Kurd Adler (1892-1916) - Liebesgedichte

 



Kurd Adler
(1892-1916)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Die kleine Trennung

Des Tags, da man sie auseinander hieb
hatte der Rhythmus ihres Blutes längst die gleichen,
wallenden Wünsche. An verwehten Zeichen
erkannten sie, was ungesprochen blieb

in allen Mengen, die sich um sie türmten
und sie bedrängten. Und es war der Bund
der Heimlichkeiten schon so groß, daß sich der Mund
fast schämte, daß er nicht in Stärcke stürmte

und leuchtend pries, was in den Seelen war.
Sie ahnten schon alle Verklammerungen
ihres Gehörs; und ihrer weichen Zungen
bekannte Süße war wie ein Altar.

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 8)

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Von sehr jungen Mädchen

I.
Noch ist die süße Scham um ihre Lenden,
und in ihren Gelenken
quillt noch kein blühendes Blut.
Ihre Sinne sind rein und gut,
wie helle Gläser in weißen Schränken.
In ihren Augen ist noch kein Denken
von nachtgoldtrunkenen, spendenden Händen,
die wissend sind von des Lebens Enden.
Sie sind alle so nonnenarm
und wehzitternd, wie ein Ave Marie;
und rufend leis, daß Gott erbarm
nach einem machtvoll hohen gotischen Dom
und einer schönen, schweren Melodie.


II.
Sie sind so nichts, wie schlanke Dichterträume
die sich um weiche Laute silbern weben
bis einer durch die orgeltiefen Räume
ihnen die Hände reicht.
Und nun sie aufwärts schweben
weg von den engen, brechenden Gedanken,
die ihres Lebens dunkle Not umgeben,
kommt eine Stunde, da die dichten Hüllen,
gleich Apfelblüten, die von Bäumen sanken
vor ihnen liegen.
Und dann klingt
durch ihre Adern ein Erfüllen,
so wunschstark, daß sie über ihren Willen
in ihrem Sein das letzte Wunder schauen.
Gleich Dichtern, die sich ihren Tempel bauen,
tief unten - in des Lebens letzten Stillen.

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 11)

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Der Abend an dem Fenster
Für S. M.

Dies sind die seltsamsten von allen Stunden,
in denen es von lichtgrau stiller Güte
aus deinen Worten rann und rann
und glühte.
Und alle Worte waren wie Gesang,
wie junger Mädchen halbbewußter Gang
und ebenso vor neuen Wunden bang . . .
. . . So sahn wir lächelnd sich die Dinge runden
und untersinken in dem schmalen Dampf
der abendlichen goldgezackten Stadt,
die ihre Brüste zu den Nebeln rang
. . . . . . . .
In unsren Händen war vielleicht ein Kampf
um diese Zeit . . . sie hingen wartend matt,
wie junge Kinder zählten sie die bunten
weinroten Blumen und die blauen Gänge
des Teppichs. Was die Köpfe sannen,
vergaßen wir. Es kamen nur Gesänge
des Abends her. Es drangen
die ungelebten Stunden in uns ein
und träufelten wie überbrannte Kerzen
auf unsre Hände . . .
die sich finden werden.
So hab ich nun den Stolz der wachsenden Gebärden,
das Blut der ungestillten großen Schmerzen
und jenes wundersame Glück, das viele starke Städte
wie wilde Hecken um dich blühn, als hätte
ein Sehender sie hier gepflanzt, damit sich keine
der Häßlichkeiten noch hinüberrette
und trüber werde deine große Reine.

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 22)

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Und dann sind unsere Nächte . . .

Und dann sind unsere Nächte von Kühlheit taub
und sind schwellend und stark und voll fallendem Laub.
Um ihre Arme sind Ringe gespannt,
ein Zittern geht durch ihre Hand.
Es ist wie ein Tropfen verspieltes Blut tief innen.
Und irgendwo stirbt ein häßliches Kind
und Menschen wollen den Tag beginnen.
Zwei Frauen bleich über ihr Leben sinnen,
und sehen, daß sie schon gestorben sind.
Und irgendwo glimmert ein mattgelbes Glück
durch engen, grauen Hüttenrauch.
Das verweht der arme Spätabendwind.
Und die Liebenden küssen sich geschwind,
als bräche das Leben plötzlich entzwei . . .
Was das wohl sei? . . .
Daß wir stets mit den gleichen Gedanken
an Liebe, Düfte und Jesu Christ
mühsam beschwert durchs Leben wanken?
- Weißt du, daß in der Nächte letztem Schrei
ein Meer von Blut versunken ist?

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 25)

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Glut

Blutrot brennen die erdenheißen Lampen,
und blauer Duft schwingt um die lauten Köpfe,
die eng und dicht sich aneinander schmiegen.
Von ferne klingt ein leichtes, helles Lied.
Die bunten Töne mischen sich dem Wein, der goldgelb
in dem hohen Glase schimmert.
Zwei weiße Arme seh sich vor mir leuchten,
weiß wie die ersten frohen Frühlingsblumen,
die lachend auf den jungen Feldern stehen.
Und rote Rosen führ ich an den Mund
und meine Lippen küssen leicht die Luft,
die von den Tönen, Farben, Menschen widerhallt,
die taumelnd sich dem Rausche überlassen,
als ahnten sie, wie in der weiten Fülle
Musik und Farbe selig sich umschlingen,
um einen neuen Gott der Schönheit zu erzeugen.

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 29)

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Japanische Zeichnung

Ganz kleine Hände
hoben sich sinnend
dem duftenden Wind.
Warfen Gedanken
knospender Wünsche
lockend ihm zu.
Vertraulich starren
wissende Augen.
Gekeltertem Wein gleich.
Wie ein Hauch weitseidener
fantastischer Ärmel,
die Apfelblüten
regnen lassen
auf ganz kleine Hände.
Die beugen sich still,
wie gefallende Klagen
und trinken bewußt
gedunkelter Lust
entbehrte Fülle.
Und lauschen auf ferne,
unbekannte
verdeckte Geräusche.

Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 30)

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Wiederkehr (Juni 1916)
Kurd Adlers letzte Dichtung

Seltsam – wird alle Bitternis in schließendem Schlund versank:
die zerrissene Luft, der Schrei, der Pulvergestank
die Enge und das schleichende, müde Leid.
Wieder lodert das Leben auf in verzückten Flammen,
Berge erblühn und Straßen lagern sehr breit
sich hin. Schon rücken Gespräche zusammen.
Und eine dünne Brücke – fast nur ein Seil,
tänzelt leicht über die trennenden Tage.
Verschwommene Gesichte – lang schon außer
Bewußtsein – steigen aus glühem Krater
wie Freunde auf. Das ist der Strom, der Turm,
die Straßenbahn, das Theater,
geliebtete Frauen, Glanz aus vernarbten Wunden,
rhythmisch Gejage.
Weiße, große Betten ... wie ein Irrer bin ich,
wie ein Neger oder ein Inder.
Ich möchte nach allen bunten Dingen verlangend greifen,
durch Abende wehn, über hundert Münde streifen
oder lange in kristallenem Bade liegen.
(Keine Trompeten, kein Schnarchen, kein Schlamm,
keine müden Glieder.)
Ein traumsilberner Flieger will ich den Lenz überfliegen,
die schweren Bäume in ihren Kronen fassen
und in freudig geneigter Demut wieder und wieder
die Liebe durch tausend Ventile ausströmen lassen.


Aus: Kurd Adler Wiederkehr. Gedichte
Die Aktion Berlin 1916 (S. 44)

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Die Rückkehr

Früher war meine Liebe grenzenlos,
und keiner war, der sie bescheiden bände,
der in der Wirrnis über dem Gelände
der Füße Andacht mir nur einmal wies.
Ganz taumelnd schaut ich um das Paradies,
das ich hinter der bangen Wüste fände.
Damals war alles Hoffen städtegroß.

Da fand ich feil und offen eine Lende
einer geschmückten Frau, und Feuerbrände
loht ich in sie; und alle Süße ließ
ich in sie strömen, und so pries
ich tagehin nur Seele, Mund und Hände.
Aus trübem Wissen wuchs ein quälend Ende.
Ich sah und sank, nun steh ich nackt und bloß.

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
4. Jahrgang 13. Juni 1914 (S. 525)
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Das Porträt

Aus deines Haares Widerspenstigkeit
biegt sich in schmalen Runden dein Gesicht
empor. Wie wenn am Abendhorizont ein Licht
Vertrauen bringt. Spukhafter Dunkelheit
gebücktes Lauern lächelnd übereilt.
Und deine Stirne ist wie ein Gebet,
ganz eingeschlossen, so wie Liebe geht
zu einem Kummer, den kein Mensch geheilt.
Selbst deine Wangen sind davon umfaßt,
und zeigen noch die überirdische Spur,
gleich Sternen auf der künstlichen Glasur
von alten Kirchefenstern. Nur ein Gast
sind deine Lippen. So von Erde voll
- weinrauschender - die Worte sind Musik
auf ihnen blühend. Jedes ist ein Stück,
das tönend aus gereiftem Halse quoll.
Denn so ist alles Sprechen stark an Kraft,
die in der Adern Gänge quillt und treibt.
So baut es Türme; unvergessen bleibt
es so, als habe es der Gott geschafft.
Und dieses alles ist ein kleines Nichts
vor deiner Augen weitgeöffnet Tor,
und wie ein junger Frater knie ich vor
diesen Juwelen deines Angesichts.
Sie sind so wie ein Garten, tief im Land,
und wie der Menschen Güte vor dem Tod,
und wie der blonden Kinder guter Gott,
und wie ein reiner Tor, der Sehnsucht fand,
wohin er kam. Nun fand ich eine Ruh,
die alles Leben dir zu Händen legt,
Rauhes und Mildes duldend jetzt erträgt
um deine Augen, du, Madonna, du.

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
5. Jahrgang 6. Nov. 1915 (S. 570)
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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kurd_Adler



 

 


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