Rudolf G. Binding (1867-1938) - Liebesgedichte

Rudolf G. Binding



Rudolf G. Binding
(1867-1938)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Buch der Freundin

Die Freundin und die Dämmerung

Du Vertraute meiner Räusche,
heiliger Nächte stiller Glanz,
Ganz-Verlorne, Trunken-Keusche,
die du trugest meinen Kranz,

sieh, dich muß ich jäh verlassen,
lächelnd eben noch beglückt;
will erblindend ich dich fassen
bin ich sehend schon entrückt.

Denn nach heißer nächtiger Feier
schleppt den ersten kühlen Saum
Dämmrung, schwer gewandet, neuer
Dinge kundig durch den Raum.

Und sie hält den nachtgebornen
Kelch voll dunklen Taus empor
wachen Träumern und verlornen
Kindern die sie sich erkor.

Blauer Stunden Trunkenheiten
tropfen nieder von dem Rand
die mich sanft hinausgeleiten
in ein rätselhaftes Land.

Und durchs Wolkentor des Rausches
tritt dein Dichter in das Weit
reiner Schönheit, seligen Tausches
einer höheren Wirklichkeit.

Himmel, wahre deine Sterne.
Erde, schirme deine Pracht!
Denn es greift aus Menschenferne
meine Hand in eure Nacht.

Dir, Vertraute meiner Räusche,
reiß ich nieder ihren Glanz:
kröne dich der letzte keusche
wie der erste grüne Kranz.
(S. 40-41)
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Die Gerächten

So muß an dir ich jenen andern Seelen,
die ich emporgesteigert leicht vergaß,
abbitten wie ein fluchbeschwert Verfehlen
daß ich von ihnen zu dir hingenas.

Nun bin ich krank nach dir und muß zerquälen.
Die Leichtgeliebten rächen sich in dir.
Weh in der Seele denk ich weher Seelen
und deine Liebe wird zur Schuld in mir.

Ein später Büßer kniee ich im Kissen,
das mir doch nichts vergibt:
Ich habe sie geliebt, um nun zu wissen
daß ich noch nie geliebt.
(S. 42)
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Bild der Freundin

So schön bist du die mir das Herz bewegt,
daß selbst der Quelle Spiegel welchen du befragt
dein Ebenbild zurückzugeben nicht gewagt
und zitternd brach.

So lieblich du daß deiner Lieblichkeit
selbst die Meduse hätt ein Lächeln nicht versagt,
als ob durch deinen Zauber sei das Graun verjagt
das aus ihr sprach.

So edel du wie wenn selbst die Natur
den Heimfall deines Wesens an den Staub nicht litte,
die Schöpfung selbst für Unvergänglichkeiten stritte
in deinem Bilde.

So freudig du auf Erden und glückmächtig
daß Kraft und leuchtend Blühen folgen deinem Tritte
und wo du schreitest ist's als ob der Morgen schritte
durch die Gefilde.
(S. 43)
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Frühlingsgleichnis

Du schaust mich lachend an, du herrliche Verschwendung,
königlichstes Recht du, der Natur:
Blüten, Blüten, Blüten fluten ohne Endung
und ein Meer von Lüsten ist die Flur;

über grüne Hänge schäumen weiße Wogen
und ein Klingen geht darüber hin;
heilige Nächte lassen ihre Bogen
über ein gewaltig Brautbett ziehn -

Lachend Land, du bist mir nur ein Spiegel,
und so oft in seinen Glanz ich blick,
wirfst du mir, dich reizend überflügelnd,
der Geliebten Anblick stets zurück.

Seid, ein schönes Gleichnis zu vollenden,
beid hineingestellt in die Natur:
gebend, göttlich so sich hinverschwenden
kann der Lenz und die Geliebte nur.
(S. 44)
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Mit dem Zweig von Blüten schwer
und schwer von Morgentau
schlag ich an deine Fensterwehr,
du allerschönste Frau.

Und hoch im Bügel heb ich mich
und schwinge meinen Zweig.
Da regnen Blüten über dich
und über mich zugleich.

Hinaus, hinaus! Zu Pferd, zu Pferde!
Da halt ein andrer Ruh!
Im Blühen steht die ganze Erde;
gehörest auch dazu.

Schon scharrt und wiehert hell dein Hengst
- der Zügel hält ihn kaum.
Das Heute winkt. Dahinten längst
liegt Gestern, Nacht und Traum.

Du trittst heraus und nickst zum Gruß;
ein Lachen blitzt hervor.
Auf meine Hand dein leichter Fuß,
so schwingst du dich empor.

Das Land fliegt hinter uns zurück
und vor uns tut sich's auf.
Wir reiten! - Überall ist Glück,
wohin trägt Rosseslauf.
(S. 45)
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Vollblut

Dicht geklammert auf rauchende Rücken,
nieder auf spritzende Mähnen sich bücken,
baden in heißen Fontänen der Nüstern,
nach ihren heißesten Strömen lüstern,
drunten Gewölk und Gewitter der Hufe,
hinten unmächtig zerflatternde Rufe
flehender Winde, zerrissener Stille,
vor mir die Weite, in mir der Wille -

Himmel, was soll mir dein Sonnenwagen,
solange noch über die ewige Erde
heißblütige Pferde
mich und mein wogendes Herze tragen.
(S. 46)
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Morgenwind,
keuschester,
bist du der liebste mir
weil deines unerschrockenen Fittichs
Saumfedern eine
nahe der Erde streifend
sie traf, die ferne, die Freundin?
weil ihres Haares ein Löckchen
empor du gekräuselt?
weil du aus warmen Gewändern
ein Wölkchen des Atems
dieses reinen Leibes dahinführst?
oder den Hauch ihres Mundes
hinwegküssen durftest
der vielleicht heimlich
den Namen des Freundes enthielt?

O ich stehe und schaue gen Morgen
und suche hinter der Botschaft des Windes.

Bleibe doch, Wind -
Nein; fahr dahin, Wind!
über mich hin, Wind,
daß ich des Boten vergesse.
Denn es ist gut dem Menschen,
seine Kraft zu prüfen und seine Flügel.
Aber dein Herz zu besitzen,
Freundin,
ist gleich Flügel zu haben.

Gegen den Schlag deines Herzens,
was ist mir der Sterne unendliche Laufkraft?
arme zum Himmel erhobene Götter
wandeln sie in gezwungenen Bahnen,
Gefesselte untereinander,
schweigend zu dulden
das Leid ihrer Ewigkeit.

Mir aber ward
die Lust des Vergehens.
Und durch die Welten der Dinge
trägt mich dein Herz.
Kein andrer
der erdgebundenen Menschen
eignet ein Flugzeug
gleicher Treue und Kraft.
Also fahr ich dahin,
dem Ende entgegen, dem Falle
- wer weiße es?
Sah ich doch einmal die Dinge
die nahe dem Ursprung wohnen,
hörte die Laute
die auf der Grenze der Stille hocken,
und wehen mich an die Gerüche
welche der Ewigkeit schleppend Gewand
birgt in den Falten!

Nichts ist eitel!
Eitel ist
alles eitel zu nennen.
Und die brennende Fackel der Herzen
sollte sie eitel sein
weil sie verlöscht?

Komm, verdopple den einfachen Brand!
Ach, wie bald
wird auch der Freund,
der mir fast heilig war,
verschlungen von der Umarmung
niederen Schlingwalds.
Dann bist nur du noch.
Und wo unsterbliche Dichter
singen von Freundschaft
sollen sie singen von dir als einer Besondren
die da ihr Herz gab ein andres zu tragen,
und ihr Blut
den brennenden Thyrsos zu tränken
unserer Liebe.
(S. 47-49)
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Erwartung

Durch Sonnen ging ich und achtet' der Sonne nicht.
Durch Nächte und ich achtete nicht der Nacht.
Da war kein Licht und war keine Finsternis
in meinen Sinnen, da war nicht Raum noch Zeit.

Nachtwandelnd schritt ich auf einem Grat dahin.
Flogen mich Falter, flogen mich Träume an? -
Ins Leere trat ich. Und sank wie auf Flügelschuhn
ins Leere. - War ich noch? Ach, da war ich nicht mehr,

Denn auf unseliger Sehnsucht Flügelschuhn
schweb ich dahin. - Wenn du selber die Riemen löst,
wenn deine Hand mich rührt, den Traumwandelnden,
kehret sie wieder die Welt, und in deinem Arm

kehret auch wieder der Tag und die holdere Nacht,
kehret auch sie, die süße Schwere zurück.
(S. 50)
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Auf meinem Bette Mondenschein,
so weiß wie Reif und in dem Busch
ein Vogellied, von Lieb ein Lied,
von Liebe, stundenlang.

Ich schaue auf, und schau hinein
ins stille Mondesangesicht,
und senk das Haupt, und bin allein.
Wozu denn Nacht und Sang?
(S. 51)
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Tristan

Was wehrst du noch das Trinken
da eins das andre trinkt
in Blicken die so rein
erglühen wie aus dunklem Kelch
geweihter Wein! -

Was wehrst du noch das Sinken,
da eins ins andre sinkt
wie wenn im Meer ein Ring,
ins Unermeßliche verbuhlt,
zur Tiefe ging.

Was ist noch um uns her?
Willst du mir Abschied winken? -
Wenn wir uns einst entsinken
sind wir schon längst nicht mehr.
(S. 52)
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Rosenhag

Es blühen dir Rosen jeglichen Tag
in einem verschwiegenen Rosenhag
- und du weißt nichts davon.

Von Blut darin ein Brunnen springt
und Blut die Blätter der Rosen durchdringt
- und du weißt nichts davon.

Und weil ich sie dir nicht schneiden mag
verwelken dir Rosen jeglichen Tag
- und du weißt nichts davon.

Nur manches Mal, da brech ich dir
eine rote Rose von meinem Spalier
als ein Lied das nicht welken mag.

Dann weißt du von mir ein Kleines wohl;
und weißt doch nimmer wie übervoll
von Rosen steht der Hag.
(S. 53)
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Bestellte Liebeslieder
(Der Dichter verrät sich)

Hör einen Stummen aus meinen Liedern.
Fühl eines andern Herz aus meinem Herzen.
Hör eines andern Glut aus meinen Gluten
und eines andern Schmerz aus meinen Schmerzen.

Ich steh im Dunkel hinter dem Freunde,
singe von Liebe die nimmer ich kannte -
Und schon bist du es die mir sich vereinte,
und schon bin ich es der für dich entbrannte.

Wehe, mein eigen Herz bricht aus dem Herzen
und wie verfallen fall ich dir zu.
Ach! diese Schmerzen sind meine Schmerzen
und die ich liebe bist vielleicht du.
(S. 54)
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Wie leicht mein Herz da du es hebst;
wie leicht das Leben da du lebst;
da du ihn stirbst ist wohl der Tod
ein heiterer Morgen über fremden Meeren
die wir durchziehn auf sonnbeglänztem Boot.
(S. 55)
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Stunden voll von süßen Traurigkeiten
rinnen nun in meine hellen Tage
seit ich es in meinem Herzen trage
daß du mein bist und ich muß dich meiden.

Sinnend laß ich durch die Finger gleiten
der Erinnerung goldne Kettenglieder;
aber leise rinnen mit hernieder
Stunden voll von süßen Traurigkeiten.
(S. 55)
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Wirst du die mir noch jeden meiner Tage
- und seist du noch so ferne - hilfst beginnen
einst mit mir gehen an das Tor der Frage
vor dem nicht Umkehr ist und kein Entrinnen?

Vielleicht, wenn stumm wir vor dem großen Leer
des Schweigens stehen, dann erst wissen wir
daß unser beider Leben war nicht mehr
als ein Geraune zwischen mir und dir.
(S. 56)
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Als ich dich durfte herzen
die erste Nacht,
da hast du aus all meinen Schmerzen
eine Stille gemacht.

Doch leise, im steten Erschüttern
daß ich dein bin,
geht über die Stille ein Zittern
wie über ein Wasser hin.
(S. 56)
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Liebe Worte füg ich dir zum Liede,
und sie drängen leis um deine Stirne,
leise dir ans Ohr sich, küssen leise
wiederkehrend von den reinen Lippen
dir den Mund wenn du sie heimlich raunest.
Glücklich, Worte, die ihr solches dürft!

Aber wollt euch des nicht überheben.
Denn ihr wißt nicht, die ihr mir entflohen,
von den andern, den unsagbar schönen,
ungestanden ewig, doch verstandnen,
deren Ahnung stumm der Liebsten Herze
jubelnd und in Schauern zittern macht.
(S. 57)
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Ruderfahrt

Warum, Geliebte, durft ich dich heute nicht küssen!
Bin doch deinen Lippen so nahe gewesen
da ich vom gleitenden Sitze die Ruder führte.
Aber ins Wasser, ins gleitende Wasser grub ich
all meine Kräfte.

Nahte ich tausendmal dem lockenden Munde,
weiteintauchend die Schaufeln mit offenen Armen,
unerbittlich trugen die schwingenden Ruder,
trug die eigene Kraft mich wieder von hinnen.
Lachende Wirbel tanzten hinter dem Boot.

Leiser werden sie lachen, müder sich drehen -
Warte meiner. Am Abend werd ich dich küssen
wenn sie ruhen, die schweifenden Ruder, im Kahn.
(S. 58)
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Traumverkündigung

Heut Nacht, mein Lieb, da nehm ich dich
in meinen Traum.
Da ist's so licht. Und sänftiglich
selbander liegen wir wohl unter einem grünen Baum
und schauen durch das Grün das Blau.
Ach, Freundin, trau
dem Grün, dem Blau,
dem Licht, der Nacht, dem Schläfer und dem Traum.
(S. 59)
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Der Kamm

Du Bändiger der liebsten losen Flechten
den ich erwacht in meinen Kissen fand
was sprichst du tags noch von verschwiegenen Nächten,
von Glut und Kuß und aufgegebenen Rechten
die schon der graue Morgen mir entwand?

Nun wirst du gehn und wirst sie wieder zwingen
die braunen Schlangen die mit scheuer Pracht
von mir gelöst mich schmeichlerisch umspringen.
Nun wissen sie nicht mehr von all den Dingen -

Wie seltsam spricht der Tag doch von der Nacht.
(S. 60)
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Fremde Welt

Weite Welt, weite Welt,
wie fremd liegst du vor mir.
Nun, da mein heimlich Glück zerfällt,
kehr wieder ich zu dir.

Ungeliebt, ungesellt
soll ich nun fort von ihr -
Weite Welt, weite Welt,
wie fremd liegst du vor mir.
(S. 61)
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Flieg dahin, Lied!
Flieg dahin, Lied!
Und tröste die Liebste mir.
Wo sie's hin zieht,
wo sie hin flieht,
da setze dich stille zu ihr.

Sing nicht laut, Lied!
Sing ihr traut, Lied!
Und hab deines Sanges wohl acht,
ob sie weint, heiß,
ob sie lacht, leis,
ob sie dein schon vergessen zur Nacht.

Läßt sie dich sein,
armes Lied mein,
und hält dich nicht wert ihrer Not,
fliege heim, Lied!
zu mir heim, Lied!
und sage, mein' Liebste sei tot.

Dann fahr wohl, Lied!
fahre wohl, Lied!
Laß du mich nur gehen zur Ruh.
Ist vorbei, Lied!
Du bist frei, Lied!
Nun flieg einem Glücklichern zu.
(S. 62)
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Sprach die Geliebte: "Mir ist
als müßte ich's jemand danken
nur daß du bist."
Und ihre schlanken
Hände begannen die Schläfen mir leis zu umschmeicheln
und hatten dabei eine fremde besondere Weise.

Nach einer Weile sagte sie leise:
"Wenn du heimgekommen
sollst deine Mutter du von mir streicheln."

Da wußt ich freilich wem's galt
und hab es halt
für meine Mutter hingenommen.
(S. 63)
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Die Herzen

Tot lagen zwei Königskinde
die sich zu sehr geliebt.
Da weint Hof und Gesinde.
Ein Grab man ihnen gibt.

Der König in seinem Leide
läßt hauen aus edlem Stein
seiner liebsten Augenweide
einen kühlen Totenschrein.

Er will nicht daß sie wesen,
beruft seiner Ärzte Kunst,
läßt Öle und Narden erlesen
für eine letzte Gunst:

"Tod soll sie nicht versehren,
ihr Blühen nicht vergehn." -
Da sieht man mit Messern und Scheren
sie über den Leichen stehn.

Bereit sind Öle und Narden
und Spezerei zu hauf.
Es tun von langen zarten
Schnitten die Leiber sich auf.

Die Ärzte zu Tod erbleichen,
zu stumm für einen Schrei:
Kein Herz lag in seiner Leichen,
in ihrer lagen zwei.
(S. 68-69)
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Zweites Sonett der Louize Labé

O braune Augen, Blicke abgewendet,
O heiße Seufzer, o vergossene Tränen,
O dunkle Nächte hingebracht in Sehnen,
O lichte Tage nutzlos hinverschwendet;

O Traurigkeit, o endloses Begehren,
O Stunden die vertan, wehes Entsetzen,
O tausend Tode rings in tausend Netzen,
O schlimmer Qualen noch mich zu verzehren.

O Lächeln, Stirn, Haar, Hände - mich verzückend;
O Stimme, Laute, Geige - mich berückend:
So viele Flammen für ein schmelzend Weib!

Dich klag ich an, der du die Feuer fachtest,
Mit Brand und Brand mir nach dem Herzen trachtest:
Kein Funke fiel davon auf deinen Leib.
(S. 165)
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Liebe

Nun stehn die Hirsche still auf dunklen Schneisen,
die Löwen stehen still im Felsentor;
nun schweigen Nachtigallen ihrer Weisen
und Sterne, Sterne hören auf zu kreisen
und aus den Sonnen tritt kein Tag hervor.

In gleiche Nacht sind wir nun eingetaucht,
in gleichen Tag und wieder Tag und Nacht,
ein gleiches Sterben hat uns angehaucht,
zwei Leben sind im Augenblick verraucht
und gleiches Wissen hat uns stumm gemacht.

Es ist als ob die Welt sanft von uns wich -.
Die Löwen stehen still im Felsentor
und Sterne, Sterne - Mond und Stern verblich
und alles starb, als du und ich
und ich und du sich Herz in Herz verlor.
(S. 187)
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Tag der Liebe

Hat dich heiliger ein Hauch berührt?
Hat die Sonne heißer dich gegrüßt?
Bist vom Blühen wilder du verführt?
bist von Sehnsucht tiefer du versüßt?

Schreite selig in dein Licht empor.
Schnell verflogen ist was schwert und trübt.
Raunt es dir das Leben doch ins Ohr:
Tausend tausendfach bist du geliebt.
(S. 213)
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Schlief die Liebe daß sie nun erwachte,
da sie keiner von uns aufgeweckt?
da es keiner wagte, keiner dachte,
da wir zitterten vom Glück erschreckt?

Nacht umstand uns und die Sterne zogen
uns vorbei zu stillen Bergen hin.
Lied der Grillen schwang und Düfte flogen
über unsre offenen Seelen hin.

Nichts geschah und alles war geschehen:
Ewiger Augenblick hat uns betaut.
Wir gestanden ohne zu gestehen
da uns Schweigende die Nacht vertraut.

Stumm Beseelte so des Glückes voll
daß wir sterbend unsre Hände faßten -
bis der erste Vogelruf erscholl
und die Sterne über uns verblaßten.
(S. 214)
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Da du es den Winden sagtest
daß sie's ferne ferner tragen,
da du's kaum zu denken wagtest,
kaum zu atmen daß du liebtest,

tatst du wohl. Wo sie sie finden
ist die Liebe schon erschlagen.
Darum sag es nur den Winden
du seist selig da du liebtest.
(S. 215)
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Astronomisches Gespräch

Sieh den Mond mit schlanken Sichelarmen
glühend zucken nach dem schönsten Sterne.
Süße Ferne,
wo Gestirne liebend sich umarmen!

"Meinst du gar sie werden sich erreichen?
Wird der junge Mond den Stern umfangen?
Hold Verlangen,
fern von dir zu stehn, dem Stern zu gleichen!"

Menschenaugen werden's nicht erspähen.
Doch im Licht des Tages scheu verborgen
mag der Morgen
der uns trennt sie bei einander sehen.

Und wenn Tag mit flammenden Alarmen
auf mich scheucht vom Lager der Geliebten
liegen wohl im Ungetrübten
Mond und Stern sich liebend in den Armen.

"Freund, so laß mich lieber dich umschlingen.
Gib den Tag als Mantel den Gestirnen.
Von den Firnen
schwand das Licht um uns die Nacht zu bringen."
(S. 216)
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Willst du selbst den Rausch der Sommernächte
überrauschen noch mit deinem Blühen?
willst du alle Glut der Sonnenmächte
überglühen noch mit deinem Glühen?

Ach, du tatest es! Und wardst allmächtig.
Deines Dichters Schicksal streng gebietend,
teilst du Tag und Nacht ihm aus bedächtig,
Glut und Tau verzehrend und befriedend;

teilst ihm seligen Atem Qual und Beben,
Kuß und Blick im Wandel deines Tanzes,
Ferngenügen, durstiges Erstreben
und die Sehnsucht nach dem All des Glanzes;

läßt dich endlich, glutgewaltige Sonne,
lächelnd von ihm in die Arme schließen -
Und die Allmacht in gelöster Wonne
darf der Liebe Seligkeit genießen.
(S. 217)
_____



Magische Stunde

Große Zauberer borgen
leichthin sich die Macht:
Abend sinkt in Morgen,
Nacht verschlingt die Nacht.

Steigt ein Duft vom Tale?
Oder füllt mit Wein
eine Frau die Schale?
Du bist nicht mehr dein.

Weißt du was du schenktest?
Weißt du was du nahmst?
ob du leise lenktest,
ob du zu mir kamst?

Wolle nie ermessen
was sich hier vermaß:
Heilig ist Vergessen
das sich selbst vergaß.
(S. 219)
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Da die Blumen selig starben
die du an die Brust genommen,
Hauch in Hauch soll es uns frommen
so zu sterben wie sie starben.

Schon verloht wie sie verlohten
wie von fremdem Duft beklommen
küßtest du mich tief verschwommen
wie du küßtest jene toten.
(S. 221)
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So groß ist mein Herz.
Was du tatest,
weißt du es?
Einst liebte ich Blumen
das Lied der Nachtigall.
Ich grüßte Gestirne
und atmete mit den Wäldern.

Was ist das heute?
Ich zittre vor Liebe.

Rosen küß ich ins Herz,
jauchze schluchze mit dir
nächtiger Vogel.
Im nassen Auge
flimmern Gestirne.
Ich bin die Liebe.
Über den Wäldern geh ich dahin,
reiße Berge und Seen,
silberne Wolken,
reiße ein Meer in mein Herz.

Komme, Sehnsucht, bei Nacht
von Schweigen getragen
von Dunkel umdient.
Komme heimlich.
Daß ich mich rette
aus der Liebe der Welt.
Doch wenn es zerspränge -

Allmächtiger Tod!
Mein Herz ist so groß:
Du bist nicht größer.
(S. 222-223)
_____



Gleichung

Soll ich dann nicht mehr sein
wenn ich dir fern bin?
wirst du dann Erde sein
wenn ich ein Stern bin?

Folgst du mir nicht mehr
wenn ich entschwunden?
wenn ich entfesselt schon
bist du gebunden? -

Leben und Tod ist nur
gleiches Berauschen.
Sterne und Erde sind
nicht mehr zu tauschen.

Sterb ich dir heute nicht
sterb ich dir morgen:
Schwebend im Gleich des All
sind wir geborgen.
(S. 227)
_____



Sonette der Verschmähten

1.
Darf einer dies mein Antlitz, das im Schmerze
verschmäht zu sein in meiner Hände Meer
sich weinend stürzte, wie zu schlechtem Scherze
aufrichten neu zu Lächeln und Begehr?

Darf einer mich, die umgestürzte Kerze
die zum Erlöschen sich geneigt, so sehr
noch lieben daß sein eignes Herze
er ihr verbrennt? O kehr dich ab, o kehr

dich von mir ab, wenn du noch lächeln willst,
wenn du noch glühen willst in jungem Brennen
und du verflucht nicht bist nie zu erkennen

was Liebe ist! - Der du von Leben quillst:
du kannst mich nicht von meinem Tode trennen.
Zu still bin ich daß du mich lebend stillst.
(S. 228)


2.
Dunkler Tod: - umschließt mich wieder, ihr Hände!
Tränen brauchen mich nicht noch zu ertränken.
Nichts bin ich. - Es spült um verlassene Lände
nur ein Leib mit kalten schweren Gelenken.

Törichter Leib! Was stößt du noch gegen die Wände
einer verschloßnen Welt wo sich liebend verschränken
Menschen mit Menschen! Daß sie dich noch einmal schände?
Tiefe des Grauens - vermag sie mich nicht zu versenken?

Muß ich schon wieder lockender Stimme lauschen?
- süßer Stimme! o süß weil sie ruft die Glücklose.
Weh! Das Unmögliche ruft um mich zu berauschen.

Wie soll die Blume entblättert im wilden Gekose
anderer Sonne nun zarter erblühn? - Die Rose
wird mit den Hagebutten des Herbstes nicht tauschen.
(S. 229)


3.
O Schmerz, ich glaubte dir du seist mir treu
und würdest ewig sein. Ich war bereit
für deine große stille Ewigkeit.
So fern war ich schon jenseits Wunsch und Reu.

Und einer kommt und alles ist wie neu
und jung und gut und wie vor alter Zeit.
Weil er nur ist ist alles frei und weit
und alles froh weil er nur sagte: Freu

dich wieder. - O mein Schmerz, ich stehe nackt
und ohne Wehr im Sturme seiner Nähe.
Komm, rette mich! Es hat mich angepackt.

Ich sehe ihn als ob ich nichts mehr sähe.
Es überströmt mich wie ein Katarakt
und ist doch süß in seiner großen Jähe.
(S. 230)


4.
Mich zu beglücken hob sein Lid er sanft,
mich zu befrieden gab er seine Lippen
kaum wie den Trank den Kelchen die am Ranft
der toten Weiher kühle Wasser nippen -

Bin ich so fremd daß er wie einen Gast
mich in sein Leben eingehn heißt und wieder
hinausgehn läßt und schon als halbe Last
vergessen wird eh noch die Nacht sinkt nieder? -

O Nicht! o süßes Wehren! seliges Nein!
die nun aus stummer Augen Tiefe steigen:
o Liebkosung, Befriedung, Brot und Wein.

Ich fühle bebend den gehemmten Strom
in seinem Beben. Überm heiligen Schweigen
zitternder Leiber steigt der Liebe Dom.
(S. 231)


5.
Soll ich glauben mir daß ich es bin
die er weckt und aus dem Grabe löste?
Seine Hand hob zärtlich kaum mein Kinn
daß mein Auge sich in seinem tröste.

Und schon zittert in der fremden Macht
seiner Liebe er der nie gezittert.
Er erschauert der mein Herz bewacht
nun vom letzten Heiligsten umwittert.

Der da stand noch männlichsten Gewichts
knieet nun vor meinem Leib der - nichts
eben noch als ein Gefäß des Schmerzes -

aufersteht als Rächer des Gerichts.
Doch im Schatten meines Angesichts
schlägt sein Herz an meinem - und ich herz' es.
(S. 232)


6.
O daß nun Freude ist was mich zerbrach!
Daß Jubel ist was gestern noch als Schmach
verhüllt sich in ein wehes Herz verbarg!
Daß Tempel ist was eben noch war Sarg!

Daß ich dem Schmerz der Tage lächle nach
wie man sich Kindliches verzeiht! Daß brach
ich bin für Schmerz die so viel Schmerzen barg.
Es ist zu reich was ist. Ich bin zu karg.

Und all dies ist weil er es so begehrte;
weil er in Liebe mir den Tod verkehrte;
weil seines Herzens Glut den Funken wahrt.

Wie stark ist dieses Herz daß es gebietet
der Liebe und dem Tod und beide nietet
in einem Leib -: wie stark ist es - und zart.
(S. 233)


7.
Die zu weihen liebend er gedacht hat
hebend sie vom Grund mit guten Händen:
niemals werden nun die Brände enden
in dem Leib den sehnend er entfacht hat.

Von den Stürmen meines Glücks umfangen
steh ich taumelnd in den heiligen Flammen
seiner Küsse und in eins zusammen
stürzt die Weihe, stürzt das Neu-Verlangen.

Die in Scham und Schmach so tief verwirrt ist,
die in seinem Kuß so tief verirrt ist
wie in Ewiges -: ich brenne dehne

mich zu endlosem Sich-ihm-Verschwenden.
Wie soll dies Unendliche je enden
da ich ewig ihn unendlich sehne?
(S. 234)


8.
O ihr Blumen, lehrt mich blühen
die ihr scheu zum Lichte drängt
daß mich nicht im Kaumerglühen
erster Schrei des Kelchs zersprengt.

Ein ohnmächtig Keuschbemühen
flammt dem Kusse beigemengt
da schon bebend mich in frühen
Schaudern fremde Glut versengt.

Er nur kühlt mich - zart umnachtend
zart umschattend die verschmachtend
ihm verging und ihm verglüht,

und aus tief verwehten Wächten
blühe ich in Tag und Nächten
hin für ihn wie ihr erblüht.
(S. 235)


9.
Über mein Lächeln geneigt
geh ich durch sterbenden Park.
Sehnsucht die irrende schweigt:
Nur noch die Liebe ist stark.

In meiner süßesten Gruft
in meinem heimlichsten Mark
ruht noch von Küssen ein Duft
wie von dem Sommer im Park.

Weil mich die Liebe verstieß
darf ich in seiner nun ruhn
selig ein keimender Kern.

Wenn auch sein Arm mich entließ
hält mich sein Atem doch nun
wie eine Sonne den Stern.
(S. 236)


10.
Einst war ich nur ein ungetanzter Tanz,
ein nie gesungen Lied, erstickter Klang
und halber Atemzug. O weher Kranz
den man auf meine junge Stirne zwang.

Nun bin ich alles: Tanz und Klang und Sinn
und tiefer Atem, Lied das froh sich hebt;
und weiß: ich bin durch ihn nur was ich bin
und starb um dies und hab um dies gelebt.

Mit solchen Kronen krönt er mein Geschick.
Er ist durch sich. Ich kann nicht gleiches geben.
Doch wenn ich einst, noch flammenden Gesichts,

mir auch gestehen müßte daß ich nichts
ihm war als nur ein flücht'ger Augenblick -
er war ja doch mein ganzes junges Leben.
(S. 237)


11.
Unzerstörbar steigt das Vergängliche auf.
Ohne Trauer fällt die Fontäne zum Spiegel
den sie aufjauchzend verließ; und der Ewigkeit Siegel
ruht auf allem was blüht in sich endendem Lauf.

Lerchengesang und fliehender Vögel Heer
Löwen so fern und nächtiger Eulenschrei
lassen mich nicht und kommen und gehen vorbei
voll des Ewigen und des Vergänglichen leer.

Voller glühen die Tage. In Nächten verweht
nicht der Abschied des Lichts. In Lächeln nur weinen
Augen noch heimlich der Tränen die sie vergossen.

Er der Niegekommene kam. Und er geht
leicht um wiederzukehren: daß in dem einen
Selig-Umarmen sei das Vergehen beschlossen.
(S. 239)
_____



Nordische Kalypso

Wo sie die Liebe vergibt
und sich vergibt daß sie liebt
wird sich die Göttin ergeben -
darf ich mein Stück für sie leben.

In ihr verschwiegnes Bereich
warf mich die Welle herauf
um zu erfüllen mein Los:

Tod und Liebe sind gleich.
Tod und Liebe sind groß.
Tod und Liebe stehn auf.
Liebe gebietet dem Tod.
(S. 239)
_____



Schon wird was eng uns umzirkt
heilig in schweigendem Gruß;
schon immortellendurchwirkt
küßt ihr die Wiese den Fuß.

Ich aber küßte ihr Herz
geradwegs von Lippe zum Grund
und von der sonnigen Brust
kehrte ich aufwärts zum Mund.

Tiere im letzten Gebusch
regten nicht Wimper noch Lid
und keines Vogels Gehusch
heilig Umarmen verriet.

Tief von der Liebe verschönt
steiget die Göttin zum Meer
daß sie sich sühnend versöhnt -
Rosen des Lichts um sie her.
(S. 240)
_____



Mein ist die Göttin -
Wer hier landet und
scheuen Fußes
heilige Insel umschreitet
ahnt die Verschwiegene nicht.

Mein ist die Göttin
salzig von Flut
eingewühlt zwischen Muscheln
trunken von Schlaf
in der Sonne des Sands
nackt im gebräunten
Marmor des Fleischs.

Mein ist die Göttin
zwischen den Hügeln
zwischen Gestrüpp des Dornbuschs
zwischen den Rindern der Herde

zwischen den Wogen der Brandung
drunten am Steilhang,
zwischen den schillernden
fliehenden Wellengewändern
feuchten Gestades.

Mein ist die Göttin
über unendlichen Tiefen
zwischen Medusen
steigend und fallend
um ihre leuchtende Brust.
(S. 241-242)
_____



Ich bin ein Mensch - in Licht getaucht -
und ewig stehet meine Welt,
und Menschen rühmen mich
und wissen wer ich bin
und folgen meinem Wort
und leben von dem Worte meines Munds.

Mein Wort ist ewig -
- und doch würfe ich
dahin was menschlich ist
und würfe hin den Ruhm der Welt,
ich würfe selbst das Wort
hinweg was dich besingt,

um einmal aufzuragen als
ein unverstandner Gott,
den Menschen fern
- doch dir schon Gott -
zu dir, der Göttin,
überm Duft
des Thymian dieser Insel.
(S. 243)
_____



Ihr Haar strähnt der Regen
ihr Haar wellt das Meer.
Es ziehen Wogenkämme
die Scheitel um sie her.
Ihre Haut färbt die Sonne
ihre Haut salbt die Nacht.
Die Tage gehn dienend
und sind ihr vermacht.

Sternbilder umschwingen die Hüften.
Orion gürtet sie.
Die königlichen Tauben
umgurren ihre Knie.
Traumlöwen gehn zu paar
in ihre Hand geschmiegt.
Der Grund erbebt in Schauern
von ihrem Schritt gewiegt.

Die Wimpern werfen Schatten
wie Leuchttürme Licht
und Nord und Süd ermatten
vor ihrem Gesicht.

Es badet sie das Blaue
des Raumes über ihr
und ihre Herrschaft jauchzt
in ihrer Liebe mir.
(S. 244)
_____



Steht ein Gott in mir auf?
Sie duftet nach Meer -
oder duftet das Meer nach ihr?
Mich rührte sie an
als im Schlaf sie mich traf:
nun dufte auch ich nach dem Meer.

Kalypso ist groß.
Wer sterblich ist
der sterbe um sie
wie die Muschel am Strand
zu ihren Füßen zerschellt.

Doch ein Gott steht in mir
- für sie in mir auf.
Sie wußte ja, ach!
von meiner Unsterblichkeit nichts.

Ich lebe um sie.
Ich lebe durch sie.
Sie soll es wissen:
So lange ich liebe
sterbe ich nicht.
(S. 246)
_____



Wer der Insel verfiel
ist auch der Göttin verfallen:
das ist ihr köstlichstes Spiel.

Aber dem einen beschert
sie in heimlicher Liebe
was sie den andern verwehrt.

Denn sie führt alle am Seil
süßester Narrheit. Und jeder
glaubt, ihm würde sein Teil.

Ohriges Eselsgetier,
wallender Dornbusch, die Wellen
gaukeln in ihrem Revier.

Wo sich die Gottheit verschweigt
ist noch mit Blindheit geschlagen
selbst wer ihr Lager besteigt.

Doch den sie heimlich erwählt
der darf im Glanze sie schauen,
ist ihrem Glanze vermählt.
(S. 247)
_____



Wie eine Silberpappel überlief
Wind der menschlichen Berührung ihren Leib
der im Laube seiner Nacktheit schlief.

Im Mark der Göttin regte sich das Weib. -
Scheu im Erzittern des Erwachens rief
göttlicher Körper: Geh! und sehnend Auge: Bleib!
(S. 248)
_____



All die schöne Gewandung
ihrer Unschuld zerriß
nur noch der seligen Brandung
atmender Brüste gewiß.

Als sie der Liebe erglühte
wie erweckt aus dem Grab
und die geöffnete Blüte
ihrer Lippen vergab:

Fernab verrauschten die Wogen.
Fernab hielt stille die Zeit.
Weit nur um uns gezogen
Meere der Ewigkeit.

Hoch standen wir auf den Zinnen
eines unendlichen Tags
und ich spürte tief innen
Herzkraft nie endenden Schlags.
(S. 249)
_____



Daß sie ewig Göttin sei
will ich sie erheben.
Daß sie mir Geliebte sei
hat sie sich ergeben.

Ziehn die Schiffer scheu und fern
ihrem Land vorüber
Sonne über sich und Stern
zieht sie mich hernieder.
(S. 250)
_____



Auf der Klippe steht sie aufgerichtet,
nimmer wankend, göttlich - wie ein Turm,
meerumrauscht, von Göttlichkeit beschwichtet.
Doch in ihren Brüsten - welch ein Sturm.
(S. 250)
_____



Letztes Bewahren entfloh.
Ich bin ein Mann - und ich liebe.

Allen Gefahren geweiht
suchte ich neue Gefahren.
Aber auf einfachem Strand
zwischen den kleinen Blumen
traf mich das Schicksal - ich liebe.

Ich der verschlossenste Held
kann mein Geheimnis nicht wahren.
Wo verbarg ich es noch?
Ich bin ein Mann - und ich liebe.

Wellen tragen es fort.
Vögel wissen es schon.
Der Himmel hat es gesehn,
Erde hat es getrunken,
mein Geheimnis - ich liebe.

Wenn ich es niemand verriet:
Wiesen duften davon,
Boden des Waldes, die trocknen
Nadeln der Kiefern am Hang -
alles verrät mich - ich liebe.


Ausgeliefert bin ich.
Schon mir selber entrissen
bricht es siegend hervor.
Und in seligen Worten
steht es geschrieben - ich liebe.
(S. 251)
_____



Stürzt, meine Liebeswogen! stürzt den türmenden
Gestaden an vom Meer, das euch nur scharte
um zu vergehn.

Wehren wird sie nicht den liebend Stürmenden;
ist sie doch die überwindend Zarte
sie zu bestehn.
(S. 252)
_____



Ihrer Haare dunkle Schlingen -
lassen sie mich jemals frei?
Doch es soll ihr nicht gelingen
daß ich ganz gefangen sei.

Liebgefesselt überwinde
ich die mächtigste Gestalt.
Und die Gottheit wird gelinde
und die Liebe wird Gewalt -

Wird Gewalt die mir sie bindet.
Alle Zärtlichkeit wird Spott.
Unterworfen überwindet
Mensch und Göttin nun der Gott.
(S. 253)
_____



Seit ich von ihrem göttlichen Fleische genossen
bin ich von Gottheit süß vergiftet.
Rings von göttlichen Zeichen bin ich umschriftet.
Göttlich Unsterbliches ist in mich übergeflossen.

Unzerstörbar kreist in den Adern des Mannes
nun der Tropfen Blut aus dem Bogen
stolzester Lippen in durstendem Bisse gesogen:
Gift der Unsterblichkeit - wie eine Wohltat zerrann es.
(S. 254)
_____



Aus den Wellen, aus dem Meer, dem rauschenden
in die Liebkosung des Strands zurückzusinken
liebst du - um im liebelauschenden
Innern deines Herzens selig zu ertrinken.
(S. 255)
_____



Dein ist das Erwachen
deiner Liebe Auferstehn
in das große Lachen
eines neuen Tags.

Breite deine Arme
aus in deiner Winde Wehn
daß auch dich umwarme
aller Glanz des Tags.
(S. 255)
_____



Manchmal aus einsamer Traumfahrt
fahre ich auf:
Es regt sich Ulysses.
Dann schreit sein Jammer nach dir -
schreit nach der Göttin
furchtbar vernehmlich.

Doch keiner hört ihn.
Das Leben geht weiter.
So lautlos stirbt
der Schrei eines Helden.
(S. 256)
_____



Auf hoher Insel
steh ich alleine.
Düne und Steine
sind nicht zu befragen.
Ewig zerrinnen
Wellen und Sand.

Aber die Göttin
liebender Nächte
tröstet den Frager
und in der Seele
öffnet sie innen
Hafen und Land.
(S. 257)
_____



Sie macht das Schwere leicht
und Allzuleichtes beschwert sie.

Alles erhält ein süßes Gewicht
zu ewigem Bleiben - doch ohne Beschwer.
(S. 257)
_____



Wo groß das Weite ist
das Große weit,
wo Meere in erhabner Einfachheit
in Meere schreiten um sich zu genügen -
da stand die Göttin in den Sternenflügen
der hellen Nächte - und Ulyß bei ihr.

Und was sie war das stand weithin vor ihr.
Sie war es selbst worauf ihr Auge fiel:
in alle Meere eingesenkt,
in alle Sterne eingetaucht
und unter sich die Welt -

im göttlichen Begehren
sich endlos zu gehören.

Da rührte sie Ulyß und teilte ihm
in eingeborner Macht die Göttlichkeit
- in gleicher Richtung seine Blicke wendend

"Dort schaue mich - in Gleichem mir zu gleichen."
Und es vergingen Göttin und der Held
um im Vergehen ganz sich zu erreichen.
(S. 258)
_____



Einst nach Umarmungen
sind wir uns ferne.
Einst nach Erwarmungen
sind wir wohl Sterne.

In die verwobenen
Bahnen gebahnt:
wir, die Erhobenen
werden geahnt:

"Dort die Erbarmende -
das ist Kalypso."
"Dort der Umarmende -
das ist Ulyß."
(S. 259)
_____



Sie zu lieben -! Welches Schicksal
ist in der Liebe den Menschen bereitet!

Dies war Ogygia -
aber Ogygia
ist es nicht mehr.
Mit fliehendem Mast
und verlangendem Segel
im Hafen das Schiff
schreit nach der Fahrt.

Taub ist alle Gewalt
- außer der Liebe -
und blind das Leben der Menschen.
Wogen des Schicksals
entführen den Mann
wie Wogen des Meers.

Ogygia versinkt -
und doch war Ogygia.
Kalypso liebte und wurde geliebt.
Seine unsterbliche Liebe
trägt Ulysses hinweg.

Es träumen aber die Götter
die großen Träume.
So träumte die Göttin:
sie träumte den Sohn ihrer Liebe,
den Sohn mit dem sterblichen Mann.

Dem Blut ihres Herzens entsprungen,
aus Wünschen geformt,
aus Göttlichem ringsum gebildet
das einem Sterblichen
zugedacht wird von Göttern,
von mannlichem Geiste gezeugt,
mit göttlichem Blut in menschlichen Adern,
liebend getragen unter dem Herzen
einer unendlichen Liebe,

sie bezeugend,
der Welt gehörig
als Sohn eines Mannes
den eine Göttin geliebt.
(S. 260-261)
_____



Liebeskalender

Eine Frau bat einmal ihren Geliebten ihr von einem Wege
in die Stadt eine Schachtel Konfekt mit nachhause zu bringen.
Dem Mann gefiel der Wunsch der Frau nicht:
seine Erfüllung erschien ihm zu gering. Er ging.
Aber statt einer Schachtel Konfekt brachte er
der Geliebten einen Kalender mit auf dessen
erstes dem Januar gewidmetes Blatt er ein paar
Verse schrieb, die man auf der folgenden Seite lesen kann.
Die Frau lächelte. Ihr behagte die Huldigung
und der Mann setzte in der Folge des Jahres für
jeden Monat um ihres Lächelns willen ein Gedicht
auf die weißen Seiten.


Januar
Wenn du einmal satt der Liebe bist
will ich gern dich mit Konfekt versöhnen.
Doch so lange du die Einzig-Liebe bist
will ich dich nicht mit Konfekt verhöhnen.

Weißt du nicht daß Liebe süßer ist? -
süßer als mit Süßem dich verwöhnen.
Wenn Konfekt der Liebebüßer ist
wird dich Liebe auch nicht mehr verschönen.
(S. 263)


Februar
Ist auch der kürzeste Mond
für deine Liebe nicht lang:
wo sie sich selber belohnt
sei um die Liebe nicht bang.

Spute dich! Küsse! dich zwingt
fliehend der kürzeste Mond.
Wie uns die Liebe verjüngt
hat sich dein Eifer belohnt.
(S. 263)


März
Junger Frühling, komm und hilf
sie, die Junge, zu umlieben.
Flüsterst du in Gras und Schilf,
hör ihr Ohr geflüstert Lieben.

Mit dem Mund voll jungen Küssen
mit dem Blühn vor ihren Füßen
mit dem Glanz in ihren Augen
soll sie lieben - uns zu taugen.
(S. 264)


April
April! April! - Das Wetter narrt
den der ihm vertraut.
April! April! Der Bräutigam harrt
schwankend auf die Braut.

Ist der Monat wetterwendig
- uns ist's einerlei.
Liebe ist aprilbeständig
- und dann kommt der Mai.
(S. 264)


Mai
Über dir im Blau -
horch: die Lerche lacht.
Leib zu Licht gemacht,
Licht und Leib Gesang.

Taumel faßt dich an
schaust du hell empor.
Trunken Aug und Ohr -
trunken tief vom Mai.

Tut er dir Gewalt?
Schwankst in meinen Arm
daß sich dein erbarm
über dir der Raum.

Horch! Die Lerche lacht:
Alles Hell ist dein.
Doch das Hellste mein:
Deiner Jugend Tag.
(S. 265)


Juni
Wohin steigt er - unserer Liebe verliebter Kalender?
Auf zur Höhe des Jahrs mit der steigenden Sonne.

Lassen wollen wir auch die Erde nicht
wenn sie sich sonnab wendet in ihrem Laufe.
Aber wir werden ihr doch nur zögernd folgen
mit dem großen Vorrat unserer Sommer.
(S. 266)


Juli
Das Lied des hohen Sommers
vom Reifen schwellt das Herz.
Was frommt des späten Kommers
nachzüglerischer Schmerz?

Daß tiefer uns ergreife
des Lebens Glut vom Grund
singt sich das Lied der Reife
von selbst in unsern Mund.

Entfliehe nicht dir selber.
Laß aller Zeit den Flug.
Reif' mit dem Korn der Felder.
Des Blühens war genug.
(S. 266)


August
Ernster August! Versengst du
mit dörrenden Stürmen die Liebe?
Brechen Wellen des Meers
ein in die Müde der Augen?

Zittert das Licht aus zu hoher
Wölbung des Äthers?
oder wehrt sich das Herz
übermächtiger Glut?

Nun sind die Felder geleert.
Die Wälder verdunkeln.
Lichter süßer und liebender
hat uns der Mai einst umarmt.

Wehre dich, Herz!
Sammle das Süße in dir.
Sammle es heimlich zum Süßesten.

Jetzt reift die süßeste blutend -
reift die Brombeere
unter dem Dornengerank.
(S. 267)


September
Trunken steht nun der Baum.
Rundum gestützt trägt sein Schoß
tausend Früchte des Jahrs.
Liebe des Sommers war groß.

Tropft auch der Seim aus der Frucht,
klopft auch der Apfel ins Gras -
keine des Blühens im Mai,
keiner der Liebe vergaß.

Reife, reife auch du,
Liebe, in uns wie der Saft
der in der reifenden Frucht
Keim neuen Lebens erschafft.
(S. 268)


Oktober
Großes Jahr! In jedem Faß
schwillt der Wein zu süßer Schwere.
Herbst berauscht ohn Unterlaß
wo ich liebe und begehre.

Weiß ich noch von Lieb und Haß
wenn ich herbstlich so sie büße?
Licht! Oh, Licht wird niemals blaß
wo ich liebe, wo ich grüße.
(S. 269)


November
Ergreife meine Hand.
Das Dunkel bricht herein.
Das Dunkel ist zu zwein
nur halb so groß, das Grau
nur halb so grau.

Wo bist du die mich liebt?
Die Nächte wachsen schnell.
Mach sie die Liebe hell!
Und Nacht ist Nichtnacht, Grau
ist nicht mehr Grau.
(S. 269)


Dezember
In kurzen Tagen sacht,
durch langer Nächte Macht
wird still zum End gebracht
jährliche Bahn.

Doch Liebe endet nicht.
Noch in der Dunkelschicht
sucht sie das neue Licht -
hebt neu sie an.
(S. 270)
_____



Morgendliche Trennung

Dämmerung. Frühgrau. Es tropfen die Bäume.
Tief duftet die Welt von der Liebe der Nacht.
Noch schaust du mir nach von der Pforte des Gartens.
Doch da ich mich wende verschlingt dich das Grau.

O heimliche Morgen der wahrhaft Geliebten.
O tieferer Duft deiner Liebe in mir.
Ich gehe dahin so leicht wie ein Seliger.
Mein Atem ist süß und mein Auge so weit.

Schon schweben die Adler besonnt in der Reine:
So ende denn Nacht! so beginne denn Tag!
Ich will deine Liebe dem Morgen zutragen
und ewigen Tagen - der Liebe nicht müd.
(S. 271)
_____


Aus: Rudolf G. Binding Die Gedichte Gesamtausgabe
Rütten & Loening Verlag Potsdam 1937
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_G._Binding


 

 


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