|
Maria Luise Weissmann
(1899-1929)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Cephalocereus Senilis
Auch diesem weißen Haar entstiegest Du
Unfaßbar, ein verhangenes Gesicht.
Ich beugte mich ganz überstürzt ihm zu
Von einem fremden vielgespaltnen Licht
Und sah darin Dich lange Wege schreiten,
Wechselnd gewandt in wechselndes Geschick,
Und sah Dich in die ungelebten Zeiten
Eingehn. Es losch mir der gesenkte Blick
Zuweilen so, daß Du wie in den Weihern
Ein Wolkenbild, ein fast verlornes, schwanktest.
Ich schlug das Auge auf aus seinen Schleiern
In das Bestimmte wieder. Und ich sah
Dir folgend ferne: Wohin Du gelangtest,
Stand meine Liebe groß und wartend da.
(S. 41)
_____
Dann, wenn du gehst...
Dann, wenn Du gehst, scheinst Du mir nie gewesen.
Ich finde mich, wie der vom Traum erwacht,
Versehnt nach einer nächsten tiefern Nacht,
Zur alten Lüge lächelnd zu genesen.
Dann, wenn Du kommst, weiß ich mich nicht erhalten
Je ohne Dich, Du Herz der toten Welt:
Du Brand, vor dessen Glut mich das Erkalten,
Dem ich entrann, erinnernd überfällt -
So schwank ich, willig immer zu verlachen
Der frühern Stunde Armut; find ich mich
Zwischen Phantomen taumelnd; in den Rachen
Gleit ich der Zeit, unwissend: liebt ich Dich
Eben im Traum, eben im Traum-Erwachen?
Dies nur: ich tats, blieb unabänderlich.
(S. 62-63)
_____
Cereus Flagelliformis
Die Züchtigung: dies aber bist Du auch,
Du bist die harte, die umdornte Rute
Aus einem bitteren verfluchten Strauch;
Wo Du auch triffst, da triffst Du tief im Blute.
Du bist was schmerzt. Nichts auf der Welt schmerzt mehr,
Kein Schmerzendes ist ohne Dich. Bewegst
Du Deine Hand, schon überhäufst Du schwer
Mit Schmerz der Leidenschaft. Du schlägst
Mit Widerhaken tausendfach verschlingend
Ins Fleisch Dich ein, daß, ob Du dort ob hier
Verweilst, es schmerzt. Und zogen einst sie singend
Zu ihrem Gott, die blutige Geißel schwingend,
So treibst Du mich, Unruhe über mir,
Nun aus mir fort: ins Unerreichte zwingend.
(S. 41-42)
_____
Doch dann zuletzt bist Du
das gute Gleiten
Ins Schlafende, das ohne Sprache ist
Wie ohne Traum. Das sich so tief vergißt,
Daß Namen schon es mit sich selbst entzweiten.
Sie stehen wieder stumm im Topf aus Ton,
Und was sie sprachen wurde nie gesagt,
Und was sie klagten wurde nie geklagt:
Ganz pflanzenhaft in einer dunklen Fron
Von Wuchs und Trieb sind sie zurückgewandt
Zum Schweigenden. Und Du darfst nichts erwarten
Als Dieses nur: daß sie einmal, besehn
Von Deinem Blick, berührt von Deiner Hand,
So wie ein plötzlich übersonnter Garten,
Aufbrechen und in jäher Blüte stehn.
(S. 42)
_____
Das frühe Fest
Du bist die silberne Weide am Bach.
Schatten der Wolke Du schwimmend.
Du gehst über die mondenen Wege.
Die Städte-Straßen kennen Dich.
Tiere spürten Deiner Fährte all.
Nun suchen Waller, steile, Dich gebetvoll.
Da rot mein Fuß ging - Deine Ferne brannte! -
Liebend erkannten sich die Wandernden.
(S. 16)
_____
Fährte
Durch allen Tag muß ich Dich suchend gehn
Und ist so viel, was rings Dich mir verheißt,
Mich mit Gewißheit Deiner schimmernd speist:
Ein Vogelrufen, Glanz des Golds, Kakteen,
Schnee, ach, und Geige, die gesehn Dich haben,
Fahnen der blanken Städte, Windeswehn -
Starbst Du in einer Sonne Untergehn?
War dies Dein Schrei in wehem Spiel der Knaben?
Ich wandre durch Taifun, kristallnen Strahl der Seen,
- Vielleicht, daß Dich ein Duft gefunden macht? -
Durch schwarze und die silbernen Alleen,
Durch Jenen, der geweint, und Den, der lacht, -
Durch allen Tag muß ich Dich suchend gehn,
Zu Dir noch wandert purpurn Pfad der Nacht.
(S. 12)
_____
Geh nicht vor mir...
Geh nicht vor mir in dieses unbesungne
In dieses dunkle Reich, das Keiner kennt;
Damit Dein Name, dieser lang verklungne,
Wenn ich ihn ruf, noch Dich mit Namen nennt.
Vertausche nicht Dein Angesicht mit jenen
Veränderlichen aus dem fremden Kreis,
Die oft im Traum vorübergehn und denen
Ich keinen Gruß und keinen Wunsch mehr weiß.
Laß mich beim Brot gedenken und beim Wein,
Daß Du noch glühst, laß nicht mit Schatten-Speise,
Mit Blut und Mehl verstohlen her Dich rufen,
Wie man Geschiedne ruft: es steigt ihr Schein
Und ihre unsichtbare Sohle leise
Erdwärts herauf die ungeheuren Stufen.
(S. 63)
_____
Mund
Ich bin nur noch ein Mund, der zu Dir spricht,
So schwand ich hin, verlor sich mein Gesicht
Und all der Leib, zu dem ich mich versammelt.
Ich bin nur noch ein Mund, der zu Dir stammelt,
Der leben blieb, sein Sterben Dir zu künden:
Er tut sich auf, und muß schon in Dich münden.
(S. 14)
_____
Nachts
Ich kaure immer
Und höre mein Blut
Rauschen, den dunkeln Strom.
Sucht meiner Seele
Müder Fährmann
Deinen Schatten auf mondener Bucht.
Aber Du kamst nicht.
Er wartet lange, holte er
Dich endlich über!
(S. 15)
_____
Opuntia Monacantha
Ich nahte mich, wie einem frommen Brot
Ein Pilger naht, mit sehnsuchtvollem Munde.
Du stießest ihn, Dir aufgetane Wunde,
In eine tiefre nie gestillte Not:
Du höhntest ihn mit übernommner Hülle
Von Saft und Speisung, bitter bis zum Rand,
O bittre Frucht! Der Mund, der Dich im Brand
Einmal empfing, sieh, er verlangt die Fülle
Von Bitterkeit wie Süße; widersteht
Keiner Erfahrung mehr: Er kommt und mündet
Dürstend in Dich und nimmt und trinkt und geht
Von Dir und ist so ganz mit Schmerz versehrt,
Daß er wie ein Beseßner sich entzündet
Neu aus sich selbst und endlos wiederkehrt.
(S. 40)
_____
Ich sah dich an...
Ich sah dich an, o daß ich dich
Niemals gesehn, nun bin ich blind,
Nun bist du groß, nun führst du mich
Ein irres Kind.
Und wo das Haus, das sichre Haus
Mir einst im Wind geborgen stand,
Da zieh ich aus, da zieh ich aus
In Niemands Land.
Und wo ich bleib und wo ich steh,
Wächst Schierling süß und duftet wund,
Umhaucht mich schwer, bespricht mich weh
Dein liebster Mund.
Wohin ich geh, wohin ich treib,
Traum treibt mich um, niemehr erwacht
Die trübe Seel, der arme Leib
Aus deiner Nacht.
(S. 58-59)
_____
Mit einer Uhr
Ich wollt' sie erst mit diesem Wunsch geleiten,
Ich wollte sagen: »Liebster, laß Dir scheinen
Bittere Stunden jene, die uns scheiden,
Und süße Stunden, solche, die uns einen.«
Kaum war der Wunsch gedacht, als ich ihn bat
»Sei ungetan!« Ach, der mich inbegriff,
Kein Wunsch, der Dir nicht einmal Böses tat
Im Meer der Zukunft, untergründig Riff...
Wie leicht mag sein, daß die Vergänglichkeit
Mich nimmt, ihr Teil - »una ex hisce« rief
Die Inschrift stumm. Dich träf in dieser Zeit
Mein Wunsch wie Fluch. Und also scheid ich aus
Und bitte nur, daß Dich umschließe tief,
Wo Du auch seist, des Glückes gastlich Haus.
(S. 66)
_____
Ich bin sehr müde
Mein Fenster lehnt sich weit in den Abend hinaus,
Die Wolken stehen über den Dächern, ein Blumenstrauß,
Die Luft streichelt mich und ist sanft und voll großer Güte.
Ich aber halte die Hände gefaltet, denn ich bin müde,
Und höre verwundert auf das beschwingte Schreiten
Der Menschen, die auf der Straße vorübergleiten,
So sehr sind ihnen heute die Glieder leicht.
Nur ich liege, schwergebettet in meine Müde.
Manchmal höre ich einen Schritt, der Deinem gleicht,
Dann bin ich, Geliebter, wie die Musik der Schritte leicht
Und wie die Wolken über den Dächern silberne Blüte.
(S. 14)
_____
Ode an Sebastian
Oh, Du warst Baum! Darinnen Vögel schliefen.
Winde sich hold vermählten. Leoparden bogen kühl.
Ein Lamm, Gewölk, lag leicht an Dich gebettet,
Auch warst Du weit, daß fernster Städte Dach
Noch Deiner Zweige Schatten überwölbte.
Oh, Du warst weit! Ich konnte Deinen Wurzeln, die
Den Ball, verspielte Hände, eng umschlangen, nicht
Entgehen; Knöchel sank und blutete betränt.
Und Du warst groß! Es hing der Abendstern an Dir
Und losch vergrämt, als Du mit Stürmen Dich besprachst,
Du trugst die Sonne auf erhobnem Haupt,
Nacht sank in Trauer, da Du es geneigt.
(S. 13-14)
_____
Uralt...
Schweig, mein Geliebter; Mund auf Mund
Wurden wir groß, wurden wir alt
In einem nie gestillten Bund,
Alt wie der uralte Wald.
Alt wie der Mond, mein Lichtgesicht,
Bist du am Himmel tausend Jahr
O schmale Sichel aufgericht,
Der ich die Ernte war.
Alt wie das Meer, die dunkle Saat,
Nach dir gereift, sehnsüchtige Flut,
Steigt zwischen uns den ewigen Pfad
Dunkel das ewige Blut.
(S. 62)
_____
Mamillaria Pusilla
Sie stehen fremd in einem reinen Rund,
Tief in sich eingehüllt wie in Gefieder.
Sie gehn in sanfter Wölbung auf und nieder,
Sie bergen Zärtlichkeit in ihrem Grund,
Der unergründlich ist: sie ragen nah
Und sind Entfernte, zauberisch bewehrt.
Dann plötzlich, so entfremdet abgekehrt,
Scheinen sie näher und vertrauter da,
Rufen sie eine sanft verwehte Gier
Nach Liebkosungen, darin sie erschlossen
Sich öffneten. Doch einem schönen Tier
Unfaßbar gleich in ihrer stummen Ruh
Stehen sie unbewegt und ungenossen
Und sie versagen sich so tief wie Du.
(S. 39-40)
_____
Auf ein Paket mit Briefen
So jahrlang totgesagt, daß ich es hob
Wie eine Aschenurne, Und gefaßt
Daß nicht der Staub aus dem Verblichnen stob
Wollt ich sie tragen. Doch mich bog die Last:
Entschwundne Himmel brachen strahlend nieder
Versuchung lispelte wie einst die Schlange,
Verlorne Höllen kehrten lächelnd wieder
Und schmiegten sich vertraut um Stirn und Wange.
Und alle brannten wie das Leben brennt
Und waren feurig-blühend, nackt und rot,
Und sprachen chorweis; dies nun ist das End.
Wir leben, leben. Aber du bist tot.
(S. 65-66)
_____
Tote Liebe
Was mir erwarb
Ihr süßes Licht
Was ihr verdarb
Mein Angesicht
Warum sie starb
Ich weiß es nicht.
Die Märchenbraut
Lag so im Tod
Dem Blick vertraut;
Der Wange Rot
Wer es geschaut
Fiel neu in Not.
Als hübe sie
Die er gewann
Die wie der Früh-
Tau ihm zerrann
Als hübe sie
Zu sprechen an:
Was dich mir warb
Damals im Licht
Was mich verdarb
Für dein Gesicht
Warum ich starb
Ich weiß es nicht.
Wir wissen beid
Nicht wies geschah
Wir sind im Leid
Uns nun ganz nah
An deine Seit
Sehnt ich mich ja.
Reiche mir Lieber
Noch deine Hand.
Ist sie im Fieber
Wie ich sie fand
Als sie hinüber
Gab mir den Brand?
(S. 64-65)
_____
Sonett
Wende den Blick hinweg! Er traf mich lang
Und traf mich tödlich. Zwar ich gleite nicht
Unwillig hin, nicht zu vergehen bang:
Nur nimm von meinem Tod dies dunkle Licht,
Nimm Deinen Blick hinweg! Kein Dickicht ist
Mir ja bereitet wie dem wunden Tier,
Dem bald Geendeten; und keine List
Mich zu verbergen wachte noch in mir -
So sei barmherzig! - Und es löste sich
Auch meinem Blick dies schauerlich einmal
Vernommne Bild: Es bot dem kaiserlich
Wandelnden Nero sich, von spitzem Pfahl
Emporgepreßt, ein Antlitz, das verblich:
Er prüfte lang und lächelnd seine Qual.
(S. 63-64)
_____
Meine Augen
Wenn Du kommst
Müssen meine Augen
Ins Dunkel kehren
Wie in den Tod.
Seit sie Dich einließen:
Verräterinnen -
Nun leben sie immer
Unterm Beil.
(S. 15)
_____
Wie jenem König Midas: Er
vernarrte
Zuletzt dem Schein von Goldenem sich so,
Daß was er griff zu gelbem Glanz erstarrte,
Speise und Trank; die Erde, drauf er floh
Vor seinem Fluch, glänzte ihm unterm Schritt
Vergoldet auf. So wandelt sich in Glut
Was mich berührt. So unentrinnbar tritt
Geliebtes plötzlich aus der fremden Hut,
So unausweichlich nahst mir Du aus allen
Weiten des Himmels, das verhängte Ziel,
Dem jeder Weg schon zu Beginn verfallen.
Und auf dem abgewandten, fliehnden, leer
Geglaubten, sieh, in einem neuen Spiel
Dir zu entgehen, fand ich Dich noch mehr.
(S. 39)
_____
Alle Gedichte aus: Maria Luise Weissmann:
Gesammelte Dichtungen Pasing:
Heinrich F.S. Bachmair 1932
Biographie:
Weissmann, Maria Luise, auch: M. Wels, * 20.8.1899 Schweinfurt, †
7.11.1929 München; Grabstätte: ebd., Waldfriedhof. - Lyrikerin,
Erzählerin, Essayistin.
Die Tochter eines Gymnasialprofessors trat 1918 mit ersten literar.
Arbeiten, vornehmlich im »Fränkischen Kurier«, an die Öffentlichkeit.
Sie war Sekretärin des Nürnberger »Literarischen Bundes« u.
Mitarbeiterin des Verlags Oskar Schloss in München. Im Juni 1922
heiratete sie den Verleger Heinrich F. S. Bachmair, mit dem sie in
Pasing bei München, Dresden u. München lebte.
Eine erste Sammlung ihrer Gedichte aus den Jahren 1918-1920 erschien u.
d. T. Das frühe Fest (Pasing 1922), in der W. - charakteristisch für ihr
gesamtes dichterisches Schaffen - im Geist Rilkes u. Hofmannsthals
voller subtiler Bildhaftigkeit die Spannung zwischen endl. menschl.
Existenz u. ewigem vollkommenen Dasein gestaltet. Es folgten der lyr.
Zyklus Robinson (ebd. 1924) sowie Mit einer kleinen Sammlung von Kakteen
(Hbg./Mchn. 1926; 6 Sonette) als bibliophiler Privatdruck. Darüber
hinaus veröffentlichte W. Nachdichtungen (Paul Verlaine: Les Amies/
Freundinnen. Midillü, recte Mchn. 1927. Pierre Louys: Mytilenische
Elegien. Mchn. 1931. Blaise Cendrars). Ihre Erzählprosa u.
essayistischen Texte erschienen in Gesammelte Dichtungen (Pasing 1932).
WEITERE WERKE: Imago. Ausgew. Gedichte. Starnberg 1946. - Gartennovelle.
Söcking 1949 (unvollendet).
Aus: Autoren- und Werklexikon: Weissmann, Maria Luise, S. 2. Digitale
Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21086 (vgl. Killy Bd. 12,
S. 231)
|