Friedrich Bouterwek (1766-1828) - Liebesgedichte

Friedrich Bouterwek



Friedrich Bouterwek
(1766-1828)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



Liebe ohne Hoffung

Wer nicht dann noch lieben kann,
Wenn die Hoffnungen verwehen,
Schwingt sich zu den Himmelshöhen
Wahrer Liebe nie hinan.

Herzen, die das Glück besticht,
Folgen nur verwöhntem Triebe,
Lieben nur den Preis der Liebe,
Lieben die Geliebte nicht.

Liebe trägt sich selbst, und hält
Ihren Fittich unter Blitzen,
In sich fest und ohne Stützen,
Wie des Himmels Sternenwelt.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 43)
_____



Philosophie der Liebe

Mag, wer will, ergrübeln und erklären,
Was das Herzensräthsel, Liebe, sey.
Nennt es blinde Sinnenschwärmerey!
Nennt es einen Flug in höh're Sphären!

Ist es dieß: so will ich gern entbehren,
Was ihr wißt. Ich misse nichts dabey.
Ist es jenes; o so mag der May
Dieses Wunderhimmels ewig währen.

Hört, ihr Weisen, was ihr noch nicht wißt!
Wallen Seelen in einander über,
Ist's nicht Eine, die ihr Glück ermißt.

Aber wenn mein Mund ein leises: "Lieber!"
Psychens Munde schwärmerisch entküßt,
Wissen Wir, was Lieb' und Himmel ist.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 51)
_____



Die Dämmerungsfeyer

Das war ein Kuß!  Mit Jahren, freudenlos
Und düster, würd' ich ihn nicht theuer büßen,
Ich saß im Dämmerlicht zu ihren Füßen,
Und drückte mein Gesicht in ihren Schooß.

Wie ward in meiner Brust mein Herz so groß!
So fühlte sich vielleicht, als ihn die süßen
Erscheinungen zum Gott sich träumen ließen,
Endymion auf seinem Schlummermoos.

Sie spielte still mit meinen wüsten Locken.
Ich drückte meinen Arm um ihre Knie',
Und sah empor, begeistert und erschrocken.

Ich fragt' ihr Aug', und Psyche, Psyche, sie,
Sie senkte sich auf meine Lippen nieder,
Und Arm' in Armen fanden wir uns wieder.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 52)
_____



Nach der Trennung

Allein, im Kampf mit unsichtbaren Mächten,
Erblick' ich mich. Verhaßtes Selbstgefühl!
Ich sehe Licht in kalten Mitternächten,
Und bin im Sturm der Elemente Spiel.

Was ringst du, müder Geist, mit kühnem Flügel
Nach jenen Höhen, wo die Wahrheit siegt?
Dich hält das Schicksal unter Schloß und Riegel.
Du ringst umsonst, und deine Kraft erliegt.

D'rum schäme dich nicht weiter deiner Thränen!
Die rette dir! und weine, weil du bist!
Und gönn' es dir, im schönen Traum zu wähnen,
Daß Liebe, wie die Wahrheit, ewig ist.

Durch Liebe strahlt ein Gott aus allen Sternen,
Auch wenn die Hand des Todes dich ergreift.
O, müder Geist, wenn wirst du leichter lernen,
Wie liebend auch der Mensch zum Gotte reift?

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 55)
_____



Ergebung

Wirklich, wirklich, bist du schon verschwunden,
Meines Lebens holder, schöner May?
Eh' ich noch mir einen Kranz gewunden,
Ist die Zeit der Blumen schon vorbey?

War es das, was ich von Liebe träumte?
Als ich in der Hoffnung Morgenstrahl
Jedes Pflänzchen pflegte, wie es keimte,
War ich glücklich, ach! zum letzten Mahl.

Laß doch, Herz, dein ungestümes Pochen!
Lächle ruhig, trauerndes Gesicht!
Blumen, wie wir sie im Traum gebrochen,
Solche Blumen blüh'n auf Erden nicht.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 56)
_____



An die Muse der Liebe

Was singst du mich mit Zauber-Melodien
In neuen Schlummer ein?
Die Schuld, die Schuld ist dein,
Wenn nun mich alle Lebensfreuden fliehen.
O, laß den Leidenden mit seinem Schmerz allein!

Bestreue mit zerriss'nen Rosenblättern
Des Müden Lager nicht!
Der Wahrheit ernste Pflicht
Verbiethet ihm, ein Traumbild zu vergöttern.
Vom Himmel glänzt ihm nun ein reines mild'res Licht.

Aus diesem Himmelslichte strömt dem Müden
Die letzte Wollust zu.
O, gönn' ihm seine Ruh',
Und seines Herzens schwer errung'nen Frieden!
Der Wahrheit, die er liebt, gleichst doch von weiten du.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 57)
_____



Der Kuß

Ein Kuß von meinem Mädchen
Enthebt mich aller Sorgen.
Er ruft den lichten Morgen
Um Mitternacht hervor.
Er zaubert Lilj' und Rose
Aus dürrem Felsenmoose.
Er zaubert mir Palläste
Aus Stroh und Binsenrohr.

Ein Kuß von meinem Mädchen
Macht mich zum ersten Weisen,
Er lehrt mich, wie in Kreisen
Sich Erd' und Himmel küßt.
Er lehrt mich tief empfinden,
Was Grübler nicht ergründen,
Daß diese Welt die beste
Von allen Welten ist.

Ein Kuß von meinem Mädchen
Begeistert mich zum Guten;
Der Sittenlehre Ruthen,
Ach! die begeistern nicht.
Man lernt so leicht durch Lieben
Die schwersten Pflichten üben.
Man übt so gern im Stillen
Der Liebe süße Pflicht.

Mein Mädchen, o mein Mädchen,
Laß keinen Kuß dich reuen!
Denn deine Küsse weihen
Zum Himmel selbst mich ein.
Laß nie, nach eiteln Lehren,
Mich einen Kuß entbehren,
So werd' ich bald, dich küssend,
Wie du, ein Engel seyn.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 76-77)
_____



Der Baum der Liebe

Es wuchs für mich ein Baum empor;
Er hieß der Baum der Liebe.
In seinem Schatten blühte mir
Ein Himmel süßer Zuversicht
Und nahmenloser Freude.

Und dieser Baum, er ist dahin,
Dahin mit Blatt und Blüthe.
Des schwülsten Tages Feuerhauch
Versengte Stamm und Zweig und Laub,
Und jede zarte Knospe.

Die dürre Wurzel klammert sich
Vergebens in den Boden.
Vergebens schießt noch hier und da
Ein jugendlicher Sprößling auf.
Er stirbt nach halbem Leben.

Und ich, wie dacht' ich einst: der Baum
Der Liebe schattet ewig!
Wie oft begoß ich glaubensvoll
Den Boden, wo er stand und wuchs,
Mit meines Auges Thränen!

Mit meines Auges Thränen ist
Verdorrt der Baum der Liebe.
Sie, die voll schöner Zuversicht
Mein Herz in seinem Schatten fand,
Sie sah ihn still verdorren.

Doch, Lina, Lina, wolltest du
Die dürre Wurzel pflegen:
Durchströmt von neuer Lebenskraft
Entsproßt' ihr dann ein neuer Baum,
Ein neuer Baum der Liebe.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 78-79)
_____



Abelard an Heloise
Ein Fragment

Wer hat zuerst von unsern weisen Thoren
Die Hoffnung letzte Trösterinn genannt?
Er hatte Hab' und Gut vielleicht verloren;
Verlust der Liebe hat er nie gekannt.
Mir sprossen, blüh'n und welken keine Blüthen.
Dem Winter folgt der Lenz im Wechselflug;
Mir die verlornen Freuden zu vergüten,
Ist selbst die Ewigkeit nicht reich genug.
Von Nahmen und von Zeichen will ich leben,
Will Heloise rufen früh und spät.
Wenn meine Lippen im Gebethe beben,
So laute Heloise mein Gebeth.
O, Heloise! Spielt um deine Sinne
Ein gleicher Traum beym Nahmen Abelard,
So labe, lab' am nichtigen Gewinne
Den Busen, der auf mehr vergebens harrt.
Und welkt die letzte Ros' auf deiner Wange;
Und ruft der Tod: "Bald hast du ausgebüßt!"
Doch weine, weine Trost dir selbst, so lange
Der Thränen und des Lebens Quelle fließt!

Komm, Himmelsbild! Enthebe dich dem Staube!
Laß mich den Schleyer dir vom Auge zieh'n!
Komm' mit mir in die Nachtigallenlaube,
Wo im geschloss'nen Grün Jasminen blüh'n!
Wie dort die graue Mauer gegen über
Der Epheu still mit tausend Armen herzt!
Wie da die Meise zwitschert, wenn ihr Lieber
In leichten Flügen ihr vorüber scherzt!

Was beth' ich, wenn ich nirgend wieder finde,
Was diese Brust mit voller Gnüge letzt?
Wie? Dieses Seufzen wäre Sünde?
Hat Andacht schon, was ich verlor, ersetzt?
Vergebens sing' ich Chorgesang und Psalme.
Sie lindern nicht den nahmenlosen Schmerz.
Vergebens greif' ich nach des Himmels Palme.
Sie duftet nicht wie meine Ros' in's Herz.
Ein Heiliger weiß nichts von meinem Heile.
Sein Herz ist, wie sein Bild im Tempel, stumm.
Mir gilt von Heloisen eine Zeile
Mehr als ein ganzes Evangelium.

Mein Leben ist nur eine Todesstunde,
Und auf uns Beyde wartet ein Gericht.
Ein Engel kühle meines Herzens Wunde!
Nur heile sie, so lang ich lebe, nicht!
Vereinigt brachen wir im Lebensgarten
Die schönste Frucht verboth'ner Seligkeit.
Vereinigt laß auch sterbend uns erwarten,
Ob der verzeihen kann, der gern verzeiht.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer
(S. 85-87)
_____



Die Schöpfung der Liebe

Sagt, was ist es, daß der Sphären
Wunderbau zusammenhält?
Sagt, was schafft das Reich der Zähren
Zur verschönten Wunderwelt
Was verschwistert Freud' und Schmerzen
Was vereinigt Mein und Dein
Was entrinnt aus vollem Herzen
Oft auf Grab und Leichenstein?

Liebe! Eins und Alles! Liebe!
Du nur, Lebensschöpferinn,
Schufst zum Geist und Weltgetriebe
Sinn in Kraft, und Kraft in Sinn.
Eh die Sonnen Erden hellten,
Eh sich Herz und Herz erkor,
Bildetest den Plan der Welten
Du dem Allvollender vor.

Des Vollenders Athem wehte,
Und die Welten standen da.
Liebe lenkte, Liebe drehte
Ihre Kreise fern und nah.
Fern und nah in lauten Chören
Tönte, was sich hält und zieht,
Und der Rundgesang der Sphären
 War der Liebe Feierlied.

Sonnen und Planeten zogen
Liebend sich magnetisch an.
Liebend fliegen Meereswogen
Gegen Luna himmelan.
Blumen gegen Blumen sandten
Ihres Wesens Nektarduft.
Sonnenstäubchen, die sich kannten,
Suchten sich in dünner Luft.

Sieh, da rauscht' es! sieh, da fühlte,
Was da lebt, sein Lebensband;
Glühte, suchte, was es kühlte;
Fand es an der Freude Hand.
Wie sich da die Sinne tauchten
In der Wollust Feuermeer,
Gluthen fühlten, Gluthen hauchten,
Schien der Kelch der Liebe leer.

Aber der Vollender wehte
Liebehauch zum zweitenmahl,
Und durch alle Sternenbeete
Fuhr ein heller Götterstrahl.
Sanft erbebten alle Wesen,
Mitempfindend, was geschah;
Denn zur bessern Lieb' erlesen,
Stand der Herr der Erde da.

Wunsch um Wunsch, und Lieb' um Liebe
Säuselte die Sympathie.
Keinen Wirbel wilder Triebe,
Seelenwechsel heischte sie.
Leises Fühlen, tiefes Sehnen
Webte durch des Menschen Sinn,
Und in wundersamen Thränen
Floß der Quell der Wonne hin.

Er nur sie, nur sie im Blicke;
Sie nur ihn, den Himmelssohn!
Beide flehten vom Geschicke
Liebe nur zum letzten Lohn.
Da, im nie gehörten Lallen,
Flog der Treue erster Schwur
Durch des Himmels Sternenhallen
Zum Vollender der Natur.

Von des Unerschaffnen Throne
Weht' und wallt' es nun herab:
Lieb' und immer Liebe lohne
Euch, Erkorne, bis an's Grab!
Lieb' im lichten Geisterglanze,
Mit der Treue Hand in Hand,
Deute mit dem Palmenkranze
Hin zum zweiten Vaterland!

Aus: Bouterwek's Miscallaneen I. Band
Berlin bei C. L. Hartmann 1794
(S. 57-61)
_____



Abelard an Heloise

So ist doch auf ewig nicht verloren,
Der Myrtenkranz, den unsre Liebe wand?
So reicht mir aus geweihten Klosterthoren
Die Freude weinend noch einmahl die Hand?
Du liebst mich noch? Am Morgen deines Lebens
Hinabgeschmettert in die Felsenkluft,
Wo ihr zurückgeworfnes Ach! vergebens
Die Andacht zwischen Höll' und Himmel ruft,
Du, die vom ew'gen Untergang zu retten
Vielleicht ein eigner Engel niederstieg,
Du schmiegst dich in die schon zerriß'nen Ketten
Und seufzest weg der Gnade schönen Sieg?
Du liebst mich noch? - Vergebung, Rächer droben!
Es kniet vor dir ein treues Sünderpaar.
Auch mich verräth, wenn gleich mit leiserm Toben,
Ein Herz, das sonst des Heiles würdig war.
Ich sollte schreiend in mich niederschaudern,
Und niederstürzen mit zerknirschtem Sinn;
Und süße Thränen, die im Auge zaudern,
Bekennen, daß ich ein Verstockter bin.
Es säuseln neue Wollustmelodieen
Mit Nachtigallenwirbel um mein Ohr.
Beklommne Rückerinnerungen ziehen
Mein Herz im langen Athemzug empor.
Es wallt und wogt in meines Lebens Tiefen;
Mir glüht die Stirn; mein Innerstes ist wach!
Gefühle, die auf Dornen starr entschliefen,
Erweckt auf Rosen Heloisens Ach!
O könnt' ich - Oh! ich ärmster Selbstverräther! -
Noch such' ich Blumen auf verbotnem Pfad? -
O ich unseligster der Uebelthäter!
Ich bin zu schwach zur schönen Uebelthat.
Ein Andrer kann sich auch im Fallen ehren;
Mir blieb zum letzten, schmerzlichen Gewinn
Auch nicht einmal der Trost, mich zu bekehren;
Denn das Verbrechen ist für mich dahin.
Was frommt dir's im verlornen Paradiese,
Was frommt dir's, hohe Palme, daß du grünst?
Brich nur die Zweige! brich sie, Heloise!
Mein Weigern ist ja doch nicht mein Verdienst.

Uneingedenk der schauerlichen Rüge,
Zu der mein Name Wort und Losung ist,
Hast du, Erkorne, dieses Namens Züge
Statt dessen, der sie niederschrieb, geküßt?
Geküßt im Nachgefühl der Flammenstunde,
Die noch in meinen welken Adern brennt?
Geküßt mit warmen, liebevollem Munde
Das todte Nichts auf kaltem Pergament?
O Schattenspiel verwöhnter Phantasieen!
Erquick' auch den, der selbst nur Schatten ist!
Erquicke den, der nie mit vollem Glühen
Den Kuß der Wechselliebe wiederküßt!
Von Namen und von Zeichen will ich leben,
Will Heloise! rufen früh und spät.
Wenn meine Lippen im Gebete beben,
So laute Heloise! mein Gebet.
Auf jedes weiße Blatt will ich ihn mahlen,
Den Namen, der an meiner Stirne glimmt.
Die Sonne les' ihn mit den ersten Strahlen,
Und les' ihn wieder, wenn sie Abschied nimmt!
Er fliehe hin, der Friede, der - ich ruhte
In dumpfen Träumen - tröstend zu mir kam.
Ich hatt' ihn mir erkauft mit meinem Blute,
Und geb' ihn weg für ewig süßen Gram.
Den kann der Reue Geißel nicht vertreiben;
Der folgt mir, wenn dieß Sündenhaus zerstiebt;
Der soll mir auch im Schlund der Büßung bleiben,
Wenn es dort oben keine Gnade giebt. -

O Heloise! spielt um deine Sinne
Ein schöner Traum beim Namen Abelard,
So labe, lab' am nichtigen Gewinne
Den Busen, der auf mich vergebens harrt!
Und bleicht der Schmerz das Flammenroth der Wange,
Und stirbt der Wunsch, der nie sein Unrecht büßt,
So weine, weine Trost dir selbst, so lange
Der Thränen bald versiegte Quelle fließt!
Nur weine nie des Vorwurfs Marterthräne!
Der Vorwurf, der den letzten Wahn verklagt,
Ergreift mich, wie auf Gräbern die Hyäne
Um Mitternacht an mürben Leichen nagt.

Wer hat zuerst von unsern weisen Thoren
Die Hoffnung letzte Trösterinn genannt?
Er hatte Hab' und Gut vielleicht verloren;
Verlust der Liebe hat er nicht gekannt.
Und wenn dem Herzen Alles würd' und bliebe,
Dem Herzen, das sich gar nichts mehr verspricht,
Zum Himmel würd' es staunen; aber Liebe
Will Liebesglück, und alles Andre nicht.
Mir sprossen, blühn und welken keine Blüthen.
Und folgt dem Herbst der Lenz im Wechselflug;
Mir die gewes'nen Freuden zu vergüten,
Ist selbst die Möglichkeit nicht reich genug.
Drum fliege nur aus meinem engen Kreise
Die Hoffnung dem entflog'nen Glücke nach; -
Sie tröste, wo sie kann, nach ihrer Weise;
Mir wird ihr Flisterton zum lauten Ach!
Ein andres Wesen, trauriger und milder,
Und näher mit dem Liebenden verwandt,
Sie, die der Schmerzen todtenfarbne Bilder
Verlieblicht mit erfahrner Künstlerhand;
Sie, der nur Träumer Dank und Opfer bringen,
Weil sie auf Wirklichkeiten nie verweis't,
Die, weil sie nicht mit Amorettenschwingen
Von Wunsch zu Wunsche gaukelt, Schwermuth heißt;
Vor dieser Gottheit, wo ich Gnade finde,
Entströme meiner Klagen freier Lauf!
In ihrem Tempel stell' ich ohne Sünde
Zur Andacht Heloisens Bildniß auf.

Komm, Himmelsbild! enthebe dich dem Staube!
Laß mich den Schleier dir vom Auge ziehn!
Komm mit mir in die Nachtigallenlaube,
Wo Flieder und Jasminenranken blühn!
Sieh, wie die graue Mauer gegenüber
Der Epheustamm mit tausend Armen herzt!
Hör', wie die Meise flistert, wenn ihr Lieber
In leichten Flügen ihr vorüber scherzt!
Was wogt der Zweig an jenem Apfelbaume?
Ein trautes Pärchen flatterte hinein.
Jetzt muß es sich im unbewußten Traume
Auf schwankem Liebesbett zusammen freun.
Und ich - Oh! diese Bilder jagen wieder
Die weggeweinten Qualen auf mich zu,
Und drücken meine matten Augenlieder,
Und foltern mich aus meiner Thränenruh.
Das war es nicht, warum ich, Gnade bittend,
Dich in die Nachtigallenlaube zog.
O Wahnsinn, Wahnsinn, der mein Herz zerrüttend
Mich noch einmahl aus dem Gelübde log! -

Was wollt' ich? - Ja! Dir Hand in Hand erzählen,
Was seit dem Tage, wo mit Donnertritt
Der Rächer kam, sich selbst dir zu vermählen,
Ich Büßer hier im Mönchsgewande litt.
An jenem Tage, als ich, dir entrissen
Durch unsres Meuchelmörders freche Hand,
Kaum aus des Todes ersten Finsternissen
Den Dornenweg zurück in's Leben fand,
Da starrt' ich, hingestreckt auf hartem Bette,
Die nackten Wände meines Kerkers an,
Betäubt, als ob ich nichts verloren hätte,
Bis Thrän' auf Thräne brennend Raum gewann.
Da faßte sausend mit der Hölle Tücken
Ein wildes Fieber mich, und zerrt' und zog
An jedem Nerven, bis vor meinen Blicken
Weitauf die Pforte meiner Leiden flog.
Dich sah ich, dich! In allen deinen Mienen
War keine Liebe mehr für Abelard.
Des Vorwurfs und der Reue Schauder schienen
In deinen tiefen Zügen eingestarrt.
Kein Mitleid für den armen Hingewürgten
Im Auge, das so oft sich mir ergab.
Aus Blicken, die sonst Wunsch um Wunsch verbürgten,
Schoß Flammenpfeile die Verzweiflung ab.
Auf riß ich mich von meinem Krankenlager;
Auf raf't' ich, diesem Tode zu entgehn.
Umsonst! - Ich sah dich hingekrümmt und hager
Bald über mir und bald zur Seite stehn.
Wild und verwüstet hingen deine Haare;
Bald lehntest du, im Zittern fürchterlich,
Mit einer Hand dich fest an eine Bahre,
Und drohtest mit der andern gegen mich.
O hätte da aus aufgerißnem Schlunde
Die Hölle selbst mir Flammen zugegähnt,
Ich hätte mich gekühlt in meiner Wunde
Und zu den Seligen entzückt gewähnt.

Wie eine Winterschwalbe, unbedächtig
Erwärmt und ihrem Schlummertod' entweckt,
Belebt, und ihres Lebens doch nicht mächtig,
Die matten Flügel hebt und senkt und streckt,
So fand ich mich, als nach der Todtenpause,
Wo mir das Fieber aus den Adern wich,
Zum erstenmahl ich aus der dumpfen Klause,
Am Stabe wankend, in den Garten schlich.
Ich sah in Blumen, Busch und Baum dasselbe,
Dasselbe hier, und dort dasselbe nur.
Des Himmels hohes, sonniges Gewölbe
War mir die Todtenhalle der Natur.
Je mehr ich der Gesundheit Wiederkehren
In jedem stärkern Athemzug empfand;
Je tiefer sich aus allen Lebensröhren
Mein Klageton vom matten Herzen wand,
Je minder war ich fertig und besonnen
Zur Reue, die ich nicht umsonst vergaß.
Ich lechzte nach den hingeschwundnen Wonnen
Und hielt die Büßung an der Freude Maß.
Die Liebe, rief ich, schlingt uns sanft zusammen,
Die Frömmigkeit vereinzelt wie der Tod.
Die Frömmigkeit mag Irrende verdammen,
Die Liebe weiß von keinem Strafgebot.
Was bet' ich, wenn ich nirgends wiederfinde,
Was mein Gefühl mit süßer Gnüge letzt?
Was büß' ich, wenn den Augenblick der Sünde
Ein Leben voller Beß'rung nicht ersetzt?
Was sing' ich Chorgesang und Friedenspsalme?
Viel lauter regt sich mein verbotner Schmerz.
Was greif' ich nach der dargereichten Palme?
Sie duftet nicht wie meine Blum' in's Herz.
Ein Heiliger weiß nichts von meinem Heile.
Sein Herz ist, wie sein Bild, im Tempel stumm.
Mir gilt von Heloisen Eine Zeile
Mehr, als ein ganzes Evangelium.

So, Heloise, schweift' ich Gottvergessen
Im Labyrinth der Besserung umher.
Umsonst empfand ich des Gewissens Pressen;
Schön blieb mein Unrecht, und die Buße leer.
Von der Entsagung kalter Hand geleitet,
Und von der Schwermuth Balsamhauch umkos't,
Fand ich nur Thränenwohl für mich bereitet
Und dürstete nach keinem andern Trost.
Ich fing im Garten Pflanzen an zu stecken
Und impft und senkte junge Reiser ein;
Ich flocht' und bog an Lauben und an Hecken
Und merkt' auf Regen und auf Sonnenschein.
Oft schimmerte die frühe Himmelsröthe
Auf meine Hände, naß vom hellen Thau.
Oft sah ich noch, wenn schon der Abend wehte,
Nach meinen Rosen durch das Dämmergrau.
Ich zog dein Bild zu meiner Schattenstätte;
Es ließ mich fühlen, daß ich mich betrog:
Ich führt' es hin an jedes Blumenbette;
Es pflückte nicht die Rosen, die ich zog. -
Dann ließ ich Gründe mit einander streiten,
Bestimmte der Begehrung Ziel und Maß,
Und lernte, wie in meinen goldnen Zeiten,
Mit Fleiße, was ich allzuoft vergaß.
Dann zog ich Deutung aus der Näh' und Ferne,
Wo nur ein Denker Licht und Ordnung sieht.
Zum hohen Harmonienlauf der Sterne
Verwies ich mein zerrüttetes Gemüth.
Ich wandte mich an alle Seelenärzte,
Und alle kannten ihren eignen Sinn;
Doch wo es nur in meinem Sinne schmerzte,
Da fiel kein Tröpfchen ihres Balsams hin.
Und als ich mich zuletzt im Büßen übte,
Versündigt' ich sogar am Heile mich.
Dich endlich zu vergessen als Geliebte,
Dacht' ich als Gattinn, Heloise, dich.
Die Gottesmutter mußte deinen Zügen
Den Abstrahl ihres Tempelbildes leihn;
Ich sah das Kind auf ihrem Schooße liegen,
Und träumte, träumte - Gott! - es wäre mein.

Nun deute dir, warum ich kaum den Schauer
Der stürmenden Erschütterung ertrug,
Als in das tiefe Dunkel meiner Trauer
Die helle Flamme deines Briefes schlug.
So stehn vielleicht die Heiligen und wenden
Den Blick vom Throne, der die Himmel trennt,
Wie ich da stand, in meinen beiden Händen
Dieß unsrer Herzen neue Testament.

Und dieser Brief, an den ich innig glaube,
Mein letzter Kummer und mein letztes Glück,
Der ruft aus diesem Nacht- und Grabesstaube
An deinen, deinen Busen mich zurück?
Noch einmahl soll ich hören, fühlen, sehen
In dir und mir dieß eine Ich und Du?
In deinem Athem meines Namens Wehen,
Wie Maiendüfte spielt' es auf mich zu.
Und wenn ich komme, sehe dein Erröthen,
Sonst meines Sonnenaufgangs Morgenroth,
Und - oh! - dein Auge bietet dem Asceten
Das Alles, was es sonst dem Manne bot,
Dem Manne - - Laß mich! laß mich, daß ich sterbe!
Beschwöre nicht den Schatten noch einmahl!
Es ist vergebens! Die zerschlagne Scherbe,
Sie war, sie war ein schimmernder Pokal.
Ich komme nicht. - Ob es wohl Unrecht wäre,
Dir zu gehorchen, weiß und denk' ich nicht.
Dein Ruf ist meines Herzens Rath und Lehre.
Ein Wunsch von dir lös't jeden Schwur der Pflicht.
Erdrückt von einer unerhörten Bürde,
Wie soll ich wählen zwischen Geist und Sinn?
Erst müßt' ich wissen, wem ich folgen würde,
Wenn ich das wäre, was ich nicht mehr bin.
Doch du, Geliebte, bist noch Eine Blüthe.
Dein Busen wogt von freier Lebensgluth.
Wie? wenn ich nun, getrennt von dir, verhüthe,
Was sonst die schöne Seele Böses thut?
Wenn ich mir dieß Verdienst erringen möchte,
Das einzige, das meine Kraft erreicht?
Dann bötest du mir sterbend deine Rechte!
Dann segnetest du unsern Bund vielleicht!
Vielleicht - Nein! nicht so! kann ich nicht, dem Rufe
Des höhern Rechts gehorsam, mich kastei'n,
So soll dieß Herz auf seiner untern Stufe
Doch nie dem Mund' ein Heuchelwort verzeihn.
Von Scham und Sehnsucht hin und hergerissen,
Nicht vom Gedanken an die beß're Welt,
Gesteh es frei, verzweifelndes Gewissen,
Es ist die Kette, was den Sklaven hält!
Denn könnt' ich, könnt' ich, wie ich möcht' und wollte,
Ich flög', und wenn auch flammend gegen mich
Ein Himmlischer mit Wolken dich umrollte,
Ich flöge zu dir und umschlänge dich;
Ich wagt' es deine Seele mit zu tödten;
Und spaltete sich dicht vor uns ein Grab,
Und säh' ich Bliz auf Bliz die Tiefe röthen,
Ich stürzte dich an meiner Brust hinab.
Wohl spräche dann ein kalter Tugendhüther
Mit Ernst und Schauder: "Welch ein Sünder, der!"
Doch flisterte gewiß ein Samariter:
"Fromm war er nicht, und doch ein Märtyrer."

Und ich, ich selbst erbebe vor den Bildern
Der aufgestörten Krankenphantasie?
Ihr mögt ja, Wünsche, immerhin verwildern!
Ihr stört ja Heloisens Engel nie!
Ich komme nicht. Und wenn du mich aus Güte
Mit allen süßen Männernamen nennst,
So bin ich doch, ich, der von Leben glühte,
Ein hingeblichnes, schleichendes Gespenst.
Ich komme nicht. Mein Rathen und mein Dichten
Ist, wie ich selbst, von warmen Troste leer.
Der dürre Baum weiß nicht nur nichts von Früchten,
Die kahlen Zweige schatten auch nicht mehr.
Mein Leben ist nur eine Todesstunde,
Und auf uns Beide wartet ein Gericht.
Der Geist des Friedens kühle deine Wunde!
Nur heile die Vergessenheit sie nicht!
Vereinigt brachen wir im Lebensgarten
Die schönste Frucht verbotner Seligkeit;
Vereinigt laß auch sterbend uns erwarten,
Ob der verzeihen will, der gern verzeiht!
Gewähre ohne Scheu und unverbittert
Dem Mitgefühl ein Recht, das ihm gebührt!
Hat mir dein Rufen Mark und Bein durchschüttert,
So gönn' es dir, wenn dich mein Weigern rührt;
Denn ich bin Dein! Nicht lange kann es dauern,
So schwank' ich nieder unter meiner Last.
Mich fast der Tod mit allen seinen Schauern,
Wie ein Orkan die Felsentanne faßt.
Doch bleib ich dein! Ich bete mich nicht böser.
Der Fuß der Treue wankt am Grabe nicht.
Und lächelte mir auch kein Welterlöser,
So bliebe doch, dich lieben, meine Pflicht.
Und sollte nicht des Menschensohnes Lächeln
Den Sieg der schönen Menschlichkeit verzeihn,
So werd' ich sterbend Heloise röcheln,
Und ewig büßend unverloren seyn.

Aus: Bouterwek's Miscallaneen I. Band
Berlin bei C. L. Hartmann 1794
(S. 113-138)
_____

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ludewig_Bouterweck

 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite