Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Unser Reigen, theure Seele,
Ist nur geistiger Natur;
Meide d'rum bei diesem Tanze
Stets des Hochmuth's fernste Spur.

Unser Reigen kennt den Dünkel,
Kennt die schnöde Selbstsucht nicht:
Männlich deinem Selbst entsagen
Sei darum dir strenge Pflicht.

Unser Reigen ist nicht Körpern,
Ist nicht Seelen unterthan;
Schwinge dich im Sphärenschwunge
Ueber aller Secten Wahn!

Unser Reigen ist Berauschung,
Liebe ohne Sinnentrug,
Und er gähret, gleich dem Weine,
In des Körpers ird'nem Krug.

Unser Reigen bannt die Bosheit,
Bannt den Hass aus jeder Brust,
Macht gar leicht dich frei vom Stolze,
Reinigt dich von wilder Lust.

Unser Reigen lässt der Seele
Wundervollen Garten schau'n;
Deines Grames Dornenfelder
Wandelt er in Rosenau'n.

Unser Reigen ist des Lebens,
Ist der Jugend ew'ger Quell:
Bist du Chiser*, o so trinke
Von dem Lebenswasser schnell!

Unser Reigen ist ein Festtisch,
Wo Gott Köstliches vereint;
Wohl der glückbetheilten Seele,
Die dabei als Gast erscheint!

Unser Reigen ist ein selt'nes,
Wunderbares Unterpfand,
Das des Allerbarmers Gnade
Legte nur in Menschenhand.

Unserm Reigen bebt die Erde,
Wenn ihr Auge auf ihn fällt,
Und von Furcht und Angst erschüttert
Wird des Himmels Azurzelt.

Unser Reigen, Alle sprechen
Die da einmal ihn geseh'n:
»Nimmer haben wir die Kräfte
Jenen Tanz zu übersteh'n!«

Unser Reigen ist der Antheil,
Der in reinen Geistern wohnt,
So wie unsers Körpers Antheil,
Jener Geist der in ihm thront.

Unser Reigen ist voll Fürsten,
Herrschend in der Liebe Land:
Sieh, wie Einer stets dem Ander'n
Des Verdienstes Ball entwand!

Unser Reigen ist ein Pfandgut
Das der Schöpfer, huldbewegt,
In des dankerfüllten Adam's
Frohe Hände hat gelegt.

Unser Reigen ist erhaben
Ueber jede Himmelsflur;
Unerforscht ist diess Geheimniss,
Und du prüfst es fruchtlos nur.

Unser Reigen ist die Wüste
Immerdar mit Blut gefüllt:
Horch, wie in der Wüste Mitte
Eine Schaar von Löwen brüllt!

Unser Reigen ist als männlich,
Ist als kriegerisch bekannt,
Weil er stets aus seinem Kreise
Alle Weiber hat verbannt.

Unser Reigen ist kein Wohnplatz
Für die nied're Dienerschaar:
Jeder ist darin ein König,
Ja ein Weltmonarch sogar!

Unser Reigen ist die Wonne
Gott von Angesicht zu schau'n;
Vor des Teufels schlauen Ränken
Darf darin uns nimmer grau'n.

Unser Reigen - wenn der Molla
Fromm in dessen Ringe weilt,
Wanket er und wird von Schrecken,
Und von banger Furcht ereilt.

Unser Reigen - setzt der Molla
Sich in dessen hehren Kreis,
Nahen Gottes fromme Männer
Diesem Kreise schaarenweis.

Unser Reigen - zwar man übt ihn
Nur auf nied'rem Erdengrund,
Und doch macht er Sonnen kreisen,
Und der Sterne lichten Bund.**

Unser Reigen ist ein Festtag,
Kennt nur Lust und keinen Schmerz,
Und kein Seufzen und kein Stöhnen
Presst er aus der Menschen Herz.

Unser Reigen ist das Leben,
Ist die Seele der Natur:
Ohne Seele ist die Erde
Wohl ein lächelnd' Feuer nur.

Unser Reigen ist ein Garten,
Huris weilen d'rin voll Huld;
Aber ach, du bist erblindet,
Und diess ist nicht meine Schuld.

Unser Reigen, ihn beschränket
Nicht des Himmels hehres Feld,
Denn an Höhe sind ihm Schranken,
Sind ihm Gränzen nicht gestellt.

Unser Reigen gleicht dem Schatze
Der mit Perlen ist gefüllt;
Tausend Meere, tausend Schachte
Hat er überall enthüllt.

Unser Reigen ist unschätzbar,
Ist der köstlichste Gewinn;
D'rum, o Sohn, gib nicht zu wohlfeil,
Gib um keinen Preis ihn hin!

* Chiser, der Hüther der Quelle des Lebens im Lande der Finsternis.

** Wörtlich: Dennoch drehen sich stets durch ihn die Sonne und Saturn.
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