Lessie Sachs (1897-1942) - Liebesgedichte

Lessie Sachs



Lessie Sachs
(1897-1942)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:






Für Dich

Als sich mein Weg im Anfang zu Dir bahnte,
Da war es so, als ob das vorgeahnte,
Und vorbestimmte Schicksal zu mir hin,
Ein Wissen trug um aller Liebe Sinn.

Denn das, was vorher war, war Vorbereiten,
War Zögern, Rausch; war Strömung; war Entgleiten.
War Sehnsucht, Trieb, Erfahrung, Irrtum, Spiel,
War Weg und Wandrung, ferne von dem Ziel.

Denn es war so, ob das Blut noch säume,
Und wo es ganz sich hingab, halb noch träume ...
So blieb der Seele Glanz und Feuer rein,
Und Glut und Süsse sind für Dich allein.

Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 5)

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Doch erzähle davon nicht

Über Liebe, über Ehe,
Denke wie Du willst und magst;
Doch erzähle davon nicht.
Denn wie ich das übersehe,
Ist doch Irrtum, was Du sagst,
Ist doch Irrtum, was man spricht.
Was man sieht aus grosser Nähe,
Was Du tust, und was Du wagst,
Zeigt ein wechselndes Gesicht.

Alles strömt, nichts ist zu halten,
Wo Gefühl und Leidenschaft,
Auf und nieder schwankend gehn.
Sich erhitzen, und erkalten,
Sind wir frei bald, bald in Haft.
In dem fließenden Geschehn,
Wird doch das, was wir gestalten,
Was wir tun, was wir geschafft,
Untergehen und verwehn.

Alles treibt und wird getrieben,
Gleitet, strömt, man merkt es kaum,
Füge schweigend Dich hinein.
Was wir sind, was uns geblieben,
Und was echt war, oder Schaum,
Sehen wir sehr spät erst ein.
Wenn wir wissen, dass wir lieben,
Zarte Tönung, schöner Traum,
Soll man still und glücklich sein.

Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 6)

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Lassen wir es nun dabei bewenden

Ach, Gefährte meiner frühen Jahre,
Und auch vieler Träume, vieler Träume Ziel.
Unsre Bindung hat das Sonderbare,
Daß sie schwebend ist; halb Ernst, halb Spiel,
Teils zu wenig, und zum Teil zu viel,
Und, dass ich nicht weiss, und nie erfahre,
Ob ich Dir gefiel, ob nicht gefiel.

Sind wir nicht verloren, gleich den Sternen, ...
Ach, man lebt in unbekanntem Raum.
Während wir uns nähern und entfernen,
Rühren wir nur an der Dinge Saum.
Denn wir wissen nichts; wir wissen kaum,
Und mir scheint, daß wir es niemals lernen,
Ob wir wahrhaft leben, ob im Traum.

Lassen wir es nun dabei bewenden,
Daß man uns die Lösung vorenthält.
Wir erkennen: was man auch in Händen,
Glaubt zu halten: dass man es nicht hält.
Und, indes man wechselnd steigt und fällt,
Sind wir den gefährlichsten Geländen
Ohne Sicherung anheimgestellt.


Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 7)

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Föhn in der Nacht

Es hat ein Föhn sich aufgemacht,
Der heult um's Haus,
Und singt und geigt,
Und weht und schweigt;
Es stürmt die ganze Nacht.

Es hat ein Schmerz sich aufgemacht,
Der traf mein Herz.
Wo kam er her?
Ich weiss nicht mehr.
Ich bin davon erwacht.

Es hat ein Mann sich aufgemacht.
Ich weiss nicht wo;
Ich weiss nicht wann;
Er kam nie an. -
Ich warte in der Nacht.

Es hat ein Traum sich aufgemacht,
Der zog vorbei,
Entstand, entwich ...
Und zögernd schlich
Vorüber diese Nacht.


Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 8)

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Lyrisches Gedicht

"Sie mit Ihren wunderbaren Händen, ..."
Sagt der Mann, der heut bei mir zu Gast.
Was er will, das hab ich scheu erfasst;
Heimlich denke ich: wie wird das enden?
Weil mir leider dieser Herr nicht passt.

Und er sagt, er liebt nur kluge Frauen,
Hierauf bleibe ich vielsagend stumm;
Besser ist es oft, man stellt sich dumm.
Er fährt fort, mich glühend anzuschauen,
Dies Erlebnis wirfst ihn um und um.

Und dann sagt er, ganz wie im Romane:
Meine Hände seien so graziös,
Und pervers und geistvoll und nervös, -
Er ist offenbar im Liebeswahne.
Er meint's ernst! - (Der Kaufmann sagt: seriös.)

Ich markiere Tragik und Erstaunen,
Wer Geduld hat, hört sich sowas an.
Niemals widerspreche man dem Mann,
Denn der Man spricht dann von unsern Launen.
Man sei ganz nach Wunsch, soweit man kann.

Selten kommt der Rechte, meine Damen,
Wer uns liebt, den liebt man meistens nicht. -
(Ich verwende, was mir nicht entspricht,
Gern gelegentlich zu einem zahmen,
So wie oben, lyrischem Gedicht. -)


Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 10)

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Das Herz nimmt Urlaub

Ich habe Mitleid mit dem eignen Herzen,
Es schlägt und schlägt und schlägt und schlägt und schlägt.
Man reimt es schon jahrhundertlang auf Schmerzen, -
Gefällt ihm das? - Es schlägt und schlägt und schlägt.

Ich selber gönne mir doch manchmal Ruhe,
Jedoch es schlägt und schlägt und schlägt und schlägt.
Es gibt doch Zeiten, wo ich garnichts tue ...
Mein Herz hingegen schlägt und schlägt und schlägt.

Ich denke mir, dass es Erholung brauche,
Jedoch es schlägt und schlägt und schlägt und schlägt.
Zu schlimm ist auch, dass ich fortwährend rauche,
Verträgt es das? - Es schlägt und schlägt und schlägt.

Allmählich dann verkalken die Arterien, ...
Noch schlägt das Herz und schlägt und schlägt und schlägt,
Und schliesslich geht es doch einmal auf Ferien, -
Das Herz nimmt Urlaub ... schlägt es noch? ... es schlägt ...

Und, weil wir uns so sehr daran gewöhnen,
Dass etwas für uns schlägt und schlägt und schlägt
Schickt uns das Herz jetzt, - um uns auszusöhnen, -
Die letzte Stunde, welche nun uns schlägt.

Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 11)

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Logos ist männlich

Die Frau von heute sagt: sie hat Interessen,
Auch fühlt sie ein Bedürfnis nach dem Geist.
Ich aber sage, ehrlich und vermessen,
Auf dem Gebiet ist sie nur zugereist.

Sie sagt, sie sei sehr unterdrückt gewesen,
Und das solange, wie sie denken kann.
Ja, kann sie das? ... Es trug bisher die Spesen
Für alles Geistige sehr brav der Mann.

Heut will die Frau die Dinge selbst verwalten,
Sie sagt, sie kann das ... nun, wir werden sehn;
Sie werden mich für sehr veraltet halten, -
Ich glaube dies: der Mann nur hat Ideen.

O, nur gemach! - Sie dürfen nicht gleich schelten,
Hier sprach niemand von mindrer Qualität.
Man kann ja anders sein, und dennoch gelten;
Ich sag nur: Artverschiedenheit besteht.

Die Frau sei Frau; und dies vor allen Dingen.
Denn sie regiert ja sowieso die Welt;
Dem Manne wird sein bestes Werk gelingen,
Wenn es der Frau gilt, welche ihm gefällt.

Logos ist männlich; Frauen sind ein Segen;
Nicht immer zwar; doch schliesslich dann und wann.
Da bringen sie als heimliche Strategen
Eventuell die Welt ein Stück voran.

Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 17)

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Fatales Zerwürfnis

Er hat mich wochenlang nicht angeläutet,
Zwar ist er weder Freund mir, noch mein Mann,
Weshalb er auch für mich viel mehr bedeutet,
Auf seinen Anruf kommt es wirklich an. -

Er ist der Mann, der nie Dich wird begehren,
Und dennoch weiss man, dass man ihm gefällt.
Man lebt mit ihm, weiss Gott, in allen Ehren,
Was keiner, ausser Dir, für möglich hält.

Er ist so eine Art von Seelenkrücke,
Der wicht'ge Dinge gern für uns erwägt,
Man geht beständig über eine Brücke,
Und er versichert, dass die Brücke trägt. -

Was nützen Siege uns, die wir erreichten,
Wenn niemand ist, der dem Berichte lauscht?
Massgebend ist der Mann, dem wir es beichten -
Er kritisiert, - denn er ist nicht berauscht. -

Ob ich ihn anzurufen endlich wage?
Gefährlich, nicht recht sicher scheint die Welt.
Geländerlose Treppen sind die Tage, -
Man fühlt sich grässlich auf sich selbst gestellt.


Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 21)

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Vielleicht ...

Heut sah ich auf der Strasse einen Herrn,
Er sah mich mutig an, - jedoch vergebens.
Er hatte meinen Typ wahrscheinlich gern,
Vielleicht war er die Chance meines Lebens?

Vielleicht war er der beste Mann der Welt?
Ich ging vorbei, um's nachher zu bereuen, -
Ich war so garnicht auf ihn eingestellt,
Man steht manchmal so ängstlich vor dem Neuen.

Vielleicht war er der Mann, der mir gefehlt,
Vielleicht ... hab' ich nicht viel an ihm verloren.
Der Zeitpunkt jedenfalls war schlecht gewählt:
Es gibt Momente, welche fehlgeboren ...


Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner) (S. 22)

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Wir haben uns verfehlt

Ich weiss bestimmt, Sie leben irgendwo,
Wir hätten gern einander Du gesagt.
Die Welt ist gross, es geht auch schliesslich so ...
Vorläufig wird Persönliches vertagt.

Das ist ein Fehler; denn die Welt ist gross;
Und später bleibt zum Suchen nicht viel Zeit.
Man hofft, wie alle, auf das grosse Los;
Man zieht es nie; und tut sich selber leid. -

Man lebt in einem sehr begrenzten Kreis,
Und kennt die Menschen kaum im eignen Land.
Sie leben irgendwo ... weil ich das weiss,
Betrübt es mich, dass ich Sie niemals fand.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Unzureichend

Lass mich in Ruh; Du bist kein junger Gott.
Ich muß mit Dir mich auseinandersetzen.
Du bist, das glaube mir, für mich zu flott.
Du wirst bald kühl; dann wirst Du mich verletzen.

Du bist sehr schön; sehr schillernd, glatt, gewandt,
Doch, leider Gottes, hast Du Deine Grenzen.
Für einen Abend warst Du interessant. -
Sei mir nicht bös'! Ich zieh' die Konsequenzen ...

Und folglich wirst Du mich nicht wiedersehn;
Ich mochte sonst Dich wirklich recht gut leiden;
Jedoch wer möchte über Glatteis gehn?
Solange man nicht muß - soll man's vermeiden.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Verschwendung

Ich sah die hingeneigte, ganz hingeneigte Wendung
Einer alten, sehr alten Frau zu einem jungen Kind.
In dem betagten Gesicht sah ich jene Verschwendung,
Zu der nur sehr erfahrene Menschen imstande sind.

Antlitz, Blick und Gefühl fragt nicht, was ihm selbst verbliebe,
Das ist die Würde des Herzens, welches an sich nicht denkt.
Verschwendung bedeutet die grösste Noblesse der Liebe,
Zuneigung, welche nicht fordert, die grandios sich verschwendet.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Frühling

Die Sonne scheint, und man ist bass erstaunt,
Die Bäume schmücken sich mit Perlen-Schnüren,
Und haben, weiss Gott, junge-Braut Allüren,
Und alle Welt ist plötzlich gut gelaunt.

Der Frühling kommt wahrhaftig jetzt in Gang,
Der Herr von nebenan pfeift "Winterstürme", -
Der Häftling denkt, wie er am besten türme, -
Du denkst: wie werd' ich wieder jung und schlank? -

Man sollte jetzt sofort die Grosstadt fliehn,
Die Kinder spielen draussen Ringelreihe, ...
Vielleicht kann man am Sonntag doch in's Freie, ...
Doch hat man leider garnichts anzuziehn. -

Man wärs eigentlich jetzt gern zu zwei'n,
Man ist bereit zu jeder Art von Märchen, -
Zur Hälfte sind die Menschen Liebespärchen,
Die and're Hälfte möcht es gerne sein.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Inter-Mezzo in Moll

Abendlicher Himmel; rosa Wölkchen ziehen so dahin, ...
Wird sich jetzt noch ein Spaziergang lohnen?
Gut noch, dass wir zwischen Bäumen wohnen, -
Zwar ist's hintenraus, - doch immerhin - ! -

Abendlicher Himmel; Vögel singen überall ihr Lied ...
Während wir auf unser Nachtmahl warten,
Sehn wir vom Balkon das Stückchen Garten,
Dankbar, dass man etwas Grünes sieht.

Abendlicher Himmel; zwischen Haus und Haus ist Baum und Duft;
Autos rufend summen aus der Ferne,
Und man lebt im Augenblicke gerne,
Man holt Atem; - hier ist gute Luft.

Abendlicher Himmel; sanft verschleiert, denn die Nacht will nahn,
Häuser selbst verlieren ihre Strenge,
Und Dein Herz fühlt eine süsse Enge,
Es ist Schlaf und Träumen zugetan ...

Abendlicher Himmel; Schatten dämmern blau und grau um's Haus,
Es wird kühl. - Man wendet sich in's Zimmer,
Dort ist Licht, und alles ist wie immer. -
- Nach dem Abendbrot geht man noch aus.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Chanson

Ich habe einen Bräutigam im fernen U.S.A.
Ach, er verliebte sich in mich, sofort als er mich sah ...
Und darauf ging er wieder fort, das ist jetzt zwei Jahr' her,
Wie ist ein Brautstand doch so schwer, so über's grosse Meer!

Und jetzt, da schreibt er Sonntags stets den fäll'gen Brief an mich
An Wochentagen tut er's nie, die Daten ich verglich,
Wenn er in allen Dingen so, - so nach dem Schema geht, -
Mein Gott, wie wird es schwierig sein, bis er mich recht versteht.

Denn ich - ich hab' mal keine Lust,
Und mal sag' ich: Du musst, du musst,
Vielleicht will ich's am Sonntag nicht,
Doch Montag bin ich drauf erpicht,
Die Frauen sind ja launenhaft,
Besonders in der Leidenschaft!

Die Briefe meines Bräutigams einander ähnlich sind,
Als Anrede da schreibt er stets: mein liebes, liebes Kind!
Der Koseworte gibt es viel, das hat man mir erzählt,
Die Wirkung hat bestimmt verfehlt, wer stets das gleiche wählt.
Er schreibt mir stets, er träumt von mir, jedoch das nützt nicht viel
Man braucht doch mehr als einen Traum zu einem Liebesspiel!
Wenn er in allen Dingen so, so wenig nüanciert,
Wie schafft es dann mein Bräutigam, dass er mich amüsiert?

Denn ich, - ich sag' vielleicht: yes, Sir,
Und mal schenk' ich ihm kein Gehör, -
Vielleicht, dass ich es morgen tu, -
Doch heute möcht' ich meine Ruh!
Weh' dem, der keinen Wechsel schafft,
Besonders in der Leidenschaft.

So sitz' ich in Europa hier, und er in U.S.A.
Der Weg ist ja wahrhaftig weit bis nach Amerika! -
Jetzt bin ich hier, und er ist dort, doch denken wir zugleich:
Wie macht doch so ein Brautstand bleich, so über'n grossen Teich! -
Ich frag' mich oft, wie wird es sein, wenn wir einmal zu zwei'n,
In jedem Brief am Schlusse steht, ich bin für immer Dein!
Doch wenn ich meinem Bräutigam die ewige Treue schwör? -
Dann heisst's für das, was er verlangt zu jeder Zeit: yes Sir. -

Und ich - ich denk' mal das ist Glück,
Und mal schreck' ich davor zurück,
Mal denk' ich, wenn's nur soweit wär',
Und manchmal will ich garnicht mehr ...
Der Wechsel stärkt die Liebeskraft -
Besonders in der Leidenschaft.

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Kleine Elegie

Draussen ist es bitterkalt,
Und desgleichen ist der Mann,
Den ich nicht bekommen kann,
Und er sagt, er geht jetzt bald.

Welcher Kummer, welcher Schreck!
(Ach, man wäre gern intim ...)
Sehnsucht hat sein Bett nach ihm,
Sagt er, und schon ist er weg.

Folglich ist man, das ist klar,
Jetzt allein und fragt: warum? -
Doch die Möbel bleiben stumm,
Wie das zu erwarten war. -

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Song

Meine Türe knarrt, ... und daran, Sie verstehn,
Erkenn ich, was ich von dem Mann,
Der zu Besuch ist, halten kann, -
Denn er hat sich in mich vernarrt,
Sagt er: Gott, wie die Tür hier knarrt! -
Es muss dagegen doch schleunigst was geschehn! -

Meine Tür knarrt, ... und, seitdem Sie verstehn, -
Hat mancher unbewusst gesagt,
Was er noch nicht zu zeigen wagt,
Denn will der Herr, dass ich mit ihm,
Mal werde, was man nennt: intim, -
Sagt er: diese Türe - ... sie könnte leiser gehn! -

Meine Türe knarrt, ... und damit Sie verstehn,
Ist, wo man garnicht hingedacht,
Die Falle zweckvoll angebracht,
Zum Vorschein kommt, was noch verdrängt,
Wenn er sich in der Falle fängt,
Ich bin entsprechend orientiert, - wie Sie sehn.

Meine Türe knarrt, - und seitdem Sie verstehn,
Bin ich der Tür, die knarrt, nicht bös, -
Sie macht nur manche Herren nervös, -
Die Tür verkündet das Geschick
Weit besser mir als Wort und Blick ...
Sie knarrt? - o ja, - doch, Sie, Herr!! dürfen gehn!

Aus: Lessie Sachs Collection 1
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Ich habe Sehnsucht

Ich wäre gerne möglichst unbekannt,
In einer neuen Stadt, in neuer Atmosphäre;
Vielleicht sogar in einem fremden Land,
Wo alles anders als zu Haue wäre.

Ich lebte gern in einem neuen Kreis;
Ich würde mir recht viel davon erhoffen.
Man hat bei neuen Freunden, wie man weiss,
So viele neue Möglichkeiten offen.

Ich möchte fremd auf fremden Strassen gehn;
Und, wo ich bin, das sollte keiner wissen.
Und, wo ich hingeh, sollte keiner sehn.
Ich lebte gern ganz im Ungewissen.

Ich möchte einen Dunstkreis um mich ziehn.
Ich möchte fortgehn; fort. - Ich möchte wandern.
Die neue Stadt singt neue Melodien.
Ich ginge still für mich im Strom der andern.

Ich möchte wittern; ahnen; zögern; schaun.
Ich möchte wieder die Gefahren spüren,
Wenn wir bezaubert halb, und halb mit Graun,
Uns mit dem Dasein allzu nah berühren.

Mir scheint, so kommt die schöpferische Kraft
Aus den gefühlsbetonten Augenblicken;
Aus Traumgeist, Sehnsucht, und aus Leidenschaft ...
- Ich will die Sachlichkeit gern strafverschicken.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Geh fort ... bleib da

Sie sind noch völlig neu in meinem Leben;
Ich weiss auch garnicht recht, was daraus wird.
Ich möchte Ihnen meine Hände geben,
Doch ich hab Angst, dass man sich wieder irrt.

Sie waren neulich, als Sie zu mir kamen,
Nichts anders, als ein fremder Herr für mich.
Doch Ihre dunklen Augen unternahmen,
Mehr, als Sie selber wussten, glaube ich.

Sie kamen wieder; und in Atemnähe,
Erschien mir Antlitz, Geste, Blick und Wort,
Garnicht mehr unbekannt; o weh, ich sehe,
Du wirst mir lieb sein ... gehe wieder fort.

Geh fort ... bleib da. - Wer lang allein geblieben,
Glaubt gegen jede Neigung sich immun.
Man wollte ganz gewiss nie wieder lieben,
Und wird es ganz gewiss stets wieder tun.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Du sollst nicht starten

Und wenn man auch beinah vor Sehnsucht stirbt,
Es ist doch besser, wenn man garnicht liebt.
Drum, wenn Dich wieder mal ein Mann umwirbt,
Bedenke, was es dann für Aerger gibt.

Bedenke dies zum Beispiel: Eifersucht;
Doch eine Hölle, ziemlich Tag und Nacht.
Ich anempfehle tunlichst schnelle Flucht,
Eh das bewusste Feuer angefacht.

Bedenke dringend: Du bist nicht mehr frei;
Denn, als er neulich abend garnicht kam, ...
Nicht wahr? - Man wird doch recht nervös dabei.
Ich mache auf dergleichen aufmerksam.

Man kommt mit keiner Arbeit mehr voran.
Wann hast Du Zeit? nun, morgen? - Aber gern.
Du hast nicht Zeit. - O doch für diesen Mann ...
Ach, man hat Zeit für den verliebten Herrn.

Was hast Du sonst getan? - Du bist vernarrt;
Du lebst so himmelblau, - Du bist ein Tor.
In Sachen Liebe warn ich vor dem Start.
Du startest doch? - Ja, das kommt eben vor.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Vor uns steht die Nacht

Seit langer Zeit schon suchst Du meine Nähe,
Noch unbewusst und zögernd, wie ich sehe.
Doch näher kommst Du, näher ... bleibe still;
Ich höre Dich. .. da ist ein retardierendes Moment,
Das wie ein ganz verhaltenes piano noch uns trennt,
Sei still ... ich höre Dich, weil ich das will.

Die sanfte Anmut unsrer Zärtlichkeiten,
Die Wort und Blick, und Blick und Wort begleiten,
Solange nichts geschieht, und nichts geschah,
Die untergründig noch, verdeckt, verschwiegen und verhüllt, -
Sind so von werbender und suggestiver Kraft erfüllt,
Dass Du mir schon sehr nah, - gefährlich nah.

Du kommst mir näher, näher ... und die Stunden
Sind abendlich, - doch schon der Nacht verbunden.
Die Nacht steigt auf. Crescendo! - Gib nun acht,
Die Nacht kommt näher, näher kommt die Nacht. - Elementar
Erwacht die Leidenschaft, gebieterisch und wunderbar,
Apassionata! - Vor uns steht die Nacht.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Heilige Nacht

Eis und Kälte kommen wieder,
Und die matte Sonne malt
Blaue Schatten in den Schnee,
Der im zarten Glanz erstrahlt;
Früh senkt sich die Nacht hernieder.

Vieles müssen wir ertragen. -
In den Wäldern weht ein Wind ...
Still rührt uns ein Zauber an,
Von Maria mit dem Kind,
Wie ein Klang aus fernen Tagen.

Vieles haben wir verloren.
Sei nur still; ein Hauch, ein Traum,
Steigt empor und fängt Dein Herz.
Sanft erklingt ein Wort im Raum:
Diese Nacht ist auserkoren.

Vieles müssen wir entbehren.
In den Wäldern braust ein Sturm ...
Heilig ist die Nacht. - Sei still. -
Denn nun läuten hoch vom Turm
Alle Glocken, Gott zu Ehren.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Ich möchte leise sein

Ich richte meine Sehnsucht an ein unbekanntes Ziel.
Und manchmal ist der Klang von einem Lied,
Das sanft vorüberstreicht, und dann entflieht,
Mir schon zuviel.

Ich möchte leise sein; da war ein Ziel, das mir entfiel.
Man sehnt sich ... Doch die süsse Stille sieht
Mich zärtlich an, die nun mich einbezieht,
In Traum und Spiel.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Entsteht so die Liebe?

Ich hatte mich, als er kam, sehr gesehnt;
Ich fühlte von allen mich abgelehnt,
Und wirklich abscheulich verlassen,
Mit einem Wort: ich war einsam.

Er sagte, es ginge ihm ebenso,
Er liefe umher, und er sei nicht froh,
Und die Welt sei wert, sie zu hassen.
O seht! Wir klagten gemeinsam.

Die Liebesbereitschaft folglich war da;
Entsteht so die Liebe? - Genau so, ja.
Man soll nicht soviel komplizieren,
Mir kommt man nicht problematisch.

Man orientiert sich heut fleissig nach Freud,
Und wird durch Herrn van de Velde gescheut,
Man spricht auch von abreagieren ...
Ach, Blech! - Man sei sich sympathisch.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Du bist nicht da

Ich gehe wie mein eigner böser Geist
In meiner Wohnung um und um und um.
Mein Schatten folgt mir eilig, still und stumm,
Ich fühle eng und lauernd mich umkreist,
Ich fühle mich verloren und entgleist.

Du bist nicht da. - Das macht die Welt so dumpf.
Ich höre nichts, als meinen eignen Schritt,
Der läuft geschäftig mit mir mit und mit ...
Die Zeit indes schleicht langsam, träg und stumpf
Und mündet trüb in einem trüben Sumpf.

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Kleines Liebeslied

Läßt Du mich allein, mein Lieber,
Gibt es viel, worüber ich
Mich betrübe, und mich härme.
Plötzlich denke ich an Dich.
Da erfaßt mich eine Wärme,
Schnell und strahlend, zart und nah',
Wie ein rasches, leichtes Fieber,
Und mir scheint, Du wärest da.

Was ich habe, was ich bin,
Von dem Kopf bis zu den Füßen,
Denkt an Dich, träumt zu Dir hin,
Und läßt grüßen, läßt Dich grüßen! -

Und es scheint mein Herz voll Ruhe,
Und verhaltner Kraft zu sein.
Und es hüllt mich diese Welle
Süß und heiter brennend ein.
Und das Dunkle und das Helle,
Mischt sich sanft, wie schöner Samt,
Was ich denke, was ich tue,
Ist verzaubert, ist entflammt. -

Aus: Lessie Sachs Collection 2
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Lessie Sachs Collektion 1:
http://archive.org/details/lessiesachscolle11unse

Lessie Sachs Collektion 2:
http://archive.org/details/lessiesachscolle12unse

 

 

Biographie:

Lessie Sachs: Tochter des Neurologen Heinrich Sachs.
Sie besucht zunächst die Kunstgewerbeschule in ihrer Heimatstadt Breslau, dann in München. Dort wird sie wegen pazifistischer Aktionen in der Zeit der Räterepublik inhaftiert (vorübergehend). Sie kehrt nach Breslau zurück und leitet dort ein Atelier für Seidenmalerei.
Ihre Gedichte und Prosatexte erscheinen in Zeitschriften wie dem Simplizissimus, Uhu und der Vossischen Zeitung, als auch in Anthologien. 1933 heiratet sie den 12 Jahre jüngeren Breslauer Pianisten Josef Wagner.
Im Dezember 1932 präsentiert Josef Wagner in Breslau seine Kompositionen zu Gedichten von Lessie Sachs.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kann Josef Wagner seinen Beruf nicht mehr ausüben; Gedichte von Lessie Sachs dürfen nicht mehr erscheinen. 1937 verlassen beide Deutschland und emigrieren nach Amerika.
Über die wenigen Jahre bis zu ihrem frühen Tod 1942 gibt es kaum biographische Hinweise. In den USA schreibt Lessie Sachs für die deutschsprachige jüdische Wochenzeitung Aufbau.
Lessie Sachs stirbt Anfang 1942 nach langjähriger Krankheit.
Zwei Jahre später veröffentlicht das von Friederike Zweig geleitete "Writers Service Center" posthum die Tag- und Nachtgedichte, eine kleine Auswahl aus ihrem lyrischen Werk.

 

 


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