Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Heute kehrt der Tage schönster,
Denn den Theuren seh' ich wieder;
Heute hebt im reichsten Prunke
Sich der Sonne Glanzgefieder.

Gestern war der Freund voll Rache,
War voll heissen Durst's nach Blut;
Heute ist er laut're Milde,
Und belebt des Armen Muth.

Sprich vom Mond' und Sonnenlichte,
Von Peris* und Geistern nimmer:
Denn was gliech' ihm, der da strahlet
In des höchsten Glanzes Schimmer?

Wer sein Antlitz hat geschauet,
Und nicht fühlt des Todes Pein,
Ist fürwahr kein fühlend Wesen,
Ist wohl Marmor nur und Stein.

Alle gläubig-frommen Seelen,
Die da seine Gluth nicht kennen,
Muss der Pilger wahrer Liebe
Falsche und Ungläub'ge nennen.

Der du nimmer siehst, es könne
Wein nur seine Lippe seyn!
Sieh doch in mein trunk'nes Auge:
Gleich dem Glas' ist's voll von Wein.

Gabriel schlug an die Pforte,
Und mein Mond sprach: »Wer pocht wieder?«
Und er rief: »Ein nied'rer Sclave
Sank vor deinem Thore nieder.«

Sprach: »Wer ist's, der bei dir weilet?«
Sprach: »Wer sonst, als Liebesschmerz?«
Sprach: »Wo weilt der Schmerz der Liebe?«
Sprach: »Ihn birgt diess treue Herz.«

Nur Ein Blick als Schönheitszehend,
Silberbrust! ist mein Verlangen,
Denn mein Auge strotzt von Perlen,
Und wie Gold sind meine Wangen.

Sprach: »Nur durch der Pforte Ritzen
Sei dir jetzt ein Blick erlaubt.«
Und ich flog an deine Pforte,
Und berührte froh mein Haupt.**

Sprach: »Die kleinsten Weltatome
Müssen Liebe für mich fühlen;
Flieh, o flieh, mit solchen Waaren
Kann ich nur verächtlich spielen!«

Steig' empor, o helle Sonne
Von Tebris, der Liebe Hort!
Diese glutherfüllte Sage
Ueberstrahlt ja jedes Wort.

* Peris sind die weiblichen Genien der morgenländischen Fabelwelt,
eine Art Elfen oder Feen, die Naturgeister der alten Mythologie,
luftige, höchst schöne, wohlthätige und sanfte Wesen.

** Das Berühren des Hauptes ist die Pantomime des orientalischen Grusses.
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