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      Otto 
      Julius Bierbaum  
      (1865-1910)   
      Inhaltsverzeichnis der 
      Gedichte: 
  
        
        Ach, mein Herz ist bange 
        (Liebeslied im Herbste)    
        
        Ach, was sah ich im Traum 
        (Glück im Traum)    
        
        Ach, wie wird mir wohl und 
        weh (Menuett)    
        
        Als es Winter war, hatt ich 
        nur einen Sonnenschein (Meine Sonne a. D.)    
        
        Als ich heute früh im 
        schönen Parke (Pandora)    
        
        Auf einem jungen Rosenblatt 
        (Mädchenlied)    
        
        Charlotte, lotte, lotte 
        (Charlotte)    
        
        Dämmerung mit den milden, 
        grauen Augen (Dämmerung)    
        
        Daß deine Hand auf meiner 
        Stirne liegt (Letzter Wunsch)    
        
        Deine lachenden Augen ruhen 
        auf mir (Ernste Mahnung)    
        
        Der Ölbaum: ein zarter 
        Strauß (Meine Frau unterm Ölbaum)    
        
        Die Luft ist wie voll 
        Geigen (Komm her und laß dich küssen)    
        
        Ein Vogel singt gottlobesam 
        (Der Vogel)    
        
        Ein wohlbestelltes Mieder 
        (Waldvögel)    
        
        Es ist ein Glück zu wissen, 
        daß du bist (Liebe)    
        
        Es liegt in mir wie eine 
        Wolke (Trennung)    
        
        "Frauenhaar" trag ich am 
        Hute ("Frauenhaar")    
        
        Fräulein Gigerlette 
        (Gigerlette)    
        
        Frühling, oh du süßer 
        Junge! (Gebet zwischen blühenden Kastanien)    
        
        Gieb, schönes Kind, mir 
        deine Hand (Unschuld)    
        
        Grün deine Federn am Hut, 
        mein Kind (Ketzerküsse)    
        
        Heut sieht die Welt mir 
        lustig aus (Im Garten des Herrn)    
        
        Hier mein Herz, Welt, hier 
        mein ganzes Leben! (Entzückung)    
        
        Ich bin so voll von Liebe 
        (Glück)    
        
        Ich blase meine Flöte 
        (Morgenständchen)    
        
        Ich nehme dich und küsse 
        dich (Liebeslied)    
        
        Ich strecke meine Hände aus 
        nach dir (Adoration)    
        
        Ihr Kleidchen ist von 
        Tarlatan (Josephine)    
        
        Ihr Mund ist schön. Nicht 
        vieles auf der Welt (Ihr Mund)    
        
        Im hellen Herbstwald auf 
        buntem Laub (Amor-Vampyr)    
        
        In einer Kirche sah ich 
        goldne Statuen (Pulchra ut sol, clara ut lux)    
        
        Kind, das Bette ist bereit 
        (Rosenopfer)    
        
        Laß mich noch einmal dir 
        ins schwarze Auge sehn (Letzte Bitte)    
        
        Laue Sommernacht: am Himmel 
        (Gefunden)    
        
        Meine Seele ist krank, ich 
        weiß nicht, nach wem (Leere)    
        
        Meine Seele, eine Taube 
        (Du, mein Glück)    
        
        Nestwarmweiche Lagerstätte 
        (Ein Menuett)    
        
        Nicht im Schlafe hab ich 
        das geträumt (Freundliche Vision)    
        
        Nun ist die Blütenzeit 
        vorbei (Fröhliche Zuversicht)    
        
        Perlen gleiten durch meine 
        Hand (Reichtum)    
        
        Schöne du, Erbarmerin 
        (Devotionale)    
        
        Stille, träumende 
        Frühlingsnacht …(Flieder)    
        
        Über die Ferne hin (Zwei 
        Liebesbriefe)    
        
        Ueber Wiesen und Felder ein 
        Knabe ging (Schlagende Herzen)    
        
        Vor meinem Fenster weht 
        (Das grüne Blatt)    
        
        Was ist mein Schatz? – Eine 
        Plättmamsell (Jeanette)    
        
        Was war das für ein 
        wunderreicher Traum! (Erwachen in den grellen Tag)  
        
        Weißt du noch: das kleine 
        Haus (Weißt du noch?)    
        
        Wenn dieser Körper einst 
        zerfallen ist (In einer dunklen Nacht )    
        
        Wenn im braunen Hafen (Aus 
        der Ferne in der Nacht)    
        
        Wie eine leise Glocke 
        klingt (Sehnsucht)    
        
        Wie ging ich durch mein 
        Leben hin? (Gavotte des Verliebten)    
        
        Winterkrank war meine Seele 
        (Metamorphosen)    
        
        Wir gingen durch die 
        dunkle, milde Nacht (Nachtgang)    
        
        Wo sah ich das doch schon 
        einmal? (Einem schönen Mädchen unter sein Bildnis)    
        
        Zwischen Hetzen und Hasten 
        (Alter Glückszettel)  
         
   
       
          
       
      Liebeslied im Herbste 
       
      Ach, mein Herz ist bange, 
      Bange nach meiner Geliebten. 
      Sehnsucht hält die Schatten- 
      Flügel über mir. 
       
      Wolken fliehn im Winde; 
      In vergilbenden Wipfeln 
      Stöhnt es: meine Seele 
      Singt und stöhnt nach ihr. 
       
      Du und unsre Liebe, 
      Du und dein Herz voller Güte! ... 
      O mein Glück, mein Leben: 
      Einsam bin ich hier. 
       
      Doch ich will nicht klagen. 
      Über die grauen Weiten 
      Spannt sich ein Liebesbogen 
      Hoch von mir zu dir. 
       
      Was die Liebe bindet, 
      Trennen nicht Berg und Meere. 
      Schließe die Augen: siehe! -: 
      Sieh, ich bin bei dir. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 56-57) 
      
      _____ 
       
  
      Glück im Traum 
       
      Ach, was sah ich im Traum: 
      Du hast die Hand mir gegeben, 
      Und stumm sprach mir dein Mund: 
      Ja, ich fühle wie du. 
       
      Tief im Walde geschahs; 
      Es sangen um uns die Vögel, 
      Sonne küßte das Moos 
      Und deinen seidenen Schuh. 
       
      Nahe warst du mir so, 
      Daß deinen Atem ich fühlte, 
      Und ich sah dir ins Aug, 
      Und ich weinte vor Glück. 
       
      Mädchen, was mir der Tag 
      An Kümmernissen mag bringen: 
      Lächelnd denk ich des Traums, 
      Selig denk ich an dich. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      36) 
      
      _____ 
       
       
      
      Menuett 
       
      Ach, wie wird mir wohl und weh, 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Wenn ich Ihre Augen seh, 
      Die der reine Zunder sind, 
      Und den Busen, weiß wie Schnee. 
       
      Und die kleinen Füße – oh! 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Seh ich sie, so wird mir so - 
      Ach, ich weiß nicht, wie mir wird: 
      Halb und halb, halb bang, halb froh. 
       
      Und die Wädchen und das Knie, 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Hände, Locken, Lippen … nie 
      Sah ich, was mich so entzückt, - 
      Ach mein Gott: ich liebe Sie! 
       
      Was so um sie fliegt und weht, 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Tanzt und auf und nieder geht: 
      Spitzen, Schleifen, Seide, Samt, 
      Ach, es macht mich ganz verdreht. 
       
      Dürft ich nur der Höschen Rand, 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Küssen und das Sammetband 
      Streicheln über Ihrem Knie, 
      Selig wäre Mund und Hand. 
       
      Oder sind Sie grausam? Nein! 
      Süße Dame, süße Dame, 
      Schönheit kann nicht grausam sein, 
      Wenn sie Liebe leiden sieht: 
      Phillis läßt den Schäfer ein. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      36-37) 
      
      _____ 
       
       
      Meine Sonne a. D. 
       
      Als es Winter war, hatt ich nur einen 
      Sonnenschein, - dich, 
      Und du warst mir eine ferne Sonne mit seltenen Strahlen. 
      Aber wie waren sie warm und freundlich, 
      Und wie war ich glücklich! 
       
      Nun ist es Frühling geworden über die Erde, 
      Und die Vögel rufen sich von schwanken Knospenzweigen, 
      Und der Himmel ist blau wie Erfüllung aller Seligkeit. 
       
      Aber wo ist denn meine Sonne? 
       
      Schau da, wie schön: von chinagelber Seide 
      Das Kleid, burgunderrot der Gürtelreif, 
      Und alle Blumen des Frühlings auf dem weißen Hute, 
      Geht meine Sonne dort auf 
      Vor dem römischen Rot der Arkaden. 
       
      Sonnensieg! Die gelbe Seide 
      Surrt mit falbelndem Saum 
      Ueber den roten Fließ, 
      Und jeder ihrer Schritte ist ein Kuß der beglückten Erde. 
      Das ist meine Sonne? 
       
      Ach, wie sie doch im Winter so weich 
      Und fraulich war und lieb. 
      Nun ist sie stolz geworden, und wie ein Komet 
      Zieht sie einen zitternden Schweif von Verehrern nach und läßt 
      Die dümmsten Monde in ihre Nähe, wenn sie von Silber sind. 
       
      Sonne, dein Sieg gefällt mir nicht. 
      Halloh! 
      Ich geh auf die Sternensuche! 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      158-159) 
      
      _____ 
       
       
      
      
      Pandora 
       
      Als 
      ich heute früh im schönen Parke, 
      Der voll lauter Birken steht, spazierte, 
      Sah ich (nun, ihr brauchts ja nicht zu glauben) 
      Eine nackte Dame auf mich zugehn. 
       
      - Sag, wer bist du, sprach ich, nackte Dame? 
      Reizend scheinst du mir und liebenswürdig, 
      Eine auserlesne Augenweide. 
      Selten sah ich noch so schöne Beine 
      Und so wohlgefügte volle Brüste, 
      Selten noch so schöne Haut: atlassen 
      Glänzend und vom Blut des frohsten Lebens 
      So von innen her erwärmt, durchleuchtet. 
      O wie schön (laß mich dich nah betrachten!), 
      O wie schön sind deiner weißen Brüste 
      Blasse Rosen, holder Frühlingsgarten. 
      Ach, und welch Entzücken darf ich fühlen, 
      Sieht mein Aug den Glanz der blonden Haare, 
      Wie sie von der Stirn im schönsten Bogen, 
      Aber wellig, hintenüber fallen 
      Und hinab den Rücken fließen bis zum 
      Wohlig rundlichen Geschwisterpaare 
      Zweier ganz vollkommnen Hemigloben. 
      Diese Grübchenhände! Diese Füßchen! 
      Jedes Glied ein tadellos Gebilde, 
      Jedes Nägelchen ein Schild der Schönheit, 
      Und der Mund: des Eros goldner Bogen. 
       
      Denn aus Gold sind deine Lippen, - seltsam, 
      Bernsteingoldig deine Augen, - seltsam, 
      Und dein Nabel eine weiße Perle. 
      Ei, was trägst du da in deinen Händen? 
      Solch ein kostbar Kästchen sah ich niemals: 
      Mattes Gold, durchsetzt mit Glutrubinen, 
      Die, ein Rosenkranz von Licht und Farbe, 
      Ringsherum wie trunkne Augen leuchten. 
       
      Also sprach ich und sank in die Knie, 
      Küßte ihrer Füße Lilienblätter 
      Und ließ meine Lippen an den Füßen, 
      Wünschend, daß ich ewig liegen dürfte 
      In so selig klarer, voller Andacht. 
       
      Da umflossen mich die gelben Haare 
      Wie ein Strom von allen Wohlgerüchen: 
      Rosen, Veilchen, Lilien und Narzissen, 
      Alle eins geworden, alle Düfte 
      Frühlings und des Sommers eins geworden: 
      Höchsten Lebens Atem, stark und lieblich. 
       
      Und die Schöne sprach zu meinen Häupten: 
      Weil du gläubig bist und immer wieder 
      Deine Hände, Adorant der Schönheit, 
      Betend, hoffend hebst ins Licht der Sonne, 
      Unbeirrt ein Jünger der Bejahung 
      Und der Künste allertreuster Diener, 
      Bin ich Nackte vor dich hingetreten, 
      Ich: Pandora, des Hephaistos Bildwerk. 
      Ich entstamme nicht der Kraft der Lenden, 
      Mich erschuf die Kunst des Feuergottes; 
      Nicht geboren ward ich: ward gedichtet. 
      Darum sind von Golde meine Lippen 
      Und von Bernstein meine großen Augen, 
      Und es leuchtet mir an Nabels Stelle 
      Eine Perle wie ein blindes Auge. 
      Andern heiße ich nur Schein des Lebens, 
      Spuk und Blendwerk, Spiel verzückter Sinne, 
      Doch dem Künstler bin ich höchstes Leben. 
      Ihm allein bin ich die Allbegabte, 
      Ihm allein gehören die Geschenke 
      Meines goldenen, verkleinodierten 
      Schreines, der des Daseins holdste Gaben 
      Alle in sich birgt. Willst du sie nehmen? 
       
      Bebend griff ich nach dem goldnen Kästchen, 
      Das mir nun die Wunderbare reichte, 
      Und ich sprach, mit Schleiern vor den Blicken: 
      Gib! Ich weiß, die Gaben der Pandora 
      Heißen Übel, und die Weisen fliehn sie, 
      Murmelnd, daß sie Gift und Wahnsinn seien, 
      Nebelgüter, die das Licht der Wahrheit, 
      Scheinbar hold, doch trügerisch verhängen. 
      Ach, die Weisen mit den blinden Augen! 
      Ach, die Weisen mit den Tranlaternchen! 
      Mögen sie die graue Wahrheit suchen 
      Und die Schönheit als ein Trugbild schelten: 
      Ich will lieber deiner Hände Gaben 
      Fromm empfangen, ob sie auch vergehen 
      Und nur schöne Formen sind und Farben. 
      Seiens Gifte, nebelnde Gespinste: 
      Ich will lieber alle Gaben missen, 
      Die die andern wahre Güter nennen, 
      Und in ihrem Netze selig sterben. 
       
      Sprach die Göttin: Schilt mir nicht die Weisen! 
      Irre sind sie auf gewundnen Wegen, 
      Wunderlich Beseßne, doch sie suchen 
      Mich auf ihre Art. Der Götter Träume 
      Sind unendlich vielgestalt; die Weisen 
      Sind der Götterträume Nebelbilder, 
      Und sie selber träumen Nebelhaftes. 
      Denn ein jeder träumt nur, was er selber 
      In der Götter Traum ist: Blumen - Blumen, 
      Sterne - Sterne, Menschen - Menschen, und die Dichter 
      Sind, weil sie wie Götter schaffend träumen, 
      In der Götter Traum die hellsten Träume, 
      Denn sie wissen einzig, daß sie Traum sind. 
      Freue dich! Es gibt nicht höhre Gabe. 
      Selig, wer es fühlt, daß er geträumt wird, 
      Selig, wer ein guter, stiller Traum ist, 
      Selig, wer so stark ist, so zu träumen, 
      Daß Gestalten wie im Traum der Götter 
      Aus ihm gehen: tiefsten Lebens Zeugnis. - 
      Willst du, daß ich nun das Kästchen öffne? 
      Es ist leer, dein Herz ist viel, viel reicher. 
      Nur ein Klang ist in ihm. Lausche, Lieber, 
      Und laß nie aus Ohr und Herz dir schwinden 
      Dieses Klanges tiefe Offenbarung. 
       
      Lauschend legte ich mein Ohr ans Kästchen, 
      Und es schwoll wie von entfernten Harfen 
      Ein Gesang ins Herz mir: diese Worte: 
       
      Liebe ist des Traums der ewigen Götter 
      Einziger Sinn, wer Liebe träumt, den lieben 
      Sie als ihren schönsten Traum. O träume 
      Liebe, Dichter, sei kein Alp der Götter! 
       
      Leis verklang das Singen in dem Kästchen, 
      Brausen regte sich im Birkenwäldchen, 
      Lautlos schwand die Herrliche. Ich sah sie 
      Eine Kußhand noch herübersenden 
      Und ein Lächeln mit dem goldnen Munde. 
      Weiße Wölkchen stiegen aus den Birken 
      Und zerwehten schnell wie seidne Flocken 
      Zart am blaßblau klaren Morgenhimmel. 
       
      Harfen haben mich nach Haus begleitet, 
      Harfen klingen durch mein ganzes Leben, 
      Seit Pandoren ich gesehn. Die goldnen 
      Lippen meiner Lieben Frau vom Traume 
      Leuchten mir durch alle meine Tage. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 64-68) 
      _____ 
  
      Mädchenlied 
       
      Auf einem jungen Rosenblatt 
      Mein Liebster mir geblasen hat 
      Wohl eine Melodei. 
      Es gab mir viele Dinge kund 
      Das Rosenblatt am roten Mund 
      Und war kein Wort dabei. 
       
      Und als das Blatt zerblasen war, 
      Da gab ich meinen Mund ihm dar 
      Und küßt an ihm mich satt. 
      Und viel mehr Dinge that noch kund 
      Der rote Mund am roten Mund, 
      Selbst als das Rosenblatt. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      18) 
      _____ 
      
       
  
      
      Charlotte 
       
      Charlotte, lotte, lotte, 
      Heißt meine Wäscherin, 
      Sie bringt mir selbst die Wäsche, 
      Weil ich ihr Liebster bin. 
       
      Und hat sie nichts zu bringen, 
      So kommt sie ohne was, 
      Kein Tag geht ohne Lotte, 
      Auf Lotte ist Verlaß. 
       
      Kommt ohne Hut und Schleier 
      Und hat auch kein Korsett; 
      Weil ich kein Sopha habe, 
      So setzt sie sich aufs Bett. 
       
      Ihr ahnt nicht, wie viel Schönes 
      Die kleine Lotte hat; 
      Ich habs schon oft gesehen 
      Und seh mich doch nicht satt. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      45) 
      _____ 
      
       
  
      
      Dämmerung 
       
      Dämmerung mit den milden, grauen Augen 
      Schreitet über die Erde. 
      Kühl weht ihr Atem, 
      Weich und kühl, 
      Milde wie ruhiger Atemzug 
      Eines schlummergeküßten, 
      Backenroten Kindes. 
      An lauschender Ferne ruhendem Rund 
      Ein goldenes Glänzen, matt verscheidend, 
      Zerrinnend in zarten, grauen Duft … 
      Oh Ruhe! Ruhe! Gabe der Seligkeit, 
      Die du auf Flügeln der Dämmerung linde 
      Vom Himmel niederschwebst, gelinde 
      Das Herz mit warmem Hauche, 
      Sorgenscheuchend, rührst; 
      Oh Ruhe, Frieden, Fülle des Seins! 
      Heut aus grauen Dämmeraugen 
      Blickst du mich liebreich an und verheißend, 
      Und mein Dank schwillt auf im Herzen, 
      Wie im Auge der seligen Braut 
      Warme, lachende Thränenflut, - 
      Aber mein Herz muß an verklungene 
      Tage höheren Glückes denken, 
      Da ihm friedevolle Liebe 
      Gütig fromm entgegenleuchtete 
      Aus zwei braunen Mädchenaugen, 
      Sonnen der Liebe. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      106-107) 
      _____ 
      
       
       
      
      Letzter Wunsch 
       
      Daß deine Hand auf meiner Stirne liegt, 
      Wenn mich das Sterben in der Wiege wiegt, 
      Die leis hinüber ins Vergessen schaukelt, 
      Von schwarzen Schmetterlingen schwer umgaukelt. 
      Ein letzter Blick in deine braunen Sonnen: 
      Vorüber strömen alle unsre Wonnen 
      In einer bitter-süßen Letztsekunde; 
      Ein letzter Kuß von deinem warmen Munde, 
      Ein letztes Wort von dir, so liebeweich: 
      Dann hab ich, eh ich tot, das Himmelreich, 
      Und tauche selig in den großen Frieden: 
      Der Erde Holdestes war mir beschieden. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      284) 
      _____ 
      
       
       
      
      Ernste Mahnung 
       
      Deine lachenden Augen ruhen auf mir 
      Sonnenscheinwarm und trösten mein Herz; 
      Dein kleines Grübchen der rechten Wange 
      Macht lustig mein Herz, denk ich blos seiner; 
      Dein rascher Schritt belebt mein Auge 
      Und spendet Flügel meinen Gedanken; 
      Dein Schelmenkinn dünkt mich so witzig 
      Wie zehn französische Komödien 
      Und dreißigtausend urgermanische; 
      Deiner Lippen geschwungener Liebesbogen 
      Jagt Kußwild auf in meinem Herzen 
      (Ich denke du findest das Bildchen zierlich!) 
      Und wenn du sprichst, schwillt auf mein Fühlen; 
      Dann bin ich selig ganz, ganz selig, 
      Die Engel im Himmel dann hör ich ja singen! 
      Aber nur eins, mein Mauserl, bitte, 
      Eins vermeide - es macht nervös mich -, 
      Sprich mir nicht das Hauptwort »Heirat«. 
      Dieses Hauptwort klingt so ledern, 
      Wie ein ganzer Leitartikel, 
      Und ich hasse sehr dergleichen. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      150-151) 
      _____ 
      
       
       
      
      Meine Frau unterm Ölbaum 
       
      Der Ölbaum: ein zarter Strauß, ... 
      Wie aus grauen Seidenspitzen, ... 
      Wie Silberschmiedarbeit sieht er aus, 
      Auf der schwarzblaue Edelsteine blitzen. 
       
      Stehst du darunter in dem Blumenkleide 
      Aus Indiens buddhabunter Seide, 
      Dann ist der ganze Garten ein Geschmeide. 
      Und, träume ich denn, was ich da seh? 
      Wen seh ich dort in Signor Bardis Haus 
      Vor seiner Staffelei im Türgevierte sitzen? - 
      Frate Giovanni da Fiesole! 
       
      Der weißen Kutte weite Ärmel sind 
      Den mageren Arm hinaufgeschlagen, 
      Und seine frommen braunen Augen fragen 
      Just seine Farbentiegel, ob für dich, mein Kind, 
      Sie auch genug der reinen Farben tragen. 
       
      Steh still, steh still! Und blicke klar und froh, 
      Gradaus, mich an! Aus deinen Augen lesen 
      Soll ferne Zeit noch, wie du gut und klar, 
      Wie schön und lauter du, wie treu und wahr 
      Dein starkes, liebevolles Herz gewesen! 
       
      Drum malt dich Fra Angelico. 
       
      (Fiesole 1904.) 
      (Im Garten der Villa Bardi.) 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 61-62) 
      _____ 
      
       
       
      Komm her und laß dich 
      küssen 
       
      Die Luft ist wie voll Geigen, 
      Von allen Blütenzweigen 
      Das weiße Wunder schneit; 
      Der Frühling tobt im Blute, 
      Zu allem Uebermute 
      Ist jetzt die allerbeste Zeit. 
       
      Komm her und laß dich küssen! 
      Du wirst es dulden müssen, 
      Daß dich mein Arm umschlingt. 
      Es geht durch alles Leben 
      Ein Pochen und ein Beben: 
      Das rote Blut, es singt, es singt. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      51-52) 
      _____ 
       
       
      Der Vogel 
       
      Ein Vogel singt gottlobesam, 
      Ein Vogel tief in meiner Brust; 
       
      Der Vogel ist die Liebe, 
      Die Liebe. 
       
      Leis ist die Stimme, die er hat, 
      Und seine Weise ist ganz schlicht, 
      Doch fröhlich ist sein Singen, 
      Sein Singen. 
       
      Gottlobesames leises Lied, 
      Du fröhlich Lied in meiner Brust, 
      Du bist mir Trost und Glaube, 
      Und Glaube. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      60-61) 
      _____ 
       
       
      Waldvögel 
       
      Ein wohlbestelltes Mieder, 
      Die Backen rot gesund, 
      Den Schnabel voller Lieder 
      Und vorn und hinten rund. 
       
      Zwei Augen glutend blaue 
      Und eine kleine Hand, 
      Wohl mir, waldwilde Fraue, 
      Daß ich dich einsten fand. 
       
      Es war im tiefen Walde 
      Und Sommer war die Zeit, 
      In einem Wipfel balde 
      Nesthockten wir zu zweit 
       
      Und niemand hat gesehen 
      Das sondre Vogelpaar, 
      Das hoch im Windewehen 
      Vor Glücke schwindlig war. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      44-45) 
      _____ 
       
        
      Liebe 
       
      Es ist ein Glück zu wissen, daß du bist, 
      Von dir zu träumen hohe Wonne ist, 
      Nach dir sich sehnen macht zum Traum die Zeit, 
      Bei dir zu sein, ist ganze Seligkeit. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 55) 
      _____ 
       
       
      Trennung 
      (M.M.) 
       
      Es liegt in mir wie eine Wolke 
      Der düstre Abend, der uns schied. 
      Es stand kein Stern am grauen Himmel 
      Und von den Zweigen klang kein Lied. 
       
      Verdrossene Menschen gingen eilig 
      Im feuchten Dunkel uns vorbei. 
      Auf nasser Bank verschlungen saßen 
      Wortlos und herzensbang wir zwei. 
       
      Es sah der Mond durch dürre Aeste. 
      Auf deinem Antlitz lag sein Schein 
      So düster-tot, - mein heimgegangnes 
      Glück hüllte er in Strahlen ein. 
       
      Und wenn dein Blick, dein seelenvoller, 
      Sich zu mir hob, in Schmerzen mild, 
      Aus bleichem Mondenstrahlenglanze, 
      Da sah ich meines Schicksals Bild: 
       
      Das Schöne, das ich still erdichtet 
      Und rein im Herzen aufgestellt, 
      Wie es vor meinem heißen Wünschen 
      Fliehend in Schmerz zusammenfällt. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      159-160) 
      _____ 
       
       
      "Frauenhaar" 
       
      "Frauenhaar" trag ich am Hute, 
      Wie Flachs so weich, wie Seide so fein, 
      Flirrfädelnd spinnt's im Sonnenschein, 
      Flott flattert's in den Wind hinein, 
      Ich trag es mit fröhlichem Mute 
      Und denke dein, 
      Mein Seidenhaar, 
      Die meine Sonne, mein Sehnen war, 
      Mein Leben im bebenden Blute, 
      Du Weiche, du Feine, du Gute. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      15) 
      _____ 
       
       
      Gigerlette 
       
      Fräulein Gigerlette 
      Lud mich ein zum Thee. 
      Ihre Toilette 
      War gestimmt auf Schnee; 
      Ganz wie Pierrette 
      War sie angethan. 
      Selbst ein Mönch, ich wette, 
      Sähe Gigerlette 
      Wohlgefällig an. 
       
      War ein rotes Zimmer, 
      Drin sie mich empfing, 
      Gelber Kerzenschimmer 
      In dem Raume hing. 
      Und sie war wie immer 
      Leben und Esprit. 
      Nie vergeß ichs, nimmer: 
      Weinrot war das Zimmer, 
      Blütenweiß war sie. 
       
      Und im Trab mit Vieren 
      Fuhren wir zu zweit 
      In das Land spazieren, 
      Das heißt Heiterkeit. 
      Daß wir nicht verlieren 
      Zügel, Ziel und Lauf, 
      Saß bei dem Kutschieren 
      Mit den heißen Vieren 
      Amor hinten auf. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      47-48) 
      _____ 
       
       
      Gebet zwischen 
      blühenden Kastanien 
       
      Frühling, oh du süßer Junge! 
       
      Deine Beine sind so zärtlich 
      Schlank und deine schmalen Lippen 
      Feucht. 
       
      Wie du schreitest! Wie die Locken fliegen 
      Und das blaue Band im blonden Haare! 
      Wie es duftet, wo dein Mantel wehte! 
       
      Frühling, süßer, fastbenedeiter 
      Sieger-Knabe mit den Mädchenbrüsten, 
      Hauch mich an mit deinem Blumenatem, 
      Der ich dich jetzt tiefer kenn und liebe, 
      Deiner Brünste voller bin als ehmals. 
       
      Neig dich mir, oh süßer Knabe, süßres 
      Mädchen! Ich vergehe sonst vor Sehnsucht, 
      Dich zu fühlen. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      103-104) 
      _____ 
       
  
      Unschuld 
       
      Gieb, schönes Kind, mir deine Hand 
      Und sieh mich an, 
      Den Reisenden aus Wehmutland 
      Und ärmsten Mann. 
       
      Schlag deine Augen nieder nicht; 
      Sie sind so hold; 
      Noch nicht voll Glut, doch voller Licht 
      Und Unschuldsgold. 
       
      Das hat so innig milden Schein, 
      Oh süßes Kind, 
      Dass alle Kümmernisse mein 
      Verflogen sind. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      15-16) 
      _____ 
       
       
      Ketzerküsse 
       
      Grün deine Federn am Hut, mein Kind, 
      Blau deine Augen im Kopfe sind: 
      Wie kannst du so was wagen!? 
      Grün paßt nicht zu blau, 
      Wird dir prompt und genau 
      Ein jeder Professor sagen. 
       
      Was? Dir ist das ganz einerlei? 
      Du sagst, daß es dir - schnuppe sei, 
      Was Professoren sagen? 
      Mein Kind, mein Kind, dein Sinn ist schlimm 
      Ich aber will ad interim 
      Es dennoch mit dir wagen. 
       
      Verwegen zwar, ich fühl es, ist 
      Mein Thun, doch wenn du gnädig bist, 
      Wird mirs zum Heil ausschlagen. 
       
      Komm, gieb mir deinen roten Mund 
      Und laß uns küssen und lachen und 
      Kein' Menschen darum fragen. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      146) 
      _____ 
       
        
      Im Garten des Herrn 
       
      Heut sieht die Welt mir lustig aus, 
      Ein hell und bunter Blumenstrauß, 
      Mir ist so froh zu Mute. 
      Wer hat das gethan? Ein roter Mund, 
      Zwei volle Arme und Brüste rund, 
      An denen ich nächten ruhte. 
       
      Aus Liebe hat die Welt gemacht 
      Der liebe Gott bei Tag und Nacht 
      In einer Wochenrunde. 
      Drum folge deines Gottes Spur 
      Und lieb auch du, o Kreatur, 
      Zu jeder guten Stunde. 
       
      Dann ist die Welt dir wie ein Strauß, 
      Sieht hell und bunt und fröhlich aus 
      Und du wirst selber blühen 
      Im Garten der Gottseligkeit, 
      Wo in des Himmels Licht gedeiht 
      Das Blümlein Glück-ohn-Mühen. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      46-47) 
      _____ 
       
  
      Entzückung 
       
      Hier mein Herz, Welt, hier mein ganzes Leben! 
      Dich umfaß ich, Gott; was du gegeben, 
      Ström ich wieder in Entzückung her. 
      Hat mein Herz der Leiden viel getragen, 
      Darf es wieder nun in Wonnen schlagen, 
      Und von Müdigkeit weiß es nichts mehr. 
       
      Nehmt es hin! Wie selig ist das Schenken! 
      Liebe ist mein Fühlen und mein Denken, 
      Und mein innerlichstes Glück ist Kraft. 
      Nehmet hin und freut euch! Seht, mein Leben 
      Will ich freudig an die Freude geben. 
      Süß ist diese Frucht und voller Saft. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 56) 
      _____ 
       
       
      Glück 
       
      Ich bin so voll von Liebe, 
      Wie die Traube ist voll von Süße, 
      Mein Herz ist wie im Sommer 
      Der volle Apfelbaum. 
       
      Ich gehe stille Wege 
      Mit ruhigem Gemüte, 
      Der hohe blaue Himmel 
      Ist mir kein leerer Raum. 
       
      Ich bin mit allem Leben 
      Verwurzelt und verwachsen, 
      Die Sonne ist meine Mutter, 
      Gott ist mein schönster Traum. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 54) 
      _____ 
       
       
      Morgenständchen 
       
      Ich blase meine Flöte 
      Im Glanz der Morgenröte, 
      Der Garten liegt voll Tau. 
      Die Morgenwolken blühen 
      Am Himmel auf und glühen 
      Dir ihren Gruß ins weiße Bett, 
      Vielliebe, liebe Frau! 
       
      Hör aus der Morgenkühle, 
      Was ich im Herzen fühle, 
      Was meine Sehnsucht singt. 
      Du sollst noch nicht erwachen, 
      Dir soll im Traume lachen, 
      Was in der Morgenröte Glanz 
      Aus meiner Seele klingt. 
       
      Ich blase meine Flöte 
      Im Glanz der Morgenröte 
      Und bin voll Morgenrot. 
      Die Bäume und Blumen im Garten, 
      Ich und die Vögel warten, 
      Bescheer dich uns, o Herrin, gieb 
      Uns unser täglich Brot! 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      29) 
      _____ 
       
  
      Liebeslied 
       
      Ich nehme dich und küsse dich 
      Und lasse dich nicht von mir, 
      Ein blinder Bettler wäre ich, 
      Wär nicht mein Herz bei dir. 
       
      Seele, Sinne, alles Meine, 
      Es ist deine 
      Jederstund; 
      Laß mich küssen, laß mich küssen 
      Deine Hände, deine Stirne, 
      Deine Augen und den Mund. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      5) 
      _____ 
       
  
      Adoration 
       
      Ich strecke meine Hände aus nach dir, 
      Wie Beterhände sich zum Antlitz strecken 
      Der gnadenreichen Mutter, die im Arm 
      Das liebevolle ernste Kind umfängt. 
       
      So, o Madonna, möcht ich, daß mein Herz 
      Umfangen wär von deinem Herzen; so, 
      So, o Madonna, möcht ich, daß dein Blick 
      Der heitere mich überstrahlte. Sieh, 
      Madonna, sieh, wie ich voll Glaubens bin, 
      Versunken ganz in deine Güte, ganz, 
      Ganz fromm und selig, wie ein armes Herz, 
      Das schon gestorben war in Graus und Gram 
      Und zur Madonna seine Zuflucht nahm 
      Und stark in Liebe ward, neu lebend, frei, 
      Daß es vor Glücke zuckt und bebt und bangt 
      Und nichts mehr, nichts von dieser Welt verlangt, 
      Als daß es stets im Glanz Mariens sei. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 52-53) 
      _____ 
       
       
      Josephine 
       
      I. 
      Ihr Kleidchen ist von Tarlatan, 
      Ihr Herzchen ist von Golde; 
      Ich bete, ich bete das Mädel an, 
      Ihre Guckaugen haben mir's angethan, 
      Josephine, Sephine, du Holde! 
       
       
      II. 
      Wenn sie lacht, wenn sie lacht, 
      Ist der Himmel erwacht, 
      Gottvater singt selbst zum Lobe 
      Ein Lied, das er selber gemacht: 
      Seffi, 
      Ach stelle mich nicht auf die Probe. 
       
      Sonst werd ich frivol, 
      Daß der Teufel mich hol, 
      Und mache mich, dir zum Preise, 
      Wie Zeus auf die Lumpenreise. 
      Gottvater singt's im tiefsten Baß, 
      Ihm werden beide Backen naß 
      Vor lauter Liebesthränen. 
      Sie aber streicht die Backen mir, 
      Sie aber kraut den Nacken mir 
      Und thut sich an mich lehnen. 
      Seffi! 
       
       
      III. 
      Der Himmel ist blau, das Wetter ist schön, 
      Madame, wir wollen spazieren gehn! 
      Da ist sie dabei! 
      In den blühenden Mai 
      Aussegeln wie Frühlingsregatten wir Zwei. 
      Wie Blütenschnee ihr Kleid so klar, 
      Ein Blumengarten ihr Strohhut war, 
      Ein moosgrün Band vom Hute hing, 
      Wie Wimpelwurf im Winde ging. 
      Recht wie ein schwarzer Würdebär 
      Ging neben der Fee mein Leibrock her. 
       
      Wie wunderbar 
      Der Maitag war! 
      So frisch, so hell, so kühn, so jung, 
      Wie Kinderglückserinnerung, 
      Und so voll Liebe und Heiligkeit; 
      Ach, kranke Welt, wie bist du weit, 
      Weit von uns fern mit deiner Gier, 
      Mit deinem Haß, mit deinem Streich, - 
      Wir seligen, seligen Kinder wir! 
       
       
      IV. 
      Und es senkt sich die Nacht. 
      Kühle Winde, blasse Sterne. 
      "Du, hast du mich gerne?" 
      Und sie küßt mich und lacht. 
       
      Und wir gehen nach Haus. 
      Alle Menschen schon schlafen. 
      Die Fregatten im Hafen … 
      Und die Lampe löscht aus. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      49-51) 
      _____ 
       
  
      Ihr Mund 
       
      Ihr Mund ist schön. Nicht vieles auf der Welt 
      Ist schön wie dieser Mund, so völlig schön, 
      Daß ich ergriffen bin, denk ich daran. 
       
      Ihr Mund ist schön. Aus diesem Munde kann 
      Kein schlechtes Wort, kein böses Lachen wehn; 
      Von diesem Mund zu träumen ist schon Glück. 
       
      Ich werd ihn wiedersehn. Dann bin ich froh, 
      Wie nach dem Winter, wenn es Frühling ist: 
      Oh Leben, allerseligstes Geschenk! 
       
      Reinheit und Güte sind auf ihm gepaart, 
      Dort hat die kleinste Lüge keine Statt; 
      Mein höchster Eid ist Schwur bei ihrem Mund. 
       
      Wie glücklich bin ich! Stößt mich Gram und Leid, 
      So denk ich, wie sie schön ist, wie ihr Mund 
      Klar lächeln kann, und alles ist verscheucht. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      302-303) 
      _____ 
       
       
      Amor-Vampyr 
       
      Im hellen Herbstwald auf buntem Laub 
      Waren wir wie Kinder und küßten uns 
      Unschuldig in linder Liebe. 
       
      Bubenmädel, Bubenmädel, 
      Wie lachten deine Augen, die hellen, braunen, 
      Wie lag dein liebes Köpfchen so leicht auf dem Laube, 
      Und leicht auch lagen meine Lippen auf deinen. 
       
      Aber die Nacht kam auf Katzenpfoten, 
      Die schwarze, schwere, schweigende Nacht, 
      Und schwül wars im Zimmer. 
      Das gelbe Licht der schwebenden Lampe lag 
      Wie leuchtender, feuchter Nebel über dem Raum, 
      Und deine Augen fragten ängstlich aus dem gelben Dämmer. 
       
      Braune, brütende, unselige Augen. 
      In ihnen braute, tief unten, tief, 
      Brodelnder giftiger Gischt. 
       
      Oh du, du, du! 
       
      Und über dich hin warf mich die Wut der Liebe. 
       
      Und unsre Lippen lasteten aufeinander, 
      Wie alle schmerzlichen, sehnsuchtschmachtenden Sünden zweier Sterne, 
      Die sich im wirbelnden Weltall treffen 
      Und klagegellend sich umklammern. 
       
      Oh du, du, du! 
       
      Und meine Augen gruben sich in deine, 
      Und meine Arme wanden sich um deinen Leib wie Raubtierpranken; 
      Und es stöhnte deine Brust, 
      Und deine Augen irrten wie verflogene Tauben. 
       
      Sie suchten den hellen Herbstwald 
      Und die Kindheit unsrer Liebe 
      Im bunten Laube. 
       
      Und fanden nicht und wurden schmerzenstarr 
      Und höllebrünstig heiß und hackten in mein Herz 
      Wie schwarze Adlerschnäbel. 
       
      Oh du! 
       
      Oh du! 
       
      Matt sank mein Haupt dir in den Schooß. 
      Du bebtest. 
       
      Dann sprachst du leise wirre Worte und weintest. 
       
      Und deine Augen wurden wieder hell. 
       
      Weißt du es wohl, was zwischen uns geschehn? 
       
      Der Haß hat uns gepaart in wildem Kampf, 
      Der Haß von Mann zu Weib und Weib zu Mann, 
      Die heiße Gier, sich einzusaugen das fremde Herz 
      Und jeden Tropfen Blutes und jeden Atemzug. 
       
      Mein Herz und dein Herz haben sich geschaut im Kampfe, 
      Und kämpfend sich durchdringend sind sie in Eins geflossen. 
       
      Du bist nun ich, doppelt ist meine Seele. 
       
      Wird sie je leben 
      Können ohne dich? 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      272-275) 
      _____ 
       
  
      Pulchra ut sol, clara 
      ut lux 
       
      In einer Kirche sah ich goldne Statuen 
      Von Engeln, die auf ihrer Schultern Macht und Pracht  
      Das Chorgewölbe trugen. Wie aus Griechenland, 
      Mit klarem Antlitz, rosenkranzgeschmückt, 
      Goldlockig, edel standen sie und lächelten. 
       
      Vier Engel warens, und von goldnen Lettern schien 
      Aus dämmerigem Dunkel leuchtend dieser Satz: 
      Pulchra ut sol, clara ut lux. 
      Ich träumte oft 
      Von diesen Engeln, und voll Andacht war mein Herz, 
      Wenn ich die Augen schloß und mir das holde Bild 
      In seiner strengen Schönheit hell aufsteigen ließ 
      Und ganz umfaßte. Aber niemals wagt ich es, 
      An sie zu glauben, ja, ein großes Trauern war 
      In meiner Seele, daß aus Gold nur oder Stein 
      Der Künstler solche Schönheit selig bilden kann, 
      Indes Natur sie ewig strenge uns versagt. 
       
      Jetzt ist es anders. Heiter, aller Gnaden voll 
      Geh ich umher und bin ein selig Wissender,  
      Und, schließe ich die Augen, denk ich jetzt nicht mehr 
      An jene goldnen Vier in Kirchendämmerung. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      298-299) 
      _____ 
       
  
      Rosenopfer 
       
      Kind, das Bette ist bereit, 
      Lege dich nun nieder 
      Und thu ab dein schwarzes Kleid, 
      Rock und Hemd und Mieder. 
       
      Eva, Eva, Evalein, 
      Lasse dich beschauen! 
      Ist das wirklich Alles mein? 
      Darf ich michs getrauen? 
       
      Pst! Sie spielt die Schläferin. 
      Leise und verstohlen 
      Schleich ich mich zur Vase hin, 
      Rosen herzuholen. 
       
      Und ich überschütte sie, 
      Brust und Leib und Lenden, 
      Und ich sinke in die Knie 
      Mit erhobnen Händen. 
       
      Der noch nie ich am Altar 
      Eines Gottes kniete, 
      Meine Rosen bring ich dar 
      Dir, oh Aphrodite. 
      Gottlos lief ich kreuz und quer 
      Mit beschwerten Sinnen 
      Hinter leeren Schatten her, 
      »Wahrheit« zu gewinnen. 
       
      Nichts gewann ich und verlor 
      Meine besten Tage, 
      Denn sie raunten mir ins Ohr 
      Immer neue Frage. 
       
      Oh die Schatten! Hin und her! 
      Die verwünschten Spinnen: 
      Doch ich folge nun nicht mehr 
      Diesen Fragerinnen. 
       
      Dir, die keine Fragen weiß, 
      Die nur lacht: ich gebe!, 
      Dir strömt meine Andacht heiß: 
      Schönheit, sieh, ich lebe! 
       
      Liebliche, oh nimm mich hin, 
      Daß ich neu erwarme; 
      Aphrodite, Schenkerin, 
      Nimm mich in die Arme. 
       
      Und mein süßes Mädchen lacht 
      Rosendüftetrunken. 
      In der schönsten Brüste Pracht 
      Bin ich hingesunken. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      162-163) 
      _____ 
       
       
      Letzte Bitte 
       
      Laß mich noch einmal dir ins schwarze Auge sehn, 
      Laß mich noch einmal tief ins heiße Dunkel senken 
      Den trunkenen Blick, dann will ich weitergehn 
      Und dich vergessen … Nur in harter Zeit, 
      Wenn sich der Sehnsucht Augen rückwärts lenken, 
      Wenn meine Seele nach Vergangenem schreit, 
      Dann will ich jenes einen Blicks gedenken, 
      Des liebeheißen, gütereichen Blicks, 
      Der mir im Bann versagenden Geschicks 
      Das Herz zu einem schmerzentiefen Glück geweiht. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      52) 
      _____ 
       
  
      Gefunden 
       
      Laue Sommernacht; am Himmel 
      Stand kein Stern; im weiten Walde 
       
      Suchten wir uns tief im Dunkel, 
      Und wir fanden uns. 
       
      Fanden uns im weiten Walde 
      In der Nacht, der sternenlosen, 
      Hielten staunend uns im Arme 
      In der dunklen Nacht. 
       
      War nicht unser ganzes Leben 
      So ein Tappen, so ein Suchen? 
      Da: In seine Finsternisse, 
      Liebe, fiel Dein Licht. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      28) 
      _____ 
       
        
      Leere 
       
      Meine Seele ist krank, ich weiß nicht, nach wem, 
      Meiner Träume Gestalten sind Schleier und Nebel, 
      Die Stimmen, die ich höre, sind fern und verweht. 
       
      Ach, schweifende Sehnsucht ohne Ziel! 
      Irrflug der Seele! 
       
      Ich stehe einsam, seelenverlassen, arm 
      In weiter Wüste, starre Wolken nach, 
      Leeren Gebilden der Winde, die ich liebe, 
      Weil sie wie meine Seele ziellos sind, 
      Wechselgestaltige, sonnenangeglühte, 
      Hochfliegende, die immer wieder 
      Zur Erde müssen. 
       
      Und ist doch um mich rings das Leben voll Gestalten, 
      Das blutgetriebene, blühende, voll von Früchten, 
      Und manchmal klingen Laute an mein Ohr, 
      Und im Vorübergehen streift mich manche Hand, 
      Und heiße Augen seh ich, rote Lippen, leuchtendes Haar, 
      Gewänder, die von schönen Gliedern hold bewegt sind, -: 
      Muß ich denn einsam sein? 
       
      Ich habe Freunde, die ich neidlos liebe; 
      Die kahle Not entfloh aus meinem Hause; 
      Was Große bildeten, darf ich genießen, 
      Dankbar, nicht mäkelnd, hingegeben, ruhig; 
      Und, wohl bewußt der Kraft, die mir geworden, 
      Nicht hastig frech ins Uebermäßige schweifend, 
      Selbstsicher im Bereiche meiner Kunst, 
      Füg ich fast mühelos mir zum Genuß 
      Gebilde an Gebild. 
       
      Was seh ich Wolken nach? Was schweifst du irr 
      Ins ziellos Weite, sehnsuchtkrank, oh Seele? 
       
      Ich weiß es wohl, was mich so einsam macht. 
      Dies alles, das ich habe, ist ein Tand, 
      Nicht wert, dafür des Morgens aufzustehn. 
       
      Du hast die Liebe nicht. Das Wort trifft mich. 
       
      Drum bin ich in des Lebens Fülle fremd, 
      Starr, wurzellos und blicke Wolken nach, 
      Verwehenden Gebilden ohne Sinn. 
      Die große Leere und das größte Leid: 
      Liebloses Leben, kalte Einsamkeit. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      355-356) 
      _____ 
       
  
      Du, mein Glück 
       
      Meine Seele, eine Taube, 
      Lang verflogen und verirrt, 
      Regt nun zwischen lauter Blüten 
      Auf dem schönsten Frühlingsbaume 
      Ihre Flügel leis vor Glück. 
       
      Du mein Baum voll lauter Blüten! 
      Du mein Glück! Du meine Ruh! 
      Meiner Sehnsucht weiße Taube 
      Regt die Flügel, regt die Flügel 
      Dir im Schoße. Süße! Süße! 
      Welch ein Wunder: Ich und du! 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 54) 
      _____ 
       
       
      Ein Menuett 
       
      Nestwarmweiche Lagerstätte, 
      Himmelblaues Himmelbette, 
      Seidenkissen, Spitzenzier, 
      Rosawolken, mullgebauschte, 
      Hinter denen Amor lauschte, 
      Unsrer Liebe, dir und mir, 
      Kräuselte der Tapezier. 
       
      Aus der Ampel quillt in hellen 
      Morgenrötenrosenwellen 
      Schmeichelweiches Liebeslicht. 
      Wie in einem Rosenhaine, 
      Rose selber, ruht die Meine, 
      Und von Rosen ein Gedicht 
      Ihres Busens Heben spricht. 
       
      Leise, leise, ihren roten 
      Lippen Morgengruß geboten. 
      Augen auf. Bon jour Madam'! 
      Zweier Sonnen hell Erwachen, 
      Zweier Sonnen selig Lachen ... 
      Als ich in den Arm sie nahm, 
      Amor aus der Wolke kam. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      155-156) 
      _____ 
       
       
      Freundliche Vision 
       
      Nicht im Schlafe hab ich das geträumt, 
      Hell am Tag sah ichs schön vor mir: 
      Eine Wiese voller Margeritten; 
      Tief ein weißes Haus in grünen Büschen; 
      Götterbilder leuchten aus dem Laube. 
      Und ich geh mit Einer, die mich lieb hat 
      Ruhigen Gemütes in die Kühle 
      Dieses weißen Hauses, in den Frieden, 
      Der voll Schönheit wartet, daß wir kommen. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      177) 
      _____ 
       
       
      Fröhliche Zuversicht 
       
      Nun ist die Blütenzeit vorbei, 
      Die grüne Wiese gilbt sich schon. 
      Vergangen ist der Mai. 
       
      Im Busch ein kleiner Vogel singt 
      Ein lautes Lied vom Glück, vom Glück, 
      Das nun der Sommer bringt: 
       
      Die Blütenfrucht, die junge Brut, 
      Das stille Reifen überall, 
      Des Segens schwere Flut. 
       
      Vom Nachbarbusch antwortet fein 
      Das Weibchen seinem Glücksgesang; 
      Nun singen sie zu Zwein. 
       
      Zu Zwein zu Zwein! Das war im Mai, 
      Da mir das Glück zu Zwein bescheert. 
      Schnell ging das Glück vorbei. 
       
      Es schwand im Blütenüberschwang, 
      Es hallte leise, leise aus, 
      Wie ferner Mädchensang. 
       
      In meinem Herzen lind und warm 
      Verglimmt's wie Abendsonnenschein; 
      Mein Herz ist ohne Harm. 
       
      Mit Lachen flog mir fort das Glück, 
      Ich aber weiß: im nächsten Mai 
      Kehrt's lachend mir zurück. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      58-59) 
      _____ 
       
       
      Reichtum 
       
      Perlen gleiten durch meine Hand -: 
      Das war Wasser, das verschwand; 
      Gold kam über mich hergelaufen -: 
      Wolkenberge, Wolkenhaufen; 
      Nichts ist mehr in meiner Hand, 
      Und ich kann mir garnichts kaufen, 
      Und mir blieb nur, was ich fand: 
      Ein Herz für mich, ein Glück für mich, 
      Zwei Augen, die leuchten: Ich liebe dich, 
      Und eine Wärme innerlich: 
      Du, du und ich ... 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      288) 
      _____ 
       
       
      Devotionale 
       
      Schöne du, Erbarmerin, 
      Weil mir deine Augen lachen: 
      Nimm mein Lied in Gnaden hin - 
      Schöne du, Erbarmerin. 
       
      Nimm mein Herz in deine Hand, 
      Wieg mein Lied in Trost und Träume, 
      Schöne, himmelhergesandt, 
      Nimm mein Herz in deine Hand. 
       
      Alles wird dann ruhig sein, 
      Denn die Heimat ist gefunden, 
      Kehrt mein Herz in deinem ein, 
      Alles wird dann ruhig sein. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 53) 
      _____ 
       
  
      Flieder 
      (Erinnerungsblatt 
      an M. M.) 
       
      Stille, träumende Frühlingsnacht … 
      Die Sterne am Himmel blinzelten mild, 
      Breit stand der Mond wie ein silberner Schild, 
      In den Zweigen rauschte es sacht. 
      Arm in Arm und wie in Träumen 
      Unter duftenden Blütenbäumen 
      Gingen wir durch die Frühlingsnacht. 
       
      Der Flieder duftet berauschend weich; 
      Ich küsse den Mund dir liebeheiß, 
      Dicht überhäupten uns blau und weiß 
      Schimmern die Blüten reich. 
      Blüten brachst du uns zum Strauße, 
      Langsam gingen wir nach Hause, 
      Der Flieder duftete liebeweich … 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      48-49) 
      _____ 
       
  
      Zwei Liebesbriefe 
       
      1. 
      Über die Ferne hin, 
      Täler hin, Berge hin, 
      Durch alle Tage und Nächte hin, 
      Sing ich zu dir, o Geliebte. 
      Hörst du mich? 
       
      Lausche dem Rauschen der Bäume im Regen, 
      Lausche dem Winde, der über die Halme 
      Mit dem zärtlichen Fittiche hinstreift, 
      Lausche dem holden Munde der Nacht; 
      Lausche in dich. 
       
      Lausche geschlossenen Auges, höre, 
      Höre dein Herz, das rauschende, höre, 
      Höre dein Blut: es trägt meine Stimme, 
      Trägt meine Liebe durch all dein Leben: 
      Zu dir, um dich 
      Tönt mein Rufen, 
      Tönt meine sehnsuchtsvolle Seele, 
      Die dich sucht. 
       
      Über die Ferne hin, 
      Berge hin, Täler hin, 
      Durch alle Tage und Nächte hin 
      Sing ich zu dir, o Geliebte, 
      Singt meine Seele zu dir. 
       
       
      2. 
      Wenn mein Herz auch müde ist, 
      Müde von zu vielen Schmerzen, 
      Ist dies müdeste der Herzen 
      Doch zu dir in Glut entbrannt. 
       
      Ach, daß du mir ferne bist. 
       
      Doch mein Herz ist deiner Güte, 
      Wie dem Himmelslicht die Blüte, 
      Sonnenstrahlenzugewandt. 
       
      Und so wird durch deine Strahlen 
      Aller Schmerzen, aller Qualen 
      Bald mein Herz entladen sein, 
      Denn der Liebe Licht heilt schnelle. 
      Sende, spende deine Helle, 
      Du mein lieber Sonnenschein. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 57-58) 
      _____ 
       
       
      Schlagende Herzen 
       
      Ueber Wiesen und Felder ein Knabe ging; 
      Kling-klang schlug ihm das Herz, 
      Es glänzt ihm am Finger von Golde ein Ring, 
      Kling-klang schlug ihm das Herz. 
      "Oh Wiesen, oh Felder, 
      Wie seid ihr schön! 
      Oh Berge, oh Wälder, 
      Wie seid ihr schön! 
      Wie bist du gut, wie bist du schön, 
      Du goldene Sonne in Himmelshöhn!" 
      Kling-klang schlug ihm das Herz. 
       
      Schnell eilte der Knabe mit fröhlichem Schritt, 
      Kling-klang schlug ihm das Herz. 
      Nahm manche lachende Blume mit. 
      Kling-klang schlug ihm das Herz. 
      "Ueber Wiesen und Felder 
      Weht Frühlingswind, 
      Ueber Berge und Wälder 
      Weht Frühlingswind. 
      Im Herzen mir innen weht Frühlingswind, 
      Der treibt zu dir mich leise, lind!" 
      Kling-klang schlug ihm das Herz. 
       
      Zwischen Wiesen und Feldern ein Mädel stand, 
      Kling-klang schlug ihr das Herz, 
      Hielt über die Augen zum Schauen die Hand, 
      Kling-klang schlug ihr das Herz. 
       
      "Ueber Wiesen und Felder 
      Schnell kommt er her. 
      Ueber Berge und Wälder 
      Schnell kommt er her. 
      Zu mir, zu mir schnell kommt er her! 
      Oh, wenn er bei mir nur, bei mir nur schon wär!" 
      Kling-klang schlug ihr das Herz. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      43-44) 
      _____ 
       
       
      Das grüne Blatt 
       
      Vor meinem Fenster weht 
      Ein Blatt; - der grüne Schein 
      Soll meine Zuversicht 
      Und liebe Ruhe sein. 
       
      Vor meinem Fenster weht 
      Ein Blatt. Wir leben so 
      Im leisen Auf und Ab 
      Und sind des Schwebens froh. 
       
      Vor meinem Fenster weht 
      Ein Blatt. Mir ist so gut. 
      Komm an mein Herz, du Grün, 
      Das solche Wunder tut. 
       
      
      Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.  
      Um etliche Gaenge und Lauben 
      vermehrt. 
      Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,  
      Gedichte und Sprüche 
      aus den Jahren 1885 bis 1905 
      von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 59) 
      _____ 
       
       
      Jeanette 
       
      I. 
      Was ist mein Schatz? – Eine Plättmamsell. 
      Wo wohnt sie? – Unten am Gries. 
      Wo die Isar rauscht, wo die Brücke steht, 
      Wo die Wiese von flatternden Hemden weht: 
      Da liegt mein Paradies. 
       
      Im allerkleinsten Hause drin, 
      Mit den Fensterläden grün, 
      Da steht mein Schatz am Bügelbrett; 
      Hoiho, wie sie hurtig den Bügelstahl dreht, 
      Gott, wie die Backen glühn. 
       
      Im weißen Röckchen steht sie da, 
      Ihre Bluse ist blumig bunt; 
      Kein Mieder schnürt, was drunter sich regt, 
      Sich wellenwohlig weich bewegt, 
      Der Brüste knospendes Rund. 
       
      II. 
      Im alten Ton 
      Der Frühling kam, die Knospen sprangen, 
      Da bin ich auf die Wiese, 
      Ja Wiese, 
      Alleine hinausgegangen. 
      Ich ging allein 
      Und kam zu Zwein: 
      Mit einem holden Kinde; 
      Das hab ich geküßt auf den roten Mund 
      Wohl unter der grünenden Linde, 
      Dem hab ich den Blick in die Augen gesenkt, 
      Das hat mir seine Liebe geschenkt 
      Und hat mir gelacht 
      Zum Lohn bei der Nacht, 
      Zur Seite geschmiegt mir im Bette: 
      Ein Waschermadl ist mein Schatz, 
      Mein brauner, mein wilder, mein lustiger Schatz, 
      Und heißt Jeanette! 
       
       
      III. 
      In enger Kammer 
      Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank, 
      Und mittendrin ein Mädel schlank, 
      Meine lustige, liebe Jeanette. 
      Braune Augen hat sie, wunderbar, 
      In wilden Ringeln hellbraunes Haar, 
      Kirschroter Lippen ein schwellend Paar, - 
      Jeanette! Jeanette! 
      Am Fensterbrett ein Epheu steht, 
      Durch grüne Geranke die Liebe späht, 
      Meine lustige, liebe Jeanette. 
      Thüre auf: da liegt mir am Hals das Kind. 
      Alleine wir beiden, es singt der Wind 
      Das Lied von Zweien, die selig sind, - 
      Jeanette! Jeanette! 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      40-42) 
      _____ 
       
       
      Erwachen in den 
      grellen Tag 
      (Ein Vorgesicht.) 
      
       
      Was war das für ein wunderreicher Traum! 
      Er hat mein Herz so innig warm beglückt ... 
       
      Er führte mich auf grüne Wiesen aus 
      Voll Frühlingsblumen, - jeder Blüte gab 
      Von Sonnengold er einen Glorienschein. 
      Hell war der Himmel und unendlich weit, 
      Leis wimpelte von säftevollen Zweigen, 
      Die glänzend überquollen in dem Licht 
      Des jungen Lenzen, unberührtes Grün. 
       
      Und alles war voll Glück, voll Glück auch ich; 
      Ein Sonnenstäubchen Glück: so fühlt ich mich. 
      Und durch die Welten wirbelte ich hin; 
      Licht war mein Herz, und meine Augen Glanz. 
       
      Die Wiese mit den Blumen ... Langsam schritt 
      Ich durch das grüne Rauschemeer, ich führte 
      Am Arm ein Mädchen, und an meiner Brust 
      Hört ich ein Klopfen, das wie Liebe klang, 
      So fragend zag und bittebang und tief; 
      Und zweier Augen heiße Seligkeit, 
      Ein Rosenhimmel, aller Gnaden voll, 
      Sah mir ins Herz und hellte mir ein Glück, 
      Das nie ich wußte, das mein Sehnen war 
      Durch lange, arme, liebeleere Zeit. 
       
      Das war die Liebe. 
       
      Leise wie ein Traum 
      Ist sie durch Seele mir und Sinn geweht, 
      Und ich war selig. Rosen sah ich rings, 
      Und Rosen deckten mir die ganze Welt, 
      Die Welt voll Gräuel, Traumesrosen deckten 
      Mit Blütenranken mir die Wahrheit zu. 
       
      Die Sonne sah ich nur: ich sah nur dich; 
      Die Augen gingen über mir vor Glanz, 
      Ergießen wollte sich das Herz vor Glück, 
      Bang überselig strömen in den Tod, - 
      Da wacht ich plötzlich unter Thränen auf. 
       
      Was ich als Sonne selig angesehn, 
      Als aller Liebe, aller Schönheit Herd - 
      Ein einziger Blick verriet mir blitzesgrell, 
      Daß eine Lüge meine Sonne war, 
      Ein schöner, böser, liebeleerer Stern. 
       
      Der Traum ist aus. Ich starre in mein Herz, 
      Ich weine in mein Herz: die Thräne fällt 
      In einen Krater, krustig ausgebrannt. 
      Der heiße Lavastrom der Liebe ward 
      Zu Stein. 
       
      Ich will die Tage nutzen. Kalt 
      Will deine Lüge ich einmeißeln ihm. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      282-284) 
      _____ 
       
  
      Weißt du noch? 
       
      Weißt du noch: das kleine Haus 
      Zwischen Wald und See und Feld? 
      Eine alte Eiche hält 
      Wacht davor. 
       
      Weißt du noch: das Zimmerchen? 
      Wie ein Käfig war es klein, 
      Nur ein Tisch, ein Stuhl und ein 
      Kanapee. 
       
      Weißt du noch: die Dämmerung? 
      Glockenklang vom Kloster her …; 
      "Nun laß ich dich nimmermehr!" 
      Weißt du noch? 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      4) 
      _____ 
       
       
      In einer dunklen Nacht
       
       
      Wenn dieser Körper einst zerfallen ist, 
      Seele, du meine Seele, 
      Träumst du dir einen andern Leib? 
      Lebst du auf einem andern Stern? 
      Treibst du aus deinem Drange, der die Schönheit will, 
      Blumen, Bäume? 
       
      Oh meine Seele, wenn du nicht vergehst, 
      Dann bleib bei ihr, die mir das Leben lieber macht 
      Als alle Schönheit. 
       
      Umblühe sie, 
      Umhüte sie, 
      Laß alle Sterne, alle Seligkeit 
      Und bleibe bei ihr. 
       
      Und wenn auch sie dann, wachgeküßt vom Tod, 
      Sich selbst in ihrer tiefsten Reinheit lebt, 
      Dann geh in sie und gieb dich selber hin, 
      Sei eins mit ihr. 
      Das ist die Seligkeit, die ich dir hoffe, 
      Meine Seele. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      287-288) 
      _____ 
       
       
      Aus der Ferne in der 
      Nacht 
       
      Wenn im braunen Hafen 
      Alle Schiffe schlafen, 
      Wach ich auf zu dir. 
      Stille in der Runde, 
      Heilig diese Stunde, 
      Denn sie bringt dich, atemhaltend, mir. 
       
      Stehst in Mondeshelle 
      Wartend an der Schwelle, 
      Und ich fühle dich; 
      Komm', daß ich dich halte, 
      Deine Seele walte 
      Ueber meinen Träumen mütterlich. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      6) 
      _____ 
       
  
      Sehnsucht 
       
      Wie eine leise Glocke klingt 
      Die Sehnsucht in mir an; 
      Weiß nicht, woher, wohin sie singt, 
      Weil ich nicht lauschen kann. 
       
      Es treibt das Leben mich wild um, 
      Dröhnt um mich mit Gebraus, 
      Und mählich wird die Glocke stumm, 
      Und leise klingt sie aus. 
       
      Sie ist nur für den Feiertag 
      Gemacht und viel zu fein, 
      Als daß ihr bebebanger Schlag 
      Dräng in die Lärmluft ein. 
       
      Sie ist ein Ton von dorten her, 
      Wo alles Feier ist; 
      Ich wollte, daß ich dorten wär, 
      Wo man den Lärm vergißt. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      6-7) 
      _____ 
       
       
      Gavotte des Verliebten 
       
      Wie ging ich durch mein Leben hin? 
      An einem roten Bande; 
      Dran führte mich meine Königin 
      Durch lauter selige Lande. 
      Bald auf, bald ab, bald quer, bald krumm, 
      Mal rechtsherum, mal linksherum, 
      Doch stets am Liebesbande. 
       
      So war ich Knecht mein Leben lang? 
      Der Knecht am roten Bande? 
      Oh nein: es war ein Königsgang 
      Durch unterworfene Lande; 
      Ein Königsgang, ein Königstanz, 
      In freier Kraft durch Glück und Glanz 
      Am roten Liebesbande. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      90) 
      _____ 
       
       
      Metamorphosen 
       
      Winterkrank war meine Seele, 
      Und sie kroch wie eine faule Kröte 
      Zwischen kalten Steinen. 
       
      An den leeren Stunden klebte sie 
      Wie eine müde Fliege am angelaufenen, 
      Undurchsichtigen Fensterglas. 
       
      Sonst war meine Seele ein Schmetterling, 
      Ein leichter, feiner, blütenverliebter Schmetterling, 
      Der sich im Sonnenscheine von weichen Winden 
      Gerne tragen ließ, wie ein Blumenblatt; 
      Und er steckte sein Saugrüsselchen gerne in alle Süßigkeit, 
      Und er berauschte sich gerne am Tausendblumengeist, 
      Und im offenen, samenstaubduftigen Schoße üppiger, 
      Buttergelber Rosen schlief er gerne, 
      Der sorgenlose, leichtsinnige, 
      Frei schwebende Schmetterling meiner Seele. 
       
      Weißt du noch, meine Seele, wie du zum letztenmale 
      Schmetterling warst? 
       
      Das war ein heller, herber Tag, 
      Hell wie ein braunes Mädchenauge, 
      In dem der Spott lacht: 
      "Liebe, - was ist denn das?" 
       
      Solch ein Tag wars: Herbstbeginn. 
       
      Da flogst du, meine leichtgläubige Seele, 
      Durch die kalte Helligkeit und suchtest Blüten; 
      Aber fallende Raschelblätter, 
      Niederzitternd in zagender Schwäche, 
      Störten deinen Flug, und du wurdest verzagt 
      Und frorst in dieser leeren Helle. 
       
      Da wurdest du ein kriechendes Thier, meine Seele, 
      Und du hast dich verkrochen vor dem lieblosem Winter 
      Und dumpf geschlafen. 
       
      Ohne Seele, 
      Ohne Liebe, 
      Ohne Rausch und Taumel ging ich 
      Durch diesen Winter, ein verdrossener Krüppel, 
      Und sah ich die Sonne, so fragte mein Auge: 
      "Was soll diese blinde, angelaufene Scheibe?" 
       
      Ein einziges, großes Elend war mir dieser Winter. 
       
      Da, mitten in der Nacht, 
      Gestern, 
      Wachte meine Seele auf, und ich fühlte es hell: 
      Sie hob Flügel wieder, meine Seele, 
      Und sie ist wieder Schmetterling. 
       
      Und ich weiß: Zwei blaue, leuchtende Blumen 
      Sucht sie, und nie noch kostete sie solche 
      Süßigkeit, wie in diesen beiden 
      Blauen Blumen ist. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      127-129) 
      _____ 
       
       
      Nachtgang 
       
      Wir gingen durch die dunkle, milde Nacht, 
      Dein Arm in meinem, 
      Dein Auge in meinem; 
      Der Mond goß silbernes Licht 
      Ueber dein Angesicht; 
      Wie auf Goldgrund ruhte dein schönes Haupt, 
      Und du erschienst mir wie eine Heilige: mild, 
      Mild und groß und seelenübervoll, 
      Gütig und rein wie die liebe Sonne. 
      Und in die Augen 
      Schwoll mir ein warmer Drang, 
      Wie Thränenahnung. 
      Fester faßt ich dich 
      Und küßte - 
      Küßte dich ganz leise, - meine Seele 
      Weinte. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      107-108) 
      _____ 
       
        
      Einem schönen Mädchen 
      unter sein Bildnis 
       
      Wo sah ich das doch schon einmal? 
      Dies zart und liebliche Oval, 
      Die großen Augen tief und klar, 
      Dies bogenfeine Lippenpaar 
      Und diesen Strudel Lockenhaar? 
       
      Wo, wo? Und plötzlich seh ichs licht: 
      In Form und Farben ein Gedicht, 
      Das Botticellis teure Hand 
      Gedichtet auf die Leinenwand. 
       
      Stand lange in Florenz davor, 
      Mich ganz in Schauens Lust verlor, 
      Andächtig zu der klaren Kraft, 
      Die uns in Schönheit Tröstung schafft. 
       
      Denn aller Schönheit höchste Huld 
      Ist Trost und Stille und Geduld. 
      Wer recht zu sehen weiß, der spürt 
      Sein Herz von Schwingen angerührt, 
      Die himmelher und heilig sind. 
      Ihr Wehen ist so lieb und lind 
      Wie Mutteratem über der Wiegen; 
      Du fühlst dich eingebettet liegen, 
      Liebeeingefriedet wie ein Kind. 
       
      Dem Meister, der so hohes gab, 
      Legt Dankbarkeit den Kranz aufs Grab; 
      Der Schönheit, die ins Leben blüht, 
      Naht sich mit Wünschen das Gemüt: 
       
      Sei nicht bloß Schenkerin -: Beschenkte auch! 
      Im eignen Innern wohne dir der Hauch, 
      Den Schönheit atmet: Friede sei dein Teil! 
      Du lieb Gesicht, halt deine Seele heil! 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      100-101) 
      _____ 
       
  
      Alter Glückszettel 
       
      Zwischen Hetzen und Hasten, 
      In Lärmen und Lasten, 
      Von Zeit zu Zeit 
      Mag gerne ich rasten 
      In Nachdenklichkeit. 
       
      Fliege, fliege, mein Denken, zurück, 
      Suche, suche: in heimlichen Ecken 
      Dämmerbrauner Vergangenheit 
      Mag wohl von verklungenem Glück 
      Blinkend ein Blättchen stecken. 
       
      Und ich suche in meinem Andenkenkasten. 
      Zwischen Bändern und Briefen, 
      Die lange schliefen, 
      Aus trockenen Blumen und blassen Schleifen 
      Will ich mir was Liebes greifen. 
       
      Da fand einen Zettel ich, bleistiftbeschrieben, 
      Der hat mir die Wärme ins Herz getrieben. 
      Was stand denn da? 
      Von meiner Hand: 
      I mag Di gern leid'n; Du: Magst Du mi aa?, 
      In schmächtigen Zügen darunter stand: 
      Ja. 
       
      In Lärm und Last, 
      In zager Zeit 
      War mir ein Gast 
      Aus Glückseligkeit 
      Dies kleine Ja der Vergangenheit. 
       
      
      Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe. 
      Verliebte launenhafte und moralische Lieder  
      Gedichte und Sprüche aus den 
      Jahren 1885 bis 1900 
      Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 
      142-143) 
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        Biographie: 
       
      
      http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Julius_Bierbaum      
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