Adelbert von Chamisso (1781-1838) - Liebesgedichte

Adelbert von Chamisso

 


Adelbert von Chamisso
(1781-1838)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

Frauen-Liebe und Leben
1830

1.
Seit ich ihn gesehen,
Glaub' ich blind zu sein;
Wo ich hin nur blicke,
Seh' ich ihn allein;
Wie im wachen Traume
Schwebt sein Bild mir vor,
Taucht aus tiefstem Dunkel
Heller nur empor.

Sonst ist licht- und farblos
Alles um mich her,
Nach der Schwestern Spiele
Nicht begehr' ich mehr,
Möchte lieber weinen
Still im Kämmerlein;
Seit ich ihn gesehen,
Glaub' ich blind zu sein.

2.
Er, der Herrlichste von allen,
Wie so milde, wie so gut!
Holde Lippen, klares Auge,
Heller Sinn und fester Mut.

So wie dort in blauer Tiefe,
Hell und herrlich, jener Stern,
Also er an meinem Himmel,
Hell und herrlich, hoch und fern.

Wandle, wandle deine Bahnen;
Nur betrachten deinen Schein,
Nur in Demut ihn betrachten,
Selig nur und traurig sein!

Höre nicht mein stilles Beten,
Deinem Glücke nur geweiht;
Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
Hoher Stern der Herrlichkeit!

Nur die Würdigste von allen
Soll beglücken deine Wahl,
Und ich will die Hohe segnen,
Segnen viele tausendmal.

Will mich freuen dann und weinen,
Selig, selig bin ich dann;
Sollte mir das Herz auch brechen,
Brich, o Herz, was liegt daran!

3.
Ich kann's nicht fassen, nicht glauben,
Es hat ein Traum mich berückt;
Wie hätt' er doch unter allen
Mich Arme erhöht und beglückt?

Mir war's, er habe gesprochen:
Ich bin auf ewig dein -
Mir war's - ich träume noch immer,
Es kann ja nimmer so sein.

O laß im Traume mich sterben,
Gewieget an seiner Brust,
Den seligsten Tod mich schlürfen
In Tränen unendlicher Lust.

4.
Du Ring an meinem Finger,
Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
Dich fromm an das Herze mein.

Ich hatt' ihn ausgeträumet,
Der Kindheit friedlichen Traum,
Ich fand allein mich, verloren
Im öden, unendlichen Raum.

Du Ring an meinem Finger,
Da hast du mich erst belehrt,
Hast meinem Blick erschlossen
Des Lebens unendlichen Wert.

Ich werd' ihm dienen, ihm leben,
Ihm angehören ganz,
Hin selber mich geben und finden
Verklärt mich in seinem Glanz.

Du Ring an meinem Finger,
Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
Dich fromm an das Herze mein.

5.
Helft mir, ihr Schwestern,
Freundlich mich schmücken,
Dient der Glücklichen heute mir.
Windet geschäftig
Mir um die Stirne
Noch der blühenden Myrte Zier.

Als ich befriedigt,
Freudiges Herzens,
Dem Geliebten im Arme lag,
Immer noch rief er,
Sehnsucht im Herzen,
Ungeduldig den heut'gen Tag.

Helft mir, ihr Schwestern,
Helft mir verscheuchen
Eine törichte Bangigkeit,
Daß ich mit klarem
Aug' ihn empfange,
Ihn, die Quelle der Freudigkeit.

Bist, mein Geliebter,
Du mir erschienen,
Gibst du, Sonne, mir deinen Schein?
Laß mich in Andacht,
Laß mich in Demut
Mich verneigen dem Herren mein.

Streuet ihm, Schwestern,
Streuet ihm Blumen,
Bringt ihm knospende Rosen dar.
Aber euch, Schwestern,
Grüß' ich mit Wehmut,
Freudig scheidend aus eurer Schar.

6.
Süßer Freund, du blickest
Mich verwundert an,
Kannst es nicht begreifen,
Wie ich weinen kann;
Laß der feuchten Perlen
Ungewohnte Zier
Freudenhell erzittern
In den Wimpern mir.

Wie so bang mein Busen,
Wie so wonnevoll!
Wüßt' ich nur mit Worten,
Wie ich's sagen soll;
Komm und birg dein Antlitz
Hier an meiner Brust,
Will ins Ohr dir flüstern
Alle meine Lust.

Hab' ob manchen Zeichen
Mutter schon gefragt,
Hat die gute Mutter
Alles mir gesagt,
Hat mich unterwiesen,
Wie, nach allem Schein,
Bald für eine Wiege
Muß gesorget sein.

Weißt du nun die Tränen,
Die ich weinen kann,
Sollst du nicht sie sehen,
Du geliebter Mann;
Bleib an meinem Herzen,
Fühle dessen Schlag,
Daß ich fest und fester
Nur dich drücken mag.

Hier an meinem Bette
Hat die Wiege Raum,
Wo sie still verberge
Meinen holden Traum;
Kommen wird der Morgen,
Wo der Traum erwacht,
Und daraus dein Bildnis
Mir entgegen lacht.

7.
An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

Das Glück ist die Liebe, die Lieb' ist das Glück,
Ich hab' es gesagt und nehm's nicht zurück.

Hab' überglücklich mich geschätzt,
Bin überglücklich aber jetzt.

Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt;

Nur eine Mutter weiß allein,
Was lieben heißt und glücklich sein.

O, wie bedaur' ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann!

Du schauest mich an und lächelst dazu,
Du lieber, lieber Engel, du!

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

8.
Nun hast du mir den ersten Schmerz getan,
Der aber traf.
Du schläfst, du harter, unbarmherz'ger Mann,
Den Todesschlaf.

Es blicket die Verlaßne vor sich hin,
Die Welt ist leer.
Geliebet hab' ich und gelebt, ich bin
Nicht lebend mehr.

Ich zieh' mich in mein Innres still zurück,
Der Schleier fällt,
Da hab' ich dich und mein vergangnes Glück,
Du meine Welt!

9.
Traum der eignen Tage,
Die nun ferne sind,
Tochter meiner Tochter,
Du mein süßes Kind,

Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch.

Siehst mich grau von Haaren.
Abgezehrt und bleich,
Bin, wie du, gewesen
Jung und wonnereich,
Liebte, wie du liebest,
Ward, wie du, auch Braut,
Und auch du wirst altern,
So wie ich ergraut.

Laß die Zeit im Fluge
Wandeln fort und fort,
Nur beständig wahre
Deines Busens Hort;
hab' ich's einst gesprochen,
nehm' ich's nicht zurück:
Glück ist nur die Liebe,
Liebe nur ist Glück.

Als ich, den ich liebte,
In das Grab gelegt,
Hab' ich meine Liebe
Treu in mir gehegt;
War mein Herz gebrochen,
Blieb mir fest der Mut,
Und des Alters Asche
Wahrt die heil'ge Glut.

Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch:
Muß das Herz dir brechen,
Bleibe fest dein Mut,
Sei der Schmerz der Liebe
Dann dein höchstes Gut.
(S. 4-10)
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Küssen will ich, ich will küssen
1829

Freund, noch einen Kuß mir gib,
Einen Kuß von deinem Munde.
Ach! ich habe dich so lieb!
Freund, noch einen Kuß mir gib.
Werden möcht' ich sonst zum Dieb,
Wärst du karg in dieser Stunde;
Freund, noch einen Kuß mir gib,
Einen Kuß von deinem Munde.

Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?
Nimmer ward es noch zu viel,
Küssen ist ein süßes Spiel.
Küsse, sonder Zahl und Ziel,
Geben, nehmen, wiedergeben,
Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?

Gibst du einen Kuß mir nur,
Tausend geb' ich dir für einen.
Ach, wie schnelle läuft die Uhr,
Gibst du einen Kuß mir nur.
Ich verlange keinen Schwur,
Wenn es treu die Lippen meinen,
Gibst du einen Kuß mir nur,
Tausend geb' ich dir für einen.

Flüchtig, eilig, wie der Wind
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.
Stunden, wo wir selig sind,
Flüchtig, eilig wie der Wind!
Scheiden schon, ach so geschwind!
O, wie werd' ich weinen müssen!
Flüchtig, eilig wie der Wind
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

Muß es denn geschieden sein.
Noch nur einen Kuß zum Scheiden!
Scheiden, meiden, welche Pein!
Muß es denn geschieden sein?
Lebe wohl und denke mein,
Mein in Freuden und in Leiden;
Muß es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuß zum Scheiden!
(S. 10-11)
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Tränen

1.
Was ist's, o Vater, was ich verbrach?
Du brichst mir das Herz, und fragst nicht darnach.

Ich hab ihm entsagt, nach deinem Befehl,
Doch nicht ihn vergessen, ich hab es nicht Hehl.

Noch lebt er in mir, ich selbst bin tot,
Und über mich schaltet dein strenges Gebot.

Wann Herz und Wille gebrochen sind,
Bittet um eins noch dein armes Kind.

Wann bald mein müdes Auge sich schließt,
Und Tränen vielleicht das deine vergießt;

An der Kirchwand dort, beim Holunderstrauch,
Wo die Mutter liegt, da lege mich auch.


2.
Ich habe, bevor der Morgen
Im Osten noch gegraut,
Am Fenster zitternd geharret
Und dort hinaus geschaut.

Und in der Mittagsstunde,
Da hab ich bitter geweint,
Und habe doch im Herzen:
Er kommt wohl noch, gemeint.

Die Nacht, die Nacht ist kommen,
Vor der ich mich gescheut;
Nun ist der Tag verloren,
Auf den ich mich gefreut.


3.
Nicht der Tau und nicht der Regen
Dringen, Mutter, in dein Grab,
Tränen sind es,
Tränen deines armen Kindes
Rinnen heiß zu dir hinab.

Und ich grabe, grabe, grabe;
Von den Nägeln springt das Blut,
Ach! mit Schmerzen,
Mit zerrißnem blut'gem Herzen
Bring ich dir hinab mein Gut.

Meinen Ring, sollst mir ihn wahren,
Gute Mutter, liebevoll;
Ach! sie sagen,
Daß ich einen andern tragen,
Weg den meinen werfen soll.

Ring, mein Ring, du teures Kleinod!
Muß es denn geschieden sein?
Ach! ich werde
Bald dich suchen in der Erde,
Und du wirst dann wieder mein.


4.
Denke, denke mein Geliebter,
Meiner alten Lieb und Treue,
Denke, wie aus freud'gem Herzen,
Sonder Harm und sonder Reue,
Frei das Wort ich dir gegeben,
Dich zu lieben, dir zu leben -
Suche dir ein andres Lieb!

Ach! er kam, besah die Felder
Und das Haus, der Mutter Erbe,
Sprach und feilschte mit dem Vater
Der befahl gestreng und herbe. -
Eitel war das Wort gesprochen,
Herz und Treue sind gebrochen -
Suche dir ein andres Lieb!

Und der Priester mit dem Munde
Sprach den Segen unverdrossen,
Unerhöret, einem Bunde,
Der im Himmel nicht geschlossen. -
Zieh von hinnen! zieh von hinnen!
Andres Glück dir zu gewinnen,
Suche dir ein andres Lieb!


5.
Die, deren Schoß geboren,
In Wonn und Lust verloren,
Ihr Kind in Armen hält,
Sie gibt dir Preis und Ehren,
Und weint des Dankes Zähren
Dir, Vater aller Welt.

Und, welcher du verneinet
Des Leibes Segen, weinet
Und grämt und härmet sich,
Sie hebt zu dir die Arme
Und betet: ach! erbarme,
Erbarme meiner dich!

Ich Ärmste nur von allen,
In Schuld und Schmach gefallen,
Bin elend grenzenlos;
Ich bete: - weh mir! - mache,
Aus Mitleid oder Rache,
Unfruchtbar meinen Schoß.


6.
Ich hab ihn im Schlafe zu sehen gemeint,
Noch sträubt vor Entsetzen mein Haar sich empor,
O hätt ich doch schlaflos die Nacht durchweint,
Wie manche der Nächte zuvor.

Ich sah ihn verstört, zerrissen und bleich,
Wie er in den Sand zu schreiben schien,
Er schrieb unsre Namen, ich kannt es gleich,
Da hab ich wohl laut geschrien.

Er fuhr zusammen vom Schrei erschreckt,
Und blickte mich an, verstummt wie das Grab,
Ich hielt ihm die Arme entgegen gestreckt,
Und er - er wandte sich ab.


7.
Wie so bleich ich geworden bin?
Was willst du fragen?
Freue, freue dich immerhin,
Ich will nicht klagen.

Hast das Haus und die Felder auch,
Und hast den Garten,
Laß mich unterm Holunderstrauch
Den Platz erwarten.

Tief das Plätzchen und lang und breit
Nur wen'ge Schuhe,
Leg ich dort mich zu guter Zeit
Und halte Ruhe.
(S. 11-14)
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Morgentau
1822

Wir wollten mit Kosen und Lieben
Genießen der köstlichen Nacht.
Wo sind doch die Stunden geblieben?
Es ist ja der Hahn schon erwacht.

Die Sonne, die bringt viel Leiden,
Es weinet die scheidende Nacht;
Ich also muß weinen und scheiden,
Es ist ja die Welt schon erwacht.

Ich wollt', es gäb' keine Sonne,
Als eben dein Auge so klar,
Wir weilten in Tag und in Wonne,
Und schliefe die Welt immerdar.
(S. 44)
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Zur Antwort

Dir ist sonst der Mund verschlossen,
Du antwortest mir ja kaum,
Nur zu Liedern süßen Klanges
Öffnest du ihn, wie im Traum.
Könnt ich auch so dichten, würden
Hübsch auch meine Lieder sein,
Sänge nur, wie ich dich liebe,
Sänge nur: ganz bin ich dein.

Ich kann dir ins Antlitz schauen,
Heiter, wie das Kind ins Licht;
Ich kann lieben, kosen, küssen,
Aber dichten kann ich nicht.
Könnt ich auch so dichten, würden
Hübsch auch meine Lieder sein,
Sänge nur, wie ich dich liebe,
Sänge nur: ganz bin ich dein.
(S. 44-45)
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Zur Unzeit

Ich wollte, wie gerne, dich herzen,
Dich wiegen in meinem Arm,
Dich drücken an meinem Herzen,
Dich hegen so traut und so warm.

Man verscheuchet mit Rauch die Fliegen,
Mit Verdrießlichkeit wohl den Mann;
Und wollt ich an dich mich schmiegen,
Ich täte nicht weise daran.

Wohl zieht vom strengen Norden
Ein trübes Gewölk herauf,
Ich bin ganz stille geworden,
Ich schlage die Augen nicht auf.
(S. 45)
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Gern und gerner

Der Gang war schwer, der Tag war rauh,
Kalt weht' es und stürmisch aus Norden;
Es trieft mein Haar vom Abendtau,
Fast wär ich müde geworden.

Laß blinken den roten, den süßen Wein:
Es mag der alte Zecher
Sich gerne sonnen im roten Schein,
Sich gerne wärmen am Becher;

Und gerner sich sonnen in trüber Stund
Am Klarblick deiner Augen,
Und gerner vom roten, vom süßen Mund
Durchwärmende Flammen saugen.

Reichst mir den Mund, mir den Pokal,
Mir Jugendlust des Lebens;
Laß tosen und toben die Stürme zumal,
Sie mühen um mich sich vergebens.
(S. 46-47)
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Die drei Sonnen

Es wallte so silbernen Scheines
Nicht immer mein lockiges Haar,
Es hat ja Zeiten gegeben,
Wo selber ich jung auch war.

Und blick ich dich an, o Mädchen,
So rosig und heiter und jung,
Da taucht aus vergangenen Zeiten
Herauf die Erinnerung.

Die Mutter von deiner Mutter -
Noch sah ich die Schönere nicht,
Ich staunte sie an, wie die Sonne,
Geblendet von ihrem Licht.

Und einst durchbebte mit Wonne
Der Druck mich von ihrer Hand,
Sie neigte darauf sich dem andern,
Da zog ich ins fremde Land.

Spät kehrt ich zurück in die Heimat,
Ein Müder nach irrem Lauf,
Es stieg am heimischen Himmel
Die andere Sonne schon auf.

 Ja deine Mutter, o Mädchen, -
Noch sah ich die Schönere nicht,
Ich staunte sie an, wie die Sonne,
Geblendet von ihrem Licht.

Sie reichte mir einst die Stirne
Zum Kusse, da zittert ich sehr,
Sie neigte darauf sich dem andern,
Da zog ich über das Meer.

Ich habe verträumt und vertrauert
Mein Leben, ich bin ein Greis,
Heim kehr ich, die dritte Sonne
Erleuchtet den Himmelskreis.

Du bist es, o Wonnereiche;
Noch sah ich die Schönere nicht,
Ich schaue dich an, wie die Sonne,
Geblendet von deinem Licht.

Du reichst mir zum Kusse die Lippen,
Mitleidig mir wohl zu tun,
Und neigst dich dem andern, ich gehe
Bald unter die Erde, zu ruhn.
(S. 49-50)
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Eid der Treue

Mißtrauest, Liebchen, du der flücht'gen Stunde,
Des Augenblickes Lust?
Bist Brust an Brust du nicht, und Mund an Munde,
Der Ewigkeit bewußt?

Ich soll nur dir, und ewig dir gehören;
Du willst darauf ein Pfand:
Wohlan! ich will's mit kräft'gem Eid beschwören,
Ich hebe meine Hand:

Ich schwör's, elftausend heilige Jungfrauen,
Bei eurem keuschen Bart;
Bei Jakobs Leitersprosse, die zu schauen
In Mailand wird bewahrt;

Ich schwör es noch, zu mehrerem Gewichte -
Ein unerhörter Schwur! -
Beim Vorwort zu des Kaisers Karl Geschichte,
Und bei des Windes Spur;

Beim Schnee, der auf dem Libanon gefallen
Im letzt vergangnen Jahr;
Bei Nihil, Nemo, und dem andern allen,
Was nie sein wird noch war.

Und falls ich dennoch jemals untreu würde,
Vergäße jemals dein,
So soll mein Eid verbleiben ohne Würde,
Und ganz unbündig sein.
(S. 73)
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Minnedienst

Während dort im hellen Saale
Lustberauscht die Gäste wogen,
Hält ein Ritter vom Gedränge
Einsam sich zurückgezogen.

Wie er von dem Sofa aufblickt,
Wo er ruhet in Gedanken,
Sieht er neben sich die Dame,
Der er dienet sonder Wanken.

»Sind es Sterne, sind es Sonnen,
Die in meiner Nacht sich zeigen?
Sind's die Augen meiner Herrin,
Welche über mich sich neigen?«

»Schmeichler, Schmeichler! Sterne, Sonnen
Sind es nicht, wovon Ihr dichtet;
Sind die Augen einer Dame,
Die auf Euch sie bittend richtet.« -

»Herz und Klinge sind Euch eigen,
Schickt mich aus auf Abenteuer,
Heißt im Kampfe mich bestehen
Riesen, Drachen, Ungeheuer.« -

 »Nein, um mich, mein werter Ritter,
Soll kein Blut den Boden färben;
Um ein Glas Gefrornes bitt ich,
Lasset nicht vor Durst mich sterben.« -

»Herrin, in dem Dienst der Minne
Wollt ich gern mein Leben wagen,
Aber hier durch das Gedränge
Wird es schwer sich durchzuschlagen.«

Und sie bittet, und er gehet, -
Kommt zurück, wie er gegangen:
»Nein! ich konnte, hohe Herrin,
Kein Gefrorenes erlangen.«

Und sie bittet wieder, wieder
Wagt er's, immer noch vergebens:
»Nein! man dringt durch jene Türe
Mit Gefahr nur seines Lebens.«

»Ritter, Ritter, von Gefahren
Sprachet Ihr, von Kämpfen, Schlachten;
Und Ihr laßt vor Euren Augen
Ohne Hülfe mich verschmachten.«

Und ins wogende Gewühle
 Ist der Ritter vorgedrungen,
Dort verfolgt er einen Diener,
Hat den Raub ihm abgerungen.

Und die Dame schaut von ferne,
Wie mit hochgehaltner Schale
Er sich durch den Reigen windet
In dem engen, vollen Saale;

Sieht in eines Fensters Ecke
Glücklich seinen Fang ihn bergen,
Sieht ihn hinter die Gardine
Ihren Augen sich verbergen;

Sieht ihn selber dort gemächlich
Das Eroberte verschlingen,
Wischen sich den Mund und kommen,
Ihr betrübte Kunde bringen:

»Gern will ich mein Leben wagen,
Schickt mich aus auf Abenteuer,
Heißt im Kampfe mich bestehen
Riesen, Drachen, Ungeheuer.

Aber hier, o meine Herrin,
Hier ist alles doch vergebens,
Und man dringt durch jene Türe
 Mit Gefahr nur seines Lebens.«
(S. 74-75)
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Lebewohl

Wer sollte fragen: wie's geschah?
Es geht auch andern eben so.
Ich freute mich, als ich dich sah,
Du warst, als du mich sahst, auch froh.

Der erste Gruß, den ich dir bot,
Macht' uns auf einmal beide reich;
Du wurdest, als ich kam, so rot,
Du wurdest, als ich ging, so bleich.

Nun kam ich auch Tag aus, Tag ein,
Es ging uns beiden durch den Sinn;
Bei Regen und bei Sonnenschein
Schwand bald der Sommer uns dahin.

Wir haben uns die Hand gedrückt,
Um nichts gelacht, um nichts geweint,
Gequält einander und beglückt,
Und haben's redlich auch gemeint.

Da kam der Herbst, der Winter gar,
Die Schwalbe zog, nach altem Brauch,
Und: lieben? - lieben immerdar? -
Es wurde kalt, es fror uns auch.

 Ich werde gehn ins fremde Land,
Du sagst mir höflich: Lebe wohl!
Ich küsse höflich dir die Hand,
Und nun ist alles, wie es soll.
(S. 76)
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Verratene Liebe
(Neugriechisch)

Da nachts wir uns küßten, o Mädchen,
Hat keiner uns zugeschaut;
Die Sterne, die standen am Himmel,
Wir haben den Sternen getraut.

Es ist ein Stern gefallen,
Der hat dem Meer uns verklagt,
Da hat das Meer es dem Ruder,
Das Ruder dem Schiffer gesagt.

Da sang derselbe Schiffer
Es seiner Liebsten vor,
Nun singen's auf Straßen und Märkten
Die Mädchen und Knaben im Chor.
(S. 83)
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Der Gemsen-Jäger und die Sennerin

Nimm mich verirrten Jäger,
Du gute Sennerin, auf;
Es lockte mich über die Gletscher
Die Gemse mit flüchtigem Lauf.

Bin fremd auf dieser Alpe,
Verlassen für und für;
In rauher Nacht verschließe
Nicht hart mir deine Tür. -

Muß, Jäger, wohl sie verschließen,
Ich bin ja ganz allein,
Gar eng ist meine Hütte,
Für dich kein Lager darein. -

Nur Schutz an deinem Herde,
Ein Lager begehr ich nicht;
Ich scheide, sobald die Gletscher
Sich färben mit rötlichem Licht. -

Und wenn ich ein dich ließe...,
O Jäger, laß mich in Ruh,
Nachrede gäb's und Geschichten;
Was sagte der Hirt dazu? -

Der Hirt soll mich nicht hören,
Das, Gute, versprech ich dir:
Ich halte mich friedlich und stille,
Befürchte doch nichts von mir. -

Und willst du dich halten, o Jäger,
Ein stiller und friedlicher Gast,
So werd ich herein dich lassen;
Die Nacht ist zu grausig doch fast.

Sie öffnete leise die Türe
Und ließ den Jäger herein;
Es loderte gastlich vom Herde
Die Flamme mit freundlichem Schein.

Und bei dem Scheine sahen
Die beiden sich staunend an -
Die Nacht ist ihnen vergangen,
Der Morgen zu dämmern begann.

Wie ließ ich dich ein, o Jäger,
Ich weiß nicht, wie es kam;
Nun rötet der Morgen die Gletscher
Und meine Wangen die Scham.

O lieber, lieber Jäger,
So schnell vergangen die Nacht!
Auf, auf! du mußt nun scheiden,
Bevor der Hirt noch erwacht.

Und muß für heut ich scheiden,
So bleibe, du Gute, mir hold;
Hast keinen Grund zu weinen,
Nimm diesen Ring von Gold.

Ein Haus, das mir gehöret,
Dort drüben im anderen Tal,
Mein Stutzer, auf Gletscher und Felsen
Die flüchtigen Gemsen zumal:

Ich kann dich ehrlich ernähren,
Du liebe Sennerin mein;
Und steiget zu Tal der Winter,
Soll unsere Hochzeit sein.
(S. 84-85)
_____


Liebesprobe
(Nach dem Volkslied) 1832

Es wiegte die alte Linde
Ihr blühendes Haupt in dem Winde,
Verstreuend Duft in das Land,
Und unter der Linde saßen
Zwei Liebende Hand in Hand.

"Feinlieb, ich muß nun scheiden,
Dich sieben Jahre meiden,
's ist eine lange Zeit;
Ich frage nach sieben Jahren,
Ob du den andern gefreit." -

"Ach nein! ich will dich erwarten
Die sieben Jahre, die harten,
Ich will die Deine sein;
Ich will die Treue dir halten
Und keinen andern frein." -

Es zogen Jahre nach Jahren;
Die sieben verstrichen waren,
Das achte schon begann;
Schon kam vom vierten Monat
Der vierte Tag heran.

Es wiegte die alte Linde
Ihr falbes Haupt in dem Winde,
Verstreuend ihr Laub in das Land,
Und unter der Linde rannen
Zwei Quellen in den Sand.

"Du, Linde, wirst es ihm sagen;
Du blühtest in jenen Tagen,
Nun hat der Herbst dich entlaubt;
Ich habe geglaubt und geweinet,
Ich habe geweint und geglaubt."

Ein Reiter lenkte die Zügel
Vom Weg ab hinan zum Hügel,
Ritt stolz und spähend einher:
"Gott grüß' dich, feines Mägdlein,
Was klagst du, was weinst du so sehr?" -

"Gezogen sind Jahre nach Jahren,
Nichts hab' ich vom Liebsten erfahren,
Die Lind' es bezeugen mag;
Sie sieht mich im vierten Monat
Verweinen den vierten Tag."

"Er hat in den Wind es gesprochen,
Er hat dir die Treue gebrochen
Für eine schönere Braut;
Hab' unter blühenden Linden
Der Hochzeit selbst zugeschaut."

"War's auch in den Wind gesprochen,
Sind Treue und Herz mir gebrochen,
Ihm wend' es Gott zum Gewinn!
Ich werd' ihn segnen und segnen,
Bis stumm ich geworden bin."

Was guldig Schimmerndes zog er
Vom Finger sich, was bog er
Sich über ihren Schoß?
Sie weinte, daß der Goldring
In ihren Tränen floß.

Er sprang vom Roß behende,
Er legte in ihre Hände
Ein feines Linnentuch:
"Trockn' ab, trockn' ab die Äuglein!
Geweinet hast du genug.

"Ich habe dich nur versuchet;
Und hättest du mir gefluchet,
Mußt' weiter geritten sein;
Ich hatte es hoch geschworen:
Nun sollst du die meine sein."

Es wiegte die alte Linde
Ihr Haupt im Abendwinde,
Und schattiger wurde das Land;
Und unter der Linde saßen
Zwei Glückliche Hand in Hand.
(S. 90-92)
_____


Treue Liebe
(Litauisch)

Es schallten muntre Lieder
Hell durch den Fichtenwald,
Es kam ein muntrer Reiter
Zum Försterhause bald.

Frau Muhme, guten Morgen,
Wo bleibt die Liebste mein? -
Sie lieget, krank zum Sterben,
Im obern Kämmerlein.

Er stieg in bittern Tränen
Die Treppe wohl hinauf,
Er hemmte, vor der Türe
Der Liebsten, ihren Lauf.

Herein, herein, Geliebter,
Zu schmerzlichem Besuch!
Die heim du holen wolltest,
Deckt bald das Leichentuch.

Sie schläft in engem Sarge,
Drauf liegt der Myrtenkranz;
Du wirst nicht heim sie führen,
 Nicht bei Gesang und Tanz.

Sie werden fort mich tragen,
Und tief mich scharren ein,
Du wirst mir Tränen weinen,
Und eine andre frein. -

Die du mich nie betrübet,
Du meine Zier und Lust,
Wie hast du jetzt geschnitten
Mir scharf in meine Brust!

Drauf sahen zu einander
Die beiden ernst und mild,
Verschlungen ihre Hände,
Ein schönes, bleiches Bild.

Da schied sie sanft hinüber,
Er aber zog zur Stund
Das Ringlein sich vom Finger
Und steckt's in ihren Mund.

Ob er geweinet habe,
Als solches ist geschehn? -
Ich selber floß in Tränen,
Ich hab es nicht gesehn.

Es gräbt der Totengräber
Ein Grab, und noch ein Grab:
Er kommt an ihre Seite,
Der ihr das Ringlein gab.
(S. 97-98)
_____


Die Müllerin

Die Mühle, die dreht ihre Flügel,
Der Sturm, der sauset darin;
Und unter der Linde am Hügel,
Da weinet die Müllerin:

Laß sausen den Sturm und brausen,
Ich habe gebaut auf den Wind;
Ich habe gebaut auf Schwüre -
Da war ich ein törichtes Kind.

Noch hat mich der Wind nicht belogen,
Der Wind, der blieb mir treu;
Und bin ich verarmt und betrogen -
Die Schwüre, die waren nur Spreu.

Wo ist, der sie geschworen?
Der Wind nimmt die Klagen nur auf;
Er hat sich aufs Wandern verloren -
Es findet der Wind ihn nicht auf.
(S. 101)
_____



Nächtliche Fahrt
1828

In Purpur pranget der Abend,
Der Landwind hebet schon an;
Zur Lustfahrt ladet der Fischer
Dich, Mädchen, in seinen Kahn. -

"Noch heißer begehr' ich, selbander
Mit dir zu fahren, als du.
Gib voll das Segel dem Winde!
Es kommt, zu steuern, mir zu." -

Du steuerst zu kühn, o Mädchen,
Hinaus in das offene Meer;
Du trauest dem leichten Fahrzeug
Bei hohen Wellen zu sehr. -

"Mißtrauen sollt' ich dem Fahrzeug?
Ich habe dazu nicht Grund,
Die einst ich deiner Treue
Getrauet in böser Stund'." -

Unsinnige, wende das Ruder!
Du bringest uns beide in Not;
Schon treiben der Wind und die Wellen
Ihr Spiel mit dem schwachen Boot.

"Laß treiben den Wind und die Wellen
Mit diesen Brettern ihr Spiel!
Hinweg mit Rudern und Segel,
Hinweg! ich bin am Ziel."

Wie du mich einst, so hab' ich
Dich heut zu verderben berückt;
Mach' Frieden mit dem Himmel;
Denn, siehe, der Dolch ist gezückt!

"Du zitterst, verworfner Betrüger,
Vor dieses Messers Schein?
Verratene Treue schneidet
Noch schärfer ins Herz hinein.

"Und manche betrogene Buhle
Härmt stille zu Tode sich;
Ich weiß nur, mich rächend, zu sterben.
Weh über dich und mich!" -

Der Jüngling rang die Hände,
Der eigenen Schuld bewußt;
Sie stieß den Dolch in das Herz ihm
Und dann in die eigene Brust.

Es trieb ein Wrack an das Ufer
Bei wiederkehrender Flut:
Es lagen darauf zwei Leichen,
Gebadet in ihrem Blut.
(S. 170-171)
_____



Für Madame Adelbert
1820


Ob ich dich liebe? kannst du wohl es fragen?
Und können Worte deine Zweifel heben?
Die einz'ge Antwort ist das volle Leben.
Fürwahr, die Worte wissen's nicht zu sagen.

Ob ewig lieben werde? Zu beklagen
Ist die, der Schwüre nur Gewißheit geben;
Sind Schwüre doch nur Schwüre, Worte eben,
Wie welkes Laub im Winter anzuschlagen.

"Wie kannst du, roher Mann, mich so betrüben?
Was kann ich, Böser, Guter, sonst begehren,
Als, was mich freut, aus deinem Mund zu hören?"

Du reinster, frommster, aus der Engel Chören,
Und mein, mein Kind, mein Weib, mein, sonder Wehren
Mein ganzes Sein, mein Leben und mein Lieben!
(S. 398-399)
_____
 


Alle Gedichte aus: Adelbert von Chamisso Sämtliche Werke in vier Bänden
Mit Einleitung von Rudolf v. Gottschall
Berlin und Leipzig 1885


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Adelbert_von_Chamisso


 

 


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