Julia Virginia Scheuermann (1878 - nach 1936) - Liebesgedichte

Julia Virginia Scheuermann



Julia Virginia Scheuermann
(1878 - nach 1936)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Fata Morgana

I.

Februarabend. – Die schweigende Welt
In der Sonne sterbende Gluten getaucht.
Von dumpfem Verlangen die Knospen geschwellt,
Von zitterndem Sehnen die Seele durchhaucht;

Von zitterndem Sehnen nach Frühling und Glut,
Denn der Winter war schaurig und kalt –
Mein Gott, wie sich's wohlig im Arme dir ruht!
Wie ich vergehe an deiner Gestalt!

Ich glaube, ich habe gesucht und verlangt
Mein ganzes junges Leben nur dich,
Ich glaube, ich habe nach dir nur gebangt,
Wenn mich das zehrende Fieber durchschlich.

Nun hob ich – nun fass ich – nun halt ich dich, Glück!
Ich schliesse die Augen selig und matt. - -
Wir fahren in trunkenen Träumen zurück,
Zurück ins Gewoge der grossen Stadt.
(S. 19)
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II.
War's Sünde? –

– – – Auf dem Canale grande war es –
In einer märchenschönen Mainacht Prangen.
Lind schmeichelnd floss die Nachtluft um die Glieder
Vom Ufer Tassos alte Weisen klangen
So leis, so leis.

Wir beide sachte gleitend in der Gondel –
Mondlichteswellen wogten uns entgegen.
Die buhlten zärtlich mit den feuchten Fluten.
Und alles flimmerte im Strahlenregen
So weiss, so weiss.

War's Sünde, dass in all der grossen Schöne
Sich unsrer stummen Sehnsucht Flügel spannten?
Und dass – berauscht vom Taumeltrank des Lebens –
Die roten Lippen ineinanderbrannten
So heiss, so heiss? –
War's Sünde? – – – – – – – –
(S. 20)
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III.

Es waren Stunden, schön und glanzumsponnen,
Die wir in der Uffizien heil'gen Auen
Verträumten einst in andachtsvollem Schauen,
– Umspielt vom Friedenshauche der Madonnen.

Denn unterm Glutstrahl goldgemalter Sonnen,
Beim Anblick heitrer Himmel, die dort blauen,
Begann es in den Herzen leis zu tauen –
Nordländ'sche Nebel waren bald zerronnen.

Es trafen unsre Augen sich im Kusse.
Wir wurden eins im Fühlen, eins im Denken.
Und unsre Seelen neigten sich zum Grusse.

Ein Engel wollte sich herniedersenken,
Begnaden uns mit seinem Überflusse – –
Da mussten wir die Schritte heimwärts lenken.
(S. 21)
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IV.

Wir schritten durch der Accademia Flur,
Den Frieden suchend, der uns fehlte.
Doch unaufhaltsam wuchs die Flamme nur,
Die heimlich sehrend in uns schwelte.

Wir sahen nicht die Engel blond und zart
Auf blauen Wolken brünstig knieen – –
Ich sah nur immer deinen dunklen Bart
Und deiner Augen tiefes Glühen.

So sinnbetörend deine Stimme klang,
Die mich mit süssen Namen nannte,
Als damals stürmisch mich dein Arm umschlang
Als heiss dein Mund auf meinem brannte!

Und wie gehetzt – gepeitscht von Höllentrug!
Wir konnten in dem Raum nicht weilen . . .
Ich glaub, es war der Sündenträume Fluch,
Der scheu uns hiess von dannen eilen.
(S. 22)
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V.
Vorbei! – – –

Es saust der Zug – die Nacht währt lang.
Die Zeit schleicht hin im Schneckengang. –
Ich lieg in die Polster apathisch gekauert.
Nur manchmal ein Zucken nervös mich durchschauert.
– Maremmenluft zieht zum Fenster herein.
Ich schlürfe sie gierig, wollüstig ein. - -
Und das Räderwerk wilder und wilder schwingt.
Dröhnend sein Rollen zum Ohre mir dringt.
Mein Atem stockt – mein Puls geht schwer.
Ich denke – fühle – weiss nichts mehr,
Als dass ein jeder erneuter Stoss
Uns weiter reisst von einander los.
Und ich stürze mich nicht zum Fenster hinaus.
Und ich stürme nicht durch der Dunkelheit Graus,
Zu dir, meinem Liebsten, der mich begehrt!
Zu dir, o Seele, die mir gehört!
Nach der ich geschrieen viel tausendmal,
Die ich gefunden nach Jahren der Qual
Und dann verloren – verloren – –
Doch nein – nein – nein! Es kann nicht sein!
Es war nur alles ein böser Traum.
Entwichen, eh' geträumt noch kaum.
Wir wurden nicht auseinandergerissen,
Grausam vom eignen bösen Gewissen.
Ich fahr nicht nach Süden – du nicht gen Norden –
Wir sind nicht auf ewig geschieden worden.
Wir fahren in jubelnder, schluchzender Pein
In eines Himmels Pforten ein;
Vielleicht auch in des Abgrunds Qual,
Ob dahin – ob dorthin, Herrgott, wie egal!
Ich bin bei dir – du bist bei mir,
Seligste Schuld vereint mich mit dir.
Ich lasse, ich lasse dich nimmer!
– – – – – – – – – - - - -
Ich schrecke auf. – Allein! Allein!
Es zuckt mein Herz in Todespein.
Schrill höhnt der Lokomotive Schrei:
Vorbei! Vorbei! – – – – – – –
(S. 23-24)
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VI.

Du wardst zum Balder mir, zum Sonnengott,
Der mit des Allbefreiers Flammenküssen
Mich jäh aus winterlichen Finsternissen
Zum Leben rief, zum roten, heissen Leben!

Und wie gebenedeit erschien ich mir,
Als mich das goldne Lichtmeer übersprühte,
Dem All und Alles dir entgegenglühte:
An deiner Brust in Jauchzen zu vergehen!

Es starb die grosse Glut. – Die Sonne sinkt. – –
Die alte Nacht naht schattenschwanger wieder.
Ach! fröstelnd schlepp ich hin die müden Glieder,
Wie unter grauverhängtem Regenhimmel.
(S. 25)
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VII.

Ein weicher, weisser Schleier
Liegt über Busch und Strauch,
Und durch des Sommers Feier
Schleicht schon des Herbstes Hauch.

Von seinem Reif getroffen
Wird bald der Blüten Schar –
Wird sterben wie mein Hoffen,
Das einst der Lenz gebar.

Das meinen Maienmorgen
Zu kurzem Blühn entfacht –
Ich wollt', ich läge geborgen
Tief in der Erde Schacht . . .
(S. 26)
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VIII.
Nach Jahren

Und wenn die böse Zeit will wiederkommen,
Die selige Zeit, da Blüte sich auf Blüte senkt,
Wie schlägt mein einsam Herze dann beklommen,
Was ist es, das es so bedrängt?
Zerrissen ist der stille Grabesfrieden,
Vergangnes dämmert, was kein Name nennt;
Und mit allmächtigen Banden wollen mich umschmieden
Erinnrungszauber, die ich tot gewähnt: –

Palmsonntag! Frühlingsglanz!– Und du, du Einziger, Unvergessner
Zur Seite mir in meiner Arnostadt.
O Wintertraum, o süss vermessner,
Der sich zur Wirklichkeit gestaltet hat.
Wir schritten scheu, mir ist, als wär' es heute,
Durch dunkle Quaderpracht, fern unter blauestem Himmelszelt,
Ehrwürdig klang der Santa Croce keusch Geläute;
In Blüten aber jauchzte rings die Welt! – –
Und wie zur heiligen Himmelsköniginne,
Der Hohen selber in der Engel Chor,
So lauschten gläubig meine jungen Sinne
Zu deiner stolzen Männlichkeit empor.

Spätabend ward's. Du hattest lange mich verlassen,
Den eignen Willen grausam selbst verneint.
Mich aber trieb's noch einmal durch die Gassen,
Die wir durchwandelten vereint.
Gleich Schemen huschten mauerlängs die braunen Kutten,
Aus jedem Winkel schaun Madonnen mutterselig und verträumt –
Da grüsst' ich sie, da küsst' ich rings die rosigen Putten;
Und wusst' doch kaum, wie viel wir beide noch versäumt.
Aus alten Höhen strahlt dein Bild mir nieder.
Dein bin ich wieder! – – –

Und du – denkst du noch mein? – Ich weiss es nicht.
Drei Sonnen kamen – strahlten – schwanden.
Erstickt wohl die Gefühle längst im törichten Verzicht,
Die Glutgefühle, die wir einst empfanden.
Und ach, nur wenn die Zeit will wiederkommen,
Die hohe Zeit, wo Blüte sich auf Blüte senkt,
Da sprühen Funken, lang verglommen;
Ein totes Herze seines Frühlings denkt.
Da ist es mir, als wenn auch deine Brust erbebe
– Von der Erinnrung Schauern übermannt –
Und weit wohl über Meer und Lande leuchtend webe
Von Seel' zu Seel' ein unvergänglich Band. – –
(S. 27-29)
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Mohnfeld

Schon lange buhlt der Sonne Strahl mit heissem Blick
Um einer jungen Lenzenwiese Liebesgunst,
Bezwungen endlich ist die Keusche auch entbrannt:
Des Mohnes Knospen springen auf in heller Brunst.

Ein flimmernd Feuerfeld . . . ein funkelnd Flammenmeer,
Entfachte Gluten recken sich in Jugendkraft.
Auf purpurfarbnen Leuchtefluten aber wogt
Ein alter Sang – das Hohelied der Leidenschaft!
(S. 37)
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Johannisnacht

Es fallen viel Küsse vom Himmel,
Viel heimliche Küsse heut nacht.
Wirr flimmert das Sternengewimmel
In seltsamer Pracht.

Des Mondes volle Leuchte
Hängt gross am Himmelszelt.
Seiner tauigen Strahlen Feuchte
Trinkt rings die Welt.

Leuchtende Käfer stieben.
Und der Grillen zärtlicher Chor
Zirpt sehnend sein Lied. – Altes Lieben
Steigt mir empor.

Wünsche, lange getragen
In des Herzens tiefstem Gemüt;
Gestalten zur Höhe sich wagen,
Für die ich geglüht.

Geglüht. – Und doch immer vergebens
Vergebens geglüht und geliebt. –
Wo bist du, der mir des Lebens
Fülle gibt? – –
(S. 39-40)
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Im Wagen . . .

Mein Liebster, da bin ich!
Verstecke – begrabe
Mich unter den Flügeln
Des schlitzenden Mantels,
Wo keiner mich findet,
Mich keiner erspäht.
Erwärme mein Herz
– Das müde, verirrte –
An deines Herzens
Lauterer Glut.
Denn wisse: ich fror,
Ich bangte mich sehr
Da draussen im Sturmwind. –
Dich aber, Geliebter,
Dich fürcht ich nicht,
Dich, meinen Schützer,
Der selbstlos entriss
Das arglose Kind
Den gierigen Händen
Lüsterner Knaben . . .

Und ob ich nun glücklich – –
Du fragst es mich noch?!
Ich sterbe vor Glück!
Schon fallen die Lider,
Die tränenbenässten,
Willenlos über
Die trunkenen Augen.
– – – – – – –
– – – – – – –
– – – – – – –
Wie wird mir so schwül,
Ich vergeh – ich ersticke – –
Umschlinge mich nicht
So ungestüm heiss.
Und starr mich nicht an
So seltsam – so bittend.
Durchwühle die Locken
Bacchantisch mir nicht
Mit fiebernder Finger
Verwirrendem Griff.
Erwecke nicht grausam
Entschlummerte Wünsche
Mit wildsüsser Küsse
Berauschendem Gift.
Mein Gott – mein Gewalt'ger –
Gib gnädig mich frei!
Auf dass uns die Weihe –
Die – Weihe – nicht – – schwinde – –
(S. 43-45)
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Dir!

Du nahmst mit Siegergriff mein junges Haupt,
Und hast mir Kuss um Kuss geraubt.

Du gabst mir ein von deiner Leidenschaft.
Gabst mir ein Ur-Teil deiner Kraft.

Und einen Hauch von deinem Feuergeist,
Der schwellend, fordernd in mir kreist.

Der in mir lebt und lodert für und für . . .
Und was ich bin – ich dank es dir!
(S. 46)
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Fatum

Seit deines Geistes Adlerflügel
Mich trug in meiner Sehnsucht Land,
Seit jenes unlösbare Siegel
Dein heisser Mund mir aufgebrannt:
Bin ewig ich dein Eigentum! –
Ich, die zu herrschen nur begehrte,
Die fieberte vor Durst nach Ruhm,
Und die der Ehrgeiz fast verzehrte.

Es war wohl erst nur Drang zum Lichte,
Der mich in deine Arme trieb,
Dieweil von deinem Angesichte
Ein Leuchten an mir haften blieb.
Doch bebend wurd' ich bald gewahr:
Es war mein Schicksal, dich zu lieben.
Der Ew'ge selbst schuf uns zum Paar. . .
So steht's im grossen Buch geschrieben.

An deiner Brust, in deinen Armen
Wär' ich zum Leben bald erwacht,
Wenn du mit göttlichem Erbarmen
Mich wachgeküsst aus dunkler Nacht;
Wenn du von deinem Überfluss
Mir Rosen sorglich ausgebreitet,
Und – stützend meinen schwachen Fuss –
Zur lichten Höhe mich geleitet.

Und ich – ich hätte dich umschmeichelt
Wie Frühlingswind den starren Firn,
Mit Kinderhänden weggestreichelt
Die Runenschrift auf deiner Stirn.
Ich hätte meine junge Kraft
Zum Opfer lächelnd dir gegeben,
All die verborgne Leidenschaft
Zur höchsten Lust, zum höchsten Leben!

Du nahmst sie nicht. – In grellem Scheine
Erblinkt ein Reif an deiner Hand.
Verraten kannst du nicht die Eine,
Die liebend einst dein Arm umwand. – –
So trieb's uns von einander fort,
Sieghaft die Satzung aber waltet.
Und meiner Knospen Fülle dorrt,
Eh' sie zur Blüte sich entfaltet! –
(S. 47-48)
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Nachklang

Als du mir damals liebentbrannt zu Füssen sankst,
Mit wildverwegnen Bitten in mich drangst:
Zu fliehn mit dir in jenes goldne Land,
So sonnenrot . . . so lockend unbekannt . . .
Da bebt' ich heimlich wohl und bang
Sekundenlang –
dann lacht' ich laut.

Doch als du heut so fremd an mir vorübergingst,
Am Arm der andern liebestrunken hingst!
Als eurem Anblick fröstelnd ich entwich,
Und einsam dann auf meine Kammer schlich:
Da dacht' ich jenes Augenblicks
Verschmähten Glücks –
und weinte leis.
(S. 49)
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Abschied

Und eh' man denn mich kränze,
Mit Myrten mich umflicht –
Noch einmal mir erglänze
Sein liebes Angesicht.

Ich bin die Wege gangen,
Die seine Wege sind,
Weich streichelte die Wangen
Der Sommerabendwind.

Hab angeschaut die Steine,
Die oft sein Fuss betritt.
Und dacht': wär' ich alleine,
Ich nähm' sie neidisch mit.

Und kam bis zu dem Tore,
Dem Tor mit güldnem Knauf,
Heiss starrt' ich zur Empore
Des Erkerzimmers auf.

Doch keiner Leuchte Funkeln
Weist gütig mir sein Haupt.
– Tot lag das Haus im Dunkeln,
Des hohen Herrn beraubt.

Da sank ich auf die Stufen,
Die Stufen hart und kalt;
Und ein verzweifelt Rufen
Mir durch die Seele hallt:

Wo ist er jetzt, in wessen
Al'basterweissem Arm?
Hat ganz er mein vergessen
Im tollen Weiberschwarm?

Denkt plötzlich er im Rausche
Der alten Zeit zurück,
Und gäb' die Welt zum Tausche
Um ein zertreten Glück? – –

Auf treibt's mich von der Fliese,
Mir wird so weit, so eng –
War's nicht, als ob im Kiese
Sein stolzer Schritt erkläng'?

So harrt' ich, bis es hellte.
Weiss nicht, wie lang ich stund.
Und manchesmal nur bellte
Mich herrisch an sein Hund. –
(S. 50-52)
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Mein Geheimnis
(Nach Arvers)

Ein tiefes, heiliges Geheimnis ist mein eigen:
Ewige Liebe, die der Augenblick gebar.
So hoffnungslos mein Leid; ich hab gelobt zu schweigen,
Und die mir's zugefügt – nie ward's ihr offenbar.

Ich werd ihr nah sein unbeachtet immerdar,
Zur Seite ihr und einsam doch im Lebensreigen;
Werd, bis sich meine Tage sanft zu Ende neigen,
Von ihr begehren nichts – empfangen nichts fürwahr!

Und sie, der doch ein Gott ein zärtlich Herz verliehen,
Sie wird gemach und ruhig durch dies Leben ziehen,
Achtlos der Liebesseufzer, die sie heiss umwehn.

Gestrenger Pflicht getreu, wird fragen sie beim Lesen
Der Verse hier, die ganz erfüllt von ihrem Wesen:
"Wer aber ist dies Weib?" – Sie wird es nie verstehn.
(S. 53)
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Antwort auf das Sonett von Arvers
(Nach Cécile Gay)

Und weisst du denn, ob sie nicht doch ein Ohr geliehen
All' deinen Liebesseufzern, die sie heiss umwehn? . . .
Selbst Schwüre, die auch nie der Lippen Tor entfliehen,
Ein Weib, o wisse Freund, wird immer sie verstehn.

Wenn aber ihr ein Gott ein zärtlich Herz verliehen,
So musste Kämpfe voller Qualen sie bestehn,
Das arme Herze wahrend, wappnend an sich ziehen
Vor einer Liebe, allzutief, sie zu gestehn . . .

Gestrenger Pflicht getreu, der nie sie sich enthoben,
Bestand sie wohl die stärkste aller Tugendproben:
Fühllos zu scheinen stets und achtlos deines Leids!

Nein, du nicht nur birgst ein Geheimnis, du alleine.
Glaub mir, es wandelt wohl hienieden mehr denn Eine,
Die heitre Stirne zeigt – und dennoch schleppt ihr Kreuz.
(S. 54-55)
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Mein Menschenrecht!

Ich lebte tot dahin. – Undinengleich,
Von keinen Seelengluten noch durchflammt,
Wuchs ich in einem fernen Nachtbereich –
Ein Wesen, jener kalten Welt entstammt,
Wo im Verwahr von tausend starren Schranken
Ein jeder Trieb sich nur im Keime regt,
Und ewig sich der Kreislauf der Gedanken
In des Verstandes grauer Bahn bewegt.

Da schaut' ich dich! Und trunken, schier geblendet
Ward ich von deines Glanzes Glorienschein.
Ein güt'ger Engel schienst du mir, entsendet
Aus dieser Tale Nacht mich zu befrein.
Und alles, was bislange in den Falten
Des eisumstarrten, kalten Herzens schlief:
Mit Donnermacht, mit jubelnden Gewalten
Nach Leben, Licht, nach Liebe, Liebe rief!
Und jauchzend löst' ich mein verkümmernd Leben
Vom altvertrauten, sichern Heimatshort
Und legte kindergläubig, blindergeben
In deine Hände mein Geschick hinfort.
Und du – du trugst mit grenzenloser Milde
Mich sanft hinan gen meiner Sehnsucht Höhn,
Du formtest, feiltest mich nach deinem Bilde,
Zu einem Freiling, froh und griechenschön;
Du rissest, ungeahnter Triebe Wecker,
Dämonenhaft an dich mein zitternd Sein;
Du wurdest meines Menschentums Entdecker;
Du hauchtest, küsstest mir die Seele ein!

Und nun, nachdem du mich zu dem gemacht,
Wofür ich dir mein ganzes Leben danke:
Nun sei mein Letztes auch dir dargebracht –
Von deiner Schwelle nimmermehr ich wanke,
In deinen Schoss mein Haupt ich scheusam berg
– In Flammen aber steht mein junger Leib –
O komm, vollende dein Prometheuswerk,
Erschaffer mein! und mache mich zum Weib. . . .
(S. 60-61)
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Weibesliebe

Ich gab dir so viel, du mein strahlender Held!
Ich war dir ein Spiel –
Du warst meine Welt!
Ich brachte, Gewalt'ger, auf deinem Altar
Dir all meinen Reichtum
Verschwenderisch dar.
Ich schmückte das Haupt dir mit blühenden Rosen -
Duftenden, – weissen, –
Makellosen;
Ich pflückte frohlockend mit bebenden Händen
Dir purpurne Früchte, –
Cyprische Spenden;
Und opferte gläubig immer aufs neue
Köstliches Manna
Goldener Treue. -
So gab ich dahin in brünst'ger Begier
Mein Gut und mein Blut
Nur dir! Nur dir!
So kniet' ich dann vor dir in Armut und Not
Und bettelt' und bat:
"Einen Bissen Brot" . . .
Da hast du mich von dir gewiesen
Hinaus in das Dunkel
Gleich einem Dieb!
Und ich – ich lieg auf den Fliesen
Und flüstre:
"wie hab ich dich lieb!"
(S. 62-63)
_____



Im Sturm . . .

Draussen im bergenden Vororte war es –
Dem Treiben der Weltstadt entlegen –
Im Zeichen des sterbenden Jahres –
Just auf den nämlichen Wegen,
Die wir gemeinsam gegangen,
Von feindlichen Stürmen noch nicht entzweit,
Dereinstens in erstem Verlangen
In unserer Liebe Knospezeit,
In unserer Liebe Maienprangen.

Du schrittest vor mir her
So fremd, so kalt –
Es trinkt mein Blick die Hochgestalt,
Doch ach, dein Arm, voller Huld bisher,
Er beut sich zum Geleit
Mir nimmermehr.

Der starke Arm, der kühn sich mein erbarmt;
In dem zu neuem Lenztum ich erwarmt;
Im Lebenssturm mein letzter Halt.
Novemberwind durchwimmert die Gassen,
Und rüttelt wild das dürre Laub,
Und reisst mit seinem Klaggeschrei
Die Seele und die Welt entzwei. –

Langsam und schwer sein Schritt verhallt. – – –
So kannst denn wirklich mich verlassen,
Nur weil der Menschen neidend Hassen,
Zur Trennung uns verdammt?
So wird denn alles, alles Staub,
So wird, was ehedem so hoch geflammt?
Doch noch der Zeiten Raub? –
Dumpf stöhn ich in die Nacht hinaus:
Vereinsamt denn im Sturmgebraus.
Vereinsamt in des Daseins Sturm,
Denn ach! dein Herrscherlauf mich heut zertritt
Wie dort im Staub den Wurm . . .

Ein Nahen da – ein hallender Schritt –
Gewaltiger mein, wärst du's? wärst du's?
Ach nein, nein, nein! – Ein fremder Fuss.
Es war ja aus. – – –
Und haltlos wieder und matt.
Ohne Heimatstatt,
Schwank ich hin und her,
Wie im Windesmeer
Ein einsam, verwehtes Blatt. –
(S. 64-66)
_____



Nevermore

Ein Spätherbsttag. – Es raschelt rings das Laub
Hohltönig fühllos unter meinen Tritten.
Ich schleppe fröstelnd mich mit müden Schritten
Durch die Gefilde, weithin tot und taub.

Aus kahlen Sträuchern steigt's wie Grabesduft.
So ist denn kläglich schon verfalbt, vermodert,
Was gestern flammend noch emporgelodert?
– Zerfetzte Wolken geistern durch die Luft.

Und meine Seele, grau und lebensmatt,
– Von warmer Liebessonne jäh enthellt –
Erstarrt gemach im herbstenden Gemüte;

Derweilen einer Hoffnung Spätlingblüte
Mir todestraurig von dem Herzen fällt,
Wie von den Bäumen taumelt Blatt um Blatt . . .
(S. 67)
_____



O, dass ich dich so sehr geliebt!

Es war ein roter Sonnentraum,
Der meiner Seele junger Blüte
Nahm ihren zarten Frühlingsflaum,
Und der so kläglich dann verglühte.
Der mir verglomm am Firmamente,
Von grauer Wolkennacht getrübt. –
O, dass ich dich vergessen könnte!
O, dass ich dich so sehr geliebt!

Ich liebte dich nicht flüchtig bloss,
Ich liebte treu dich, blindergeben,
Ich liebte dich so grenzenlos,
Wie man nur einmal liebt im Leben.
Es hätte meiner Liebe Macht
Jedwede Schranke kühn bezwungen,
Ich hätte selbst in Bann und Acht
Noch mit dem Tod um dich gerungen!

Du aber, zager, schwacher Tor,
Du mochtest an dein Glück nicht glauben.
Sahst sehnend wohl zu ihm empor,
Doch warst zu feige, dir's zu rauben.
Zertratest grausam stets aufs neue
All meiner Sehnsucht Purpurblumen,
Und gabst fürs Manna meiner Treue
Nur blasse, dürft'ge Liebeskrumen.

So kehre reuig, nachtumfahn
Zurück zu nebelniedern Sphären.
Ich werde deiner Kreise Bahn
Mit keinem Wunsche mehr durchqueren.
Kehr denn zurück, ein lasser Streiter,
Zu deiner Gilde dumpfen Schranken,
Und lebe, lieble, darbe weiter,
Und glühe, sünd'ge – in Gedanken.

Ich aber werde fürderziehn
Die Pfade, so mir vorgeschrieben.
Und alle Kräfte werden blühn,
Die mir im Lebenssturm geblieben;
Die mir ein güt'ger Gott vergönnte;
Die mir mein Genius schwendrisch gibt. –
O, dass ich dich vergessen könnte!
O, dass ich dich so sehr geliebt!
(S. 68-69)
_____



Fructidor

Entsagen dir? – ich kann es nicht,
Dir, der mich warnend abgehalten
Dem dunkelroten Sündenlicht
All meine Knospen zu entfalten;

Der sorgend meinen Fuss gestützt;
Gewehrt dem allzukühnen Wagen;
Der lächelnd, liebend mich beschützt
In wildbewegten Werdetagen.
_

– Es rann die Zeit . . . der Sommer flieht.
Die Gluten alle, die da sehrten,
So aufruhrsatt, so kampfesmüd
Zu lautrem Sonnengold sich klärten.

Und weitumher ein Dankgesang,
Ein Hoheslied von Lobtributen.
Und in besorgtem Geberdrang
Will sich die Erde fast verbluten. – –

So lass auch mich, gedenk des Solds,
Dir freudig meine Gaben streuen;
So lass auch mich in heil'gem Stolz
Dir Leib und Seele bräutlich weihen.

So nimm ihn hin, den hohen Schwur
Der Lippen, die von Reife quillen:
Auf dass in uns auch die Natur
Sich siegend, feiernd mag erfüllen. –
(S. 79-80)
_____



Weihnacht

Reich deinen Mund mir nicht mehr dar;
Entlodre fürder nicht mein Blut.
Reich mir nur still dein Händepaar.
O, das beruhigt, – das tut gut.

Sieh, ich war jung und voll und heiss,
Als ich dich bebend wiederfand.
Als in den Büschen jedes Reis
In roten Feuerbränden stand.

Die Glut erlosch. – Ein Gott deckt zu
Die trübe Welt mit weissen Flocken.
Und wilde Wünsche gehn zur Ruh
Beim frommen Klang der Weihnachtsglocken.

Und an der alten Sage Kraft
Erstirbt auch meine sünd'ge Glut.
Erweck sie nicht aus Winters Haft,
Gönn ihr des Schlafes Gnadenhut.

Erweck sie nicht zu neuem Blühn
Mit deines Mundes brünst'gem Brand.
Nie soll dein Kuss mich mehr durchglühn. -
O, reich mir nur noch deine Hand.

Und lenk mit ernstem Mannessinn
Mich wieder in die rechte Bahn.
Und dann – dann trag mich lachend hin
Nach meiner Träume Kanaan!

Dort lass uns gläubig niedersinken
Vor unsrer Gottheit Hochaltar,
Und Ruh und Glück und Frieden trinken
Und heil'ge Kraft für immerdar. –
(S. 81-82)
_____



Resonanz

I.
Siehe, so klingt meine Leier dir wieder
Vielleicht dir zur Lust – vielleicht dir zum Spott. –
So trinke das Blut meiner Lieder
Mein Dämon, mein Vampyr, mein Gott!
(S. 85)


II.
Sechs Monde vorbei schon. – So ruhlos,
So mutterseelenallein. – – –
Ich blättre mit bebenden Fingern
Im Buch meiner Lust, meiner Pein.

Ich trinke sie gierig wieder,
Die blutroten Lieder der Qual;
Und denke mit klopfendem Herzen
Deiner wie dazumal: –

Als strahlend du zu mir getreten
An jenem Novembertag;
Als ich, von Sehnsucht durchlodert,
Weinend im Arme dir lag.

Es fällt eine heisse Zähre
Auf das weisse, kalte Papier.
Ich flüstre mit fiebernden Lippen:
Noch immer verbrenn ich nach dir!
(S. 86)


III.
Nun ist es Abend worden –
Des Tages Lärm verklingt
In zitternden Mollakkorden – –
Feiernd die Sonne versinkt.

Und in dem Zauber, dem stillen,
Umfängt mich der alte Wahn.
Es zieht mich wider Willen
Hinaus auf den Altan.

Die Blicke sich nordwärts lenken
Zu dir, mein hoher Magnet!
Ein heisses Deingedenken
Mir durch die Seele geht.

Die Nacht sinkt hernieder. Es dunkelt.
Und du mir so fern – so fern – –
Zu Häupten aber funkelt
Hellstrahlend der Venusstern!
(S. 87)


IV.
Und friedsam gehn wir wieder Hand in Hand
Durch unsres Tempels weite Gnadenpforte.
Es zieht uns machtvoll zu dem hehren Orte,
Wo fromm ein Gott die Leidenschaften bannt.

Dorthin, wo Gierde nicht die Flügel spannt,
Zu unsrer Sehnsucht wunderstillem Horte.
Ich lausche bebend deinem Feuerworte - -
Und wandle trunken durch der Schönheit Land!

Es trägt dein Geist mich in erhabne Ferne;
Er trägt mich himmelan auf freien Wegen.
Und fester schlingt die Hand sich in die meine . . .

Da blick ich scheu in deine Augensterne.
Die aber strahlen friedlich mir entgegen
In alter Gluten keuschem Widerscheine. –
(S. 88)


V.
Du hast der Blindheit langgetragen Band
Gewaltsam von dem Antlitz mir gerissen.
Erlöstest, lenktest mich mit starker Hand
Aus dieser Tale dumpfen Finsternissen.

Du trägst mich fort zu Landen, licht und weit,
Mit ernstem, vatergütigem Erbarmen.
O dämmert' ich in alter Dunkelheit –
Und läg' in deinen Armen!
(S. 89)


VI.
So sitz ich dir schweigend genüber
In dem hohen, stillen Gemach.
Erinnrung gleitet vorüber
Und goldet den scheidenden Tag.

Sie schlingt um unsre Seelen
Ihr purpurfarben Band.
Und die Augen sich heimlich erzählen
Vom einstigen Minnebrand!

Der um mein Dasein mählich
Den Feuerzauber schlug,
Und den ich glaubensselig
So lang im Herzen trug.

Traumdämmrung schattet hernieder.
Du lächelst siegesbewusst:
Und bebend sink ich wieder
An deine Brust. – – –
(S. 90)
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Omnia vincit amor

So flecht ich versonnen mir Rosen ins Haar,
Und streue ihm Weihrauch und singe sein Lob.
Ich – die ich einstens erosvergessen
In wildem, frevelhaftem Vermessen
Die Arme zu goldenen Sternen erhob.

So schmück ich die Glieder mit buntem Geschmeid,
Und opfre dem Gotte, dem alles sich beugt.
Ihm – der allzeit das Zepter geschwungen,
Und dem, von zwei dunkelen Augen bezwungen,
Auch meine errötende Seele sich neigt.
(S. 99)
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Eva

Und du – du solltest das Zepter schwingen.
Ich wollte dir dienen, treulich wie keine;
Wollt' Tag um Tag dir zu Füssen verbringen
In Andacht vor deinem Glorienscheine.

Ich wollte die schönsten Elogen verbrauchen
Bei deiner Muse erhabnen Ergüssen –
Und samt deiner Würde dich untertauchen
– – – In ein Meer von purpurnen Liebesküssen!
(S. 100)
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Aus: Sturm und Stern Gedichte von Julia Virginia
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1905

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Julie_Virginie_Scheuermann



 

 


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