Michel Berend (1834-1866) - Liebesgedichte



Michel Berend
(1834-1866)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



O sag' mir nicht nicht, daß du mich liebest,
Gieb mir die Hand und sieh mich an
Und in den Augen will ich's lesen,
Was ich dem Wort nicht glauben kann.

Doch nein, schließ auch die Wimpern beide,
Denn aus des Auges Tiefe blinkt
Ein blasses Antlitz mir entgegen,
Das wehrend mich von dannen winkt.

O daß ich Kraft zu hören hätte,
Was dieses stumme Antlitz spricht
Und zu zersprengen eine Kette,
Eh' sie zerbröckelt und zerbricht.

Ich kann es nicht - mein armes Herze
Fühlt sich verjüngt in Lieb' erstehn -
Und doch sagt deutlich jenes Antlitz,
Wie bald es ärmer noch wird gehn.
(S. 43)
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In leisem Weh'n ist der Tag verhallt,
Es geht durch die Lüfte wie Glocken -
Die Nachtigall singt mit wilder Gewalt,
Als wollt' sie die Sterne verlocken.

Die Blume regt sich im Traume nur,
Wie wenn sie mit Elfen spielte -
Es ist als ob die ganze Natur
Eine selige Brautnacht hielte.

Schau hin, du wildes Indianerkind
In die weite, schweigende Ferne,
Wie so lüstern schattig die Wälder sind,
Wie blinken begehrlich die Sterne!

Komm, laß mich die Träume der alten Zeit
Verbrennen in deinen Blicken,
Den Jammer, der mir im Herzen schreit,
Mit deinen Küssen ersticken.

Um meinen heißen Busen fest
Die leuchtenden Arme schlinge
Und halte mein Herz an deines gepreßt,
Daß es vor Weh nicht zerspringe.

So will ich dir singen ein deutsches Lied
Und träumen, du kannst es verstehen,
Und wenn der Ton fremdklagend entflieht
In deinen Armen vergehen.
(S. 44-45)
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Wol haben mir einst die Rosen geblüht
Und die Nachtigallen gesungen,
Wol sind mir im jugendlich frischen Gemüt
Die Glocken der Liebe erklungen -
O weh, was ich war und was ich bin!
Dahin, dahin,
Die Rosen und Herzen sie gehen dahin.

Ich habe geglaubt und habe geliebt,
Gesündigt und vergessen,
Was Schwingen der Hoffnung dem Herzen giebt,
Ich hab' es Alles besessen.
Wo blieb nun der starke, der fröhliche Sinn?
Dahin, dahin,
Der Glaub' und die Hoffnung sie gehen dahin.

- Und wenn sie denn alle gebrochen sind,
Die süßen, die köstlichen Blüten,
Was willst du denn selber, verlorenes Kind?
Dein verlorenes Leben noch hüten?
Mit dir selber, o sprich, wo willst du noch hin?
Dahin, dahin ...
Gottlob, auch der Mensch geht zuletzt dahin.
(S. 49-50)
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Ich glaubte, die Rosen blühten noch -
Sie waren schon lang verdorrt,
Ich glaubte, die Sterne glühten noch -
Sie waren schon wieder fort.

Ich glaubte, dein Eidschwur bliebe noch -
Schon war er dir aus dem Sinn,
Ich glaubte an deine Liebe noch -
Sie war schon lange dahin.

Ach, Rosen und Lieb' und Sterne fort -
Du bliebst noch übrig allein,
Mein Herz, auch du gingest gerne fort
Und schliefest in Frieden ein.
(S. 51)
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O daß du mein geworden wärst,
Ich hatte dich so lieb,
Der Hafen warst du, dem ich zu
Durch wüste Wogen trieb.

Der Himmel hat es nicht gewollt,
Mein Kahn treibt still allein -
Wir hätten überselig doch
Zusammen können sein!
(S. 53)
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O, wenn dir Gott ein Lieb geschenkt,
Behalt' es treu im Herzen,
Und was dich quält und was dich kränkt,
Mit ihr kannst du's verschmerzen;
Es schwindet jedes Leid der Welt,
Wenn Liebchens Träne darauf fällt -
Drum, wenn dir Gott ein Lieb geschenkt,
Behalt' es treu im Herzen.

Wenn fromm auf dich ihr Auge schaut,
Aus Bitterm wird das Süß'ste,
Wie, wenn der Himmel tröstend blaut,
Zum Paradies die Wüste.
Der Hader und der Wahn schläft ein,
Das wilde Herz wird gut und rein -
Wenn fromm auf dich ihr Auge schaut,
Aus Bitterm wird das Süß'ste.

Zieh von dir, wenn du zu ihr trittst,
Die staub'gen Erdenschuhe,
Und was du duldetest und littst,
Das singt ihr Wort zur Ruhe;
Wie wo der Herr beschritt den Grund,
Viel tausend Blumen blühn zur Stund' -
Zieh' von dir, wenn Du zu ihr trittst,
Die staub'gen Erdenschuhe!

... Doch, wenn du sie verloren hast,
Voll Jammers, unermeßen -
O denk', in deiner Schmerzen Last,
Denk', daß du sie beseßen!
Und will das Herz dir brechen schier,
Fluch' nicht der Welt, noch ihr und dir -
Auch wenn du sie verloren hast,
Denk', daß du sie beseßen!
(S. 54-55)
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Mein Auge trübe wie der Himmel,
Mein Herz wie der November kalt,
So horch' ich still auf das Getümmel,
Das von der Straße lärmend schallt;
Mit Trauern denk' ich an die Stunde,
Da ich verließ die Liebste mein -
Hätt' ich ein Wort aus ihrem Munde,
Es würde besser, besser sein!

Ja wohl, ich habe viel geduldet,
Seit ich beim Abschied stummbetrübt
Ins Aug' ihr sah, die nichts verschuldet,
Als daß sie zu sehr mich geliebt!
Seitdem wie manche schwere Stunde
Verbracht' ich einsam und allein -
Hätt' ich einen Kuß von ihrem Munde,
Es würde Alles vergeßen sein!

Fahr' hin, fahr' hin, des Lebens Wonne,
Was giebt's, das ich noch wünscht' und wollt' -
Es bleibt ja Nacht, sobald die Sonne
Ins kalte Meer hinabgerollt.
Und doch, wie fest mein Herz sich wähne,
So fest, o Gott, wie toter Stein -
Aus ihrem Aug' nur eine Träne
Ich würde selig, selig sein!
(S. 56-57)
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Nein, nicht mit Weinen und mit Klagen
Sei diese Stunde hingebracht,
Nur Eine Träne laß dir sagen,
Wie dunkel meines Herzens Nacht!
Laß tief mich dir ins Auge sehen,
Von langen Jahren les' ich drin -
Dann will ich stille weitergehen,
So still wie ich gekommen bin.

Du hast den langgereisten Wandrer
Im ersten Anblick kaum erkannt:
Im Innern auch kehrt' ich ein Andrer,
Als da ich ließ das Heimatland.
Doch ob im Urwald ich geseßen,
Horcht' ich dem Lied des Wilden zu -
Was ich nicht dort und nie vergeßen,
Das war das Vaterland und Du!

Ihr habt mir beide schlecht gelohnet -
Wollt ihr vergelten? Könnt ihr's? Nein!
Wer einst im Paradies gewohnet,
Kann draußen nicht mehr glücklich sein.
Nur tief in meines Herzens Schreine
Bleibt still ein treugehegtes Bild,
Vor dem ich bete, jauchze, weine -
Ist's gleich von Trauerflor umhüllt.
(S. 58-59)
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Und wenn es Gott nicht anders will
Und muß es denn geschehen,
Wolan, so laß mich stumm und still
Aus deinen Armen gehen.

Und sage mir kein Abschiedswort
Und wein' auch keine Zähre;
O denke, wenn ich von dir fort,
Daß ich gestorben wäre!

Schwebt dann mein Geist in nächt'ger Zeit
Durch deines Herzens Gründe,
Um einen Toten trägst du Leid
Und das ist keine Sünde.

Ich aber will nun wiederum
Unstät die Welt durchschweifen
Und suchen, das Mysterium
Des Daseins zu ergreifen.

Ist mir dereinst das Rätsel klar,
Wird mir's ja auch wol kommen,
Warum, was mir das Liebste war,
Zuerst mir ward genommen.
(S. 60-61)
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In stillen Träumen die Erde liegt,
Es sang sie in Schlaf die Nachtigall,
Auf weißem Fittich vorüberfliegt
Des Friedens Geist
Und All'
Er beten, ruhen, träumen heißt.

Du hast ja nun auch genug gewacht,
Du darfst auch endlich 'mal müde sein,
So träum' in der einsam stillen Nacht
Dich heimatwerts -
Schlaf' ein,
Schlaf' ein auch du, mein wildes Herz.
(S. 62)
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O könnt' ich doch noch ein einzig Mal
In dein blinkendes Auge sehen
Und dir all' die selige Liebesqual
Und die brennende Lust gestehen.
Noch einmal träumerisch unbewußt
Dir drücken die lieben Hände -
Ich wär' ja so gerne mit aller Lust,
Mit dem ganzen Leben zu Ende!

Noch einmal möcht' ich mein innerstes Herz
In die Tiefen des deinen tauchen
Und dann meine Seele himmelwerts
In einem Kusse verhauchen.
Der ganzen Misere und Erdennot
Auf Träumen der Liebe entschweben -
Ach Gott im Himmel, ein solcher Tod
Wär' besser als solch ein Leben.
(S. 63)
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Du hast den Gedanken, daß ich dich liebe,
Niemals in innerster Seel' erfaßt,
Und das ist mir der sicherste Zeuge,
Daß du mich selbst nicht geliebet hast.

Du hast sie niemals innig ergriffen
Des ungesagten Wortes Macht,
Daß Mund und Auge schweigen können,
Wenn es jubelt im Herzen und weint und lacht.

Du wußtest es nicht, daß die Rede nur zeiget,
Was oft mit Jammer verschwiegen ist -
Und daß die Lieb' am allergrößten,
Die in kein Gewand zu schmiegen ist.
(S. 72)
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Wer hat sie geahnt, wer hat sie ergründet
Die stille gewaltige Zauberkraft,
Wo hat es ein Sänger im Liede verkündet,
Was die Liebe, die Liebe für Wunder schafft!

Ist Liebe ein Wesen mit Hauch und Leben,
Ist sie ein Traumbild, ist sie ein Wahn?
Wer hat ihr Szepter und Krone gegeben,
Wer den Königsmantel ihr umgetan?

Sind's Rosen, ist's Gift, was Liebe spendet,
Stieg sie aus den Gluten der Hölle hervor?
Ward sie als ein leuchtender Bote gesendet
Aus des Herrgotts seligem Engelchor?

Stieg sie herein in unsre Mitte,
Weil der Teufel sein Opfer haben muß -
Warum weiht sie zur Kirche die Hütte,
Warum zum Sakramente den Kuß!

Wer hat ihr der Wonne Zauber gegeben,
Wer lieh ihr den finstern, gräßlichen Bann,
Daß sie ein ganzes Menschenleben
So gränzenlos elend machen kann?

Wer gab ihr untertan Bauer und Kaiser,
Wer gab in ihr Füllhorn Würde und Spott,
Daß zum hirnlosen Narren durch sie ein Weiser,
Durch sie ein Knabe werde zum Gott?

Hat ihr die Taube die Schwingen befiedert,
Hat sie dem Geier die Feder geraubt ...
Die Zeit hat mir das Alles erwiedert,
Doch anders, anders als ich es geglaubt.
(S. 74-75)
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Und hat dich ein treulos blauäugig Kind
Verlaßen um einen Andern,
So pack' das Leid zu den Strümpfen geschwind
Und gehe geschwind auf's Wandern.

Und trinke gut und füll' dir den Wanst
Auf der sonderen Hochzeitsreise,
Und wenn du vor Tränen nicht singen kannst,
So pfeife dir eine Weise.

Und pfeife dich bis ans Ende der Welt
Und bleibe gesund und munter -
Wenn es dir dann nicht länger gefällt,
So springe da nur hinunter.
(S. 76)
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Schon eine frühe Lerche schwang
Sich auf trotz Schnee und Kälte
Und sang voll Klang den Frühlingsdrang,
Von dem das Herz ihr schwellte.

Sie sang so lang, bis selbst die Sonn'
Mild auf sie niederlachte
Und bis am Lindenbaum davon
Ein grünes Blatt erwachte.

Nun dürfen ja die Rosen auch
So lange nicht mehr warten;
Nun zaubert bald in Duft und Hauch
Die Erde sich zum Garten.

Nun drängt's und gähret allerwerts,
Will wieder frisch erglühen -
Da wird ja wol auch dir, mein Herz,
Ein neuer Frühling blühen!
(S. 78)
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Aus: Gedichte von Michel Berend
Zweite unveränderte Auflage
Brüssel & Leipzig
Verlag von August Schnee 1856

 

Biographie:

Michel Berend
Wieder ein deutsches Grab in fremder Erde – und zwar ein deutsches Dichtergrab. Erst wenn sie draußen sterben, erfährt man daheim, was man an ihnen verloren hat. Und nach so vielen Verlusten sind wir noch heute nicht im Stande, die Summen von Talent, Wissen, Geist und Charakter zu schätzen, welche von den Stürmen des Vaterlandes als frische, grüne Blätter vom Baume Deutschland in alle Winde getrieben wurden. Zu diesen frischen, grünen Blättern gehörte Michel Berend. Seine deutschen Landsleute und Collegen von der Presse haben ihm am 7. September in Brüssel das letzte Geleite gegeben. Dort hatte die Cholera ihn hingerafft.
Berend ist der Sohn eines Bankiers in Hannover. Das [597] stürmische Streben einer poetischen Seele scheint ihn früh erfaßt zu haben, aber Vieles ihm unerfüllt geblieben zu sein. Das verräth die spätere Klage:

Wollte einst was Rechtes werden,
Doch mein Vater sagt’ es oft,
Daß man nie erreicht auf Erden,
Was man wünscht und was man hofft.

Und mein Vater war im Rechte;
Wen’ger wünscht’ ich jedes Jahr –
Was ich heut noch werden möchte,
Ist ein Knabe, wie ich’s war.

Aus der glücklichen Kindheit, auf die dieses Gedichtchen schließen läßt, trat er in ein äußerlich und innerlich bewegtes Leben, wie auch dafür seine Gedichte zeugen. Mißstimmung und Thatendrang trieben ihn aus dem Vaterlande – über das Meer, das er in seinem „Atlantischen und Transatlantischen“ besingt. Ob es Heimathsehnsucht war, die ihn von drüben wieder herüber zog?

Da geht ein junger Bursch vorüber,
Summt vor sich hin ein deutsches Lied,
Und trüber wird’s um mich und trüber,
Da Lied und Bursche weiter zieht.

Ich wollte mich doch nimmer kränken,
Nicht um das Land und nicht um sie –
Da kommt das alte Heimgedenken
Mit seiner alten Melodie.

Und er zog wieder heim-, wenigstens europawärts, wohin zunächst, wissen wir nicht; daß eine unglückliche Dichterliebe mit an seinem Herzen zog, spricht er selbst so reizend schön aus:

O daß Du mein geworden wärst,
Ich hatte Dich so lieb!
Der Hafen warst Du, dem ich zu
Durch wüste Wogen trieb.

Der Himmel hat es nicht gewollt,
Mein Kahn treibt still allein –
Wir hätten überselig doch
Zusammen können sein!

Im Juni 1854 schrieb er von Paris aus an Robert Prutz die Widmung seiner Gedichte, deren zweite Auflage bei Schnee in Brüssel erschienen ist. Wie auch in der französischen Hauptstadt sein Blick und Herz „dem armen Volke“ zugewandt war, dafür spricht sein ergreifendes Gedicht „Eine Bettelgeschichte“, und die Klage über sein eigenes unstetes Leben wird in seinem „Ahasver“ laut. In Brüssel, wo er seine letzten Jahre zubrachte und hauptsächlich als Correspondent für die Kölner Zeitung, die „Freie deutsche Presse“, die „Gartenlaube“ und andere Journale thätig war, gehörte er zu den beliebtesten Persönlichkeiten des dortigen Schriftstellerkreises. Dafür zeugt sein Leichenbegängniß, das unter großer Betheiligung auf dem israelitischen Friedhofe stattfand. Der Oberrabbiner Astruc und Max Sulzberger, der Chef-Redacteur der „Etoile belge“, feierten würdig des deutschen Dichters und Publicisten Ehrengedächtniß. Das dauerndste Denkmal hat er sich selbst errichtet in seinem tief aus dem Herzen gekommenen und zu allen Herzen dringenden Lied „An meine Mutter“, das wir aus dem nun längst vergriffenen Jahrgang 1856 der „Gartenlaube“ noch ein Mal hervornehmen und als selbstgewundenen Kranz auf des Dichters Grab legen.
Aus: Die Gartenlaube Heft 38, S. 595, 597
siehe: http://de.wikisource.org/wiki/Michel_Berend_(Die_Gartenlaube_1866/38)



 

 


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