Hans Benzmann (1869-1926) - Liebesgedichte

 




Hans Benzmann
(1869-1926)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Liebesnacht

Schwül wie im Sommer war die Nacht
Sie hat uns in's Gesicht gelacht
So dunkelheiß, so liebestoll,
Daß unsre Sehnsucht überschwoll . . .

Die Sterne flackerten uns zu
Ein liebes süßes: Gute Ruh!
In unser kleines Kämmerlein
Sah nur der volle Mond hinein.

Er zog das Auge schief und quer,
Als würde ihm das Sehen schwer,
Als hätte er noch nichts gewußt
Von heimlich süßer Liebeslust.

Und rauschend fiel der Vorhang zu . . .
In meinem Arm erbebtest du!
Und Raunen leis, - und Traumesklang -
Und himmlischsüßer Engelssang . . .

Hinfloß die heiße Seligkeit,
Dann müde Ruhe voll und weit,
Zu siegesstolzer Einsamkeit
Ward unsre Liebe stark geweiht! -

Durch eine Spalte, fingerschmal,
Fiel silberweiß, des Mondes Strahl . . .
Und durch die Stille träumend ziehn
Weltferne Liebesmelodien . . . . 

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 58)

_____



Der Teufel

Ein Teufel war ich,
Lüstern nach Seelen . . . . .
Deine flatternde Kinderseele
Fand ich am Wege,
Betend zum staubigen Heiligenbilde der Liebe . . .
Und ich schob die träumende,
Sehnende junge Seele
Auf meine schwarzen Flügel
Und trug sie empor
Zu den kalten Silbersternen
Meiner Gedanken
Durch die schwülen, blutheißen Nächte der Wollust,
Durch die widrigen Nebel der Sünde . . .
Meine Krallen schlug ich in sie
Und schlürfte sie ein
Wie jungen, gährenden Baumsaft . . . .
Ganz wurde sie mein!
Doch wie sie ruhte
An meiner satanischen Brust,
Die liebliche Menschenblüthe,
Da zuckte mein Herz
In seltsamem Weh,
Und ich fühlte Grauen vor mir
Und vor der heißen Hölle in mir,
Vor meinem verdorrten Herzen
Und der klaffenden Leere in ihm . . .
Ich fühlte Ekel vor meiner Bosheit
Und versank in das schmerzliche Brüten
Gefallener Engel . . . . .

Da überkam mich
Die große Offenbarung der Liebe:
Wunder sah ich gescheh'n
Und Opfer rauchen . . . . .
Ich sah den Frieden leuchten
Aus dem rosigen Leidenskelche der Liebe! . . .

Und es graute der Tag . . . .
In meinen Augen lag
Der Tau wie Thränen der Liebe,
In meinem Herzen flammte das Morgenrot,
Die Sehnsucht, zu lieben . . .
Mir war es, als wär' ich ein Engel geworden,
Ein Engel mit weißem Kleide
Und den grünen Ranken
Lebendiger Hoffnung
Um die Stirn.

Und es sah der Tag,
Der lächelnde keusche Tag
Zwei Engel schweben
Mit gold'nen Flügeln
Und blauen Kinderaugen
Hand in Hand, in den Himmel der Liebe . . . -

Ein Teufel war ich -
Ein Engel bin ich geworden -
Durch die Sünde der Liebe,
Ein Engel durch deine Seele!

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 59-60)

_____



Die heilige Magdalene

Und da lagst du
Auf der schwarzen Erde des Waldes,
Auf dem meergrünen Teppich des Mooses,
Eine büßende Magdalene. -
Deine weißen Seelenblüthen
Waren verdorrt von der Glut der Sünde,
Deine Augen flatterten
Wie verirrte Tauben
In die Höhe,
Suchend die blauen, milden
Gnadenblicke des Himmels.
Aus deiner Seele schrie,
Sprachlos jammernd,
Das schmerzlich jähe Erwachen
Aus Kinderträumen,
Das zitternde Staunen
Über das neue ungeheure,
Seltsame Wunderwerk der Liebe,
Das Himmel und Hölle dir erschlossen . . . .
Und starr und stumm,
Ein Tiger, träge vom Fraß,
Ein Wandrer am Abgrund des Lebens,
Stand ich da
Und stierte mit stumpfem Blick
Auf die Trümmer des Tempels,
In dem ein Engel
Verklärten Blickes betend,
Gelegen hatte am weißen Altar der Liebe,
Auf den Tempel,
Den ich zerstört
Mit der qualmigen Fackel
Satanischen Seelenbrandes . . . .
Da stand ich,
Baar alles Göttlichen,
Alles Menschlichen baar,
Ein Titan wollüstiger Grausamkeit,
Und sann meinem Werke nach,
Sann meinem Wesen nach
Und sah, wie der unersättliche Wurm der Sünde
Zerfressen hatte
Die letzte menschliche Faser
In meiner Brust,
Wie die Stätte in mir
Leer war wie eine versengte Haide . . . . .
Und ich brach zusammen,
Wahnsinnig winselnd,
Ohnmächtig ächzend,
Unter der Wucht der Erkenntnis, -
Ich brach zusammen
Wie eine Welt der Sünde . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
Fern rollte der Donner . . . . .
Und mir war's, als spräche
Ein Priester den furchtbaren Fluch
Der Verdammung über uns aus . . . .
Ich schielte empor
Und sah, wie das Abendrot
Rieselte an den Kiefern herab
Wie rauchendes Opferblut,
Wie die Strahlen der Sonne
An den Zweigen hingen
Gleich gelbseidenen Kirchenfahnen,
Mir war es, als ob
Die bunten Blumen umher
Stachen in meine Seele
Wie tausend höhnende
Kleine bunte
Heiligenbilder aus Mosaik,
Wie tausend
Haßgiftige Menschenaugen, -
Mir war es, als lägen wir
An der Schwelle eines Domes,
Aus dem der Vögel Gezwitscher
Tönte hellstimmig wie Knabengesang,
Das Rauschen des Waldes wie Orgelklang
Und Singen der gläubigen Menge,
Aus dem der Donner rollte
Wie eines schwarzen Priesters
Furchtbarer Fluch der Verdammnis,
Treibend uns aus dem Dom der Natur,
In dem wir gefrevelt,
Aus den friedlichen Hütten der Menschen,
In die ewige Nacht der Qualen . . . . .

Die Sonne erlosch,
Verwirbelnd in dunklen Wolkenmassen,
In der Höhe erschien
Leuchtend ein Engel
Mit göttlich kalten Jehovahaugen.
Sein Flammenschwert
Zuckte wieder und wieder
Auf uns herab . . . . .
Und ich raffte mich auf,
Ich riß dich empor
Und floh mit dir
Durch das Dickicht des Waldes
Wilder und wilder,
Weiter und weiter
Wie ein Verfluchter . . . . .  -
Eine Wurzel umklammerte mich
Wie eine Schlange der Hölle,
Und ich stürzte nieder.
Da rannten wie blutige Tropfen
Thränen aus meinen Augen,
Und mein heißer Schweiß
Floß über dein bleiches Gesicht,
Das die Reue zerfraß, -
Und ich legte mich still
Und müde nieder,
Mit dir zu sterben . . . . .
. . . . . . . . . . .
Über uns stand die Nacht
Mit ihren blühenden Sternen,
Ein Tempel des Friedens,
Ruhe, weite Ruhe.
Du beugtest dich über mich
Leuchtenden Auges
Und dein warmer Mund
Hauchte mir Leben ein.
"Heilige Magdalena,
Bete für mich!" -
Und ich schlang meine Arme
Um deine Kniee . . . .
Da kam es wie übermenschliches Jauchzen
Aus deiner Brust,
Und wie ein Heiligenschein
Umfloß es dein Haupt:
"Wie konnt' ich verzagen,
Wie konnt' ich hadern mit dir,
Dem meine Seele gehört,
Der du mein Herr und Gott bist!
Gesündigt habe ich
Wider den heiligen Geist der Liebe!
Gieb du Vergebung meiner
Menschlichen Schwäche,
Erleuchtung fließe von dir zu mir!
Beten will ich mit dir
Am opferrauchenden Altar der Liebe
Und fliegen mit dir
Über Himmel und Hölle
Jenseits von Gut und Böse!"

Da zog der Heiland durch meine Seele,
Der Pred'ger vom Berge,
Und sprach ein dreimal Selig . . . . .

In ihrer ewigen Weisheit
Thronte die Nacht,
Stand die Natur
Mit dem Diadem der Welten
Zu unsren Häupten
Und lächelte mild
Ihrer Vermählung
Mit dem Heiland der Liebe.
Über uns glänzte der Venusstern,
Der eins war mit dem von Betlehem . . .

Es strahlte ein Heiligenschein
Von deinem Haupte . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 61-65)

_____



In dämmerdunklen Wegen . . .

Wir liebten uns in dämmerdunklen Wegen.
Es schwamm der Mond im warmen Sommerregen
Und glitt entlang am fahlen Wolkenrand.
Ein Goldstück wie versteckt im gelben Sand
Des Grundes, - wie ein Glück im Schooß der Zeit, -
Wie Liebe, süß verträumt in Heimlichkeit, -
So hat sein Bild im grünen Teich gelegen . . .
Wir liebten uns in dämmerdunklen Wegen . . .

Und von den Büschen tropfte leis der Regen,
Hollunderdüfte quollen uns entgegen,
Das Buschwerk rauschte unser'n Schritten nach,
Und hinter deines Schirmes rotem Dach
Verstummten wir in süßer Liebesfeier . . .
Da riß ich fiebernd dir den braunen Schleier
In süßer Hast vom tauigfeuchten Mund,
Da küßt' ich deine roten Lippen wund:
So hab' ich in den sommerschwülen Wegen,
Von Glück betäubt, an deiner Brust gelegen . . . .

Aus Fernen fiel, - ein Warneraug' der Welt, -
Ein blinzelnd Licht in unser Liebeszelt . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 66)

_____



In gelben Aehren

Wir gingen in gelben Ähren.
Nachmittagsstille! Von Grillenheeren
Nur ein summender Sang,
Nur der leise Klang
Verliebter Worte,
Von deines Kleides seidener Borte
Ein Flüstern in gelben Ähren . . .

Wir legten uns müde nieder . . .
Leises Knistern von deinem Mieder . . .
Kornblumen standen
Zu Häupten uns, wir wanden
Zu Kränzen sie, und bliesen vom Mohn
Die roten Fahnen - kein Ton -
Nur Knistern von deinem Mieder . . .

Und der Abend kühlte die Ähren.
Unsre Augen, die liebeschweren,
Tranken den Purpurwein
Der Abendröten in sich hinein,
Unsre Seelen in sich versanken,
In Liebesgedanken,
In Frieden, in liebeschweren . . .


Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 67)

_____



Nach dem Sturm

Der Sturmwind kam und fegte rein den Himmel,
In einer Ecke fern im Osten lag
Noch wie ein Häufchen Staub ein grau Gewimmel
In Abendröten endete der Tag.

In unsren Herzen lag wie dumpfe Schwüle
Tagüber sündigheiße Liebeslust,
Der Abend brachte erst mit Sturmeskühle
Den blauen Himmel auch in uns're Brust.

Nun flüstern Blumen gleich im weichen Winde,
Satt unsre Seelen sich nach all' der Not, -
Ein Häufchen stiller Staub ruht fern die Sünde,
Beleuchtet von der Liebe Abendrot . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 68)

_____



Venus Urania
"Das Ewigweibliche zieht uns hinan!"

Stolz und frei wie der Aar,
Der auf den Wogen des Sturms
Den schimmernden Fittig wiegt,
In einsamer Höh
Schwebt mein Geist
Über der Erden Gefilde,
Über den Stürmen des Weltalls!
Ihn umstehn
Schweren Gewitterwolken gleich
Die Gedanken,
Denen das freie, stolze Wort
Wie der zuckende
Zündende Wetterstrahl entfährt,
Altes Gemäuer und falsche Götzen
Zertrümmernd! - -

Du nur weißt es,
Schimmernde Nacht,
Wie oft in meinen einsamen Thränen
Sich deine Sterne spiegelten,
Wie mein stolzes Herz
Zum zagenden Wurme ward
Am Altar der Sehnsucht!
Du nur weißt es,
Heilige Nacht,
Wie oft mir alle Gedanken
Strahlten wie kalte,
Gaukelnde Sterne,
Die den Schiffer zu sel'gen Gestaden
Doch nicht zur Insel der Seligen führen, -
Wie ein feindlicher Tau,
Der die Blumen der Seele erstickt. -
Wie eine zackige Dornenkrone,
Die, mit den giftigen Ranken
Des Zweifels gemischt,
Mir das grübelnde Haupt zerriß . . . .
Du weißt es,
Gütige Nacht,
Wie oft ich verzagt gestand, -
Wenn die Lippen der Kinder
Murmelten im Gebet,
Wenn die Träume der Menschen
Auf den Strahlen des Mondes
Wandelten hin und her,
Und mich allein
Plagte die Unrast meines Geistes, -
Daß die Gedanken allein
Den Menschen glücklich machen
. . .

So ward ich zum Pilger des Friedens!

Und ich irrte umher
In des Lebens endlosen Reichen,
Zu finden, was reicher, was stärker
Als kindlicher Glaube war, -
Ich irrte umher voll grenzenloser Sehnsucht -
Dem Fischer gleich,
Der im goldnen Abendschein
Silbertöne von Glocken
Hört aus der schimmernden Tiefe steigen,
Wenn er im brausenden Sturm,
Im zitternden Wellenspiel
Ruhlos sucht die Schätze versunkener Städte, -
Irrte und dachte und spürte umher
Wie der Greis
Der vergeblich sich müht
Ton und Worte des Liedes zu finden,
Das ihm die Mutter sang
An der schwankenden Wiege . . .
Ich saß auf dem Berge der Einsamkeit
Und las im Buch der Natur,
Ich ließ die Weisheit reden
Der Ewigkeit
Und lauschte dem Werden der Welten,
Dem Gesange der Sphären und Sonnen,
Den Worten des Sturms
Vom Sterben und Reifen,
Vom Wechseln und Wachsen
Aller Dinge
Im ewigen Fluß der Vollendung! -
Ich seufzte im Bann der Pflicht
Und unterm Joche eiserner Arbeit.
Ich tauchte hinunter in alle Tiefen
Und ließ die Wogen des Lebens
Wirbeln um mich -
Und ruhte, ein kampfesmüder Schwimmer,
Am Gestade der Freundschaft
Und ließ die liebliche Weise
Inniger, ernster Männertreue
Klingen in's wunde, zerriss'ner Herz:
Doch die brennende,
Rastlose Sehnsucht blieb . . .
Und ich liebte das Weib, -
Liebte es träumend
Mit der keuschen, seligen Sehnsucht,
Dem ernsten, heiligen Eifer
Einer liebenden jungen Seele -
Und liebte es glühend
Mit der rasenden Leidenschaft
Überquellender Reife
Und mit der stillen, unersättlichen,
Heimlichen Lust und Qual . . .
Siehe, da glitten verworr'ne Töne
Und zuckende Lichter
Durch meine Seele,
Dämmernd und ahnend
Wie die schattigen Lichter der Morgenröte . . .
Und ich lauschte den Tönen
Mit ängstlicher Gier
Und ging ihnen nach,
Als hinge mein Leben dran:
Und wie die leuchtende Sonne
Sich aus des Meeres krystallnem Schooße
Siegreich erhebt
Und die Schatten, die nächt'gen Gespenster
Scheucht von hinnen,
Wie sie weit und breit
Thäler und Berge im Diamantgefunkel des Taus,
Länder und Menschen,
Alles in überquellender Lebenswonne
Erstrahlen läßt, -
So tauchte aus meiner Seele,
Aus den Tiefen des Alls
Die Sonne der Liebe!
Da hört' ich des Weltalls Schöpfungslied
Und ich hörte es rauschen immerfort
Wie Glocken am Ostermorgen:
"Im Urweltkessel kreisen die Kräfte
Und treiben im Raume den Weltallsklos,
In Sehnsucht sinnt auf Samen und Säfte,
Nach friedlichem Werden der klaffende Schooß.

Zusammen im Sturm die Stoffe streben,
Und aus dem Wirbel, dem gährenden Schaum
Entsteigt die Liebe und lächelt: Leben
Und leuchtet: Frieden dem ewigen Raum!

Und Stoff und Kräfte sind verronnen
Im ersten glühenden Liebestraum,
Sie leuchten als flammende Weltallssonnen
Am ersten purpurnen Morgensaum.

Gestirne entsteigen! - Es folgen die gleichen
In gleichen Kreisen der Sonne nach
Und glänzen als ewige Liebeszeichen
Am lebendurchglühten Weltendach.

Das Leben sprießt in reichen Gestalten,
Und Keime treibt der fruchtbare Schooß,
Aus Tiefen ringen der Liebe Gewalten
Die schlummernde Menschenseele los.

Die Liebe baut die freundliche Hütte,
Sie schafft die Schönheit in ihrer Wahl,
Sie kränzt die Kraft mit milder Sitte,
Sie lacht in Freude, sie weint in Qual.

Sie trägt in die einsame Seele den Frieden,
Des Glückes unendlichen Vollgenuß,
Sie hebt zur Vollendung den nimmermüden,
Unsterblichen Menschheitsgenius
! -

Drum heilig ist ihr göttliches Walten,
Und Frevler sind, die mit lüsternem Spiel
Die züchtigen Schleier des Schooßes entfalten,
Verspottend der Liebe erhabenes Ziel!

Und heilig sind die hehren Gefühle,
Das süße Geheimnis der Liebesnacht,
Ein Priester, betend in Tempelschwüle,
So beuge die Seele sich ihrer Macht!

So nahe dich ihr, geweiht zur Stunde,
So nahe der Liebe heiligem Leib:
Die Schauer des Ewigen weh'n im Bunde,
Unsterbliche Götter sind Mann und Weib
!

So hörte ich rauschen das Hohelied
Der ewigen Liebe im Weltallsraum . . .
Und meine Seele voll hehrer Andacht,
Voll hoher Wonne
Beugte sich still
Am Altar der Liebe
Und betete leise
Der Schöpfung Gebet . . . .
Meine Seele sank in das Sinnen
Unendlicher Sehnsucht
Und sann auf Erfüllung,
Zu wandeln
Im ewigen Kreise des Lebens,
Unsterblich zu werden
Im Paradies der Liebe . . .
In meiner Seele
Sang über der Öde der Gedanken
Die liebliche Stimme
Kommenden Friedens,
Und in die Furchen meiner Qualen
Fiel der Same
Lichter Frühlingsfreuden,
Reifen Sommerglückes . . . - -

So ward ich zum Pilger der Liebe.

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 74-80)

_____



Mittagszauber

Mittagssonnenweißglut flutet durch den Garten,
Heißer Glanz ruht auf dem glattgeschor'nen Rasen;
Blaurot schimmern aus den Büschen rings die zarten
Fliedertrauben; auf den grauen Marmorvasen,
Auf den weißen Schultern zweier Aphroditen
Liegen, blut'ge Tropfen, kleine rote Blüten . . .

In dem gelben, warmen Kies der sonn'gen Wege
Baden braune Finken sich; wie Liebesfragen
Schwirren durch die goldiggrünen Laubgehege
Vogelstimmen; tief mit innigem Behagen
Schläft ein Kind in einer Laube: Blütenflocken,
Fliegen hängen in den wirren blonden Locken . . .

Und da sitz ich hier, um emsig zu studieren
Römisch' Recht in schattenstiller Gartenkühle;
Doch in Mittagsträumerei sich stets verlieren
Die Gedanken mir: auf weichem Rasenpfühle
Ruh' ich, starrend auf den duft'gen blauen Flieder,
Summend in der Seele sehnsuchtsschwüle Lieder . . .

Langsam fällt das Buch aus meinen heißen Händen,
Sonnenstrahlen rieseln glühend auf mich nieder,
Wie verzückt kann ich den müden Blick nicht wenden
Von der weißen Venus, von dem blauen Flieder,
Bis im Traume mich umkosen Aphroditen,
Weiche Weibesglieder, Brüste zart wie Blüten . . .


Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 90)

_____



In der Rosenlaube

Im Birnenbaum girrt leis die Turteltaube;
Süß schläft mein Mädchen in der Rosenlaube;
Die Sonne küßt verliebt den kleinen Schuh,
Die schwarzen Strümpfe schüchtern ab und zu,
Die Schatten kosen um den weichen Leib, -
In einer Ecke singt zum Zeitvertreib
Eine kleine Grille
Durch die Mittagsstille . . .

Und hinter'm Strauchwerk steh' ich auf den Spitzen
Und blicke küsselüstern durch die Ritzen
Der grünen Ranken auf das holde Weib:
O süßes Bild! Du blütenfrischer Leib!
Sie träumt, es lächelt schamhaft ihr Gesicht -
Wie! ruft sie flehend meinen Namen nicht? . . .
Durch die Mittagsstille
Summt die kleine Grille . . .

Ich schlüpf hinein, - wie eine volle Rose
So liegt sie da: die Glieder ruhend, lose.
Und wieder ruft sie leise mich im Traum. -
Da beug' ich mich und küss' den Blütenschaum
Der roten Lippen, und sie murmelt leis:
O Lieber, küsse mich, so glühend heiß . . .
Durch die Mittagsstille
Summt die kleine Grille . . .

Dann eil' ich leise aus der Liebeslaube
So überglücklich mit dem süßen Raube.
Was liebesheiß aus deiner Seele brach,
Dein süßer Mund zu mir im Traume sprach.
Feldüber geh' ich, jauchzend all mein Glück
Im Lied heraus, und blicke oft zurück,
Wo die kleine Grille
Summte durch die Stille . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 93-94)

_____



Unter der Eiche

Unter'm dunkelgrünen Dache einer Eiche,
Über uns der seidenweiche, sommerbleiche,
Blaue Himmel, - duftend um uns rötlich braune
Harz'ge Fichtenstämme. - Leises Grasgeraune.
Flügelschlagen zweier Dohlen hoch im Neste.
Raschelnd weht der laue, weiche Wind die Reste
Vom vergangnen Herbste über's flock'ge Moos . . .
Still in Frieden liegt mein Haupt in deinem Schooß,
Liegt auf meiner Stirne deine Mädchenhand,
Liegen uns're Augen liebend unverwandt,
In einander; still in Frieden ziehen Lieder
Sommersinnig, liebesinnig hin und wieder
Durch die sonnige Seele mir . . .
Mit grauem Stifte
Schreib' ich eines nieder, laß es in die Lüfte
Laufen mit den dürren Blättern um die Wette . . .
"Grüß' die Welt vom Glück!" An deiner goldnen Kette
Zieh' zum Kuß ich nieder deinen blonden Kopf . . .
Durch den Wald klingt leises Spechtgeklopf . . . . 

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 96)

_____



Auf der Terrasse

Hellblau verblaßt der Sommertag im Westen,
Mit ros'gen Fingern wie ein müdes Kind
Spielt zögernd er an Türmen und Palästen
Hoch oben noch, vom Himmel niederrinnt
Die Nacht, die dunkelblaue Sommernacht,
Von Liebesstimmen manchmal leis durchlacht . . .

In schwarze Fluten fallen von den Brücken
Laternenlichter, - bunter Farbenschwall, -
Rot, grün und blau tanzt auf dem Wogenrücken
Der Schein, als spielten Nixen Fangball . . .
Am schwarzen Flusse sitzen wir allein
Mit unsrer Liebe bunten Träumerei'n . . .

Verhallend übers Wasser klingt das Tollen
Der Welt, die Menschen hasten hin und her,
Dumpf auf den Brücken dröhnt das Wagenrollen,
Die Eisenbahn, - doch in dem Weltenmeer,
Verloren, einer kleinen Insel gleich,
Liegt ruhig träumend unsrer Liebe Reich . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 97)

_____



In Korn und Unkraut

Mit meinem Mädchen schlüpft' ich heut allein
Durch reifes Korn im roten Abendschein.
Wie Kinder rauften wir die Ähren aus,
Feldblumen wanden lachend wir zum Strauß
Und freuten uns der bunten Farbenpracht,
Die uns wie Bauernstaat entgegenlacht . . .
Als rauschten es die Halme vor sich hin,
Ging mir ein Verslein leise durch den Sinn:
Die Liebe ist ein goldnes Ährenfeld,
Dazwischen Unkraut, Mohn und tauber Spelt;
Es fällt zusammen aus des Zufalles Hand
Und wächst empor in Sturm und Sonnenbrand.
Die Ähren sind ein schönes Gottesgut,
Allein des Unkrauts bunte Farbenglut
Ist eine stille Freude der Natur -
Was wird im Herbste aus der schönen Flur? . . .
Ein kühler Hauch ging durch mein Herz - "Sieh, schon,"
Rief da mein Mädchen, "schon verblüht der Mohn!"

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 109)

_____



Am Waldesrand

Die silbergraue Dämmrung schlich
Wie schüchtern über's gelbe Korn.
Ein weißer Falter müde strich
Um roten Mohn und Rittersporn . . .

Zu unsren Füßen klar und kalt
Lief über's Feld ein Rieselborn,
Es tönte herbstlich aus dem Wald
Verhallend leis ein Jägerhorn . . .

Ein Wandrer zog den Weg entlang
So wanderselig, leis verklang
Das Lied, das er von Liebe sang, -
Mich überkam es weh und bang . . .

Noch hab' ich dich, noch küß' ich dich,
Mein blondes, rosenwangiges Lieb, -
Bald meid' ich dich und schleiche mich
Von dir wie in der Nacht ein Dieb . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 110)

_____



Ave Maria
Ein Abendgebet

Goldgelbe Streifen
Flattern wie Fahnen
In der Abendröte.
Schattigdunkles Purpur
Fließt wie Heilandsblut
Aus dem gold'nen Kelch der Sonne
Erlösend, erquickend
Über die tagesheißen,
Wie in Abendgebete versunkenen Weiten.
Eine hellblaue, silberfalbe Kuppel
Krönt den Dom der Unendlichkeit.
Leise wie andächtiges Flüstern
Tönt das Zirpen der Grillen im Grase.
Abendglocken klingen,
Hinzitternd durch die tauigduftenden Lüfte
Wie träumend, wie lallende Kindergebete . . .
Und die Seele,
Die gen Himmel blickt
Hört leis die Engel singen,
Die Sphären klingen,
Eine unendlich tiefe Orgelmusik . . . .
Wie von tausend Lippen
Geht über das Gras,
Über das wogende, gelbe Korn,
Über die Weiten und Fernen,
Aus der Tiefe in die Höhe
Ein geflüstertes leises: Ave Maria! . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
Sieh, wie der Wandrer dort
Vor dem rosenumwucherten
Bunten Heiligenbilde,
Knie ich vor dir,
Du meine Jungfrau Maria,
In Andacht versunken,
Und bete zu dir,
Geliebteste Seele,
Ein inniges: Ave Maria! . . .

Einen Sommer danke ich dir
Voll stillem, glückgesättigtem,
Erntereichem Abendfrieden;
Einen erlösenden Glauben,
Leuchtend aus deiner Liebe
Über Welt und Menschen!

Du heiltest die Risse
In meinem Herzen,
Die Wunden auf meiner Stirn,
Und meiner Seele
Nahmst du ihre nagende Bitterkeit!

Ein Spielball warst du meiner Gedanken,
Meiner Gefühle
Wie ein Fetisch,
Ein Heiligenbild
In der Hand des Unverstandes . . .
Einen Sturm erregtest du in mir,
Einen rasenden Liebessturm -
Wie eines Priesters
Grausam brünstige Glaubensglut,
So flammend verzehrend! -
Einen herzzerwühlenden,
Gährenden Frühlingssturm . . . . .
Der weckte leise
Die grünen Knospen des Lebens
In meiner
Winterlich grauen,
Vereisten Seele . . .
Und wunderbar
Erblühte in mir
Wie Anemonen so weiß,
Wie Rosen so duftig zart und glutvoll rot
Die Liebe!

Da verstand ich dein Walten und Wesen,
Jungfrau Maria,
Da lernt ich beten zu dir,
Zu dem süßen Gnadenbilde der Liebe,
Zu dem tief geheimen,
Lebensspendenden Zauber,
Dem göttlichduldenden Wesen der Weiblichkeit,
Da glaubt' ich an dich,
Du hehre Himmelskönigin,
An den unendlich hohen,
Erlösenden Frieden der Liebe . . .

Und einen Sommer danke ich dir,
Du meine Jungfrau Maria,
So lieblich mit Abendröten,
Mit Lerchengezwitscher
Und wogendem, reifen Korn!

Du meine Liebe,
Mein Glaube und Glück,
Mein Leben,
Geliebteste Seele du
Zu deinen Füßen danke ich dir
Und bete zu dir
Aus tiefstem Herzen
Ein inniges: Ave Maria . . .

Und über die Weiten und Fernen,
Aus den Höhen in die Tiefen
Hallen die Harmonieen des Friedens
Hallt von mir zu Gott,
Von Gott zu mir
Ein seliges, leises: Ave Maria.


Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 113-116)

_____



Liebesglück! - -?

Ein tiefes Glück fließt aus der Liebe mir!
Sie kam in Frühlingsstürmen über mich
Wild wie die Raserei der Venuspriester,
Mein Herz zerwühlend, und das Alte, Morsche
In mir vernichtend! Doch die lichten Blüten
Des Lenzes weckend, ward ihr wilder Sturm
Zum süßen Abendhauch der Sommerruh,
Des satten Seelenfriedens, der im Gold
Fruchtschwangrer Ähren nun sein Danklied singt!

Das Ewigweibliche, die Urgewalt
Der Welt, die göttlich duldend Mensch geworden,
Stets höhere Gebilde liebend schafft,
Lernt' ich in ihr erkennen und den Frieden:
Empfinden, der dem Wandrer vor dem Bilde
Der Mutter Gottes in die Seele sinkt! . . .
Ein weites Glück quillt aus der Liebe mir! -

Was sucht und sinnt mein Herz so heimlich wieder?
Aus Kindertagen träumt ein heller Schein
Von Weihnachtslichtern, milden Mutteraugen,
Ein Wiegenlied, verworr'n ein Bibelwort
In einer Seele oft bis an den Rand
Des Grabes fort und fort in Glück und Zweifeln . . .

Aus ferner Zeit, aus Kindertagen, wohl
Aus dunkler Ewigkeit, ein Irrlicht, halb
Ein Leuchten, seltsam göttlich wie der Schimmer
Des Sterns von Betlehem, ging eben auch
So bleich und rätselhaft durch meine Seele -
Es blieb in ihrem tiefsten Heiligtum
Die Sehnsucht hängen nach der Liebe Platos . . .

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 123)

_____



Wundervolle Thränen . . .

In Liebe weilten wir allein
In deinem Mädchenkämmerlein.
Durch's Fenster fiel der Nacht Gefunkel,
Von einer Ampel rund und klein
Floß schwankend matter, milder Schein,
Ein rosenrotes Dämmerdunkel,
Ein Liebeszauber durch den Raum,
In dem die Sinne sich verfingen . . .
Die Abendstunden uns vergingen
Wie in die Luft geblas'ner Schaum.

Aus allen Ecken wunderhold
Aufblinkend traulich blitzt das Gold
Von deinen tausend kleinen Dingen, -
Mir war's, als sänge in mein Ohr
Ein unsichtbarer Geisterchor,
Als ob ein silberhelles Klingen
Von Glockenläuten, friedevoll,
Ein lieblich leises Engelslachen
Aus allen Ecken, all' den Sachen,
In meine Seele träumend scholl . . .

Wie schlummernd lag dein blonder Kopf,
Dein schlichter schöner Mädchenkopf
An meinem Herzen; deine Augen,
Madonnenhaft und ruhig weit,
Sich tauchen tief von Zeit zu Zeit
In meine, wo sie fest sich saugen,
Als wollten sie mit einem Blick, -
Wie eine Seele, Gott ergeben,
Still betend ihm vertraut ihr Leben, -
Mir künden dein unendlich Glück! . . .

Und da, ich weiß nicht, wie es kam,
Es seltsam mich gefangen nahm
Aus meines Herzens tiefstem Grunde
Quoll eine heiße Flut herauf
Und nahm in Thränen ihren Lauf.
Es schmerzte tief wie eine Wunde
Und war doch reine Seligkeit.
Heiß fühlte ich die Thränen rollen,
Die wunderbaren, wundervollen,
Und hab' mich ihrer tief gefreut!

War es die Wehmut, der sie weich
Entquollen, daß ich nimmer gleich
Dich lieben kann und sehnend denken
An dich? - War es der herbe Schmerz,
Daß, stumpf geworden, sich mein Herz
Nicht immer heiter kann versenken
In deiner Liebe Lauterkeit?
War es, gelobend ew'ge Treue,
Vergebung flehend, heiße Reue? -
Wie hat das Weinen mich gefreut!

Ich ließ es rieseln, das Getropf,
Auf deinen blonden Mädchenkopf.
Dort glänzte meiner Schmerzen Freude
In deinem duft'gen sonn'gen Haar
Wie Tau, wie Taufnaß wunderbar . . .
Und lange saßen wir noch beide
In deinem kleinen Kämmerlein,
Im rosenroten Dämmerdunkel . . .
Durch's Fenster fiel der Nacht Gefunkel,
Der Sterne klarer, keuscher Schein . . .


Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 132-133)

_____



Sturm und Liebe

1. Der Sturm
Wirbelnd weht der Sturm
Über die Wintererde . . .
Aus den Schluchten fährt er hervor
Mit grimmigem Heulen,
Gierigen Wölfen gleich,
Und wälzt sich umher
Und wühlt und wickelt sich ein
In das weiße faltige Leichentuch
Des flockigen Schnee's,
Der auf der Heide
Geschichtet in welligen Hügeln liegt.
Wie Meeresschaum
Am zackigen Felsen
Wirft er den eisigen,
Glitzernden Staub
Wirbelnd und sprühend empor,
Stürzt sich dann
Mit wildem Siegesgejohle
In den starrenden Wald,
Kreist und läuft umher
Wie ein tobender Kobold
Zwischen den kahlen Stämmen,
Biegt die Tannengipfel
Wie stählerne Klingen,
Und bricht aufklirrend wie Glas
Das dürre Geäst . . . .
Tief am Himmel
Blickt aus violettem, grauem Gewölk
Die versinkende Sonne, -
Einem roten blutrünstigen
Neidischen Auge gleich,
Und wirft schwefelgelbe,
Matte Lichter über das weiße Land . . .

Hin und wieder fliegen
Graue Dohlen,
Schweigende flügelschlagende Schatten
Über die Haide . . . .


2. Die Liebe
Und durch die Öde eile ich,
Der kalte schneidende Wind
Treibt mir eisige Splitter
Und flockigen Schnee ins Gesicht,
Lautgellend pfeift er mir
Höhnisch ins Ohr
Und zerrt und zieht
Am flatternden Mantel.
Ich eile zu dir,
Mein goldenhaariges Lieb . . .
Meine Sehnsucht singt nach dir
Wie ein bettelndes Vöglein
An deinem Fenster . . . .
Meine Seele glüht nach dir
Wie verborgenes Erdenfeuer
Nach den Flammen der Sonne! . . .
Meine Seele lechzt nach dir,
Dich wild zu umfangen,
Dein liebliches Antlitz stürmisch
Wieder und wieder zu küssen,
Und deine Wangen zu küssen
Rotglühend wie Äpfel im Herbst,
Und all die kleinen,
Weichen flaumigen
Härchen am Halse
Wieder und wieder zu küssen . . .
Deinem süßen Geschwätz
Zu lauschen in der
Dämmernden Ecke am Ofen,
Wenn der brodelnde Brand
Knisternde Lichter
Spielen läßt hin und her,
Und dein schwellender Leib
Leise sich wiegt und schmiegt
An meinem glücklichen Herzen,
Und dein süßer niedlicher Fuß
Zärtlich zuckt und spielt auf meinem . . .
O du Seligkeit!
Du süße, selige Liebe! . . . . .
Meine Sehnsucht fliegt
Auf rosigen Schwingen
Dir, du Süße, entgegen! -
Nimmer hemmt
Der Sturm meinen Fuß,
Überschreiten möcht' ich sein Toben!
Mag er zucken und zerren
Am schwellenden Mantel:
Liebe ist stärker als Sturm und Wind!


Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894] (S. 192-194)

_____



Am Kamin
Vier Liebeslieder

I.
Scheidend haucht von Dach zu Dach
Ros'gen Kuß des Tages Schein,
Traulich wandeln durch's Gemach
Abendliche Träumerein.

Knabe Frost an's Fenster malt
Silberblumen fein und zart,
Einen dichten Farrenwald,
Der im flock'gen Reife starrt . . .

Doch in uns'ren Seelen blüht
Eine bunte Frühlingspracht,
Und der Liebe Sternlein glüht
Hell uns durch die Winternacht . . . .

Wie im reifen Waizenmeer
Segnend geht der Herrgott hin,
Geht ein Friede liebeschwer,
Kinderkeusch durch unsren Sinn . . .

Und die Lippen schweigen still,
Weil das Herz so selig war,
Weil die Seele beten will
An der Liebe Hochaltar . . . . . 
(S. 195)


II.
Gelbe, rote Flammen springen,
Summen leise im Kamin,
Kleine Liebesgötter singen
Sie uns sel'ge Melodie'n . . . . .

Wo von einem güt'gen Sterne
Süßer Friede niedertaut,
Hat in stiller Weltenferne
Liebe sich ein Nest gebaut.

Stimmen zwitschern drin wie Finken,
Freudethränen liebeheiß
Aus zwei Mutteraugen sinken
Auf ein junges Frühlingsreis.

Und des Glückes Glocken klingen
Wundersel'ge Melodien . . . .
Kleine rote Flammen springen,
Tanzen taumelnd im Kamin . . . .
(S. 196)


III.
Wie ein Veilchen träumt am Hügel
Liegst du still an meiner Brust,
Deiner jungen Seele Flügel
Heben sich in sel'ger Lust . . . . . . .

Süßen Schaum vom Liebesweine
Schlürf' ich heiß in deinem Kuß . . . .
Deine Seele fließt in meine
Wie ein Bächlein in den Fluß . . . .
(S. 196)


IV.
Am Kamin die bunten Flammen
Zucken sterbend nun zusammen
Schatten huschen hin und her, -
Fallen auf mein Herz so schwer . . . . .

Junger Liebe Frühlingsranken,
Junger Träume und Gedanken,
Keusch und rein wie ein Gebet
Kalt des Lebens Hauch verweht . . . . .

Liebe an verborg'nen Wegen
Blühend ohne Licht und Segen,
Ihrer Treue bittrer Lohn
Ist der Menschen Spott und Hohn! . . .

Dein gedenk' ich in der Ferne,
Folgend meinem Ruhmessterne, -
Heilig diese Thräne rollt
Über deines Hauptes Gold! . . . . .

Doch du ruhtest mir im Schooße
Wie ein Veilchen tief im Moose,
Ahnend nicht den Sturm des März,
Ahnend Scheiden nicht und Schmerz . . . .
(S. 197)

Aus: Im Frühlingssturm! Erlebtes und Erträumtes
von Hans Benzmann
Großenhain und Leipzig
Verlag von Baumert & Ronge [1894]
_____



Vom Ritter, der suchte . . .

Der Ritter ritt durch den Sommerwald.
"Herr, meine Sehnsucht wird nicht alt,
hilf meinen jungen Jahren!" -
Er suchte was in seinem Sinn,
das trieb ihn rastlos her und hin,
er konnt es nicht erfahren . . .

"Sieh, Knappe", rief der Rittersmann,
"Dort geht der Heiland durch den Tann!"
Sie neigten sich im Bügel
und ritten weiter wie im Traum,
das Rößlein spürt den Reiter kaum -
da hemmt der Knecht den Zügel:

"Seht, Herr, dort über die blühende Au
geht segnend unsre liebe Frau!"
Der Ritter fährt aus Träumen -
er sieht den Sonnenschein im Wald,
er sieht die lieblichste Gestalt
lustwandeln unter den Bäumen.

Vom Sattel gleiten Helm und Schild,
schon kniet er vor dem süßen Bild:
"Nun hab ich dich gefunden!
du meiner Seele süße Ruh,
o meine geliebte Liebe du,
nun will ich ganz gesunden" . . .

Der Knappe murmelt in den Bart:
das ist ja Friedels Hildegard -
doch hat er schlau geschwiegen,
er that, als wär er gar nicht da,
als er die beiden plötzlich sah
sich in den Armen liegen.

Der Ritter hebt sie auf sein Roß
und führt sie auf sein stolzes Schloß,
hat fröhlich dabei gesungen - -
Er war, nun meld ichs euch bei Zeit,
Herr Walther von der Vogelweid,
der hat sich selig gesungen . . . . 

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 11-12)

______



Mädchenträume

I.
Sie saß und stickte emsig fort,
sie sang das schwere Lied vom Königsmord,
von Lilien sang sie, die verblühn,
von Liebesgluten, die verglühn,
vom Schiffer, fern in Nacht und Wind,
von Mädchen, die verlassen sind.

Sie sang, bis daß der Abend kam . . .
als sie das Tüchlein von den Brüsten nahm,
legt sie ein Blättchen Wegebreit,
das gegen Sucht und Sehnsucht feit,
in ihren Gürtel still hinein
und schlief mit einem Seufzer ein . . .
(S. 15)


II.
O Mutter, rief sie leis im Traum,
all meine Wonne faß ich kaum! -
So schmückt mich denn zum Hochzeitsgang - -
O Mutter, was dröhnt die Glocke so bang -?
wie drücken die Rosen mein armes Herz -
o all meine Wonne wird wieder zu Schmerz . . .

Es löst sich etwas in mir los,
als sprengt es meinen jungen Schoß -
O Mutter, mir wird so schwer und heiß!
mich friert! ich geh über Schnee und Eis -
ich gehe zu einem kleinen Grab,
dort nimmt man mir die Bürde ab . . . .
(S. 16)


III.
Und als der erste Sonnenstrahl
sich durch die seidne Gardine stahl,
da träumt sie wieder mit lächelndem Mund
und sehnt sich die junge Seele wund -
da hörte sie wieder des Rosses Huf
und des Reiters lockenden Liebesruf -

da war es ihr wieder, als käm es herauf,
die Treppe herauf im hastigen Lauf,
als klopft es verwegen ans Kämmerlein -
und sie erwacht - und ist allein . . . .
Sie sinnt und sinnt den ganzen Tag,
sie sieht nicht das Blühn in Hain und Hag,
der Frühlingssonne leuchtende Pracht -
sie denkt nur mit Sehnsucht der kommenden Nacht . . .
(S. 17)


IV.
"O meine Seele,
du junge, fröhliche Seele,
laß dir am Tage
o tausendmal
die seligen Wunder
deiner Träume erzählen . . .

Der Himmel blaute
so licht, so frühlingslicht,
und die Wiese blühte
in jungen Keimen
so blaß und grün, -
und ich lag
unter den schwanken Zweiglein,
unter den flockigen Blüten
im weißen Mädchenhemde
träumend, so selig träumend . . .
Meine rosigen Glieder
küßte der Morgentau,
und der Wind
koste in meinem weichen Haargelock.
So seltsam war mir,
so schwer, so sehnend,
so heiß . . .
Meine Hände tasteten in die Lüfte,
zu meinen Häupten
die weißen Blüten,
die jungen schwarzgrünen Dornen
brach ich in Qualen
und preßte sie innig
an meine kleinen zitternden Brüste . . .

In meiner Seele
sang eine selige Stimme,
eine fremde Stimme,
die doch meine eigenste war,
die einzigste meiner Seele,
nach einer Sonne,
die mich verzehrte . . .
Und ich sann und träumte
und lallte
und weinte so heiß
in meiner Schwermut,
in meinen Schmerzen . . .
O wohin . . . wohin . . .
O woher . . .? - -

Da war es,
als thäte der blaue
lenzliche Himmel
sich über mir auf, -
und es kam geflogen
aus rosigen Wolken
im goldnen Gewande,
der schöne Knabe
mit den blauen
strahlenden Augen -
und bettete sich
in die weißen Blüten
auf meinem Schoße.
Und unsre Lippen,
unsre Seelen
sanken sich zu.
Ich lachte und weinte
in seliger Wonne . . .
und träumte
und schlummerte süß
in seinen Armen,
und meine Sehnsucht,
meine zagende, zitternde Sehnsucht schwieg . . .

O meine Seele,
o tausendmal
laß dir die Wunder
deiner Träume erzählen . . .
o warte, warte:
die weiche Nacht,
die dein Verlangen,
wird dich umfangen,
und deine Glieder
werden glühen im Traum:
o ihm entgegen
dem lichten Engel, -
er wird zu dir kommen
zur Frühlingswiese
unter den blassen, weißgrünen Blüten . . .
(S. 19-20)


V.
Ich träumte, du wärst ein Reitersmann,
du kehrtest als Sieger, die Stadt war voll,
doch wehe: kein Ruf dir entgegenscholl,
sie sahen dich alle seltsam an . . .

Und hinter den Menschen verbarg ich mich.
Da wandtest du langsam dein stolzes Genick,
da traf mich dein weicher, wehmütiger Blick, -
und durch die Menge drängte ich mich

und warf mich vor dein schäumendes Roß -
doch du hörtest nicht mehr meinen flehenden Ruf,
in meinem Fleische fühlt ich den Huf,
und über mich drängte der lärmende Troß . . .

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 21)

_____



Der Weidenbaum

Wie war es doch? . . . es liegt wie ein Traum,
wie ein Bild auf Seide, in meinem Sinn . . .
Eine alte Weide am Wassersaum,
und sommerlich summen die Bienen drin . . .

Wir saßen im blassen Schilf so fern,
du sangst das Lied von der Wasserfee,
wie Gottes Auge blitzte ein Stern,
ein zitternder Stern im grünen See . . .

Und ich küßte die kleine, kindliche Hand
meiner blonden, blauäugigen Wasserfee,
sie zog mich nieder vom weißen Strand
in den purpurn schimmernden Liebessee . . .
- - - - - - - - - - - - - -
Und wie war es doch? - Es liegt wie ein Graun,
wie Thränen auf Sammt, in meinem Sinn . . .
im See die Wasser blitzen und blaun
und spülen an Weidenwurzeln hin . . .

Hell scholl dein Lachen, so kindhaft hell, -
die Fischlein schwammen um deinen Fuß,
und ich zuckte nieder so heiß und schnell
und küßte die Tropfen von deinem Fuß . . .

Und du lachtest so hell, so kindhaft hell -
du rauftest das Schilf in rasender Lust - -
Es liegt wie Blut auf Sammt so grell,
es schreit wie ein Mord in meiner Brust . . .
- - - - - - - - - - - - - -

Dann schwarz und rot, wie Rauch und Blut
ging über den neblig stürmischen See
mit dunklem Gewölk eine Abendglut, -
dann kühltest du still dein brennendes Weh,

dann lösten die Stürme dein schönes Haar,
die Wellen küßten den lieblichen Leib,
rauh rief im Sturm ein Rabenpaar . . .
Und die Weide beweinte mein totes Weib.

Die Weide beschattet mein totes Lieb - -
Ich stieg wie ein Teufel über den Raum,
ich schlummer' und schlafe nicht, - wie ein Dieb
schleicht sich mein Herz an den Weidenbaum . . .

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 22-23)

______



Die Erwartung

Wo ist mein süßes Mädchen?
das summen tausend Sommergeigen
voll Sehnsucht in das Mittagsschweigen.
Ich lege übers Aug die Hand
und seh in Glut und Gold das Land,
doch nirgendwo mein Mädchen;
ich suche hier, ich suche dort,
die Grillen summen immerfort:
Wo ist mein süßes Mädchen?

Ich werfe mich ins Gras
und kann dem wilden Weh nicht wehren.
Kann denn die Holde mich entbehren?
Ich preß die Stirn ins kühle Kraut -
da lacht der rote Mohn ganz laut,
als läg ein Tor im Gras,
es lacht der weiße Hagedorn,
der aufgeblasne Rittersporn
und selbst das grüne Gras -

Auf einmal schwimmt ein Lied
wie hingeträumt in Lenzgedanken
durch Blüten und durch grüne Ranken,
und mit Entzücken hör ich zu:
"Du Meine, o du Meine du!"
So selig singt das Lied
und kommt und flieht - da fällt mir ein:
jetzt wirst du schlummern hier zum Schein -
schon stockt das kleine Lied -
Da ist mein süßes Mädchen!
ich hör sie lachen ganz verstohlen,
ich hör sie nahn auf leisen Sohlen,
ich sehe schon den kleinen Schuh,
mein Herz hält kaum die letzte Ruh -
O, du mein süßes Mädchen!
ein Kuß - und alle Welt versinkt,
und alles um uns singt und klingt:
"O, du mein süßes Mädchen!"

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 52-53)

_____



Maria

Zum Himmel raucht die Brunst der jungen Ähren.
Es ist so abendstill. Nur eine Nachtigall
schlägt zaghaft an. Der müde Tag schläft ein . . .
Wo Joseph bleibt? Sie blickt mit Sehnsuchtsaugen
den steilen Weg hinab nach Nazareth . . .
und wie sie träumend vor der Hütte steht
und halb verdrossen in den Abend blickt,
lockt wieder süß im Dorn die Nachtigall,
die eben schwieg, und leis die Grillen summen . . .
Da kommt den Weg herauf ein Wandersmann -
Ist ers? Sie späht, sie will entgegen ihm -
doch nein: sie wird mit Blumen erst sich schmücken . . .
in ihren Rosen steht sie . . . lächelnd . . . träumend.
Es ist so schwül, die Hand ist ihr so schwer;
sie schauert süß zusammen, wenn die Blätter
die zarten vollen Brüste leis berühren . . .
Wenn ers nicht wär . . . sie träumt so gern allein
und giebt sich ganz der stillen Sehnsucht hin . . .
Er ist so müde, wenn er abends kommt,
und oft so mürrisch von des Tages Mühn, -
sein Herz muß immer sorgen, und sein Auge
schweift lieber zärtlich über ihre Felder
als über ihre rosigen Brüste, ihr Hüften . . .
Wenn er nicht käm! - dann will sie wieder träumen
von einer Liebesglut, die sie verzehrt,
von ihrem stolzen, dunkeläugigen Helden,
den sie ersehnt seit ihren Kindertagen . . .
O Liebe: Seligkeit! . . . sie lächelt . . . träumt . . .
Da tönt ein schneller Schritt - und stockt am Thor -
sie wendet kaum die süßversehnten Augen:
Du, Joseph? lallt sie, langsam blickt sie auf -
und schreckt empor: ein fremder Wandersmann,
schön wie ein Engel, steht in ihrem Tor! . . .
sein dunkles Griechenauge lacht sie an,
vom süßen Anblick ihrer Schönheit trunken,
und lodert heiß begehrend ihr ins Herz . . .
sie starrt entsetzt, betäubt, sie will entfliehn
und ist gebannt und sieht in lauter Licht
die herrliche Gestalt, in lauter Glut . . .
schon naht sich ihr der liebesmächtige Blick:
sie schließt die Augen - und mit seligem Lächeln
löst sie die Glieder, traumhaft flüstert sie:
"Du bists, mein Held, mein Herr und Gott!" - und schmiegt
sich tiefbeglückt an seine glühende Brust . . .
Und wie sie langsam in die Hütte schreiten,
horcht ihnen noch die tiefe Stille nach,
dann schlägt die Nachtigall so brünstig an . . .
Jasmin und Rosen atmen tief und leise,
sie hauchen ihre Düfte, ihre Gluten
süß in die heilige Sommernacht . . .


Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 59-60)

_____



Schwüle Nacht

Wie ist die Nacht so schwül und warm!
Was zitterst du in meinem Arm? . .
o du fühlst meine dumpfe Gier
und fühlst, sie dürstet nicht nach dir . . .
o du mit deinem tiefen Blick,
wie trägst du selig dein Geschick! . .

Ja, wild und wilder wühlt mein Blut -
o laß mich fliehn, daß meine Glut
sich jäh in dunkle Fluten taucht . . .
Wenn dann vom Hügel schimmernd raucht
der Morgentau, dann will ich rein
ein Hüter deiner Seele sein.

Bis einst ein Tag in tiefer Ruh
uns lächelt die Erlösung zu,
und alle Unrast leis verschäumt,
und eine Nacht aus Tiefen träumt -
o eine Nacht, Geliebte du! . .
o Seele meiner Seele du . . .


Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 72)

_____



Selige Nächte

I.
Wie blendenweiß und liebesschwül
der mondbestrahlte Garten schweigt,
und wie ein Duft so süß und kühl
aus tausend vollen Kelchen steigt!

O liebe mich und sei mein Weib
in dieser tiefverschwiegnen Nacht,
enthülle mir den Lilienleib
im Dufte dieser Blütenpracht!

Laß glühen uns im vollen Glück,
im Glück der Nacht, so Mund an Mund,
und tauchen dann zum Tag zurück,
geheiligt tief durch diesen Bund . . .

O komm! . . du Heißgeliebte du! . .
nun fühlen wir das Erdenglück
im Rausche dieser Hochzeitsruh,
in diesem einen Augenblick . . .
(S. 73)


II.
Ich will dich küssen, daß die Glut
der Sonne dir im Schoße gährt,
daß heiß entflammt dein junges Blut
zu reifer Liebe sich verklärt!

Ich will dich lieben toll und wild,
will herzen dich in Raserein - -
will träumen dann so matt und mild
mit dir ins Morgenrot hinein . . .

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 74)

_____



Sommersonnenglück

I.
Im blauen Ginster, auf roter Heide
rings flimmert der Tau wie tropfendes Blut,
auf deinem Haupte, ein goldnes Geschmeide,
liegt schimmernd die scheidende Abendglut.

Die langen Gräser flüstern und nicken,
reif rinnt aus gelben Kapseln der Mohn,
so dürstend, so bang deine Augen blicken,
wirr in der Ferne ein Traumeston . . .

Wirr deine Wangen im Fieber flammen -
so scheues Schweigen, - und Friede so weit,
und unsre Gluten strömen zusammen, -
rot lodernd versinkt die Einsamkeit . . .
(S. 75)


II.
Betäubend dampft das reife Ährenfeld,
die rote Glut wächst um uns immermehr,
bisweilen aus dem brünstigen Himmel fällt
ein blauer Blitz, wir atmen heiß und schwer

und gehen immer tiefer in die Glut,
schweigsam und dürstend bis wir atemlos
uns stürzen in die wilde Flammenflut
und jäh ersterben selig Schoß in Schoß . . .

ein Schrei! - und eine tiefe Stille dann,
ein Ineinanderruhen und Verglühn . . .
ein Sommerabend! zwischen Weib und Mann
ein Bund, den tausend Sterne keusch umblühn . . .


Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 76)

_____



O denkst du, Geliebte, jener Nacht? . . .

O denkst du, Geliebte, jener Nacht?
Die Luft war im kühlen Licht erstarrt,
die Schatten fielen schwarz und hart,
Die Blumen hielten überwacht
den Atem an und regten sich kaum -
und welkten plötzlich vor uns hin,
als durch den tiefen tiefen Traum
ein Ton so dumpf und sterbensbang
erschütternd aus der Ferne klang . . .

O denkst du, Geliebte, jener Nacht?
All unsre Sehnsucht wuchs und ward
so traumessüß und lebenshart -
und lauschte doch nur dem dunklen Ton,
der aus der Ferne wirr und bang
vernichtend in die Stille klang . . .

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 77)

_____



Sehnsüchtige Melodie

Wann blinkst du, milder Abendstern,
aus Wolken in mein dunkles Thal?
Wann klingst du, süßes Friedenslied
und stillest meine müde Qual?

Wann schlummerst du auf meinem Pfühl,
mein Sturmgefährte, treues Weib?
Wann küß ich deine Knospen wach
und segne deinen keuschen Leib?

Wann seh ich meine Kinder blühn,
wann tauch ich meinen Liebesblick
in Kindesaugen, sonnenklar,
und juble laut im höchsten Glück? . . .

Und wann, mein Vater, rufst du mich,
damit du segnest deinen Sohn
und segnest seine Menschlichkeit? -
Das wär mein heißersehnter Lohn!

Wann küsse ich dein greises Haupt?
o wann, mein Vater, segnest du
mein Herz und Haus, mein Werk und Weib?
dann käme meine Seelenruh . . .


Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 82)

_____



Abendstimmungen

I.
Der fromme Glockenton schlief längst schon ein,
die Mühle stockt und dreht sich wie im Traum,
wir sehn das Dörflein in der Dämmrung kaum
und sind nun ganz allein.

Nur eine Flöte klingt: am Wiesenrain
bläst sie der Abend, der, ein blinder Mann,
nicht unsre süßen Küsse sehen kann:
nun laß uns zärtlich sein . . .
(S. 87)


II.
Jenseits der Stadt steht ein Gewittersturm,
scheu flattern Dohlen um den Rathausturm;
tief unten zündet der Laternenmann
die ersten trüben Blinzellichter an.

In meinem Zimmer raunt die Dunkelheit,
ich träume mich in süße Traurigkeit,
und wie ein Kind, das dunklem Drang entflieht,
singt meine Seele zag ein kleines Lied . . .
(S. 88)


III.
Ewig das gleiche Bild:
Braunviolett der Abend niedertaut.
Ein altes Weib sucht Beeren noch im Kraut.
Den Hügel schnauft herauf ein Ochsenjoch
und schlürft sich satt im sumpfigen Wasserloch.

Dann tiefe Stille. Nacht und tausend Sterne -
und meine heiße Sehnsucht in die Ferne . . .
Bisweilen rasselt aus dem Dorf die Uhr,
aus meinem Haus tönt deine Stimme nur . . .
(S. 89)


IV.
Sieh dort das Reiherpaar! der Schwingen Wucht
rauscht friedsam durch die stille Abendluft!
Hörst du den Schrei? sie sinken in die Bucht,
die zwischen Weiden träumt im Nebelduft.

O süße Ruh! wie alles schweigt und reift!
schon bräunt sich leis der bunten Gräser Pracht,
die junge Brut längst fern dem Neste schweift,
bald schwankt durchs Dorf die erste Erntefracht.

Aus: Sommersonnenglück.
Neue Gedichte von Hans Benzmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1898 (S. 90)

_____


 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Benzmann


 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite