Walter Calé (1881-1904) - Liebesgedichte

Walter Cale



Walter Calé
(1881-1904)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Willst du?

Willst du mit mir auf die Berge steigen,
heimlich und still, daß uns niemand sieht,
des Nachts, wenn alle Herzensquellen schweigen
und die große Sehnsucht erwacht und glüht?
Willst du?

Dann zeigʼ ich dir unten die goldenen Lande,
wo meine lebendigen Brunnen springen,
wo purpurne Lilienglocken klingen
am buntumspülten kristallnen Strande.

Willst du mit mir auf der Höhe knieen,
wenn Mitternacht Schlummer über uns gießt,
wenn die Sterne in ruhigem Wandel ziehen
und Seele in Seele überfließt?
Willst du?

Dann löst ich mit trunken bebender Hand
deines Haares wallende Herrlichkeit,
dann lös' ich dein staub'ges Erdengewand
und hülle dich in mein Königskleid!

Willst du, wenn uns Atem des Lebens umquillt,
wenn Talesglocken und Seufzer verwehten,
wenn die Seele dem Dunkel entgegenschwillt,
willst du mit mir zur Mitternacht beten?
Willst du?

Dann küß ich deinen rotglühenden Mund
aus tiefster Seele aufquellender Macht,
dann grüß' ich dein leise zitterndes Haar
und nenne dich Sehnsucht und Mitternacht.
(S. 47-48)
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Ruhe

Mein Herz ist schlafen, wie ein stiller See.
Und ruhig gleiten meine weichen Lieder,
wie Schwäne, leise rinnende Kreise ziehend,
— weißt du? —
über die sehnsuchtssingende Fläche.

Doch wirfst du deines Auges milden Strahl
in meiner singenden Seele lauschenden Grund,
dann blickt der Mond, in Silberblau getaucht,
Duftnebel streuend auf den dunkeln See,
ein Tönen schwingt sich flüsternd über die Weiten,
stillreger Wipfel Mondesnachtgesang,
die Schwäne rühren träumend ihr Gefieder
und singen wundertief und wehmutsselig
der Mutter Nacht ein nebeltrübes Lied.
(S. 48)
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Noch einmal "Wir"

Vom Glück zu schaffen weiß so manches Herz.
Uns aber bleibt vom Schaffen nur das Quälen,
ich muß, du darfst nicht; das ist unser Schmerz:
und jeder will des andern Schmerzen wählen.

Und du hast nicht, was ich entbehren mag.
Was meine Seele sucht, wirfst du beiseite,
und meine Nacht, das ist dein hellster Tag,
und meine Nähe deine trübste Weite.
(S. 49)
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Morgen

Als die heiße Nacht vergangen
und der Morgen taudurchfeuchtet
über Welt und Seele leuchtet,
starb das wilde Glutverlangen,
und ich bin hinausgetreten
in das lebensfrohe Prangen.
Als die Winde mich umwehten,
als die Vögel mich umsangen,
kniet' ich nieder, dir zu beten:

Du meiner Seelenstille reinste Quelle,
steh' du mir bei in wilden Sehnsuchtsnächten,
laß mich von Finsternissen nicht umflechten,
durchbrich mein Dunkel mit verklärter Helle,
kühl' meine Glut in segensfrischer Welle.

Und hemme du das allzukühne Drängen
des Jünglings mit gelaßner, milder Hand:
daß sich nicht fessellos in Sturmgesängen
ergießt des ungedämmten Sehnens Brand.

Laß deines Auges Milde auf mir ruhn,
daß Werk und Glück zu neuen Taten strebt.
Und segne du, Geliebteste, das Tun
der Seele, die in deiner Seele lebt.

Sei du mir Glück, sei du mir Werk und Sehnen,
bleib' du mir stets der stillverehrte Hort;
laß meine Schmerzen an die deinen lehnen
und tröste mich mit manchem lieben Wort.

Und zogst du langsam mich zu dir empor,
dann mag auch deine Seele sich mir neigen,
dann brich das herbe, allzuheil'ge Schweigen
und führe mich durch das ersehnte Tor
ins Land des Glücks, der ew'gen Frühlingsreigen.
(S. 49-50)
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An Dich

Was fruchtet's, daß in schmerzlichen Entwürfen
dir Tag um Tag scheu wie ein Dieb entschleicht!
Aus jedem goldnen Becher sollst du schlürfen
den Trank, den jede goldne Stunde reicht.

Denn jede Blüte, die du nicht gebrochen,
und jeder ungehörte Saitenklang
und jedes Glück, das du nicht ausgesprochen,
fällt als ein Tropfen Reue in den Trank.

Und was vergangen ist, das sei vergangen!
Der neue Tag führt neues Licht herauf.
Tot sind die Lieder, die noch gestern klangen.
Was kümmert's dich? Zieh' neue Saiten auf!

Der Augenblick ist Leben und Erringen,
verlornes Glück — verklungenes Getön.
Wenn es verklang, so wird's auch wieder klingen,
du bist ja noch so jung und bist so schön!
(S. 57)
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Du kamst und gingst, und wie du kamst,
da wurden Herz und Lippen stumm,
du kamest still und nahmst und nahmst
und nahmst mich ganz: und kehrtest um.

Du kamest wie aus fremdem Land,
du gingest fremd und bist nicht mehr:
du trugst in deiner kühlen Hand
ein rotes Herz und weintest sehr.
(S. 59)
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Mein Geist, den viele rühmen, gleicht dem Lichte,
das du in einem stillen Leuchter trägst
durch dieser Erde Dunkel.

Es bedarf
nur einen kleinen Willen, nur ein Zucken
in deinem Finger, so erlischt das Licht.
O, es bedarf nur einen Tropfen Öles,
aus deiner Liebe sanft herabgeträufelt,
so flammt es neu und blüht in sel'ger Flamme,
sich selber leuchtend, aber auch in Licht
dich, seine Herrin, tauchend, und in Licht
die Dinge dieser Welt zum Leben weckend.

O hüte wohl, daß es nicht ganz erlösche:
nicht nur sich selber stirbt ein solches Licht!
Starb es, so sinkt die Welt in Finsternis;
und durch die tote Welt hin wandelst du,
nicht sehend mehr und auch nicht mehr gesehn.
(S. 60)
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Am Flusse

Trauernd stehst du an des Flusses Rande,
trauernd führt mein Weg am andern Ufer:
keiner weiß, ob ihn der andre riefe;
allzu heftig rauschen die Gewässer.

Wollen wir ein Boot vom Strande ketten,
du vom rechten, ich vom linken Strande?
Wollen wir dann in des Stromes Mitte
leichten Ruderschlages uns begrüßen?

Wollen wir die Wasser abwärts gleiten,
Boot an Boot, und nur gelinde lächelnd,
bis das Meer in großem Glanz sich auftut
und wir stehn und beide weinen müssen?
(S. 66)
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Abendstunde

Es weht dein ferner Atem
mich sachte kühlend an.
Ganz tief lieg' ich verwoben
in dieser Stunde Bann.

Und alles unser Wissen
zerrinnt in Abendglut,
von allen unsern Worten
bleibt eins nur: sei mir gut!
(S. 71)
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Wir sind am Bach gestanden,
verschlungen Hand in Hand,
mit unsern stillen Augen
dem Flusse zugewandt.

Da kamen weiße Kinder
in einem milden Schein;
sie trugen schöne Kränze
und drehen sich im Reihn.

Sie locken und sie winken,
sie flüstern tief und viel,
da waren wir nur Kinder
und waren mit im Spiel.

Wir drehen uns und singen
erst eine gute Zeit;
dann fliegen wir selbander
hinauf zur Ewigkeit.
(S. 82)
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Wir von der unsichtbaren Kirche haben
nicht Not, die lauten Namen uns zu nennen,
Geschicke uns zu künden vieles redend,
- und ist Geschick denn, was sich künden läßt? -
Ein Wink der Augen nur, ein Zug der Lippen,
er hat die Kraft und wölbt den schlanken Bogen
geschmeidig - fest vom Menschen hin zum Menschen,
welchen die Seelen zage erst betreten,
doch lächelnd und dann immer schneller schreiten
und eilen dann und stürzen immer schneller,
um auf des Bogens höchstgewölbter Mitte
in Armen sich zu finden, selig stumm.
(S. 94)
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Das Glück ist dieses: Beieinander ruhen,
schweigsam als wie gebettet in den Abend,
und Horchen ist es auf den Ton,
den meine Seele nächtlich deiner singt.
(S. 94)
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Da ich des Abends meine Wege schreite
so friedvoll und selig deines Bildes,
kam mir ein Lied der hohen Liebe also:

Dein Leib sei heilig, heilig deine Seele.
Auf deinen Lippen nimmer meine Lippen,
nur deinen Händen neig' ich meine Lippen.

Dein Leib sei heilig, heilig deine Seele.
In deinen Armen nimmer meine Arme,
nur deine Hände kühlen meine Stirne.

Dein Leib sei heilig, heilig deine Seele.
Nicht deinem Schoße wird es sich erbringen,
in Leuchten nur gebar es meine Stirne.

Dein Leib sei heilig, heilig deine Seele.
Die andern hebt der Strom und trägt und schlingt,
wir aber ragen voller großer Ruhe
- zwei Klippen - einsam gegen allen Strom.
(S. 102-103)
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Du standest vor der großen roten Sonne
- ein schwarzes Bildnis auf dem Flammengrunde -
und hattest deine beiden Arme offen,
gleichwie gekreuzigt in der roten Sonne;
und als ich aus des Waldes Wipfeln trat
an Weges Ende, und du sahest mich,
da stieg ein Leuchten auf in deinen Zügen,
und Lächeln wob um deine sel'gen Lippen
und bliebest in Verklärung regungslos
und ohne Gruß zu mir:

Ich aber weiß,
noch stehest du und harrst und leuchtest nur
bald aber wirst du mir entgegenkommen,
die Arme offen vor der großen Sonne,
langsam und lieblich wie ein schwebend Bild.
(S. 103)
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Ich habe meinen Willen über dir
und lenke deine Seele nach Gefallen
gleich einem Boot, daß es die Riffe meide,
wortlos und ohne eines Blickes Macht.

Und leide ich, so sei auch du in Schmerzen,
und jauchze ich, so jauchze du mit mir,
und flieht der Schlaf mich, wache du die Nächte,
und ward mir Müdigkeit, so schlummre du.

So sangen sie, da sie in Leuchten standen,
und jedes Seele klang: "Wie fühl' ich dich!"

Was uns verbindet, waltet über uns,
und gleich den Blinden tasten wir die Wege.

Ein Weg, den ich nicht suchte, führt zu dir,
der in mir brannte, den mir keiner wies.
Ich ging und frag' und stehe so vor dir:
"Hier bin ich, Schwester, riefest du mich nicht?"

Du bliebest stumm: wir fühlten nur das Wunder!
(S. 105)
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Dort stand sie vor mir, und in langem Schwunge,
sank ein Gewand zu Boden und das andre,
bis daß sie hüllenlos und schimmernd war;
dann hob sie langsam ihren nackten Fuß
und bog die Hüften, welche schimmerten,
und all das Haar umfloß sie voller Glanz,
und schneller wiegte sie den weißen Leib,
und ihre dunkeln Augen glühten sehr,
und all das Haar umflatterte sie wilder,
umflatterte den Leib, der wiegt und wiegt,
und schriller klang die Flöte und die Zimbel.

Dann sank ihr Mut, und ihre Schritte stockten,
und langsam wiegte sie und zitterte,
und als ihr Auge voller Tränen stand,
nahm sie vom Boden die Gewande auf,
verhüllte sich und ließ mich ohne Worte.

Ich aber dachte: "Deine Seele tanzt!"
(S. 108)
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Aus: Nachgelassene Schriften von Walter Calé
Mit einem Vorwort von Fritz Mauthner
Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Brückmann
Dritte Auflage S. Fischer Verlag Berlin 1910


 


Biographie:

Walter Calé (* 8. Dezember 1881 in Berlin; † 3. November 1904 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Dichter, dessen schmales Œuvre erst nach seinem frühen Tod bekannt wurde.

Als Sohn eines Kaufmanns wurde Walter Calé am 8. Dezember 1881 in Berlin geboren. Nach dem Abitur begann er 1899, ohne sonderliche innere Neigung, in Berlin und Freiburg i. Br. ein juristisches Studium. Nach dem fristgerechten Einreichen der schriftlichen Examensarbeit brach er, auf das Drängen von Freunden und eigene Zweifel hin, im November 1903 dieses Studium kurz vor der mündlichen Prüfung ab. In der nachfolgenden Periode psychischer Erschütterung und tiefer Beschämung über dieses Scheitern wandte er sich fortan der Philosophie zu und konzipierte eine umfangreiche Arbeit über die Neu-Platoniker. Daneben hielt er mehrere Vorträge in einem Berliner Verein für Kunst und Wissenschaft und verstärkte seine eigenen literarischen Aktivitäten. Trotz eines unübersehbar todessehnsüchtigen Zuges in Calés Gedichten erschien sein plötzlicher Freitod am 3. November 1904 völlig überraschend.

Den größten Teil seines literarischen Werkes, darunter einen mehrbändigen „psychologischen“ Roman mit dem Titel Professor Elias Pistocelius und sein Haus sowie weitere umfangreiche philosophische und philologische Studien, hatte Calé zuvor bereits eigenhändig vernichtet. Die übrigen Werke, die dieser Zerstörung durch Zufall entgangen waren, erschienen schließlich im Jahre 1907 im renommierten Berliner S. Fischer Verlag als Nachgelassene Schriften eines bis dahin völlig unbekannten Autors. Dieser von seinem Freund Arthur Brückmann herausgegebene Band vereinte rund hundert Gedichte und Lieder, das dramatische Fragment Franciscus, die Novelle Regina del Lago und die Märchenerzählung Geschichte vom Xaver Dampfkessel und der Dame Musica sowie einige Seiten Tagebuchaufzeichnungen.

In einem wohlwollenden Vorwort wertete der Schriftsteller und Literaturhistoriker Fritz Mauthner den Verfasser als „Kanonenfutter für die Lyrik der Zukunft“ und prophezeite: „Und dennoch, so glaube ich, wird die Literaturgeschichte den Namen anmerken. Wird sagen müssen: so tönte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kleine reine Stimmgabel der großen Lyrik.“ Die Publikation stieß auf eine überraschend positive Resonanz beim zeitgenössischen Lesepublikum und erreichte bis 1920 insgesamt sechs Auflagen.

Calés Lyrik erinnert in ihrem romantischen Pathos und ihrer Thematik stark an die Gedichte des jungen Hugo von Hofmannsthal, seine Prosaarbeiten zeigen Einflüsse von Gottfried Keller und E. T. A. Hoffmann. Für Gustav Landauer gilt vor allem Calés Verkörperung einer „vollendeten Hoffnungslosigkeit“ als das eigentliche, die Nachwelt interessierende Faszinosum dieses Dichters.

Werke:
Nachgelassene Schriften. S. Fischer, Berlin 1907. (6 Auflagen bis 1920; Digitalisat der 3. Auflage, 1910 Internet Archive)
Musik am Abend. Nachgelassene Gedichte. (Mit Zeichnungen von Hans Meid) Thorbecke, Lindau 1948.
Und keine Brücke ist von Mensch zu Mensch. (Gedichte, 2., erw. Aufl.) Gallimathias, Petersberg 1989, ISBN 3-925654-12-7.
Jugendstil und Todessehnsucht. Edition Fremde Fahnen, Berlin 2004. (Broschüre zum 100sten Todestag, Herausgegeben von Florian Voß)
Aus: www.wikipedia.de


 

 


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