94a.
Ich lob die lieben froven min |
Ich lobe die liebe Fraue mein
vor allen guten vviben, |
vor allen guten Weibern [Frauen],
mit dienst wil ich ir stete sin, |
mit Dienst will ich ihr stetig sein,
und immer stete beliben. |
und immer stetig bleiben.
Si ist als ein spiegelglas, |
Sie ist wie ein Spiegelglas,
si ist gantzer tugende ein adamas, |
sie ist ganzer Tugenden Edelstein,
vnd schoner zuchte ist si so vol, |
und schöner Züchte [Benehmen] ist sie
voll,
von der ich chumber dol. |
von der ich Kummer dulde.
Ir roter rosenvarwer munt |
Ihr roter rosenfarbener Mund
der tut mich senen diche, |
der tut mich sehnen dicke [sehr],
ir ougen brehent ze aller stunt, |
ihre Augen brennen [glänzen] zu aller
Stund,
sam stern durch wolchen blikche. |
wie Sterne durch die Wolken blicken.
Mins herzen leben ir hant |
Meines Herzens Leben ihre Hand
gebunden hat an elliu bant, |
gebunden hat ohne ein Band,
min ouge sach nie schoner wip. |
mein Auge sah nie ein schöneres Weib.
Ein engel ist ir lip. |
Ein Engel ist ihr Leib.
Min leben stat in ir gewalt, |
Mein Leben steht in ihrer Gewalt,
daz sol si wol bedenchen, |
das soll sie wohl bedenken,
lazze mich mit froeuden werden alt, |
lasse mich mit Freuden werden alt,
ich wil ir nimmer wenchen. |
ich will ihr nimmer wanken.
Will si, ich lebe wol, |
Will sie, so lebe ich wohl,
daz diene ich immer swie ich sol, |
das diene ich immer wie ich soll,
gebiutet si, ich lige tot. |
gebietet sie, so liege ich tot.
Sus leide ich wernde not. |
So leide ich währende Not.
(S. 174)
_____
98a.
Der starche winder hat uns verlan, |
Der starke Winter hat uns verlassen,
diu sumercit ist schone getan. |
die Sommerzeit ist schon getan.
Walt unde heide sih ih nu an, |
Wald und Heide sehe ich nun an,
lop unde blumen chle wol getan, |
Laub und Blumen, der Klee wohl getan.
davon mag uns frode nimmer mer zergan. |
davon mag uns Freude nimmer mehr
vergehen.
(S. 177)
_____
99a.
Solde ih noh den tach geleben, |
Sollte ich noch den Tag erleben,
dac ih wunschen solde |
dass ich wünschen könnte
nah der diu mir frode geben |
nach der, die mir Freude geben
mach, ob si noh wolde. |
kann, wenn sie nur wollte.
Min herce muz nah ir streben; |
Mein Herze muss nach ihr streben;
mohtih si han holde, |
könnte ich sie haben holde,
so wolde ih in wunne sweben, |
so wollte ich in Wonne schweben,
swere ih nimmer dolde. |
Schwere [Kummer] ich nimmer dulden
müsste.
(S. 178)
_____
100a.
Springewir den reigen |
Springen wir den Reigen
nu, vrowe min, |
nun, Frouwe mein,
vroun uns gegen den meigen, |
freuen wir uns gegen den Mai,
uns chumet sin schin. |
uns kommt sein Schein.
Der winder der heiden |
Der Winter der Heide
tet senediu not, |
tat sehnende Not,
der ist nu cergangen, |
der ist nun vergangen,
si ist wunnechllich bevangen |
sie ist wonniglich überbedeckt
von blumen rot. |
von Blumen rot.
(S. 178-179)
_____
101a.
In liehter varwe stat der walt, |
In lichter Farbe steht der Wald,
der vogele schal nu donet, |
der Vögel Schall nun tönet,
diu wunne ist worden manichvalt, |
die Wonne ist worden mannigfalt,
des meien tugende chronet |
des Maien Tugend krönet
senide liebe; wer were alt, |
sehnende Liebe; wer wäre (jetzt) alt,
da sih diu cit so schonet? |
da sich die Zeit so schönet?
Her meie, iu ist der bris gecalt, |
Herr Mai, Euch ist der Preis gezahlt,
der winder si gehonet. |
der Winter sei verhöhnet.
(S. 179)
_____
102a.
Zergangen ist der winder chalt, |
Vergangen ist der Winter kalt,
der mih so sere mute, |
der mich so sehr mühte,
gelobet stat der grune walt, |
gelobet steht der grüne Wald,
des froet sih min gemute. |
dessen freut sich mein Gemüte.
Nieman chan nu werden alt, |
Niemand kann nun werden alt,
vrode hab ich manichvalt |
Freude hab ich mannigfalt.
von eines wibes gute. |
von eines Weibes Güte.
(S. 180)
_____
103a.
Nu suln wir alle frode hab, |
Nun sollen wir alle Freude haben,
die zit mit sange wol began, |
die Zeit mit Sang wohl beginnen,
wir sehen blumen stan; |
wir sehen Blumen stehen;
diu heide ist wunnechlich getan. |
die Heide ist wonniglich gemacht.
Tanzen, reien, springen wir |
Tanzen, reigentanzen, springen wir
mit frode unde och mit schalle, |
mit Freude und auch mit Schalle [laut
Singen],
daz zimet guten chinden als iz sol, |
das ziemt guten Kindern wie es soll,
nu schimphen mit dem balle! |
nun scherzen wir mit dem Ball!
Min vrowe ist ganzer tugende vol, |
Mein Frouwe ist ganz voller Tugend,
ih weiz wiez ir gevalle. |
Ich weiss wie es ihr gefalle.
(S. 181-182)
_____
104a.
Diu heide |
Die Heide
grunet unde der walt, |
grünet und der Wald,
stolce meide |
stolze Maiden [Mädchen]
wesent palt! |
seid verwegen!
Die vogele singent manichvalt, |
Die Vögel singen mannigfalt,
zergangen ist der winder chalt. |
vergangen ist der Winter kalt.
(S. 182)
______
105a.
Ih solde eines morgens gan |
Ich sollte eines Morgens gehen
eine wise breite, |
(über) eine breite Wiese,
do sach ih eine maget stan, |
da sah ich eine Magd [Mädchen]
stehen,
diu gruzte mih bereite, |
die grüsste mich bereitwillig,
si sprah: lieber, war wend ir? |
sie sprach: Lieber, wohin wollt Ihr?
durfent ir geleite? |
bedürfet Ihr Geleite?
Gegen den fuzen neig ih ir, |
Gegen die Füsse verneige ich mich
ihr,
gnade ih ir des seite. |
Gnade ich ihr deswegen sagte.
(S. 183)
_____
106a.
Ze niwen vroden stat min mut |
Zu neuen Freuden steht mein Mut
hohe, sprah ein schone wip, |
hoch, sprach ein schönes Weib,
ein ritter minen willen tut, |
ein Ritter meinen Willen tut,
der hat geliebet mir den lip. |
der hat geliebt mir den Leib.
Ih wil im iemmer holder sin |
Ich will ihm immer holder sein
danne deheinen mage min, |
als einem meiner Verwandten,
ih erzeige ime wibes triwe schin. |
ich erzeige ihm des Weibes Treue Schein.
(S. 184)
_____
107a.
Ih han gesehen daz mir in dem hercen sanfte
tut, |
Ich habe gesehen, was mir in dem
Herzen sanft tut,
des grunen loubes bin ih worden wolgemut, |
des grünen Laubes bin ich worden
wohlgemut,
du heide wunnechlichen stat, |
die Heide steht wonniglich da,
mir ist liep, daz si also vil der schonen blumen hat. |
mir ist es lieb, dass sie also viel
der schönen Blumen hat.
(S. 185)
_____
108a.
Were diu werlt alle min |
Wäre die Welt alle mein
von deme mere unze an den Rihn, |
von dem Meere bis an den Rhein,
des wolt ih mich darben, |
dessen wollt ich mich darben,
daz diu chunegin von Engellant |
dafür, dass die Königin von Engelland
lege an minen armen. |
läge in meinen Armen.
(S. 185)
_____
109a.
Nahtegel, sing einen don mit sinne |
Nachtigall, singe einen Ton mit Sinn
miner hohgemuten chiniginne, |
meiner hochgemuten Königin,
chunde ir, daz min steter mut unde min herce brinne |
künde ihr, dass mein steter Mut und
mein Herze brennt
nah irm suze libe unde nah ir minne. |
nach ihrem süssen Leibe und nach
ihrer Minne.
(S. 186)
_____
110a.
Sage, daz ih dirs iemmer lone, |
Sage, dass ich es dir immer lohne,
hast du den vil lieben man gesehen, |
hast du den viel lieben Mann gesehen,
ist iz war, lebet er so schone |
ist es wahr, lebt er so schön
als si sagent, vnde ih dih hore iehen? |
als sie sagen, und ich dich höre
sagen?
"Vrowe, ih sah in, er ist vro, |
"Frouwe, ich sah ihn, er ist froh,
sin herce stat, ob ir gebietet, iemmer ho". |
sein Herze steht, wenn ihr gebietet,
immer hoch."
(S. 187)
______
111a.
Nu sin stolz unde hovisch, |
Nun seid stolz
und höfisch,
nu sin stolz unde hovisch, |
nun seid stolz und höfisch,
nu sin hovisch unde sin stolz! |
nun seid höfisch und seid stolz!
Venus schiuzet iren bolz, |
Venus schiesst ihren Bolzen,
Venus schiuzet irn bolz, |
Venus schiesst ihren Bolzen,
Venus schiuzet irn bolz. |
Venus schiesst ihren Bolzen.
(S. 188)
_____
113a.
Ich bin cheiser ane chrone |
Ich bin Kaiser ohne Krone
vnde ane lant: daz meine ih an dem mut, |
und ohne Land: das meine ich an dem
Mut [Gemüt]
ern gestunt mir nie so schone. |
der mir nie so schön stand.
Wol ir libe, diu mir sanfte tut: |
Wohl ihrer Liebe, die mir sanft tut:
daz machet mir ein vrowe gut. |
das macht mir eine Frouwe [Dame] gut.
Ih wil ir iemmer mer dienen, |
Ich will ihr immer mehr dienen,
ih engesah nie wip so wol gemut. |
ich sah nie ein Weib so wohlgemut.
(S. 188-189)
_____
114a.
So wol dir meie, wie du scheidest |
So wohl dir Mai, wie du scheidest
allez ane haz: |
alles ohne Hass:
wie wol du die boume cleidest |
wie wohl du die Bäume kleidest
und die heide baz; |
und die Heide (noch) besser;
diu hat varue me. |
die hat mehr Farben.
"Du bist churcer, ih bin langer" |
"Du bist kürzer, ich bin länger"
also stritent sie uf dem anger |
so streiten sie auf dem Anger
blumen unde chle. |
die Blumen und der Klee.
(S. 190)
_____
115a.
Ich gesach den sumer nie, |
Ich sah den Sommer (noch) nie,
daz er so schone duhte mich: |
dass er so schön deuchte mich:
mit menigen blumen wol getan, |
mit vielen Blumen wohl getan,
diu heide hat gecieret sih, |
die Heide hat sich gezieret
[geschmückt],
sanges ist der walt so vol, |
des Sanges ist der Wald ganz voll,
diu zit diu tut den chleinen vogelen wol. |
die Zeit die tut den kleinen Vögelein
wohl.
(S. 190)
_____
116a.
Vrowe ih pin dir undertan, |
Frouwe [Dame] ich bin dir untertan,
des la mih geniezen; |
dessen lass mich geniessen;
ih diene dir so ih beste chan, |
ich diene dir so ich es am besten
kann,
des wil dih verdriezen. |
das will dich verdriessen.
Nu wildu mine sinne |
Nun willst du meine Sinne
mit dime gewalte sliezen, |
mit deiner Gewalt schliessen,
nun woldih diner minne |
nun wollte ich deiner Minne
vil suze minne niezen. |
viel süsser Minne geniessen.
Vil reine wip, din schoner lip |
Viel [sehr] reines Weib, dein schöner
Leib
wil mih ze sere schiezen, |
will mich versehrend schiessen,
uz dime gebot ich nimmer chume, |
aus deinem Gebot ich nimmer komme,
obz alle wibe hiezen. |
ob es auch alle Weiber (mich) hiessen
[mir befehlen würden].
(S. 191-192)
_____
117a.
Si ist schoener den vro Dido was, |
Sie ist schöner als Frau Dido war,
si ist schoener denne vrowe Helena, |
sie ist schöner als Frau Helena,
si ist schoener denne vrowe Pallas, |
sie ist schöner als Frau Pallas,
si ist schoener denne vrowe Ecuba, |
sie ist schöner als Frau Hekuba,
si ist minnechlicher denne vrowe Isabel, |
sie ist minniglicher als Frau Isabel,
unde vroelicher denne Gaudile; |
und fröhlicher als Gaudile;
mines hercen chle |
meines Herzens Klee
ist tugunde richer denne Baldine. |
ist tugendlicher als Baldine.
(S. 193)
_____
123a.
Diu werlt frout sih uber al |
Die Welt freut sich überall
gegen der sumerzite, |
entgegen der Sommerzeit,
aller slahte vogel schal |
aller schlagenden Vögel Schall
horet man nu wite, |
hört man nun weit,
dar zu blumen unde chle |
dazu Blumen und Klee
hat diu heide vil als e, |
hat die Heide mehr als ehedem
[früher],
grune stat der schoene walt: |
grün steht der schöne Wald:
des suln wir nu wesen balt. |
deshalb sollen wir nun mutig sein.
(S. 198)
_____
124a.
Suziu vrowe min, |
Süsse Frouwe mein,
la mih des geniezen, |
lass mich dessen geniessen,
du bist min ougen schin, |
du bist mein Augen Schein,
Venus wil mih schiezen. |
Venus will mich schiessen.
Nu la mih, chuniginne, |
Nun lass mich, Königin,
diner minne niezen: |
deiner Minne geniessen:
ia ne mag mih nimmer |
ja mag mich nimmer
din verdriezen. |
dein verdriessen.
(S. 198-199)
_____
125a.
Eine wunnechliche stat |
Eine wonnigliche Stätte
het er mir bescheiden; |
hat er mir gewiesen;
da diu blumen unde gras |
da die Blumen und Gras
stunden grune baide, |
standen grün beide,
dar chom ih, als er mih pat; |
da komme ich, wie er mich bat;
da geschah mir leide. |
da geschah mir Leid.
Lodircundeie lodircundeie. |
Lodircundeie lodircundeie.
(S. 200)
_____
126a.
Ih wolde gerne singen, |
Ich wollte gerne singen,
der werlde vrode bringen, |
der Welt Freude bringen,
mohte mir an ir gelingen, |
möchte es mir bei ihr gelingen,
der ih diene alle mine tage, |
der ich diene alle meine Tage,
der minne wil mich twingen: |
ihre Minne will mich bezwingen:
in mime hercen ich si trage, |
in meinem Herzen ich sie trage,
noh lebe ih des gedingen. |
noch lebe ich für das Gelingen.
(S. 201)
_____
127a.
Mir ist ein wip sere in min gemute chomen,
|
Mir ist ein Weib sehr in mein Gemüt
gekommen,
von der han ih gancer tugende vil vernomen, |
von der habe ich ganzer Tugenden
viele vernommen,
des minnet si daz herce min. |
deswegen minnet sie mein Herze.
Ir schoner lip hat mir vroude vil gegeben; |
Ihr schöner Leib hat mir viel Freude
gegeben;
solde ih nah dem willen min diu zit geleben, |
könnte ich nach meinem Willen die
Zeit leben,
daz ih ir gelege bi! |
dass ich ihr beilegen könnte!
(S. 202)
_____
128a.
Solde aver ich mit sorgen iemmer leben, |
Sollte ich wieder mit Sorgen immer leben,
swenne ander lute weren fro? |
wenn andere Leute froh wären?
Guten trost wil ih mir selbeme geben, |
Guten Trost will ich mir selber geben,
unde min gemute tragen ho |
und mein Gemüte hoch tragen
al so von rehte ein selich man. |
wie ein recht seliger Mann.
Si sagent mir alle, truren sta mir iemerlichen an. |
Sie sagen mir alle, Trauern steht mir jämmerlich an.
(S. 202)
_____
129a.
Swaz hie gat umbe, |
Was hier umgeht,
daz sint alle megede, |
das sind alles Mädchen,
die wellent an man |
die wollen ohne Mann
alle disen sumer gan. |
alle diesen Sommer gehen.
(S. 203)
_____
130a.
Nu grunet aver diu heide, |
Nun grünet wieder die Heide,
mit gruneme lobe stat der walt, |
mit grünem Laube steht der Wald,
der winder chalt |
der Winter kalt
dwanch si sere beide; |
zwang sie versehrend beide;
diu zit hat sich verwandelot, |
die Zeit hat sich verwandelt,
ein senediu not |
eine sehnende Not
mant mich an der guten, |
mahnt mich an die Gute,
von der ih ungerne scheide. |
von der ich ungern scheide.
(S. 204)
_____
131a.
Roter munt, wie du dich swachest! |
Roter Mund, wie du dich schwächst!
la din lachen sin; |
lass dein Lachen sein;
scheme dich, swenne du so lachest |
schäme dich, wenn du so lachst
nach deme schaden din, |
nach dem Schaden dein,
dest niht wol getan. |
der ist nicht wohl getan.
Owi so verlorner stunde! |
O weh so verlorner Stunde!
sol von minnechlichen munde |
soll von minniglichem Munde
solich unminne ergan? |
solche Unminne ergehen?
(S. 205)
_____
132a.
Min vrowe Venus ist so gut, |
Meine Frau Venus ist so gut,
si chan vroude machen |
sie kann Freude machen
den swer iren willen tut, |
denen, die ihren Willen tun,
der herce muz lachen. |
deren Herze muss lachen.
Si hat vrowen in ir hut, |
sie hat Frauen in ihrem Hut,
die lat si nit swachen;|
die lässt sie nicht schwächen;
swer gegen den hat hohen mut, |
wer gegen diese (Frauen) hohen Mut hat,
der mach gerne wachen. |
der macht gerne Wachen.
(S. 206)
_____
133a.
Vrowe, wesent vro, |
Frouwe (Dame), seid froh,
trostent iuch der sumerzit, |
tröstet Euch der Sommerzeit,
diu chumit iu al so; |
die kommt Euch so;
rosen, lilien si uns git. |
Rosen, Lilien sie uns gibt.
Vrowe, wesent vro! |
Frouwe, seid froh!
Wie tut ir nu so, |
Wie tut ihr nur so,
daz ir so trurech sit? |
dass ihr so traurig seid?
Der chle der springet ho. |
Der Klee der springet hoch.
(S. 206-207)
_____
134a.
Ich han eine senede not, |
Ich habe eine sehnende Not,
diu tut mir also we, |
die tut mir also weh,
daz machet mir ein winder chalt |
das macht mir ein Winter kalt
unde ouch der wize sne. |
und auch der weisse Schnee.
Chome mir diu sumerzit, |
Käme mir die Sommerzeit,
so wolde ich prisen minen lip |
so wollte ich preisen meinen Leib
umbe ein vil harte schoniz wip. |
um ein sehr schönes Weib.
(S. 207)
_____
135a.
Wol ir libe, diu so schone |
Wohl ihrer Liebe, die so schön
lebet alsam diu vrowe min, |
lebt wie meine Dame,
si treit wol der eren chrone, |
sie trägt wohl der Ehren Krone,
in ir dienest wil ich sin, |
in ihrem Dienst will ich sein,
dest ein ende. |
ohne Ende.
Swer daz wende, |
Wer das wendet,
der gewinne |
der gewinne
hoher minne |
hoher Minne
Nimmer me. |
Nimmer mehr.
(S. 208)
_____
136a.
Chume, chume geselle min, |
Komm, komm Geselle mein,
ih enbite harte din, |
ich warte deiner sehr,
ih enbite harte din, |
ich warte deiner sehr,
chum, chum geselle min. |
komm, komm Geselle mein.
Suzer rosenvarwer munt, |
Süsser rosenfarbener Mund,
chum unde mache mich gesunt, |
komm und mache mich gesund,
chum unde mache mich gesunt, |
komm und mache mich gesund,
suzer rosenvarwer munt. |
süsser rosenfarbener Mund.
(S. 208-209)
_____
137a.
Taugen minne diu ist gut, |
Vertrauliche Minne die ist gut,
si chan geben hohen mut; |
sie kann geben hohen Mut;
der sol man sih vlizen; |
der soll man sich befleissigen;
swer mit triwen der nit phliget, |
wer mit Treue der nicht pflegt,
deme sol man daz verwizen. |
dem soll man das verweisen.
(S. 209)
_____
139a.
Ich wil den sumer gruzen, |
Ich will den Sommer grüssen,
so ih besten chan, |
wie ich am besten kann,
der winder hat mir hiure |
der Winter hat mir heuer
leiden vil getan, |
Leides viel getan,
des wil ich in rufen |
deswegen will ich ihn rufen
in der vrowen ban. |
in der Dame Bann.
Ich sih die liehte heide |
Ich sehe die lichte Heide
in gruner varwe stan, |
in grüner Farbe stehen,
dar suln wir alle gahen, |
dahin sollen wir alle gehen,
die sumerzit enphahen; |
die Sommerzeit empfangen;
des tanzes ich beginnen sol, |
des Tanzes ich beginnen soll,
wil ez iu niht versmahen. |
will es euch nicht verschmähen.
(S. 211)
_____
140a.
Einen brief ich sande einer vrowen gut, |
Einen Brief sandte ich einer guten Dame,
diu mich inme lande beliben tut, |
die mich heisst in meinem Lande zu bleiben,
stille ih ir enbot, ob si in gelas, |
still meldete ich ihr, falls sie ihn (den Brief) las,
daran was |
drin war
al mins hercen mut: |
all meines Herzens Mut (beschrieben):
diu reine ist wol behut. |
die Reine ist wohl behütet.
Refl. Selich wip, vil susiz wip, |
Seliges Weib, sehr süsses Weib,
du gist wol hohen mut. |
du gibst wohl hohen Mut.
Schone ist diu zit, |
Schön ist die Zeit,
bi dir swer lit |
wer bei dir liegt
sanfte dem daz tut. |
dem tut das sanft.
(S. 212)
_____
141a.
Ich wil truren varen lan, |
Ich will das Trauern fahren lassen,
uf die heide sulwir gan, |
auf die Heide sollen wir gehen,
vil liebe gespilen min, |
meine lieben Gespielen,
da sehwir der blumen schin. |
da sehen wir der Blumen Schein.
Ich sage dir, ich sage dir, |
Ich sage dir, ich sage dir,
min geselle, chum mit mir. |
mein Geselle, komm mit mir.
Siziu minne, raine min, |
Süsse Minne, reine Minne,
mache mir ein chrenzelin, |
mache mir ein Kränzelein,
daz sol tragen ein stolzer man, |
das soll tragen ein stolzer Mann,
der wol wiben dienen chan. |
der wohl Weibern dienen kann.
(S. 213)
_____
142a.
Der winder zeiget sine chraft |
Der Winter zeigt seine Kraft
den blumen unde der weide, |
den Blumen und der Weide,
zergangen ist ir grociu chraft, |
zergangen ist ihre grosse Kraft,
daz chlaget uns diu heide. |
das klagt uns die Heide.
We tut in rife unde ouch der sne, |
Weh tut ihnen der Reif und auch der Schnee.
da von stat val der grune chle, |
davon steht fahl der grüne Klee,
die vogele swigent gegen der zit, |
die Vögel schweigen gegen die Zeit,
si lebent in grozen sorgen, |
sie leben in grossen Sorgen,
durh daz der vrost in chelte git, |
durch das der Frost ihnen Kälte gibt,
des ligent si verborgen. |
deswegen
liegen sie verborgen.
(S. 214)
_____
143a.
Uns chumet ein liehte sumerzit, |
Uns kommt eine lichte Sommerzeit,
diu heide in gruner varwe lit, |
die Heide in grüner Farbe liegt,
gras, blumen, chle, lop uns si git, |
Gras, Blumen, Klee, Laub uns sie gibt,
die wachsent alle widerstrit. |
die wachsen alle im Wettstreit.
Refl. Swer nah frouden werven wil, |
Wer nach Freuden werfen will,
der habe mut unde sinne vil. |
der habe Mut und viele Sinne.
(S. 214)
_____
144a.
Ich sih den morgensterne brehen: |
Ich sehe den Morgenstern glänzen:
nu, helt, la dich niht gerne sehen, |
nun, Held, lass dich nicht gerne sehen,
vil liebe dest min rat. |
viel Liebe, das rate ich dir.
Swer tougenlichen minnet, |
Wer heimlich minnet,
wie tugentlich daz stat, | |
wie tugendlich das steht,
da friuntschaft hute hat. |
da die Freundschaft eine Hüterin hat.
(S. 215)
_____
144b.
Horstu friunt den wahter an der cinne, |
Hörst du Freund den Wächter an der Zinne,
wes sin sanch veriach? |
was sein Sang erzählte?
Wir muzen uns schaiden nu, lieber man. |
Wir müssen uns scheiden nun, lieber Mann.
Also schiet din lip nu iungest hinnen, |
Also schied dein Leib nun jüngst von hinnen,
do der tach uf brach, |
da der Tag aufbrach,
unde uns diu naht so fluchtechlichen tran. |
und uns die Nacht so flüchtend zerrann.
Naht git senfte, we tut tach: |
Nacht gibt Sanftes, weh tut der Tag:
o we herce lieb, in mach |
o weh Herze lieb, ich mache
din nun verbergen niht, |
dein nun nicht verbergen,
uns nimit diu freude gar daz grawe lieht, |
uns nimmt die Freude gar das graue Licht,
Stand uf, riter. |
Steh auf, Ritter.
(S. 215)
_____
163a.
Diu mich singen tut, |
Die mich singen macht,
getorste ih si nennen! |
dürfte ich sie nennen!
Trurech ist min mut; |
Traurig ist mein Mut;
owi, vrowe, wenne |
o weh, Frouwe (Dame), wann
wildu mir wesen gut? |
willst du mir gut sein?
Ih reche dir mine hende, |
Ich reiche dir meine Hände,
du brennest mih ane glut, |
du brennst mich ohne Glut,
suze, die ungenade wende! |
Süsse, die Ungnade wende!
(S. 226)
_____
164a.
"Waz ist fur daz senen gut |
"Was ist für das Sehnen gut
daz wip nah lieben manne hat? |
das das Weib nach dem lieben Manne hat?
wie gerne daz min herce erchande, |
wie gerne das mein Herze erkennte,
wan daz iz so bedwungen stat!" |
da es jetzt so bezwungen steht!"
Also reit ein vrowe schone. |
Also redete eine schöne Dame.
"An ein ende ih des wol chome, wan diu hute; |
"Ohne Ende ich
dessen wohl (nach)käme, wenn nur nicht die Behütung (wäre);
selten sin vergezzen wirt in minem mute." |
selten wird seiner vergessen in meinem Mute."
(S. 227)
_____
165a.
Der al der werlt ein meister si, |
Der all der Welt ein Meister sei,
der geb der lieben guten tach, |
der gebe der Lieben guten Tag,
von der ih wol getrostet pin. |
von der ich wohl getröstet bin.
si hat mir gar min ungemach |
sie hat mir gar mein Ungemach
mit ir gute gar benomen, |
mit ihrer Güte gar benommen,
unstaete hat si mir erwert, |
Unstete hat sie mir erwehrt,
ih pin sin an ir genade chomen. |
ich bin ohne ihre Gnade gekommen.
(S. 228)
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166a.
Edile vrowe min, |
Edle Frouwe (Dame) mein,
gnade mane ih dich, |
um Gnade mahne ich dich,
din wunnechlicher schin |
dein wonniglicher Schein
wil gar verderben mich: |
will gar verderben mich:
Suze, erchenne dich, |
Süsse, erkenne dich,
din lip der ist mir ze wunnechlich. |
dein Leib der ist mir zu wonniglich.
Refl. Nach im ist mir not, |
Nach ihm ist mir Not,
suze vrowe, gnade, ih pin tot. |
süsse Frouwe (Dame), Gnade, ich bin tot.
(S. 229)
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Aus: Carmina Burana
Lateinische und deutsche Lieder und Gedichte
einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts
aus Benedictbeuern
auf der K. Bibliothek zu München
Stuttgart Gedruckt auf Kosten des Literarischen Vereins
1847
Herausgegeben von Johann Andreas Schmeller (1785-1852)