Paul Wertheimer (1874-1937) - Liebesgedichte

 



Paul Wertheimer
(1874-1937)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Landschaft der Liebe

Morgenwind. Blaßgoldne Weiten.
Tief im Moose ruht das Kind.
Von dem Baum der Zärtlichkeiten
Wehen weiß im Frühlingswind

Rosig zarte, leise Blüten,
Und sie hangen dir im Haar,
Und ich streife die erglühten
Lippen halb - und sonderbar

Fühl' ich heißer mich umschlossen.
Deine sanfte Lippe loht.
Auf den Mund sprang blutumflossen
Eine Blüte purpurrot ...

aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 47)
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Sommernacht

Uns einte nicht des Priesters Hand
Mit Chören, feierlichen Flammen.
Nur ein Marienfaden band
Uns leicht und sommerlich zusammen.

Uns hat die Sommernacht getraut
Im blauen Dom voll Weihrauchkerzen -
Du Sternenkind, du Windesbraut,
Das war ein Neigen, Herz zu Herzen.

Die Nacht frug priesterlich und groß:
Wollt ihr euch froh der Liebe spenden?
Ein Raunen rings. Ich hielt dein Los
In meinen bebend trunknen Händen.

aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 48)
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Schließ die Augen zu, mein Kind

Schließ die Augen zu, mein Kind!
Alle lieben Dinge sind
Heimlich, heimlich, traumverstohlen.

Rings in tiefer Mitternacht
Schleicht die Liebe sachte, sacht.
Schleicht heran auf Katzensohlen.

Sei vor jeder Buntheit blind.
Um uns mit dem Frühlingswind
Rauscht das Schicksal linde, lind -
Schließ die Augen zu, mein Kind! ...


aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 49)
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Schlummerlied

Eh' ich in den Schlummer tauche,
Neig' ich mich wie zum Gebet -
Dir, der mich im Abendhauch
Murmelnd wie ein Geist umweht:

Gib, daß ich im Schlummer schaue
Rein, was ich im Tag gehegt -
Ihren heitern Blick, die Braue,
Und den Mund, vom Scherz bewegt.

Aus des Traumes Booten winkend,
Gib, daß mir ihr liebes Bild,
Schlank aus seidner Hülle blinkend,
Aus des Schlummers Fluten quillt.

Keines tollen Spuks Kobolde
Laß verwirren ihr Gesicht.
Gib, daß ihr verwandt die holde
Nacht ein Lächeln um sie flicht ...


aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 50)
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Die erste Nacht

So aber träumt' ich meine erste Nacht
Mit dir, mein ernstes Kind, trägslav'schen Blutes,
Traurig das Aug' wie deines Volks Musik,
Das mir zuerst, im Traum der siebzehn Jahre,
Und ohne Wort, im demutsüßen Neigen,
Die blasse Blüte seines Leibes bot:

Um unser Lager sollte glühn die Pracht
Erlesner Kunst, die ferne, wunderbare,
Und über uns, da sollten sich verzweigen
Viel heiße Rosen, Rosen blutigrot.
Du solltest weiß auf lichter Decke liegen,
Das schwarze Haar tief in das Blau gebettet,
In matte Seiden solltest du dich schmiegen,
Die blassen Perlen um den Hals gekettet,
Und über Teppiche hin sollten gleiten
Die schweren Seufzer unsrer Zärtlichkeiten.
Dies kam nicht so: ein ängstlich enges Zimmer,
Da ich des Lebens Schleier dir enthülle,
Umflackert nur von einer Kerze Flimmer,
Und nirgendwo des reichen Daseins Fülle.

Doch ich bin stärker als die Kümmernisse
Des engen Seins, das uns in Not gezwungen:
Hin durch die schwarzen, schweren Finsternisse
Halt' ich Entferntes zärtlich nah umschlungen.
Ich greife mit dem Arm ins Ungewisse
Und reiße einen Sternenbund hernieder
Auf dieses armen Betts durchwühlte Kissen,
Die weißen Anemonen und Narzissen
Auf deine sinkend hingegebnen Glieder.

Die Sterne tanzen um mich rot im Kreis.
Doch meine Seele, die ist todestraurig,
Weil sie nicht Antwort auf dein Stammeln weiß,
Auf dieses irre Betteln, Beten, Bitten.
So kühl und wissendreif ist meine Seele. - -
Nun gleitet sie tief in der Erde Grund, Inmitten
Von einem schwarzen See, an Klippen schaurig,
Brech' ich ein Reis der dunklen Asphodele
Und kränze dir dein Haar ... Du aber, still,
Beschloßnen Blicks, erduldest wildes Leid ...
Plötzlich ein schweres Atmen, röchelnd, schrill,
Dein Seufzen weht zu mir .. so weit .. so weit ..
Und in die Sterne, jagend um das Kissen,
Dein irrer Ruf: Gib! Gib mich frei!
Ich press' den Mund dir zu mit wirren Küssen ...
Da - - in die Finsternis - - bricht jäh - -
dein Schrei - -


aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 51-52)
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Magdalena

In des Augenblickes Gier,
Da dein Haupt zurückgebogen
In die dunklen Kissen stöhnte,
Huscht jäh um die erfahrnen,
Wie im Spott gefurchten Lippen
Ein verschwiegner und verschämter,
Ein besondrer Zug der Qual.

Und ich sah und ich erkannte
Jetzt dein Schicksal, oft Betrogne,
Unersättlich stets nach neuen
Wonne Lechzende: von hundert
Lippen hofftest du Erlösung,
Schlürftest aus dem Taumelkelche
Immer wieder - Liebe, Liebe ...

Aber in der Wollust Becher,
Tief in seinem Grunde schlummert
Übermenschlich weitem Sehnen
Immer wieder die Enttäuschung. - -

In des Augenblickes Gier
Küss' ich jäh den schwergegrabnen
Zug der kühlen und verschwiegnen,
Wie in Qual gefurchten Lippen - -
Müde Wollust - Magdalena ...

aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 53)
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Das begrabene Herz

Ich hab' mein Herz verscharrt in den Sand.
Scharf pfaucht der Wind; es fröstelt der Strand. -
Da spieltest du einst mit Blumen und Band.

Da riefst du mich lieb und da ruht' ich mit dir.
Nun trieb dich des Blutes Welle von mir.
Trieb dich in fremdes, kaltes Revier.

War uns die ganze Welt nicht ein Tag
Voller Jubel und Lerchenschlag? -
Noch summt dein Lachen über dem Hag.

Was webt uns zusammen und scheidet uns so?
Aus meinem Leben liefst du mir froh,
Neuem Glück nach von irgendwo ...

Ich hab' mein Herz verscharrt in den Sand.
Weht es der Wind wohl über das Land,
Weht es dir in die lässige Hand.

Und es durchfröstelt dich sonderbar.
Fliegt ein Erinnern, wie einst es war,
Wie dort im Schnee der Dohlen Schar,
Schwarz dir vorüber, zerrüttet das Haar? ...

aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 58)
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An den Eros

Auf deinen Pfaden irrt meine Jugend hin.
Freundlich blicktest du oft und rosenlächelnd.
Aber zuweilen starrst du schwermütig finster,
O dunkler Eros.

Versehren mußt' ich manches Geschick, es weint
Jetzt durch die Nacht ein Mädchen-Weinen und fern
Eines Kindes Stimme. Und diente nur dir, dem frohen
Rufer des Lebens.

Was sind wir so in dies Dasein hineingestellt,
Unschuldig-schuldig tief in sein Netz verstrickt?
Kränze mich, Eros, mit Mohn und geleite du mich
Einst zu den Schatten.


aus: Im Lande der Torheit. Neue Verse
von Paul Wertheimer Wien und Leipzig 1910 (S. 89)
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Schlaflose Nacht

Ob die Liebe von uns ging,
Weil ich zu lässig im Schenken war?
Liebe ist ein flüchtiges Ding,
Bindest ihr nicht mit Rosen das Haar!

Trag es geduldig und merke dir:
Liebe hält kein seidenes Band;
Heute ist sie bei dir, bei mir,
Morgen flattert sie über das Land!


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 13)
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Abschied

Ach, unser Fühlen ist schon lange tot,
Ob auch ein Strahl die Leiche noch umflicht.
Du hoffst: es ist der Liebe neue Rot,
Das wunderbar aus welken Wangen bricht.

Ich aber weiss: das ist nur Widerschein
Von einer höhern Glut, die mich umspinnt.
Wir wollen, Kind, nicht Totenwächter sein.
Dein armes Haupt, das so in Schwermut sinnt!

Komm, neige dich zu einem halben Kuss.
Für unsre guten Stunden habe Dank -
Nun fühlen wir, wie Leben welken muss,
Nun fühlen wir verrinnen unsern Sang!

Komm, komm aus unserm ängstlichen Gemach.
Da draussen webt ein junger Maienglanz -
Vergiss die dunklen Worte, die ich sprach,
Schwing dich mit mir in einen leichten Tanz ...

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 15)
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Franzi

O diese Wochen voll Musik und Huld!
Wie es begann? Auf einmal kam es so:
Ich harrte dein alltäglich in Geduld,
Und täglich kamst du, winkend, leicht und froh.

Und unser hohes Stübchen, denkst du dran?
Mit zartem Ringlein pochtest du ans Thor.
In Armen hielt'st du einen sel'gen Mann
Und brachtest lachend kaum ein Wort hervor.

Und im Theater, zärtlich eng gepresst,
Und wenn die Szene gar zu schaurig war,
Hielt ich im Finstern dein Stieflettchen fest
Und küsste heimlich deine Hand, dein Haar ...

Die Sonntagsnachmittage auf dem Land!
Da scherzten wir ob deines Alltags Drill.
Einmal verlorst du deinen Kamm, dein Band,
Und du verlorst - o Muse, schweige still ...

O diese Wochen voll Musik und Huld!
Wie es verflog? Auf einmal kam es so ...
Nun wartet dein ein Andrer in Geduld,
Und einem Andern winkst du, leicht und froh!


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 16)
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Das Wunder

Einmal um die Dämmerzeit
Kommt das Wunder hereingeschneit;
Trägt ein blassblau Seidenkleid,
Hält einen Kelch voll Liebe und Leid,
Glück und Gold für mich bereit.

Käm' doch nur das Wunder bald!
Ach, mein Herz wird klug und kalt.
Manchmal pocht es noch mit Gewalt,
Wenn auf dem Gang ein Schritt verhallt.
Horch! Kommt jetzt die liebe Gestalt
Fernher in mein Haus gewallt?


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 23)
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Fäden

Viele Fäden gleiten
Zwischen mir und dir,
Luftig-feine Saiten,
Drauf die Wünsche schreiten
Zwischen mir und dir.

Und aus Hin und Wider,
Wie die Fäden ziehn,
Web' ich meiner Lieder
Seidenes Gefieder
In das Dämmer hin.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 26)
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Seelen

Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 28)
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Begegnung

Du grüsstest kaum, da ich dir heut begegnet.
Du rittest mir vorüber, kühl, im Schritt.
Da schrie mein Herz und folgte dennoch mit.

Es kam wie Gold aus deinem Haar geregnet.
Und dieses Nackens Trotz! Indes ich litt,
Wie warst du schön - wie hast du mich gesegnet.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 29)
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Marie

In mancher Stunde fühl' ich dich so tief,
In mancher Stunde bist du mir zu eigen,
So wie der Lenz dem, der im Wald entschlief. -
Durch alle Blüten geht ein süsses Neigen.
Er aber lebt im Traum und atmet bang
Den ganzen Frühling mit den goldnen Geigen -
Mit Duft und Dämmer, Schweigen und Gesang.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 30)
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Ständchen

Vernimmst du meiner Geige sehnsuchtstollen
Aufschrei der nachtgebor'nen Melodien?
Ich will mit Liedern wie mit wundervollen
Blumenguirlanden deine Stirn umziehen.

Du meine Welt, du mein geheimes Wissen!
Was ist mir der Erkenntnis Sternenklarheit!
In Nachtviolen, Rosen und Narzissen,
In meinem Traum von dir ist meine Wahrheit!

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 31)
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Bild

Liebste, wie ich dich heute fand,
Tändelnd, einen Globus in der Hand,
Möcht' ich dich malen:
mit kühlen Wangen,
Gelöst vom Kleide die Silberspangen,
Im Haar ein wehendes Seidenband,
Die runde Welt in deiner lässigen Hand.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 32)
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Der Kranz

Im Traume sprach ich viel zu dir
Mit grossen Worten, voller Pracht -
Dem Himmel nahm ich jede Zier
Und alles Licht und Gold der Nacht.

Und was ich auch zusammentrug
An funkelndem und mattem Schein,
Hielt ich noch immer nicht genug,
Dir morgen Diadem zu sein.

Doch als der Morgen silbern kam
Und du hervorschrittst, fein und schlicht,
Befiel mich eine leichte Scham;
Da bot ich dir die Krone nicht.

Und bot dir einen tiefern Glanz -
Wegblüten eines bunte Schar,
Und leise nahmst du diesen Kranz
Und drücktest leise ihn ins Haar.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 33)
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Der Garten

Nun haben wir uns ganz verloren
In unsrer Liebe webendem Garten -
Selige und beseelte Thoren,
Die wir lang' an der Pforte harrten.

Nun haben wir unsre heimlichen Gründe,
Kühl von Eppich und Moos umsponnen -
Du lauschtest still, wenn ich dir künde
Von meiner Sehnsucht goldenem Bronnen.

Nun hören wir dunkle Wipfel wehen,
Uns nahe verwandt aus uralten Zeiten -
Und hören die Sterne vorübergehen
Und in das Morgen-Dämmer gleiten.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 34)
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Mondlicht
Nach Verlaine

Das weisse Mondlicht
Flimmert im Wald.
Hoch von den Zweigen
Ein Liederreigen,
Ein Flüstern und Weben.
Wir schweben, schweben.

Der See ruht leuchtend.
Die Weiden ringsum
Sind schwarz und stumm;
Darüber weint
Des Windes Geige.
O schweige, schweige.

Und weiches Ermatten
Sinkt leise nieder
Vom blauschwarzen Himmel
Und löst die Glieder
Zu süssem Bunde.
Wir schlürfen die Stunde.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 36)
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Winternacht

Und über uns ein dunkles Wipfelwehn.
Das Mondlicht rieselt in den weissen Zweigen.
Wir fühlen, wie die Wünsche schlafen gehn
Und wie die Lider schlummerschwer sich neigen.

Nun sind wir tief in diesem Thal verschneit.
Fern, fern die Stadt und vieler Sehnsucht Rauschen.
Nur eine Glocke durch die Einsamkeit.
Wir stehn, geneigt das Haupt - und lauschen, lauschen.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 37)
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Das Erlebnis

Früher, da ich nur Sehnsucht war,
Sang ich von Küssen, Lauben, wildem Haar.
Nun ist mein Herz ganz ruhig, leicht und klar.

Nun wird es kaum von einem Takt bewegt.
Seit sich das Glück in meiner Stube regt
Und seine Arme flüsternd um mich schlägt!


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 38)
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Selige Stunde

Du tratest ein
Zur Dämmerstunde
In mein Gemach,
Und es brach
Keine Bitte von deinem Munde.
Und es fielen deine Hüllen
Stück um Stück,
Und das Glück
War uns zu Willen.
Und ich sah in deinen Mienen
Keine Angst,
Als du meines Seufzers Hauch
Atmend trankst -
Nur die Frage:
Sag', o sage -
Bin ich so schön auch
Wie in deinen Reimen,
Wie ich dem geheimen
Traum erschienen?


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 39)
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Schöpfung

Und wenn wir so beisammen liegen,
Still, Arm in Arm, tief in der Nacht,
Und unsre Küsse heisser fliegen
Und lauter die Begier erwacht -

Dann steigen, die schon längst verronnen,
Geschlechter jäh vor mir empor -
Und die Geschlechter, jetzt begonnen,
Sie brechen aus des Dunkels Thor.

Und Ewigkeit, die lange ruhte,
Und Ewigkeit, die jetzt erstand:
Sie reichen sich in der Minute
Des tiefsten Glücks die Geisterhand.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 41)
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Rosenlieder

Gib mir von deiner Brust die Rosenglut,
Den dunkel lockenden und milden Schein:
Ich trag' ihn heimwärts und ich berg' ihn gut
In unserm warmen, lieben Kämmerlein.

Nun leuchte ob des Bettes Dämmerung,
Wo Liebe, weisst du noch, im Flüstern sprach -
Und neige, wiege dich im leichten Schwung,
Glutampel in dem heimlichsten Gemacht!

***

Die Rose flammte rot von deinem Haar,
So wie ein Feuerzeichen durch die Nacht;
Da ist mein Herz, das schon entschlafen war,
Mit einem jähen, bangen Schrei erwacht.

***

Auf dem Berge stehst du gross im Licht,
Von den Hängen rings der Nebel rinnt -
Und du nimmst die Rosen heiss und dicht,
Die an deiner Brust erglommen sind.

In den Raum streust du die Rosen; fern
Fliegen in das Dämmer sie hinaus,
Wie die Welten von der Brust des Herrn,
Feuerblühend in den Nebel-Braus.

***

Da ruht das Meer, ein Teppich, weich und grün,
Und dort und dort rotgoldner Wellenschaum -
Wie Rosen, drauf des Morgens Feuer glühn,
Verwehte Rosen an des Teppichs Saum.

Sturmgeister haben diese Nacht getollt,
Vernahmst du's nicht, in dem azurnen Saal.
Noch liegen Rosen, rot und weiss und gold,
Zerstreut von der Dämonen Bacchanal.

***

Und wie das Blut des Herrn zur Erde sank,
Entquollen Rosen, blass und müd und schwer,
Die trug der Wind mit wehem Flügelklang
Hin über Städte, Zeiten, Berg und Meer.

Wir sitzen unter Rosen da
Und sind doch traumbefangen, traurig-gut.
Und willst du wissen, Kind, wie das geschah?
Die Rosen rings sind aus des Heilands Blut.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 42-43)
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Untreu

Geschah es wirklich gestern erst,
Dass ich in deinen Armen war,
Gehüllt in dein mattblondes Haar? -

Dazwischen lebt' ich eine Nacht,
Die war von mildem, halben Schein -
Ganz wie dein Dämmer-lichtes Sein.

Sie hatte Augen, feucht und blau
Und trug den feinen Nacken bloss,
Und schritt wie du so still und gross.

Sie lächelte, die Augen zu.
Die Haare fielen schwer und licht
Um ein beschattet Angesicht.

Sie küsste tief und bang wie du.
Sie nahm mich leise bei der Hand
Und führte mich zum selben Strand -

Zum schmalen Pfad rings um den See;
Dort, weisst du, wo die Erle weint,
Da lagen wir so stumm vereint.

Dort trank ich diese Sommernacht
Und trank sie ohne Qual beglückt,
Da ward ich deinem Kreis entrückt.

So sehr vergass ich meiner Treu',
Dass du mir heute seltsam bist,
Als hätt' ich niemals dich geküsst - -

Geschah es wirklich gestern erst,
Dass ich in deinen Armen war,
Gehüllt in dein mattblondes Haar? - -

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 44-45)
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Falsches Spiel

Du hast dich mir dargebracht
Um die königlichste der Gaben:
Du wolltest einmal zur Nacht
Eines Dichters Seele haben.

Du küsstest dich durstend fest
Am Mund, dem liederweichen;
Ich hielt deinen Leib umpresst,
Den zarten, schlanken, bleichen.

Meine Seele, die flatterte froh,
Du dachtest, nun fingst du sie ein;
Meine Seele flog weit weit wo
Draussen im Abendschein.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 46)
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Wunsch

Nun sollst du mich nie mehr vergessen!
Den Wunsch hab' ich in den Wein gesenkt,
Den du dir lachend eingeschenkt,
Du trankst mein Fühlen, unermessen.

Nun bin ich in deinem Blut für immer.
Ich weiss, auch du wirst von mir gehn;
Doch soll es dir oft zur Nacht geschehn:
Du sehnst dich so und findest mich nimmer!

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 47)
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Altes Lied

Hab' dir mein Herz gebracht.
Das war ein Diamant,
Trug viele Lichter.

Hast dir gedacht -
Das ist nur gläserner Tand,
Wie bald zerbricht er.

Warfst es weit, weit fort
In hastigem Schwung -
Liegt nun an staubigem Ort,
Hat einen Sprung.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 48)
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Das Glück

Sah das Glück zur Stube 'rein,
Trug einen Kranz von Sonnenschein
Und ein paar Heckenrosen.

Warf mir eine Rose zu,
Sagte mir ein rasches du
Und ist davon geflogen.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 49)
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Schlummerlied

Du bist ich und ich bin du ..
Schliesst uns das Glück die Augen zu;
Wiegt uns mit einem Sang zur Ruh:
.. Du bist ich und ich bin du ..

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 81)
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Nachtwächter-Lied

Horch! Da schlägt die Glocke zehn.
Du noch wach, Kind, lass dich warnen!
Liebe wird dein Herz umgarnen,
Dir wird Glück und Leid geschehn.
Höre, Kind, und lass dich warnen.

Glaube mir, ich mein' es ehrlich:
Hüt' das Feuer und das Licht!
Trau' den hübschen Knaben nicht -
Sommernächte sind gefährlich.
Glaube nur, ich mein' es ehrlich!

Lass nicht lang' das Fenster offen!
Manche, die wie du gedacht,
Und den Warner ausgelacht,
Ward von Angst und Reu' betroffen.
Kind, lass nicht das Fenster offen.

Liebes Kätchen, blonde Kleine -
Hüt' das Feuer und das Licht!
Trau' den hübschen Knaben nicht.
Träum' nicht so im Mondenscheine,
Liebes Mädchen, blonde Kleine.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 82)
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Der Tanz

Und so bist du mein: im Tanze,
Still das Haupt, in läss'ger Ruh.
Deine Augen, feucht, im Glanze,
Winken, blinken, sinken zu.

Und im Ruhen und im Schweben
Hüllt dich meine Sehnsucht ein;
So dem Tanze hingegeben,
Wirst du's bald der Liebe sein.

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 83)
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Wissende Liebe

Ich liebe dein schmales Kameengesicht,
Die Hände, die zarten, bleichen,
Und deiner Seele ruhiges Licht;
Doch will ein schwerer Schatten nicht
Von unsern Stunden weichen.

Warum kam diese Liebe so spät?
Wir zwei sind wissende Leute -
Wir wissen, wie Liebe kommt und geht;
Drum liegt's wie ein Frost im Rosenbeet
Auf unserm Glück von heute.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 86)
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Von Zweien

O du bist reiner als ich,
Ganz hingegeben
Dem dunklen Weben
Der Liebesgewalten;
Denn alle deine
Gedanken schweigen,
Wenn dich meine
Lippen suchen;
Die Lider geschlossen
Im süssen Neigen,
Mit bebendem Munde
Hast du genossen
Das Glück der Stunde.
Doch in mir schliefen
Nimmer die Fragen,
Zweifel und Hoffen,
Ahnung und Wissen,
In meinen Tiefen
Hört' ich sie klagen
Und meine Augen
Blieben halb offen - -

aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 87)
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Sehnsucht

Sehnsucht ist Glück.
Ich sehnte mich nach deinen Lippen hin,
Du meines Traums rotblonde Königin -
Sehnsucht war Glück.

Ich träumte dich mit weit gelöstem Haar,
Ich gab dir meiner Nächte Purpurschein,
Und dein Gespräch strömte wie starker Wein,
O wie im Traum dein Atem glühend war.

Nun bin ich bei dir - und ist dies das Glück?
All was wir reden ist so laut und schwer.
Und unser Schweigen ist von Wünschen leer.
Nach meiner Sehnsucht sehn' ich mich zurück. - -

Ist die Erfüllung immer kalt und bleich?
Dann bleibt Gestalten stumm in mich gebannt!
Ich küsse, Abschied suchend, deine Hand.
Nun bin ich wieder Herr in meinem Reich.


aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 88)
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Reisemorgen

Und fahr' ich in die Weite
Durch Dorf und Berg und Au,
Bist du mir stets zur Seite,
Geliebte Frau.

Und in dem Duft der Ferne
Fühl' ich dein nächtiges Haar,
Ich reiche dir die Sterne
Wie Blumen dar.

Wie sich die Ähren regen.
Der Wind herüberlauscht -
Der Seele Erntesegen,
Er rauscht dir zu und rauscht.


aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 14)
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Sommerland

Nun ruh' ich im goldgrünen Tau.
Im schattigschweren Moose
Blick' ich zu dir, vielliebe Frau.
Hinauf ins Uferlose
Über die Wipfel mein Sehnen weht.
Du streifst mit bloßen Füßen
Still durch den Wald. Das Eichhorn späht.
Dir zu Häupten ein Sonnenkrönlein steht.
Ich höre dein Lied, fern wie ein Gebet,
Zu mir herübergrüßen.

Wir ziehen durch das reife Feld.
Du weisest mir lächelnd die Blüten.
Wie hellgestaltig ist die Welt!
Ich will dich hegen und hüten,
Dein Herz blüht wie eine Blume so klar,
Traumglühend sind deine Wangen;
Das rote Tüchlein im schwarzen Haar -
Sprang jetzt der Mohn aus der Schwestern Schar,
Und ist wie ein Märchen wunderbar,
Hell durch die Welt gegangen?

aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 15)
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Capriccio

Da ich müd in diese lieben blauen
Kissen hingelehnt, von deinen Armen träume,
Spielt um mich der Kreis der fernen Frauen,
Die ich, Glühende, um dich versäume.

Die sich nie in meine Arme neigen!
Und ich küsse dich und küß dich wieder,
Und es wiegt ein blonder Frauenreigen
Lockend hin um deine dunklen Lider.


aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 16)
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Das alte Wort

Nach wetterschwüler Stunde
Aufzuckt's um deine Lippen,
Du fühlst in dieser dunklen
Tiefe und Feierstille
Dein Herz schwer niedertropfen,
Und senkst in meine Seele
Das Wort: Ich liebe dich.

Das Wort, es treibt und wurzelt
Und rankt sich auf und duftet
Mit schweren blauen Blüten,
Und wird zur Wunderblume,
Um alle Himmel greifend,
Um alle Lande schattend,
Und um die Erde weit.

Und aus dem Baume fallen
Geheimnisvolle Früchte,
Betaut vom Morgenglanze,
In meiner Seele reifen,
Dem Wunder dieser Stunde
In Demut aufgeschloss'nen
Vertrauend offnen Schoß.


aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 17)
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Im Volkston

Meine Gedanken
Ziehn, wo es ihnen gefällt,
Und mit den Flügeln, den blanken,
Wandern sie durch die Welt.

Und mit sehnenden Schwingen
Kehren sie heim, wo du bist,
Und heben von dir an zu singen,
Die meine Heimat ist.

aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 18)
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Fülle

Meine wilde Unrast lief
Irrend auf vielen Wegen,
Bis sie in deinem Schoß entschlief.

Meine Seele war knospender Drang,
Bis sie in deinem Segen
Reife ward und Fülle und Klang.


aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 23)
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Schlummerlied

Laß, o laß mir deine Hand,
Eh der Schlaf die Geisterwand
Zwischen unsre Seelen spannt.

"Bin ich auch dein ganzes Reich,
Vater, Freund und Kind zugleich?"
Deine Stimme flüstert weich:

"Liebster du, mein Lieber du -"
Und in deines Atems Ruh
Schließt mein Tag die Augen zu.


aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 26)
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Traum vom Tode

Und meine Augen fallen zu.
Die Seele irrt am Strande -
Und stört die Schatten aus der Ruh,
Im bleichen Nebellande.

Da ... schwer hintastend durch das Grau,
Fühl ich ein mildes Scheinen.
Das sind die Augen dein, o Frau,
Sie leuchten und sie weinen.

O Augen, die mir Tröster sind
In diesen Dunkelheiten,
Ich laß mich, ein verirrtes Kind,
Von euerm Schimmer leiten.

Sie folgten mir. Sie grüßen mich
In lächelndem Erbarmen. - -
Noch jauchzt mein Tag! Wie lieb' ich dich!
Du lebst in meinen Armen.

aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 27)
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Biographie:

Wertheimer, Paul, auch: P. Franken, * 4.2.1874 Wien, † 19.3.1937 Wien. - Lyriker, Dramatiker, Erzähler; Journalist.
Der Kaufmannssohn W. besuchte gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal das Akademische Gymnasium in Wien, studierte Jura in Wien u. Zürich (Dr. iur.) u. arbeitete als Advokat u. zgl. Feuilletonredakteur der »Neuen Freien Presse«. Mit Schnitzler u. Bahr befreundet, zählte er zu den Vertretern des Jung- Wien, veröffentlichte in der Zeitschrift »Pan« u. in der »Neuen Presse« unzählige Gedichte, Theater- u. Literaturkritiken, von denen eine Auswahl in den Kritischen Miniaturen. Essais zur modernen Literatur (Wien 1912) erschien. Gängige Themen des Fin de siècle wie Todessehnsucht u. Lebensunfähigkeit des Großbürgertums u. der Aristokratie sowie lebensphilosophische Theoreme dominieren W.s erfolgreichste Novellensammlung Der Brand der Leidenschaften (ebd. 1914). Der Lyrikband Das war mein Wien. Verliebtes, Verspieltes. Verklungenes (ebd. 1920) evoziert in nostalg. Verbrämung falsche Idyllen u. Klischees aus dem Leben der Hauptstadt der untergegangenen Monarchie. »Der Advokat Paul Wertheimer, der vom Theater weniger versteht als eine Kuh von Jurisprudenz, während sie bestimmt bessere Lyrik macht«, wie Karl Kraus ihn in der »Fackel« (F.n 622-631, S. 43) attackierte, u. Übersetzer Oskar Wildes (Ziele u. Der Sozialismus der Seele. Beide ebd. 1907) wurde 1919 mit dem Bauernfeld-Preis, für die Komödie Stadtpark (ebd. 1929) mit dem Volkstheaterpreis ausgezeichnet.

WEITERE WERKE: Gedichte. Lpz. 1896. - Neue Gedichte. Mchn. 1904. - Die Frau des Raja. Wien 1906 (D.). - Wenn zwei dasselbe tun. Vier Einakter. Bln. 1909. - Im Land der Torheit. Neue Verse. Wien 1910. - Joujou U. a. lustige Gesch.n. Ebd. 1912. - Die Frau Rat. Ebd. 1920 (Kom.). - Sommerhaidenweg. Ebd. 1921 (L.). - Brüder im Geiste. Ein Kulturbilderbuch. Ebd. 1923. - Menschen v. heute. Ebd. 1923. Urauff. Dt. Volkstheater Wien 1924 (Schausp.). - Der Triumphzug des Eros. Ebd. 1926 (L.). - Plakate. Heitere Gesch.n v. Dingen, Tieren u. Menschen. Ebd. 1929. - Respektlose Gesch.n. Ebd. 1929. - Welt- u. Weiberspiegel. Ebd. 1931. - Alt-Wiener Theater. Schilderungen v. Zeitgenossen. Hg. u. eingeleitet v. P. W. Ebd. 1920.

Aus: Autoren- und Werklexikon: Wertheimer, Paul, S. 2. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon
 

 

 

 


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