaidschan's
gesendet wurde, wo er sich, unter der Leitung des Scheich Rukneddin
Sedschassi, dem beschaulichen Leben weihte. Nach einem längeren, der
Frömmigkeit und der Gelehrsamkeit gewidmeten Aufenthalte daselbst,
kam er nach Konia (Iconium) in Kleinasien, wo er Dschelaleddin's
ausschließlicher Leiter wurde; als Neuerer verfolgt, musste er
letztgenannten Ort verlassen; er begab sich daher in Gesellschaft
Dschelaleddin's abermals nach Tauris, und kehrte mit ihm später
wieder nach Konia zurück. Von hier ging er sodann nach Syrien, und
während seiner zweijährigen Abwesenheit dichtete Dschelaleddin die
schönsten der an ihn gerichteten Ghaselen seines Diwan's, die er, im
Feuer der Begeisterung, auf eine Säule gestützt, improvisierte,
während seine Schüler dieselben aufschrieben.
Andere sagen dass, als Mewlana Dschelaleddin im Jahre 642 (1244)
öffentlich in Iconium, nach Art der alten Weltweisen, lehrte und die
ganze Stadt sich zur Anhörung dieses Meisters drängte, der Derwisch
Schemseddin Tebrisi, ein Schüler Ebubekr's und Scheich eines
Derwischen-Ordens, nach Iconium kam,
und dem Mewlana Dschelaleddin, der sich zu sehr den natürlichen
Wissenschaften und weltlichen Dingen gewidmet hatte, zum
beschaulichen Leben lud. Mewlana Dschelaleddin's zahlreiche Schüler,
darüber erbost, dass ihr Lehrer
seinen Unterricht aussetzte und stets eingeschlossen mit Schemseddin
Tebrisi lebte, wollten diesen Derwisch umbringen, der sich flüchten
musste, um dem Tode zu entgehen. Mewlana Dschelaleddin, untröstlich
über dessen Abreise, entsagte der Welt, ward Derwisch, und gründete
bei dieser Gelegenheit im Jahre 643 (1245)
den Derwischen-Orden der Mewlewi. Aus Liebe gegen seinen Meister
nannte er stets diesen, statt sich selbst, am Schlusse jeder Ghasele.
Schemseddin, der seinen berühmten Jünger überlebte und lebendig
geschunden zu werden verdammt wurde, liegt zu Konia begraben, wo
seine Grabstätte, der Gegenstand der Andacht der Mewlewi-Derwische
und der öffentlichen Wohltätigkeit osmanischer Sultane, noch heute
ein berühmter Gnaden- und Wallfahrtsort ist.
Dschami singt in einer seiner Ghaselen anspielend auf ihn:
Seit du Mond, als Tebris' Sonne,
Mit der Glanzgestalt erschienst,
Kennt Dschami, dem Molla ähnlich,
Tebris nur als Betaltar.
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