Hans Bethge (1876-1946) - Liebesgedichte



Hans Bethge
(1876-1946)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Du bist der schönste
Gedanke des Frühlings.

Du bist der süßeste Hauch,
Der am Abend mich anweht.

Du bist die wilde Verzweiflung
Aller, die dich lieben.

Ach, du hast in finstere Nacht
Auch mich gehüllt.

Wer bist du?

Du bist der süßeste Hauch,
Der am Abend mich anweht.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 7)

_____



Wenn ich bei dir bin, -
O wie glänzt der Sommer lachend über die Erde!

Wenn ich von dir gehe,
Fallen die Blätter welk herab.

Bin ich weit von dir entfernt,
Wall ich über Schneegefilde.

Wenn ich von dir träume,
Tun sich leise die Tore des Lenzes auf.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 8)

_____



Die Frauen Arabiens
Tun Spangen um ihre braunen Lenden,
Ihr Haar duftet nach Myrrhen.

Die Frauen in Andalusien
Tragen funkelnde Rosen im Haar,
Darauf der Tau der Liebe zittert.

Das Haar der persischen Frauen
Ist durchwoben von Seidenbändern
Und blitzenden Perlenschnüren.

Dein Haar ist schmucklos, Ellinor.
Hüll ich mein Haupt in die braune Nacht deiner Haare,
Flattern die Vögel des Paradieses um mich her!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 9)

_____



In den Wolken des Lenzes
Wandelt dein Bild vor mir.

Horch, die Vögel im Felde
Singen das Lied deiner Schönheit.

Die untergehende Sonne
Formt eine Krone für deine fliegenden Locken.

Ich walle tatlos dahin, -
Nur den Arm streck ich auch . . .

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 11)

_____



Es weht um dich
Wie der Atem der Blumen der Nacht.

In deinen Augen schlafen die Träume
Der Wolken und Winde.

Du bist wie das unbegreifliche Lied
Über den Birken der Maiennacht.

Du funkelst.

Könnt ich den Glanz, der dein Wesen umspielt,
Einfangen wie einen Vogel!

Aber du entfliehst . . .

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 12)

_____



Dein verworrenes Herz,
Warum lieb ich es so?

Deine Handgelenke
Ziehen mich an wie den Falter das Licht.

Wirbelnde Träume in meinem Hirn,
Wessen Bild zeigt ihr mir?

Gieße deine Haare um mich aus,
Kühne Zauberin!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 13)

_____



Deine feinen Hände
Greifen den Atem der Rosen, die dich lieben.

An deinen feinen Brüsten
Hängt der Abend in Glanz und Demut.

Aus deinen verdunkelten Augen
Weht Kühle mich an.

Die Kühle deines Herzens weht mich an
Aus deinen Augen bei Abend.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 14)

_____



Lachen und küssen, mit den Frauen schlafen,
Tanzen, Wein schlürfen aus kristallenem Glas,
Sind Dinge, die den Glücklichen geziemen.
Doch köstlicher ist dies: vor dir zu stehen,
Wortlos zu stehen, unablässig, und
Das Atmen deiner Brust zu spüren und
Nur das zu wissen: mich liebt Ellinor!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 16)

_____



Du bist der erzitternde Klang
Auf meiner Laute.

Du bist auf den Wiesen der Tau,
Das Glänzen in meinem Blick.

Du bist der Duft in der düstern Nacht,
Der mein Herz aufwühlt.

Du bist die Angst meines Herzens,
Die ich so innig liebe.


Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 17)

_____



Wir horchten auf den Wind im Gartenlande,
Wir lagen da mit süß berauschtem Blut;
Wir horchten auf den Wind im Gartenlande,
Die Erde rann wie Traum durch unsre Glieder,
Wir waren eins mit der Musik der Stunden,
Dem Glanz der Dinge und dem Duft bei Nacht.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 18)

_____



Der Schritt deiner Füße lockt Blumen aus dem Gestein.
Wo deine Gewänder streifen, sind holde Gesänge der Sphären.
Wenn du einsam reitest durch Morgenfrühe und Tau, -
Alle Gräser staunen zu dir empor,
Die uralten Strahlen der Sonne
Sterben liebestrunken in deinem wilden Haar!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 19)

_____



Es braust mein Blut. Der dunkle Himmel im
Gewittersturm ist nicht so wild bewegt
Wie ich, der ich dein Bild im Herzen trage
Gleich einem Dolchstich, der mich qualvoll tötet.

Laß stürzen mich zu deinen Füßen! Bade
In meinem Blut mit deinen kleinen Füßen,
Schwing dich aufs Roß und reite durch die Auen,
Daß rot es darin aufblüht von den Blumen
Des Herzens, das für dich verblutete!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 20)

_____



Die Rosen der Abendröte will ich pflücken für dich,
Ich will dir suchen den goldenen Bernstein am Meer
Mit Rosen will ich kränzen deine Lenden,
Bernstein soll funkeln im Haar dir!

Komm her! Richte dich auf in deiner Schönheit!
Lache, - deinem Lachen gehorcht das Weltall,
Vor deinem Lachen taumeln die Sterne
Berauscht ineinander, die seligen, funkelnden Sterne!

Die Rosen der Abendröte will ich pflücken für dich,
Ich will dir suchen den goldenen Bernstein am Meer;
Ich will knieend die Hände aufheben zu deiner Schönheit, -
Jage hin mit deinem Roß über mich!


Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 21)

_____



Von deinen Armen
Geht ein feiner Duft aus,
Der mich verwirrt bei Nacht.
Auf deinen schlafenden Augen
Ruhen die Wimpern wie schwarze Tauben.
An deine atmende Schulter
Sorglos das Haupt zu betten
Ist mehr wert
Als alle Schätze des Orients.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 23)

_____



Das war nur der Klang einer Laute,
Aber die Stimme war nicht da,
Über die Mauer des Gartens
Quellen Düfte der Nacht.

Stimme, Stimme, bist du
Entschlafen? Alle Düfte
Reden von dir nur; verwirrender
Keiner als der Akazien Arom.

Alles harrt. Auflösen in Tränen
Wird die Erde sich diese Nacht noch,
So du nicht anhebst, Atem des Weltalls,
Stimme der Geliebten!


Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 25)

_____



Da, wo du atmest, weht der Morgenduft
Der Liebe wie ein Lenzhauch durch die Welt.

Da, wo du lächelst, zieht Verwirrung
Auch in die trotzig-kühlsten Herzen ein.

Ich möchte wissen, wieviel Seufzer
Nachzittern dir aus dunkler Qual.

Ich weiß es wohl, du wirst auch mir entschwinden
In dunkle Qual, - du Morgenduft der Liebe!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 26)

_____



Ich halte dich im Arm, du bist mir fern.
Dein Mund spricht Worte, dir mir Rätsel sind,
Und Rätsel ist das Schmeicheln deiner Hände
Und Rätsel dein Gelächter und dein Haar.

Die Glut, die in uns aufflammt, bin nicht ich
Und bist nicht du. Ich fühle wie du bebst
Und fühle: es ist nichts, was ich begreife,
Denn wir sind zwei, dein Puls ist meiner nicht,
Und alle Menschen sind sich ewig fern.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 27)

_____



Wo du wanderst,
Blühen die Rosen träumerischer,

Wo deine Stimme tönt,
Ist ein Echo aus himmlischen Sphären.

Wo deine Hände Gaben reichen,
Lacht der Frühling aus allen Beeten.

Wo du liebst,
Geht die Welt in Flammen auf!

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 28)

_____



Ich konnte dich nicht halten, du bist fort.
Ich taste klagend durch die Abendluft,
Mein Fuß ist müd, mein Atem weht dahin
Gleich Trauerflören, aus den Weiden kommt
Ein Wispern, alles Wispern spricht von dir,
Von dir, von dir, von dir, zu meiner Qual.

Hier schritten wir im Tau, die Lerche sang.
Nun ist es Abend über Feld und Rain, -
Ich konnte dich nicht halten, du bist fort.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 31)

_____



Sieh meine Augen erfüllt von Verlangen nach dir!
Sieh meine Hände, die sich umsonst
In die Nacht dehnen, wähnend,
Die Nacht berge den seidenen Prunk deines Haars.

Sieh wie ich selig zittre bei dem Gedanken,
Du könntest rückkehren in meine Verlassenheit!
Lockt es dich nicht, noch einmal, einmal
Zu lauschen auf den Schlag meines Herzens,
Das immer nur ruft nach dir?

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 33)

_____



Die erst so hold an meiner Seite schritt,
Wo ist sie nun? Ich geh allein dahin,
Der Ruch der Veilchen mahnt mich an ihr Haar,
Und wo ich weiße Blüten schimmern sehe,
Da denk ich an das Glänzen ihrer Stirne,
Und wo ein Vogel singt, da wähne ich
Das Plaudern ihrer Lippen zu vernehmen,
Und trauernd ist mein Schritt im blühenden Hag.

Doch nah ich mich dem Grunde, wo die Quelle
Mir ihren Namen ruft, so taumle ich.

Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 34)

_____



Da lagst du,
Wo jetzt Dunkel ist, Öde und Einsamkeit.

Wo jetzt trauernd die Luft fließt,
War einst dein Atem, du holdes Bild.

Warum gingst du? Niemals
War ich so einsam. Niemals
Schien mir die Erde so trauervoll.

Fliege, kleiner Vogel. Wehe,
Wohin irrst du mit deinem Singsang
Süßer, verworrener Träume?


Aus: Hans Bethge Lieder einer Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 35)

_____



Erinnerung an die Provence

Wir ritten, eine vielgeliebte Frau
Und ich, im Mondschein einer Sommernacht
Hin durch das Tal der schimmernden Durance.
Auf schlanken, weißen Hengsten ritten wir
Und schwiegen. Nur zuweilen, wenn der Mond
Uns mild durch der Kastanien Zweige traf,
Schaut ich in pochender Liebe zu dir hin
Und flüsterte, so leis ich konnt: 'Jeannette . . .'

Die Schönheit jener Nacht war wie ein Duft
Sehr seltener Blumen, die zu schnell verblühn.
Ich zitterte, als hätt ich nie ein Glück
So tief gefühlt, und sehe noch das Licht
Des silbernen Monds auf deinem schwarzen Haar.
Ich höre noch das Rauschen der Durance
Wie ferne Lieder aus dem Land des Traums
Und weiß noch, daß ich einmal meinen Hengst
So heftig mit den Sporen stach vor Glück,
Daß er hochauf sich bäumte, trotzigen Augs . . .

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 9)

_____



Wen du lieb hast . . .

Wen du lieb hast,
Laß ihn erfahren, was dein Herz
Fühlt, wenn der Tag zur Rüste geht,
Und was du von den Dingen weißt
Der Erde, wenn das Licht des Mondes
In ihren Bäumen widerstrahlt.
Aber wisse: Dein heimlichstes Sehnen
Darfst du auch dem geliebtesten Menschen
Nicht verraten wollen.

Unsere tiefsten Wünsche sollen
Unsere tiefsten Geheimnisse bleiben.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 11)

_____



Ostsee

Wir trieben auf dem Meer, es war schon dunkel,
Und saßen plaudernd auf den Ruderbänken.
Weit war die Küste, hoch das Sterngefunkel,
Es hing ein Glanz an deinen Handgelenken.

Du sprachest mädchenhafte Heimlichkeiten
Von deiner Jugend unerklärtem Fühlen
Und hörtest, wie aus fernen Traumgebreiten,
Das große Meer an unser Fahrzeug spülen.

Mir war, ich läg in einem Rosenhaine
Und sollte mir die schönsten Blüten brechen.
Ich neigte mich in deinen Schoß, du Eine,
Und küßte deiner Hände Innenflächen.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 13)

______



Mond

Liegt der Mond im schönen Tal.
O Süße! Mein Verlangen ist
All, all bei dir.
Dort, wo die großen Wälder stehn
Und von den Bergen die blauen Schleier
Zur Tiefe wehn,
Sangen wir im Mai einmal
Wie Kinder durch die Nacht.

O fernes Glück!
O Tal!
O Nacht!


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 16)

_____



Glück

Im Dämmerglanz, wenn sich der letzte Strahl
Der Sonne rötlich in den Scheiben bricht,
Ziehn wir die Polster schweigend zum Kamin
Und setzen uns. Ich nehme deine Hand
In meinen Schoß, und dein geliebtes Haupt
Sinkt leis zu mir hinüber, daß mein Mund
Im Kuß mit deines Haares Duft sich eint.
So ruhen wir, des Glückes froh bewußt,
Des festlichen, das uns im Herzen wohnt,
Und fühlen, daß wir jung sind: jung und reich.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 17)

_____



Ich griff es nicht

Die Dämmerung damals, als der Sommer schied:
Auf einem gelben, seidenweichen Fell
Lagen wir beieinander, selig stumm.
Wir dachten lächelnd unserer Liebe nach,
Und um uns war der Stube goldenes Grau.
Da nahmst du deine schmalen, zauberhaften,
Weißschimmernden Hände, dran der Abend hing,
Und legtest sie mit Schmeicheln auf mein Haar.
Ich schloß die Augen und empfand es tief:
Dies ist das Glück. Greif zu. – Ich griff es nicht.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 19)

_____



Rügen

An einem Abend, da der Himmel rot
Über dem Wald stand, wanderten wir stumm
Das Ufer hin, nur deines Haares Duft
Sprach wie ein sanfter Wunsch zu mir empor.
Ich fühlte, daß die Sehnsucht deiner Brust
So lauter blühte wie das Abendrot,
Und leis verhüllt schlug deines Herzens Schlag.
Ich hatte meinen Arm um deinen Hals
Mit großer Liebe hingelegt und sah
Versöhnten Auges in den frommen Schein
Der goldenen Stunde, die zu schnell zerstob.
Dann sucht ich deine vielgeliebte Hand
Und küßte sie, als küßt ich deinen Mund.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 20)

_____



Wendung

Bei meinem Glauben an den Stern der Liebe:
Der Tag wird kommen, da dein Mund sich matt
Und müde sehnen wird nach meiner Gunst,
Die heute du belachst. Frohlocke nicht, -
Es wär zu früh. Bist du auch grausam heut:
Einst wirst du sein wie flüsterndes Gebet
Und sanft und gütig gleich der Abendröte.

Die Nächte, die ich jetzt ertragen muß,
Sind furchtbar. Meine Augen sind verdorrt,
Und haltlos schwank ich, wie das Rohr im Wind.
Eins aber weiß ich: Fürchterlicher noch
Wird deine Qual sein, wenn ich längst mit Lachen
Und Stolz und roten Lippen wieder fest
Im Leben steh. Der Schimmer deines Haares
Wird schwinden wie ein Lufthauch. Deine Hände,
Die mondlichtweißen, werden grau und kalt
Und hager sein vor namenloser Qual;
Und du wirst knien vor mir. Ich aber werde
Dich sanft emporziehn und zurück dich leiten
Zur Pforte jenes Dunkels, das umsonst
Du flohest.
Und auf ewig wird das Tor
Mit ehernem Klang zuschlagen hinter dir!

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 23-24)

_____



Unvergeßlicher Abend

Das Meer klang wie die großen Harfen klingen
Der alten Meister, die die Erde deckt.
Ein feierliches Leuchten kam vom Mond,
Und sanft verschleiert dunkelten die Wälder.

Wir schritten an dem heiligen Wasser hin
Und lauschten auf die Melodien der Nacht,
Still atmend wie das Glück, das mit uns ging.
Ich faßte schweigend in dein dunkles Haar
Und küßte seinen Glanz gedankenvoll,
Wie man die ersten Blüten küßt im Mai.
Im Mai.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 33)

_____



Gefühl

Viel ist den Irdischen gegeben, durch
Fleiß und die goldene Gunst des Schicksals zu
Ergründen. Aber alle Weisheit macht
Das Glück nicht aus, auf dessen Flügeln du
Hinschwebst durch dieses Daseins buntes Tal.
Es ist ein Garten, dessen Rosenduft
Dich tiefer lehrt, was dir an Schönheit blüht
Im Schoße der Geschicke: Dein Gefühl
Ist mächtiger als die Dinge, die du weißt.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 35)

_____



Septembernacht

Du knietest nieder, kniend sahst du in
Die Sterne; deine Haare flossen nieder;
Die Sterne glänzten tief in deinen Haaren,
In deinen Augen spielten sie wie Bälle
Aus Silber, von der Engel Hand geworfen.
Was lag in deiner Hand, die du dem Meere
Entgegenhobst? Waren es weiße Rosen?
Du riefst ein Wort, das Meer verschlang es gleich,
Um deine nackten Schultern rann die Nacht
Und küßte dich, wo noch die Spuren waren
Von meinen Küssen, Küssen meiner Liebe.

Da warfest du die Rosen in das Meer
Und lachtest auf. Es war die Zeit, wo Tag
Und Nacht sich gleich sind. Golden wurden schon
Die Wälder. Warum lachtest du so auf
Und schleudertest die Rosen in das Meer,
Ohne zu fühlen, daß ich bei dir war?

Du knietest, kniend sahst du in die ewigen Sterne . . .

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 36)

_____



Entflogen

In dunkeln Träumen quoll das Meer am Strand,
An meiner Seite sprachest schmeichelnd du,
Indessen von dem Mond ein Silberstrahl
In deinem Haar verging: "Wir sind uns viel
Zu nahe, Freund. Wir sind uns viel zu nahe
In allem, was wie fühlen, was wir denken;
Ich will auf eine Weile von dir gehen,
Laß morgen mich zu Schiff in fremde Länder
Zu fremden Menschen gehn, - dann komm ich wieder,
Und unser Glück wird größer sein als heute,
Da wir uns viel zu nah sind, lieber Freund."

Ich neigte starr das Haupt und sagte: Ja.
'Nun geht sie', dacht ich, und sie kehrt nicht wieder,
'Nun geht sie, und ich halte sie nicht mehr.'
Und da ich solches dachte, fühlte ich,
Wie du erbebtest, voller Dankbarkeit.

Du fuhrst, und Briefe kamen aus der Ferne,
Aus sonnigen Ländern, Briefe voller Liebe,
Doch ohne Sehnsucht, Briefe voller Glück
Und voller Lachen, mir so fremd an dir.
Wie, du kannst lachen? Warum hast du nie
Gelacht, wenn du an meiner Seite schrittest,
Warum warst du so dunkel stets wie ich?

Und ohne Grenzen wurde mein Verlangen,
Das Lachen deines Mundes zu vernehmen,
Das Lachen deines roten Mundes rieselt
Durch alle meine Träume immerzu,
Und jeden Abend flehe ich, du mögest
Rückkehren und mit Lachen vor mir stehn.

Vergebens harr ich. Du kehrst nicht zurück
Aus deinen sonnigen Ländern, o Geliebte.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 42-43)

_____



Ende

Die Tage sind dunkel. Die Rosen sind alle vergangen.
Siehe, der einst so liebliche Garten ist leer.

Unsere Sterne, die so beglückend klangen,
Sind versunken in einem tiefen Meer.

Lege die Hand aufs Herz. Glüht dein Verlangen
Auch so wild wie meins dem Gewesenen zu?

Denke der Sonne, durch die wir einst gegangen.
Fühle das Laub im Wind. Was zitterst du?


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 44)

_____



Tal

Wir sind oft bei Nacht
Durch das silberne Tal gegangen.
Wir haben oft bei Nacht
Leise, leise
Seltsame Lieder
Zu singen angefangen:
Von großer Liebe und großer Qual.

Da war ein wundersames
Rauschen
In allen Zweigen
Durch das silberne Tal.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 46)

_____



Südliches Tal

Die Serenata schwebte noch verdunkelt
Vom andern Ufer, wo ein Pinienhain
Der sanften Hügel Krone war, herüber,
Und die Gardenien, deren Blütenfülle
Die Sterne küßten, dufteten betäubend.
Da legtest du, nachdem wir lang geschwiegen,
Die Klage deiner Hand auf meine Schulter
Und sprachest still (und schön klang deine Stimme):
"Sieh, diese Nacht ist köstlich wie die Tage
Der Zeit, da wir uns liebten. Fühlst du das?"
Ich löste
Von meiner Schulter leise deine Hand,
Hinflüsternd, da der Mond verging: "Ich fühl's."

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 52)

_____



Tief hängen die Wolken . . .

Tief hängen die Wolken und schwer;
Die goldenen Schalen sind ohne Glanz;
Wind fährt ums Haus.

O Saitenklang! O Lendenspiel!
War das ein Traum, daß eure Lust
Mir purpurn um die Schläfen troff,
Die feucht vom jungen Weine waren?
Die Lippen, die den Drang der Liebe
Hinstammelten berauscht im Blütenbett der Frühlingsnacht, -
War das ein Traum, o Frühlingsnacht?

Tief hängen die Wolken und schwer.

Die goldenen Schalen sind ohne Glanz.

Wind fährt ums Haus.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 53)

_____



Nach Sonnenuntergang

Du kamst, erregt vom Sonnenuntergange,
Die Dünen glänzten durch die Abendluft.
Du rührtest mit dem Schritt der Tänzerin
Die gelbe Erde an. Ich saß im Garten;
Und glühnden Herzens fühlt ich, wie du kamst!

Du kamst! du kamst! Du tratest in die Pforte
Und rissest eine Rose vom Gesträuch
Und küßtest sie und warfst sie in die Winde
Und flogst an meine Brust und riefest: Sonne!
Und braun und göttlich glänzten deine Schultern,
Und herber Duft des Meeres hing an dir.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 72)

_____



Lockung

Aus den umkränzten Kissen deiner Liebe
Erreichte mich ein träumerischer Gruß
Auf meinem rauhen, vielgeliebten Ufer
Der Einsamkeit. Nun sehnte sich das Herz
Ins Abendrot, das fern im Westen lag,
Und schauernd fühlt ich, wie ein warmer Duft
Zu mir herüberdrang, süß, und ich sah
Die wundervolle Wölbung deiner Schulter
Aus einer goldnen Wolke blinken.

Da
Warf ich den Kopf zurück! Mein Pferd! Mein Pferd!
Und brausend stob ich, brausend wie das Meer,
Den Strand dahin, und Rosen blühten aus
Der Luft ringsum in mein verwirrtes Haar
Und kränzten mich. Und lachend ritt ich in
Die See hinein und kühlte meine Glut,
Und frei warf ich den Arm empor! und frei
Sang ich die große, goldene Melodie
Der Einsamkeit!

Ein Sieger, hell und heiter, kehrt ich heim.


Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 75-76)

_____



Noch immer

Noch immer diese Schultern, immer noch!
Und immer dieses Goldhaar, nun so schwer
Von Küssen schon und Schmeichelworten, bang
Hineingedrückt in Nächten des Holunder!
Die Flöte klang im Garten viel zu süß,
Und deine grauen Augen und der Dunst
Über den Wiesen! Aber das ist lange
Gewesen doch, - warum häng ich noch immer
An diesen Schultern und an diesem Haar?

Viel größer sind die Bäume jetzt im Abend
Des neuen Lenzes, und die Silberbrunnen
Gehn quellender und flüstern, ganz berauscht
Vom Duft der Erde, nie gehörte Lieder,
Und alles ist erneut und nicht wie sonst …

Nur ich! nur ich! Ich fluche auf
Die Flöte und die Düfte des Holunder!
Rauscht, alte Pappeln, rauscht mich in den Schlaf,
Daß ich allein bin, einsam, daß ich nichts
Mehr schimmern sehe, was wie Gold aussieht!
Grau soll es um mich her sein, lichtlos, tot -
Nur Gold nicht, keine Schultern und kein Haar,
Das schimmert, - es nimmt mir den Atem weg!

Rauscht, alte Pappeln, bis es dunkelt, rauscht.

Aus: Hans Bethge Saitenspiel. Gedichte
Gyldendalscher Verlag Berlin 1922 (S. 78-79)

_____



Sehnsüchtiges Verlangen

Zerfahren les ich, - was will mir ein Buch?
Die Worte taumeln, - immer holder steigt
Dein liebes Bild auf, wie aus rosa Wolken,
Dein blütenhaftes Auge und dein Haar,
Dein Hals und wie du deinen Hals zur Seite
Aufreckst und deines Mundes Rosenblatt.
Geliebte! Wärst du da, wie wollt ich dich
Umfangen! Voll Erstaunen solltest du
Hinwehn in meines Herzens Wirbeldrang,
Und hingesunken, demutvoll, berauscht
Solltest du vor mir liegen und das Aug
Verwirrt auflenken, flüsternd: Hast du jetzt
Die Herrschaft über mich, nach der ich so
Verlangt? Wie süß, beherrscht zu sein!

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 9)

_____



Fragen

Als die weißen Anemonen
Aus dem grünen Rasen lachten,
Liebten wir uns da?

Als des Ahorns goldne Blätter
Über die Alleen stoben,
Waren wir uns damals nah?

Oder war es nur ein Sehnen,
Oder war es nur ein Irren,
Oder war es nichts?

Kann ich mich denn nicht erinnern?
Nein. Durch mein Erinnern wandelt
Nicht ein Schein des Lichts.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 10)

_____



Glanz und Duft

Von deinen Brüsten geht ein Leuchten aus,
Als seien sie bei Nacht vom Glanz der Sterne
Beschienen, - dieses Licht nun strahlen sie
Zurück in mein wie weinberauschtes Herz.
Von deinen Haaren kommt ein Duft, - ich weiß,
Daß du bei Nacht im Frühlingsgarten weiltest,
Der Duft des Flieders hat sich so in dich
Verliebt, daß er sich selig in dein Haar
Geflüchtet hat, - dort blüht er nun verborgen,
Und nie mehr gibt dich der Entzückte frei!


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 17)

_____



Gewohnheit

Welch seliges Verlangen hatt ich einst
Nach deines Nackens rätselhaftem Aufschwung,
Der, hochgeworfen von der schönsten Schulter,
Sich träumerisch zur goldnen Wange dehnt.
Gleich süßem Wein berauschte mich der Anblick
So zauberischen Glanzes, - alle Schönheit
Der Welt schien mir in dir vereint zu sein.

Und heut? O nichts gemeinres als die Zeit.
Lieblichste Phantasie wird barsch verschüttet
Durch der Gewohnheit grauenhaftes Dämmern.
Heut seh ich nur noch einen Hals, der schlank ist,
Und weiße Schultern wie sie viele haben,
Und Fleisch, das einst die Würmer fressen werden,
In grenzenloser Armut steh ich da.

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 24)

_____



Seligkeit

Waren's die Rosen? War's
Der blaue Tag? Dein schimmerndes Gewand?

Gelöst vom Erdrund, trieben wir wie Vögel
Durch Blumenduft und Juni, nah dem Mond
Und nah den Träumen, welche Gott umfluten.
Von deinen weißen Schultern troff die Wonne
Des Daseins, ganz verwirrend, und wie Wein
Atmeten wir den Glanz der Himmelsfrühe,
Und goldner Taumel wehte durch uns hin.

Wie ferne war das Wandern und die Schwere,
Und deine Augen funkelten, ich wußte
Nicht, waren's Sterne, waren es Gedanken
Der äthersüßen Ewigkeit, und meine
Wie Blumen überglänzten Hände mischten
Liebkosend sich in dein gelöstes Haar,
Das meergrasfalbe, und es war ein Tönen
Der Himmelsharfe um uns, in uns, über
Dem fernen Schluchzen der versunknen Erde, -
Und holder Aufgang tiefster Seligkeiten
Durchrann die Haut und die verzückte Seele,
Und alle Tore, alle, standen strahlend
Geöffnet unsrer blütenheitern Lust . . .

Waren's die Rosen, Eleanor? War's
der blaue Tag? Dein schimmerndes Gewand?

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 31-32)

_____



Du und ich

Von der rosa Wolke zu dir
Ist nur ein Hauch;
Von der rosa Wolke zu mir
Ist der Umkreis des Weltalls.

Zahllose Goldfalter schwärmen
Verliebt um dein Haar;
Irrlichter winken mir,
Lockend in Finsternis.

Weiße Waldtaube du
Gaukelst in Glanz und Glut;
Fledermäuse mich zerren
An die Gestade des Styx.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 35)

_____



Merkwürdiges Liebeslied

Ich liebe dich! – und dennoch
Bist du so fremd mir wie ein Stein,
An deinen Lippen häng ich gern,
Dein Atem weht ein Schimmern von
Dem Glück des Paradieses her,
Von deinen Haaren kommt ein Duft
Aus Liebesgärten schönrer Welten, -
Und dennoch, manchmal möcht ich dich
Fortschieben wie ein lästig Ding,
Und nicht ein Dämmer des Gefühls
Verbindet meine Einsamkeit
Mit deinem Glanz, du Stein, du Brett.

Dann aber wieder stürz ich mich
An deine Brust mit Jubelschrei,
Du bist das Glück, du bist die Sonne,
Die meine kühle Brust durchwärmt, -
Was wär ich Ärmster ohne dich,
Du süßer Glanz, du fremder Stein!

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 36)

_____



Wie aber kommt es . . .

Vielleicht, daß dir ein Gott die Schulter küßte,
Da deine Schulter so bezaubernd leuchtet.
Vielleicht, daß neben dir im Abendrot
Ein Gott hinschritt, an deine Hüften rührend,
Da du so königlich im Schwung der Hüften
Dich wiegst. Wie aber kommt es, daß dein Mund
So heidnisch glüht, so wie von Gott verlassen,
Daß man, wenn man ihn anblickt, ganz geschlagen
Und haltlos wird, auf deinen Spuren taumelt
Und sich verzehrt in quälendem Verzücken?

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 38)

_____



Träumerei

Du anmutvolles, zartes, rätselhaftes,
Zerbrechliches, vom Mond geküßtes Kind:
Den Arm um deinen Nacken legen, mit dir
Den Hang hinauf, vorbei an Rosenhecken,
Dein Haar auflösen, wortlos-holdes Spiel,
Dich rückwärts biegen, stumm den Blick eintauchen
In deinen Blick, darin der Vollmond schimmert,
Dein Zittern fühlen, deines Herzens Angst,
Und deine Angst besiegen . . . Träume! Träume!
Der Tag ist fahl, die Rosen sind verdorrt,
Glänzt es nicht silbern schon in meinem Haar!

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 42)

_____



Taumelnde

Heute flieht Eine vorüber,
Morgen lacht Eine uns aus,
Übermorgen küssen wir Eine, -
Aber immer jagt Wind
Übers Land, Tränen fließen,
Wir lauschen dem Lied der Lerche in goldener Früh,
Wir taumeln durch Tränen und Wind, -
Was wissen wir
Von Küssen, Tränen und Wind?

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 55)

_____



Mondenschön

Dein träumerisch Wesen
Harft wie ein Lied in mir,
Das Schreiten deiner Lenden
Macht mich trunken wie Wein.

Bläulicher Mondglanz deiner Augen
Schimmert durch all mein Glück,
Magisch, magisch, - von dem zärtlichen Teich
Deines Antlitzes her.

Und deines Munds Gefunkel
Und deines Haares Strom …
Süßer Springbrunn der Mainacht,
Netzest mit Mond mich und Traum.

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 56)

_____



Schönheit

Wie spiegelt sich die Schönheit denn
In dir? . . . In mir ganz anders, Freund.
Ich weine, wenn du lachen mußt,
Und wo du fühlst, daß alles wirr
Und trübe durcheinanderrinnt,
Da seh ich Klarheit wie Kristall.
Demütig lieg ich auf den Knien,
Wo kühler Hauch dich anweht, Freund.
Und wenn du dich gelangweilt dehnst,
Dann hebe ich den Fuß und fange
Zu tanzen an, und um mich her
Schwingt eine Welt, die so voll Traum
Ertönt, daß ich beseligt glüh . . .

Mir scheint, daß du verwundert bist?


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 57)

_____



Fragen

Wo ist die Freundin
Und wo der Mai?
Wehte das Lachen
So schnell vorbei?

Wo ist der Flieder,
Der Himmelsglanz?
Die Weinnächte
Und Mond und Tanz?

Und der Wind im Garten,
Von Düften schwer, -
Mit dir der Schlaf,
Wo ist der?

Und wo, wo
Blieb der Liebessang
Deiner kleinen Seele
Am Blütenhang?

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 58)

_____



Allein

Im Dämmer schwandest du,
So wie ein Schatten an
Der Wand zergeht. O Traum!
Was in mir blieb, ist nur
Ein Ruch nach Thymian;
Nun will ich in den Hain
Gehn, wo der Thymian
Schwermütig duftet. Ach,
Hinsinkend schlag den Kopf
Dort auf die Steinbank ich;
Was ist denn Mondenglanz
Und Thymian ohne dich?
Ein welker Totenkranz,
Raschelt der Hain um mich.
Weh! Deiner süßen Worte Tanz
Durchbebt mich wild und fürchterlich.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 60)

_____



Du marmorn Herz . . .

Geliebte! Blaue Nacht am klaren Tag!
Aufrichtender Gedanke in den düstern
Stunden der Mühsal! Heiterkeit! Du Mond!
Goldheller Glanz auf frühlingzartem Teich, -
Und dennoch: Schwermut, Schwermut, liebe Schwermut,
Geliebtes Weh, - wie sag ich nur zu dir,
Die du mich aufrührst, meine Adern alle
Mit Purpur füllst und jauchzendem Triumph,
Indessen du so kühl bleibst wie die Quelle,
Wie ein Gestirn, das aus dem Jenseits funkelt,
Du marmorn Herz, du Schmächtige, du Stolz,
Abbild der weißen Rose, Liebe, Liebe!

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 61)

_____



An die ferne Geliebte

Tau der Frühe funkelt
Überm Tulpenbeet,
Tränen des Glücks, fernher
Durchs Dunkel geweht.

Tausend Rosenknospen
Leuchten am Rotdornbaum,
Klingt da ein Lied der Flöte?
Hör ich der Amsel Traum?

Dunkle Pfingstrosen brennen,
Wie dein Herz einst gebrannt,
Zärtliche Jasminblüte
War deine weiße Hand.

Silberne Quelle rieselt
Deinen Namen mir zu,
Zauberisch glänzt die Frühe, -
Aber wo glänzt du?

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 68)

_____



Unvergeßliches

Nie, nie vergeß ich, wie dein goldbraun Haar
An deinen Schläfen zitterte, wenn du
Den Kopf nach vorn schobst, lachend. Nie vergeß ich
Den Hüftenschwung, wenn du dich aufwärts recktest,
Da deiner schmalen Schultern lässiges
Gerüst so hold und müde schien wie Traum.
Niemals vergesse ich, wenn du dich jäh
Zur Seite bogst, den alabasternen,
Mondhellen Muskelstrang an deinem Hals.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 69)

_____



In blauer Dämmerung

Das Fluten deiner Lenden, - Dämmerung blaut,
Ein Ahnen der Gestirne, ganz verklärt.
Wo ragt der Marmor, dem so flutende
Gestalt entsprang, wo klingt das Hirtenlied,
Das so viel Zärtlichkeit umschließt wie das
Geflüster deines dämmertrunknen Munds?
Holde Leuchtkäfer in der Frühlingsnacht
Sind Schatten gegen deines winkenden Armes
Aufglanz! O Garten der Verwirrung, blaue,
Zaubrische Dämmerung, - meine trunkne Stirn
Versinkt in der Teerose deines Knies.

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 71)

_____



Vision

Im Schimmer des Mondes standest aufrecht du,
Erzitternd gleich dem jungen Laub der Birken.
Du hobst den Arm, du dehntest die Brust, du standst
Auf den verwilderten Gärten, ein Traumgebild
Der Lenznacht, lockend, schwankend, verführerisch, -
Bis daß der Nebel stieg von den Wiesen her
Und du auslöschtest, so wie ein Lied auslöscht,
Und rings lag öde, schmachtende Finsternis,
Und Weinen war im Gezweig, und alle Blumen
Riefen nach dir, o Mondenhauch!


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 75)

_____



Einsam im Mai

Immer wenn Frühling blüht,
Quält mich Trauer um dich;
Dämmernd allein zu gehn,
Ist im Lenz mein Geschick.

Goldregen, süß betaut,
Mahnt mich an rieselnd Haar,
Das ich in Händen hielt,
Schwer von Küssen betaut.

Rotdorn mich rosig anlacht,
Wie deine Lippen getan,
Von den Kastanien schwimmt
Duft deiner Schultern her.

Gleich dem Akazienschnee
Glänzte dein Nacken auf,
War deine Hand nicht zart
Wie die Winde am Zaun?

Seh ich am Schleierbusch
Junge Blätter sich lösen
Üppig aus goldnem Keim, -
Trunken denk ich daran,

Wie dein geliebtes Haar
Üppig flutend und braun
Zauberisch löste sich auf
In deiner weißen Hand.

Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 81-82)

_____



Holdes Rätsel

Das Atmen deiner Schultern, - wie vermag
So blütenhaftes Atmen herzuwehen
Aus Marmorkühle?
Das Blinken deiner Augen, - wie vermag
So paradiesisches Geleucht zu sprühen
Aus Augen, die dem Tod verfallen sind?
Woher entstammst du, Marmorne, so kühl
Und doch so blumenhaft beseelt, so stolz
Und doch so weich erschimmernd wie der Mond?
Da du geboren wurdest, glaube ich,
Stürzte ein Engel, der gesündigt hatte,
Zur Erde nieder, deine kleine Seele
Schlüpfte in seinen Leib, den himmlischen,
Ein holdes Rätsel, fremd, verführerisch,
So schwebst du mit uns nun dem Tode zu.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 83)

_____



Spanische Tänzerin

Auf einem Tische tanzte sie bei Nacht
In einer kleinen, abgelegnen, düstern
Spelunke Salamancas. Stierkämpfer,
Gelassen, bleich, doch mit erregtem Blut,
Hockten im Kreis, ein paar Gitarren spielten,
Der Qualm der Zigaretten zog in Schwaden
Durch den mit Weinduft angefüllten Raum.
Wie ein gestürzter Engel tanzte sie,
Noch hastete an ihren zarten Gliedern,
Wenn sie die Hände aufwärts warf, ein Schimmer
Vom Paradiese, überirdisch herrlich,
Dann wieder rieselte um ihre Brüste
Die ganze Qual, die Schwermut, aller Jammer
Der Erde, ihre Locken wirbelten
Um den aufrechten, goldgebräunten Hals
Wie schwarze Schlangen auf schimmerndem Herbstlaub.

Und manchmal sah es aus, als höbe
Sie sich auf Wolken, märchenhaft, und wolle
Entschwinden, gleitend, wahrlich wie ein Engel,
Und manchmal zitterte die Leidenschaft
So wild und so verwegen durch den Schwung
Der Hüften, daß sie wie in Flammen
Emporzulodern schien, in fürchterlichen,
Verzehrenden, verdammnissprühenden Flammen,
Und manchmal war ein kindhaft zartes Klagen
Um ihre dünnen, hingesunkenen Hände,
Und manchmal meinte man ein fernes Rauschen
Aus Palmenwäldern zu vernehmen, manchmal
Das Stürzen von Wildbächen im Gebirg,
Und manchmal Mondschein, manchmal heiße Sonne
Auf gelbem Sande Spaniens, . . . manchmal auch
War es, als käme ein geheimnisvolles,
Letztes, verblichnes Grüßen aus dem Grabe
Der schönsten, lastervollsten Sünderin.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 84-85)

_____



Taten . . .

Taten? Wir wollen lieber
Licht einatmen und schlendern gehn.
Die Taten mögen die andern tun, -
Wir wollen im Schatten der dunkeln Bäume,
im Lichte der weißen Venus ruhn.


Aus: Hans Bethge Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 91)

_____

siehe auch Teil 1


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Bethge_(Dichter)



 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite