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Hermine Czigler von
Eny-Vecse
(1840-1905)
Was ist die Liebe
O sprich! Was ist die Liebe?
In einem Wort die Welt!
Ein Märchen ohne Ende,
Von Geistermund erzählt;
In einer kleinen Thräne
Ein weiter Ozean,
In einem leisen Seufzer
Ein wirbelnder Orkan;
Der Himmel und die Hölle
In einem einz'gen Blick,
Ein allvernichtend Wehe,
Ein allumfassend Glück;
Ein Blitz in einer Berührung,
Der dich durchzuckt mit Macht,
Dich überselig oder
Dich überelend macht;
Die Gegenwart und Zukunft
In einem Druck der Hand;
In einem einz'gen Kusse
Ein lohender Weltenbrand,
Ein magisches Gewebe
Von Traum und Wirklichkeit,
In einem Augenblicke
Die ganze Ewigkeit;
Ein Meisterroman der Schöpfung,
Des Lebens Poesie, -
Das hohe Lied der Seele,
Die Weltensymphonie;
Ein rätselhaftes Dunkel,
Ein Strahl des Gotteslichts,
Ein Engel und ein Dämon,
Ein Alles und ein Nichts!
aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 61-62)
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Viola
(Blumenromanze)
Ein Knabe durchirrt den Frühlingsgarten,
Wo Blume gar dicht an Blume steht;
Und er beschaut die Blümlein, die zarten,
Von Zephyrs Flügel neckend umweht.
Wohl manches darunter hebt das Köpfchen
Und schaut ihn lieb und freundlich an;
Und manches schüttelt mit Unmut das Schöpfchen
Und haucht: Was sucht nur der gute Mann? -
Der Knabe wandelt in stillem Sinnen
Vorüber so manchem Busch und Strauch;
Mir deucht, sein Herz konnt' keines gewinnen,
Wie fein und schön die Blümelein auch.
Traun dennoch! - eines vom bunten Gewimmel,
Ja, eines zog lockend sein Auge an;
Mairöslein blühet unter dem Himmel,
Mairöslein hat schier es ihm angethan.
Er freut sich darüber und lacht gar munter,
Bewundert, beschaut den lieblichen Fund;
Und seine Freude wird immer lauter,
Er nimmt mit dem Röslein wohl manche Stund'.
Da blickt er zum Osten, dort sieht er wogen
Ein Blümlein, - es ist die Nachtviol';
Von Bangen fühlt er sein Herz durchzogen,
Ihm wird es plötzlich so weh und so wohl. -
Nicht fremde ist ihm Viola, die bleiche,
Er hat vor Jahren sie schon gefreit;
Sie blieb dieselbe, sie blieb die Gleiche,
Und schauet ihn an voll Seligkeit.
Sie hauchet ihm zu so süß und leise:
"Ich lieb' Dich wie einst, ich blieb Dir treu!"
Der Jüngling lauschet der duftigen Weise,
Und ihn umwehet Trauer und Reu'.
Er seufzt: "Du Blümlein! hab' Dein vergessen,
Weil nicht so rosig Du geblüht; -
O dürft' ich Dich liebend ans Herz jetzt pressen,
Doch dort gen Westen ein Röslein mir glüht." -
Zum Röslein sendet er bald die Blicke, -
Das schmückt sich gar hold in blühendem Kleid;
Bald kehret sein Aug' zur Viole zurücke,
Wie ziehet ihn an ihr stilles Leid! -
Sie träumt von ihm, sie träumt so süße, -
Sie träumet Hoffnung und Liebeslust;
Sie haucht zum Westen duftige Grüße,
Es klinget so sanft in ihrer Brust.
"O welche von beiden soll ich erwählen?"
- Fragt bange der Jüngling, mit wirrem Sinn; -
"Ich lieb' das Röslein, nicht will ich's verhehlen,
Doch mächtiger zieht's zur Viole mich hin."
Da tönt es vom Äther im Geisterhauch nieder:
"Mairöschen pranget und glänzt und glüht;
Viola doch atmet und träumet nur Lieder
Und hauchet Liebe, wie blaß sie auch blüht!
"Willst Deine Hülle Du, Knabe, vermählen,
So pflücke das Röslein mit Reiz und Pracht;
Doch willst Du der Seel' eine Gattin erwählen,
Ergib Dich Violas milder Macht.
Du Knabe, doch folge nur Deinem Herzen,
Befrage es treu bei Deiner Wahl;
Das Herz, es läßt mit sich nicht scherzen,
Ein Irrtum - und ach! - das Leben ist Qual.
Denn da gebührt nur ihm die Sprache!
Verstummen muß alles, oft selbst die Pflicht;
Es nimmt das Herz sonst schreckliche Rache -
Und jubelt, wenn's selber im Weh dann bricht."
Mit Zagen hat der Jüngling vernommen
Das mahnungsreiche Orakel dort;
Es toben die Pulse, das Herz ist beklommen,
Die Stirne glüht, das Aug' ist umflort.
Doch plötzlich fasset ihn ein Entzücken,
Er neigt zu den Blümlein sich liebebeseelt;
Man sieht ihn eines von beiden pflücken, -
Ach, welches hat wohl der Knabe gewählt? ...
Am Morgen fand man Viola erblichen,
Ihr Leben floh mit dem süßen Wahn;
Im Leid ist ihre Seele entwichen,
Das hat Untreue an ihr gethan!
aus: Deutsche
Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885 (S. 110-111)
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Biographie:
Cappilleri, Hermine, geb. Czigler v. Eny-Vecse, Wien II, Untere
Donausstrasse 49, ist am 13. Januar 1840 in Pest geboren, und siedelte
mit ihren Eltern während der Revolution nach Wien über. Sie zeigte
zunächst ausgesprochene Fähigkeiten für Malerei und Musik, und erst nach
einem längeren Krankenlager erwachte ihre dichterische Anlage, welche
ihr auch, als die schwersten Schicksalsschläge über sie hereinbrachen,,
den dornenvollen Lebenspfad ebnen half. 1864 gründete sie die vom Staate
subventionierte belletristisch-enzyklopädische Wochenschrift "Fata
Morgana", und ist vielfach literarisch thätig. 1869 vermählte sie sich
mit dem Dichter Wilhelm Cappilleri.
- Aus der Tiefe 1873 Wien
- Blüten und Blätter 1862
- Dichtergrüsse 1860
- Die Wiedereroberg. Panoniens 1878
- Jugendträume Wien 1858
- Liederkranz 1859
- Poesiegestalten Gedichte 2. Bände Pest 1863
- Streifzüge a.d. Gebiete d. Kulturlebens Wien 1885
aus: Lexikon
deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke
weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem
Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
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