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      Wolfgang Borchert  
      (1921-1947) 
       
       
      Inhaltsverzeichnis der Gedichte: 
  
      
       
       
       
       
      Der Kuß 
       
      Es regnet - doch sie merkt es kaum, 
      weil noch ihr Herz vor Glück erzittert: 
      Im Kuß versank die Welt im Traum. 
      Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert 
       
      und so verächtlich hochgeschoben, 
      als wären ihre Knie für alle da. 
      Ein Regentropfen, der zu Nichts zerstoben, 
      der hat gesehn, was niemand sonst noch sah. 
       
      So tief hat sie noch nie gefühlt - 
      so sinnlos selig müssen Tiere sein! 
      Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt - 
      Laternen spinnen sich drin ein. 
      (S. 15) 
      _____ 
       
       
       
      Aranka 
       
      Ich fühle deine Knie an meinen, 
      und deine krause Nase 
      muß irgendwo in meinem Haare weinen. 
      Du bist wie eine blaue Vase, 
      und deine Hände blühn wie Astern, 
      die schon vom Geben zittern. 
      Wir lächeln beide unter den Gewittern 
      von Liebe, Leid - und Lastern. 
      (S. 16) 
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      Abschied 
       
      Das war ein letzter Kuß am Kai - 
      vorbei. 
       
      Stromabwärts und dem Meere zu 
      fährst du. 
       
      Ein rotes und ein grünes Licht 
      entfernen sich . . . 
      (S. 17) 
      _____ 
       
       
       
      Der Wind und die Rose 
       
      Kleine blasse Rose! 
      Der Wind, von Luv, der lose, 
      der dich zerwühlte, 
      als wär dein Blatt 
      das Kleid von einer Hafenfrau - 
      er kam so wild und kam so grau! 
       
      Vielleicht auch fühlte 
      er sich für Sekunden matt 
      und wollt in deinen dunklen Falten 
      den Atem sanft verhalten. 
      Da hat dein Duft ihn so betört, 
      berauscht, 
      daß er sich bäumt und bauscht 
      und dich vor Lust zerstört, 
      daß er sich noch mit deinem Kusse bläht, 
      wenn er am bangen Gras vorüberweht. 
      (S. 20) 
      _____ 
       
       
       
      Sappho 
       
      Sieh, all Dein Öffnen an das Leben war 
      ein Lieben und ein trunknes Hingegeben. 
      O nimm den Bruder mit vor den Altar! 
      Wie Götter sich die Früchte zueinanderheben, 
       
      so küßt ihr euch. Zu den Plejaden 
      hinlacht die Seligkeit, die ihr beginnt. 
      Nun lösen Kleider sich an den Gestaden, 
      und Meer um schmale, weiße Brüste rinnt. 
       
      Hell perlend aus den kühlen Wellen 
      steigt auf ein Singen: Liebeslieder! 
      Und Düfte zart von euren Leibern quellen - 
      O küßt, Ihr Töchter, Sapphos schöne Glieder! 
       
      Da schreitest Du, O Göttin, selig hin - 
      geliebt und liebend - und hast allen Sinn. 
      (S. 435) 
      _____ 
       
       
       
      Chinesisches Liebesgedicht 
       
      Im Kleinen lächelt uns 
      die große Weisheit an. 
       
      Deshalb - O Tschau gei yen - 
      kam ich zu Dir. 
       
      Du bist wie Atem 
      einer Orchidee . . . 
       
       
      Tschau-gey-yen 
      war eine kleine Göttin, 
      die so zart und graziös war, 
      daß sie auf einer flachen Hand 
      tanzen konnte. (S. 
      436) 
      _____ 
       
       
       
      Sommerabend 
       
      Sommersüß 
      duftende Linde 
      flüstert dies 
      in träumende Winde: 
       
      Abend voll Glocken 
      wehet wie Hauch 
      um seidige Locken - 
      heimlich im Strauch. 
       
      Wir saßen beide 
      in schwankenden Dolden, 
      der Sonne Geschmeide 
      umkoste uns golden . . . 
      (S. 438) 
      _____ 
       
       
       
      Don Juan 
       
      Sieh, mein Auge ist noch dunkelfarben 
      vom Liebesleid der letzten Nacht, 
      von den Träumen, die am Morgen starben, 
      darin leise die Geliebte lacht. 
       
      Immer sind es doch die gleichen Stunden, 
      wo die Herzen sich noch scheu ertasten - 
      wenn wir dann erkennend uns gefunden, 
      bleibt mir nur ein stummes Weiterhasten! 
       
      Zugedeckt mit einem weichen Tuche 
      möcht ich meine tiefsten Schmerzen haben - 
      wo ich Gottes weite Seele suche, 
      sind wir Menschen, die im Spiel sich gaben. 
       
      Und die Lippen formen still ein Flehen 
      um ein endlich Auferstehen. 
      (S. 456) 
      _____ 
       
       
       
      Nachts 
       
      Meine Seele ist wie eine Straßenlaterne. 
      Wenn es Nacht wird und die Sterne 
      aufgehn, beginnt sie zu sein. 
      Mit zitterndem Schein 
      tastet sie durchs Dunkel, 
      verliebt wie die Katzen 
      auf nächtlichen Dächern, mit grünem Gefunkel 
      in den Augen. Menschen und Spatzen 
      schlafen. 
      Nur die Schiffe schwanken im Hafen. 
       
      Hebt der Mond sich über den Rand 
      von einem Kirchendache, 
      ist in meinen Augen 
      knisternd ein Streichholz aufgeflammt, 
      und ich lachen. 
       
      Regen rinnt - 
      bei mir sind 
      nur mein Schatten und der Wind. 
      Und meine Hände haben noch den Duft 
      von irgendeinem schönen Kind. 
      (S. 478) 
      _____ 
       
       
       
      Liebeslied 
       
      Weil nun die Nacht kommt, 
      bleib ich bei dir. 
      Was ich dir sein kann, 
      gebe ich dir! 
       
      Frage mich niemals: 
      woher und wohin - 
      nimm meine Liebe, 
      nimm mich ganz hin! 
       
      Sei eine Nacht lang 
      zärtlich zu mir. 
      Denn eine Nacht nur 
      bleib ich bei dir. 
      (S. 480) 
      _____ 
       
       
       
      Liebesgedicht 
       
      Du warst die Blume Makellos 
      und ich war wild und wach. 
      Als deine Iris überfloß, 
      da gabst du gebend nach. 
       
      Ich war die Blume Schmerzenlos 
      in deinem lichten Duft. 
      Wir schenkten uns aus Grenzenlos, 
      aus Erde, Leid und Gruft. 
       
      Da wuchs die Blume Morgenrot 
      an unserer Nächte Saum. 
      Wir litten eine süße Not 
      um einen süßen Traum. 
      (S. 481) 
      _____ 
       
       
       
      Abschied 
       
      Laß mir deinen Rosenmund 
      noch für einen Kuß. 
      Draußen weiß ein ferner Hund, 
      daß ich weiter muß. 
       
      Laß mir deinen hellen Schoß 
      noch für ein Gebet. 
      Mach mich aller Schmerzen los! 
      - horch, der Seewind weht. 
       
      Laß mir noch dein weiches Haar 
      schnell für diesen Traum: 
      Daß dein Lieben Liebe war - 
      laß mir diesen Traum! 
      (S. 482) 
      _____ 
       
       
       
      An Dich 
       
      Ich gebe Dir mein dunkles Herz - 
      Du gibst Dein helles mir zurück. 
      Ich geb Dir Leid und geb Dir Schmerz - 
      Du gibst mir Glück. 
       
      Ich liebe Dich und tu Dir weh 
      mit jedem Blick. 
      Du aber gibst das Leid 
      als Lust zurück. 
       
      Ich gebe Dir nur Halbes hin 
      von meinem flüchtigen Geschick. 
      Du gibst wie eine Königin 
      und schenkst Dich ganz zurück. 
      (S. 484) 
      _____ 
       
       
       
      Abend 
       
      Ein Pendel schwingt. 
      Die Lampe blinkt. 
      Im feuchten Meerwind singt 
      verliebt ein Nachtinsekt. 
      Von keinem Laut erschreckt 
      singt auch mein Herz. 
      (S. 485) 
      _____ 
       
       
      Aus: Wolfgang 
      Borchert Das Gesamtwerk 
      Herausgegeben von Michael Töteberg unter Mitarbeit 
      von Irmgard Schindler 
      Rowohlt Verlag Reinberg bei Hamburg 2007 
  
      
       
       
      Biographie: 
       
      
      https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Borchert 
        
       
       
         
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