Peter Altenberg (1859 1919) - Liebesgedichte



Peter Altenberg
(1859 1919)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Dialog

Er und sie sitzen auf der Bank in der Linden-Allee.
Sie: Möchten Sie mich küssen?!
Er: Ja, Fräulein - - -.
Sie: Auf die Hand - -?!
Er: Nein, Fräulein.
Sie: Auf den Mund - -?!
Er: Nein, Fräulein.
Sie: O, Sie sind unanständig - -!
Er: Ich meinte "auf den Saum Ihres Kleides!"
Sie erbleicht - - -.
(S. 43)
_____



De Amore

Ich liebe dich

Ich liebe dich.
Ich liebe deine hellblauen seidenen Socken.
Ich liebe deine zarten weißen Batistkleidchen
Ich liebe deine seidenen Gürtel.
mit den langen wunderbaren Schleifen
Ich liebe dich.

Ich liebe deine drei von dir geliebten Puppen,
Mildred, Baby und Dorothy,
welche du an dein Herz drückst
und zu welchen du sagst:
"Ihr macht mir viel Kummer, meine Lieben,
wißt ihr das?!
Immer gleich verdrückt und schiefe Hüte - - -!"
Ich liebe dich.
Ich liebe den Duft deines Zimmers,
deines Kleiderschrankes, deines Bettes.
So duften die Rinden der Bäume im Vorfrühling,
wenn noch kein Laub ist
und alle Kraft im Baume drinnen liegt.
Ich liebe dich.

Ich liebe dich, wenn du gestraft wirst
und du eine Träne wirst,
wie Daphne ein Baum.
Die Großen weinen.
Aber die Kleinen werden Tränen.
Ich liebe dich.
Noch lehnst du lächelnd an dem Tor des Lebens.
Ich liebe dich.

Weltenweisheit hast du - - -
da du noch nichts weißt.
Pallas Athene du!
Unbeirrten Auges thronst du
auf dem weißen Throne deiner Kindlichkeiten!
Ich liebe dich.
Ah, melde mir die Nacht,
in der die grausame
verzerrungsfreudige Natur
zum Weib dich macht!
Dann will ich Abschied nehmen - - -
von meiner Liebe.
(S. 49-50)
_____



Ein Liebesgedicht

Rosig will ich, muß ich dein geliebtes Antlitz sehen - - -
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müßte!
Rosig muß ich dein geliebtes Antlitz sehen,
Rosig und mit dem süßen kindlichen Ausdruck des Wohlergehens!
Aber bleich bist du mir nun geworden seit Tagen,
Und unendliche Müdigkeit dämmert in deinen sonst lichten Augen!
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde, was ist dir?!?
Mir bangt so schrecklich - - -.
Willst du den Prinzen in deinen Armen haben?!?
Willst du den romantischen Gymnasiasten?!?
Willst du den Kellner, der dir serviert?!?
Willst du den Fremden, der auf der Straße gebannt verweilt?!?
Willst du den Bäckerjungen, der morgens Brot bringt?!?
Bleich bist du mir nun geworden, seit Tagen,
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde - - -
Bleich bist du mir geworden und kränklich!
Brauchst du Räusche?!?
Ich, ich kann sie dir nicht mehr geben - - - -
Denn der tückische Mörder "Gewohnheit" schlich sich
hinterrücks in deine zarte Seele ein -.
Geliebteste,
Rosig will ich, muß ich dein geliebtes Antlitz sehen - - -
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müßte!!
(S. 74-75)
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Die Liebe

"Am Altar der Dorfkirche
knietest Du einst, Anna,
und betetest um meine Liebe - - -!
Nun, da Gott Dich erhörte,
betest und kniest Du nicht mehr!?!"
"Um was sollt' ich nun knieen und beten,
Du Thörichter, Liebster?!?"
"Ich weiss es nicht, Anna.
Heilige Zeiten waren es,
da Du noch mit Gott
eindringlich über mich sprachst - - -!"
(S. 122)
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Gedichte an Ljuba

Ljuba

Die da nicht kommen an Deinen Tisch,
Die sind klüger als ich!
Die schützen sich!
Ich aber, gleich der Motte im Lichte,
mache meinen Selbsterhaltungs-Trieb zu nichte!
Ich will lieber in Licht und Hitze sterben,
als gesichert um Anna oder Grete werben!
Die da nicht kommen an Deinen Tisch,
Die sind dümmer als ich!
Sie schützen sich!
(S. 158)
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Das neue Kleid

"Kommen Sie morgen mich anschau'n
in meinem neuen Kleid - - -!"
Ich aber war nicht dazu bereit.
Ich kam nicht Dich anzuschau'n in Deinem neuen Kleid.
Und es tat mir gar nicht leid.
Hättest Du gesagt:
"Morgen dürfen Sie meine Fingerspitzen berühren - - -",
ich hätte die Nacht schlaflos verbracht,
hätte bei Schnee und Wind an deinem Thore gewacht,
hätte nichts gegessen, nichts getrunken,
wäre vor Sehnsucht umgesunken.
O Gott, wir leben doch im lebendigen Leben,
können daher es nicht billiger geben!
Für leeren Ritterdienst bin ich zu alt,
für echten Liebesdienst bist Du zu kalt!
Dein altes Kleid und Dein neues Kleid
schaffen mir nur Herzeleid!
Ein jedes Deine Schönheit barg
wie ein Sarg.
Hättest Du zu mir gesagt:
"Morgen dürfen Sie meine Fingerspitzen berühren - - -",
ich hätte die Nacht schlaflos verbracht,
hätte bei Schnee und Wind an Deinem Tore gewacht,
hätte nichts gegessen, nichts getrunken,
wäre vor Sehnsucht umgesunken!
So aber warst Du gnädig wie alle Frauen:
"Sie dürfen mich morgen im neuen Kleid erschauen!"
Da kam ich nicht.
Ich Wicht!
Ich dachte an Deine geliebten Finger,
und von meiner Liebe nicht geringer,
trotzdem ich nicht kam, Lieblichste der Frauen,
Dich im neuen Kleide anzuschauen!
(S. 159)
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Und endlich stirbt die Sehnsucht doch

Und endlich stirbt die Sehnsucht doch - - -
wie Blüten sterben im Kellerloch,
die ewig auf ein bißchen Sonne warten.
Wie Tiere sterben, die man lieblos hält,
und alles Unbetreute in der Welt!
Man denkt nicht mehr: "Wo wird sie sein - -?!?"
Ruhig erwacht man, ruhig schläft man ein.
Wie in verwehte Jugendtage blickst du zurück,
und irgendeiner sagt dir weise: " 's ist dein Glück!"
Da denkt man, daß es vielleicht wirklich so ist,
wundert sich still, dass man doch nicht froh ist!
(S. 160)
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Gedicht

Ich nahm ein Mädchen zu mir über Nacht.
Das macht nichts.
Bevor sie einschlief, sagte sie: "Sind Sie ein Dichter?!?"
"Weshalb? Vielleicht. Das macht nichts."
"Ich habe nämlich auch einmal gedichtet -."
"?!?"

"Ich hab' dich so gern.
Nun bist du fern - - -.
Das macht nichts.
Auf meinem Grab wird steh'n:
"Ich liebe dich!"
Niemand wird wissen wer und wen - - -.
Das macht nichts."

Ich gab dem Mädchen 10 Gulden statt 5 - -.
"Oh", sagte sie lächelnd, "5 waren nur ausbedungen!?!"
"Das macht nichts. Die Rechnung stimmt.
Sieh', Mädchen, wie genau ich zähle - - -
5 für Deinen süßen Leib und 5 für Deine süße Seele!"
(S. 178-179)
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Liebesgedicht

Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen -
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen -
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen anstreichen,
Ich sah dich in Gesellschaft untadeliger
Menschen erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert
nackt zu zeigen,
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel-stolz verneigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten
Papagei wie mit einem Freunde sprechen,
Ich sah dich mit einem Manne
wegen seines geringen Taktfehlers für ewig brechen - -.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen,
Ich sah dich der Stille eines
Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen,
Ich sah dich traurig stehn
vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen
wie die Spinne ihr mysteriöses Gewebe - - -
Ich schlich mich abseits,
um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, solang ich lebe!
(S. 231)
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Kabarettlied

Ich fange mir mit meinen Blicken
die Männer ein - - -!
Was kümmert's mich, ob sich's mag schicken -
mein Mann schaut zu in Seelenpein.
Ich seh' ihn blaß und blässer werden -
ich bin sein höchstes Gut auf Erden!
Er würde sich zu Tode kränken,
tät ich mich Einem ganz verschenken.
Doch meine jungen Nerven müssen
die Sehnsuchtsqual von Männerherzen spüren.
Ich lasse mich nicht einmal küssen -
sie aber träumen bereits alle vom Verführen!
Ich muß mir selber meine Macht beweisen,
dadurch, daß ich unselig machen kann;
Denn in allzu geordneten Geleisen
gibt sich der Pflicht des "Lebens" hin der dumme Mann!
So aber seh' ich alle blaß und blässer werden -
ICH bin ihr höchstes Gut auf Erden!
Mein Mann tut mir aufrichtig leid
bei allem diesen bösen Spiele;
Doch ließ' ich ihn in völliger Sicherheit,
wer weiß, ob ich ihm dann noch so gefiele?
Am besten ist's, ich bleib' so wie ich bin - - -
wie lange dauert's, ist man alt und hin!?
(S. 249-250)
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Wie ich Übersetzer wurde

Das Lied heißt: "Son amant" und ist gedichtet
von Edmond Teulet, Kabarettier von den "Noctambules", Paris.

Ihr Liebhaber

Du fragst, woran ich sterben muß,
Bei Arzt und Freunden rund herum?!?
Ein Leid, Geliebte, das du schufst, bringt mich nun um!
Und keiner kennet meines Leidens Wesen.
Drum sagt ein jeder banal und dumm:
"Wer weiß, er kann vielleicht doch noch genesen -!?"

Ich glaubte, daß ich hätt' die Kraft,
Das Sterben in mir zu besiegen,
Das nun zwei Jahre lang in mir tobt und schafft.
Mein Herz war stark, dennoch mußt' es erliegen.
Dich zu verlassen, Süße, ist mein einziger Gram -
Nun sag' ich dir, wieso es kam - - -.
Ich sage dir, geliebteste Geliebte,
Nun, in der Stunde des Verscheidens,
Das wirkliche Geheimnis meines Leidens!
Ich sah dich eines Abends in den Garten
Hinabsteigen, ängstlich-eilig, und ich sah dann
Einen zweiten Schatten - - - einen fremden Mann.
Und diese Zwei kamen sich näher, näher - - -
Der Büsche Dunkelheit entführte sie dem Späher.

Mein Herz stand still, ich hätte können weinen wie ein Kind,
Geliebte, ich konnte von dem allen nichts verstehen -
Ich wollte und ich wollte euch nicht übersehen -
Ich hatte Furcht, da zu euch hinzugehen - - -!

Denn dann hätt' ich mit meinem Messer
Durchbohrt deinen geliebten Hals, Geliebteste,
Dich an die dunkle Erde der Allee genagelt;
Ich hatte Furcht, dich dann ganz zu verlieren!
So, so war es noch immer besser!
Ich hatte Furcht. Ich liebte dich. Was konnte ich erreichen?!?
Und ich gewann die Kraft, mich fortzuschleichen!

Kleinweis bin ich zugrund' gegangen nun durch dich.
Du siehst, Geliebte, ich hab' dich nie belogen,
Wenn ich dir sagte: "Ich liebe dich - - -"
Geliebtestes Geschöpf, nun ist es aus - - -
Leg' auf mein Grab einen Blumenstrauß!
(S. 252-253)
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Vom Rendezvous

Sie ging den steilen Wiesenpfad hinab,
zum Rendezvous.
Ich sah braune Stauden ihre Röcke streifen. Ich sah ihr nach.
Bald kam Himbeergebüsch, das sie begrub.
Um ¼1 sollte ich sie erwarten.
Sie kam zurück, von Küssen ganz bedeckt.
Wie wenn die rechte Hand geheiligt wäre,
reichte sie mir die linke,
die ich an die Lippen hielt,
solang bis Wehmut kam und übertropfte - - -.
(S. 428)
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Liebesgedicht

Ich wußte es, sie hatte mich betrogen - - -.
Betrogen? Nein. Sie hatte nur vergessen,
es mir zu sagen, es mir mitzuteilen - - -.
Denn ich hätte es ihr gestattet;
wie einem Kindchen Kugler-
Gerbeaud-Bonbons,
von denen man nicht wissen kann,
wie zart sie schmecken - - -.
Das Stubenmädchen brachte mir ihren,
meinen armseligen Ring,
zehn Kronen, den sie auf Zimmer 109,
im Bett gefunden hatte.
Dann ging ich in die Bergwiesen,
in den Wald, zu unseren
heiligen Ruheplätzchen.
Hochgelbe Arnika wuchs,
weißer Klee, braune Schuppenwurz,
lila Orchideen, ein Liebesteppich.
Sie hatte mich betrogen. Nein.
Dort, siehe, war es ein weißes Bette gewesen
wie tausend Betten - - -.
Ein weißes, weißes, nichtssagendes Bett.
Hier aber war Bergwiesen-Liebesteppich,
in Gottes bunter Pracht!
Hier blieb sie mir treu!
(S. 444-445)
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Die Liebe
Mitzi Thumb gewidmet

Weißt du, was Liebe ist?!?
Wenn man vor innerer Zärtlichkeit vergeht - -;
wenn man ein Späher, Lauscher wird nach dem,
was sich flüchtig, launisch nur,
ersehnt im Übermute ihrer Kindlichkeiten - - -;
wenn man sie krank wünscht,
um die Sorgfalt der Minute zu verhundertfachen - - -;
wenn man den Atem eintrinkt,
der bei ihrem Sprechen unwillkürlich dich berührt - - -;
wenn man bereit ist, stets zu weinen,
wie ein gekränktes Kindchen, wegen nichts - - -;
ein Herzgefäß, das überquillt von süßen Leiden;
die Zärtlichkeit tropft aus, tropft über - - -;
wenn der Geruch von ihrem Wäschenkasten dich belebt,
wie andre noch nicht einmal Semmering-Wälder - - -
und wenn du ihr gebrauchtes feuchtes Handtuch
inbrünstig an die Lippen drückst - - -;
wenn du die Haarnadel aus ihrem Haar
sorgfältig aufbewahrst und deren Duft verspürst,
der nicht mehr ist - - -;
wenn dich ihr Blick erschüttert wie Musik - - -;
wenn du dich als Selbstlosen, los vom Selbst,
jetzt ganz lebendig fühlst - - -
Dann liebst du!
Früher nicht!
Sei sparsam mit dem Wort "Ich liebe dich",
und achte es,
wie nichts auf Erden!
(S. 520)
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Liebeslied

Ehe du von mir gehst, Geachtetste,
die Zeit ist nämlich nicht mehr fern,
ich spüre es bis in die Knochen,
nein, bis ins Gehirn,
ehe du also, wie gesagt, von mir gehst
(tragischestes Wort!)
will ich dich wappnen gegen alle anderen,
dich ihnen unmöglich, ungenießbar machen,
beschwerlich, belastend, unverständlich,
und sie dir!
(S. 588)
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Liebeserklärung

Oh, Max, ich möchte für dich alles, alles sein, oh Max!
Aber wenn ich dann endlich für dich wirklich alles wäre,
würde mir dieser Zustand des Für-dich-alles-sein
allmählich langweilig werden!
Weshalb?! Weil du nur ein Max bist!
Vielleicht sogar nur ein Maxl.
Dich erringen, ist vorläufig meine reelle
unentrinnbare Sehnsucht. Was kann ich dafür?!
Aber weshalb ich gerade dich gewinnen muß?!
Wahrscheinlich, weil ich dich noch nicht gewonnen habe!
Denn hätt' ich dich, so hätt' ich dich nicht mehr!
Drum, Maxl, pardon, Max, lasse dich von mir gewinnen!
Je schneller es geschieht,
desto schneller bist du mich armes Mistvieh los!
(S. 697)
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Modernes Liebesgedicht

Wie unerhört bescheiden, ja fast demütig dich
selbst auslöschend in Gesellschaft,
bist du, Paula Sch.,
trotzdem du deine überlegene, allen überlegene Intelligenz
und gütige Gerechtigkeit nur allzu genau kennst,
nicht trotzdem, sondern weil!
Man ist behutsam, fürsorglich und rücksichtsreich mit diesen
"unmündigen Kindchen" Männern,
nach dem Kalender geht das eben leider nicht,
"Mündigkeit" des Geistes und der Seele
sind Schicksals unverdiente Gnade!
Wie bescheiden gelassen, fast gar nicht dabei,
du bisher Unschöne und nun fast Schöne,
erlebst du gelassen apathisch den "Quatsch" mit
geselligerer Besprechungen von "Kunst" und "Leben" und
mancher scheinbar noch wichtigerer unwichtiger Dinge.
Nie sprichst du, aber ich höre genau, was du verschweigst!
Bei mir allein hast du den anarchistischen Mut, du zarte Seele
in unscheinbarer Hülle, Paula Sch.,
das Leben als verlogen, dumm, frech, aufgeblasen,
gegen Gottes genial-heilige Pläne gerichtet,
erfüllt mit Katzebuckeln und Protektion, laut anklagend, laut
hohnlachend, mitzuteilen!
Aber ich, ich vernehme dich auch laut.
Wenn du bescheiden schweigst,
umringt von geistiger angeblicher Geselligkeit!
"Nun, und Sie äußern gar nichts zu dieser
wichtigen merkwürdigen Sache, Fräulein Paula?!?"
Verlegen sitzt du da, wie ein Kindchen bei der Prüfungsfrage.
Dann streift dich mein Blick,
und du wirfst Anker im weiten Meere tosender Gespräche,
und errötest!
(S. 726-727)
_____



Liebe

Was hast Du denn eigentlich von ihr, Peter?!
Sie ist so kühl und lebt jedenfalls in anderen Welten - - -.
"Ich habe von ihr die Sehnsucht nach ihr, diese ewige
zehrende und belebende Sehnsucht.
Ich habe: Hoffnung und Verzweiflung zugleich, ich habe:
Wut und Entsagung zugleich.
Ich habe: Seelen-Gewitter!
Ich habe: ein Stück Brot von ihrem Abend-Tische, das sie
unbedingt in ihren geliebten Händen hatte, denn ich sah es.
Und ich stahl das Brot.
Ich habe: ein Glas, dessen Rand unbedingt zwischen ihren
Lippen sich wiederholt befand.
Ich habe es, ich küsse den gläsernen Rand, wer kann es
mir verbieten als zu dreist und ungehörig?!?
Ich habe: eine Haarnadel aus ihren Haaren, eine Stecknadel
aus ihrem Kleide, oh wie süß!
Ein gütiges Wort, einen gütigen Blick habe ich allerdings
nicht in meiner Sammlung.
Das sind doch nur Almosen für Alle.
Was ich besitze, ist reell von ihr, es ist kein müdes Lächeln,
keine Anerkennung meiner Anbetung,
die allerdings vielleicht mehr für mich spricht als für sie.
Denn "anbeten können" ist religiös, nicht "angebetet werden"!
Es ist reell, untrübbar durch den Neid der Neidlinge.
Ich habe meine Schatzkammer: Marie Susanne, und gedenke
sie allmählich mit Kleinigkeiten zu bereichern - - -.
Ein gütiges Wort, einen gütigen Blick habe ich allerdings
nicht in meiner Schatzkammer.
Aber sind es Schätze?! Ich besitze "reelle" Werte dieser Dame!
Sie sei also gepriesen und gesegnet!"
(S. 736)
_____



De Amore

Wenn man liebt, ist einem kein Weg zu weit!
Aber "Meidling bei Wien" ist ja doch zu weit.
Wie lange fährt die Tramway?! Endlos.
Wenn man liebt, ist einem kein Geld zu viel.
Aber "Vorspeise" und "Kompott" und "Käse" ist zu viel.
Wenn man liebt, langweilt man sich nie!
Aber wenn man sich doch langweilt?!?
Wenn man liebt, gefällt einem keine andere.
Wer hat diesen verlogenen verfluchten Satz aufgestellt?!?
Wenn man liebt, ist man ganz verwandelt.
Das ist richtig, früher war man ein gescheiter
netter geriebener Bursche!
Wenn man liebt, wird man eifersüchtig.
Und das ist das schrecklichste,
ärger als Bauchschmerzen!
(S. 756-757)
_____



Aufrichtiges Liebesgedicht

Ich habe Dich sehr gern, Juliane,
wirklich sehr gern,
aber nicht gerade so wie Du es für deine Seele,
oder eigentlich mehr für deine höchst empfindsamen Nerven
Dir verlangst oder wenigstens erwünschest und ersehnst!
Ich habe Dich gerade so gern als ich Dich gern haben kann,
nach allen genauen und ungenauen Forderungen
meiner und Deiner Organisation zugleich!
Meine Nerven erträumten sich eben eine
"geruhige, abgeschlossene, in sich gekehrte, still hoheitsvolle
'Iphigenie', oder 'Prinzessin' in Goethes 'Tasso'".
Das leider bist Du eben nicht.
Fern sei es von mir, Dir darob zu zürnen.
Du bist eben eine "leidenschaftliche Intelligenz",
mit den entsprechenden Zügellosigkeiten, Hemmungslosigkeiten,
ein "Intelligenz-Füllen" auf der reichen Weide dieses Lebens!
Nun gut, es ist nicht ganz nach meinem Geschmacke.
Ich wünschte mir Eine, die bereits gezügelt wäre
von ihrer inneren sanften Würde!
Allein mit welchem Rechte es von Dir verlangen?!?
Immerhin, Juliane, Deine ewigen Anziehungskräfte
sind trotzdem vorhanden für mich.
Nur darfst Du auf das "Ganze" meiner Neigung nicht allzu
ungestüm, oft ungezogen, Ansprüche erheben!
Dazu bist Du zuwenig "hochgeboren".
Es ist, so wie es eben ist.
Und keine Träne kann es ausgleichen.
Bescheide Dich, indem Du bedenkst,
daß auch ich in manchen Dingen
Dich bitter enttäusche!
So sind wir quitt.
(S. 763-764)
_____



Liebesgedicht

Maria, du warst meine Versteherin!
Gibt es ein höheres Lob?! Nein, es gibt keines. Es gibt nur
noch freche Verlogenheiten!
Niemals ein Mißverständnis, stets klare Erkenntnis.
Sie wußte, wer ich war.
Sie opferte sich gleichsam freudig auf, weil sie es wußte.
Mühelos war es ihr.
Was sind denn das für miserable Beziehungen,
wo einer dem anderen eine Komödie vormacht?!?
Und keiner dabei die allergeringste Ahnung vom anderen hat?!
Selbst die Geburtstagsgeschenke beweisen es bereits,
daß man fremd nebeneinander frech einherging!
Niemand erfüllt tief versteckte Wünsche,
die er seit jeher hätte ahnen sollen!
Niemand kennt sogar die Brosche genau, die ihre,
ihre höchsteigene Brosche seit Jahren wäre.
Niemand hat Achtung vor dem Geschmack des anderen,
und das Grinsen falscher Befriedigung befriedigt den Teufel in dir,
der deine Wahrhaftigkeiten haßt und fürchtet!
Lebet deshalb nebeneinander, ohne miteinander zu leben,
und machet euch selbst bei Tag und bei Nacht
einen elenden Hokuspokus vor!
Ihr redet euch auf die "Gewohnheit" aus,
diese allerfeigste Schmach des Denkens und Empfindens?!?
Kann man sich denn an anderes gewöhnen
als an seine innersten unentrinnbaren Wahrhaftigkeiten?!?
(S. 861)
_____


Aus: Das Buch der Bücher von Peter Altenberg
Zusammengestellt von Karl Kraus
Herausgegeben von Rainer Gerlach
Wallstein Verlag Göttingen 2009
 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Altenberg



 

 


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