Franz von Dingelstedt (1814-1881) - Liebesgedichte

Franz von Dingelstedt



Franz von Dingelstedt
(1814-1881)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Erste Liebe

Die Schildwacht

Ich möchte wohl die Schildwacht sein,
Die jenes Haus bewacht,
Um unter Liebchens Fensterlein
Zu schildern Tag und Nacht.

Dann säh' ich sie frühmorgens gleich,
Wenn sich ihr Vorhang regt,
Und Abends spät beim Zapfenstreich,
Wenn sie sich niederlegt.

Bei Tage ging mein Pendellauf
Hier unten hin und her;
Sie schaut herab, ich schau' hinauf,
Was will die Schildwacht mehr?

Und wann es stürmt in Wintersgraus,
Dann deck' ich mich in Ruh,
Beschirmt vom sich'ren Schilderhaus,
Mit meinem Mantel zu.

Mich friert auch nicht, weil Sonnenschein
Mir keiner Zeit gebricht:
Bei Tag aus ihren Aeugelein,
Zu Nacht von ihrem Licht.

So halt' ich sie in treuer Hut,
Sie kann in Frieden ruhn,
Und wer ihr was zu Leide thut,
Der hat's mit mir zu thun.

Wagt gar ein lüsterner Gesell
Dem Haus und ihr sich nah,
Den arretir' ich auf der Stell'
Und schreie: Halt, wer da!?

Doch kommt sie sittsamlich einher
Und tritt aus ihrem Haus,
Flugs präsentir' ich das Gewehr
Und rufe: Wache 'raus!

Bei Gott, die Schildwacht möcht' ich sein,
Die Liebchens Haus bewacht,
Um unter ihrem Fensterlein
Zu schildern Tag und Nacht!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 3-4)

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Schlummerlied

Die Wolken ziehen schwarz und hoch,
Matt blinken einzelne Sterne:
Wacht wohl mein liebes Mädchen noch,
Mein Mädchen in der Ferne?

Des Windes Wiegenlied durchzieht
Schlaftrunk'ne Büsch' und Bäume:
Ob sie herüber zu mir sieht,
Versenkt in wache Träume?

Die Woge schläft, die Welt ist still,
Nacht hat den Tag vertrieben:
Mein Herz nicht schlafen kann noch will,
Es will und kann nur lieben.

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 5)

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Sonne und Mond

Ich weiß nicht, soll ich dich dem Mond vergleichen,
Der aus den Liebesaugen sanft verweint
Auf mich heruntersieht und Friedenszeichen
Versöhnend in die wilde Seele scheint?

Bist du nicht eh'r, vom Himmel hoch gesendet,
Als Sonne meinem Horizont gegeben,
Die hellen Strahls mein blödes Auge blendet
Und doch die Brust erfüllt mit warmem Leben?

Verwechselt scheint mir aller Dinge Lage,
Seit mir dein Bildniß aufgegangen ist:
Du bist der Mond am klaren Sommertage,
Wie du der Winternächte Sonne bist.

Mein Thun und Treiben im profanen Lichte
Durchdringest du mit deinem Frieden ganz
Und tauchst die Nächte, flammende Gedichte,
In heißer Traumgesichte Gluth und Glanz.

Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne,
Hoch über mir geh deinen Strahlenlauf;
Es wogt zu dir mein Herz in Weh und Wonne,
Wie Fluth und Ebbe liebedurstig auf!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 6-7)

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Ständchen

Fenster zu, Gardine nieder,
Stille Alles, Alles Nacht!
Drunten wandl' ich hin und wieder:
Ob sie schlummert? Ob sie wacht?
Dort ihr Kämmerlein, wie traulich
Und wie zierlich aufgeräumt;
Hier die Sehnsucht, die beschaulich
Von dem Himmel droben träumt!

Sieht das Bett in dunkler Ecke,
Wo sie einsam schlummernd liegt,
Sieht die grüne Seidendecke,
Die sich zitternd an sie schmiegt,
Alle Tüchlein, alle Bänder,
Die sie züchtig von sich warf,
Und das reichste der Gewänder,
Das auch Nachts ihr bleiben darf.

Sieht im Schlaf dahingegossen
Ihren Leib, so süß gebaut,
Fest das Augenpaar geschlossen,
Das am Tag so klar geschaut.
Ihre Hand, die weiße, kleine,
Die in leere Luft sich streckt,
Wenn ein Traum mit Irrlichtscheine
Die geliebte Seele neckt.

Friede diesem Schlafgemache,
Segen diesem Kämmerlein!
Mögen Engel seine Wache,
Seine Kerzen Sterne sein!
Nur noch einmal hin und wieder:
Ob sie schlummert? Ob sie wacht?
Fenster zu, Gardine nieder!
Gute Nacht denn, gute Nacht!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 8-9)

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Welt-Einsamkeit

Ich saß mit ihr im Erkelein,
Entfernt von allen andern,
Sah ihre Augen hell und rein,
Gleich Sternen, ob mir wandern,
Und fühlte ihres Athems Wehn
So warm um meine Wangen,
Daß ohne Worte, ohne Flehn
Ich schier vor Lust vergangen.

Was wollt' ich, was bedurft' ich mehr,
Als diese liebe Stelle?
Der Schwarm von Menschen rund umher,
Musik und Kerzenhelle,
Die ganze, volle, fremde Welt
Verschwand und war vergessen,
Als wir selbander treugesellt
Im Erkelein gesessen.

Und wie wir uns so ganz genung,
So abgeschieden schienen,
In traulich-sich'rer Dämmerung
Versteckt von den Gardinen,
Da kam mir plötzlich doch ein Flehn,
Ach! nimmer zu erfüllen:
Der Vorhang möchte niedergehn
Uns ewig zu verhüllen!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 10-11)

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Ueberraschung

Wie bin ich doch so froh erschrocken,
Als ich durch's Fenster aufgeblickt,
Und da in deine blonden Locken
Mein Auge plötzlich sich verstrickt!
Ich dachte dich in weiter Ferne,
Mich wußt' ich krank, gebannt an's Haus:
Da tratest du, gleich einem Sterne
Aus Wolken, unverhofft heraus.

Als lächelnd du vorbeigegangen,
Auf deinen Wangen sanfte Gluth,
Da sah ich, ohne Harm und Bangen,
Dir nach, im Herzen neuen Muth;
Dein Anblick war mir ja gegeben
Als Pfand, um dafür einzustehn:
Es soll in uns'rem Liebeleben
Auch nicht ein Tag verloren gehn.


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 12)

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Windstille

In ihrem weichen Arm zu liegen,
Hat mir mein süßes Kind erlaubt,
Auf ihrem Busen darf ich wiegen
Das traum- und liebesmüde Haupt;
Da ruh' ich, ohne mich zu regen,
Von ihren Blicken überreicht,
Und lausche ihren Herzensschlägen
Und schaukle mich so lind, so leicht!

So schwimmt ein Kahn auf Wasserwogen,
Ein herrenloser, hin und her,
Hoch über ihm des Himmels Bogen,
Tief unter ihm das tiefe Meer;
Er weiß von keinem Stehenbleiben,
Von keinem Halt und Ziele mehr,
Er möchte nichts als weiter treiben,
So weit, so weit, als wie das Meer.

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 13)

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Neuer Winter

Nun, da dein Auge von uns scheidet,
Zieht auch der Frühling außer Land;
Für dich hat es sich grün gekleidet,
Jetzt wieder in sein Schneegewand.
Was soll ein West, der dich nicht fächelt,
Das Veilchen, das dein Fuß nicht tritt?
Nur dir hat früher Lenz gelächelt,
Du gehst, und er geht treulich mit.

Ich seh' euch rasch von dannen jagen,
Gefolgt von eurem lust'gen Chor:
Zephire schwärmen um den Wagen,
Die Schmetterlinge reiten vor;
Du selbst entschwebst auf goldner Wolke,
Nach Süden ziehst du eilig hin,
Und winkst dem muntern Elfenvolke
Den Abschied zu als Königin.

O weich' nicht ganz von dieser Erde,
Die niemals deine Heimath war;
Verwandle deine braven Pferde
Nicht plötzlich in ein Drachenpaar!
Nimm allen Lenz sammt Lust und Liebe
Mit dir, wenn du ihn hier vertreibst:
Hier frommt es nichts, auch wenn er bliebe,
Hier bleibt er nicht, weil du nicht bleibst!

So dich und ihn zumal vermissen,
Das ist, fürwahr, ein harter Tag!
Da steh' ich traurig, schmerzzerrissen,
Und starre eurem Zuge nach:
Ein Blick, ein Gruß! Jetzt muß er schwinden,
Dort, bei dem dürren Pappelbaum!
Ade; dies welke Blatt den Winden!
Ade, geliebter Frühlingstraum!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 14-15)

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Zum Abschied

Verstecke dich nur heute nicht,
Wenn ich vorübergeh';
Das holde Frauenangesicht,
Nur heut', nur heut' versteck' es nicht,
Daß ich's noch einmal seh'!

Im Fenster, an des Erkers Rand
Ein Weilchen bleibe stehn,
Und grüße mit der weißen Hand,
Die Aeugelein halb abgewandt,
Und laß dein Tüchlein wehn!

Denn noch ein letztes Grüßen dein
Empfing' ich gar zu gern:
Das sollte in die Fremd' hinein
Mein bester Reiseengel sein,
Gesandt von Gott dem Herrn!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 16)

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Eine Landpartie

Wie mahnst du mich, und ohne Worte,
Du kleines Dorf, so wunderbar
An einst, da ich an diesem Orte
Zum erstenmale glücklich war;
Rufst du in hundert kleinen Zügen
Mir deshalb nur ein Bild zurück,
Um meine Sehnsucht zu betrügen
Durch der Erinn'rung herbes Glück?

Hier kam sie lächelnd mir entgegen;
Dort war es, wo ich mit ihr ging,
Wo in den engen Gartenwegen
Ihr Arm in meinem bebend hing;
Und dort, wo wir im Schatten lagen,
Wo sie aus Epheu Kränze wand,
Wo ich, das Schicksal zu befragen,
Grashalme band in ihrer Hand.

Und was an seiner alten Stelle
Noch fest und unverändert steht,
Das Bauernhaus, im Hof die Quelle,
Der Apfelbaum, das Dahlienbeet:
Das mahnt mit stummberedtem Munde
Mich alles nur an sie, an sie,
Die diesem Raum und jener Stunde
Den Zauber ihres Wesens lieh.

Sie ist dahin! Von ihrer Nähe
Blieb nirgends eine leise Spur!
Wohin ich blicke, wo ich spähe,
Ich finde fremde Zeugen nur:
Im Sand sind ihre leichten Tritte
Wie auf dem Rasen längst verwischt,
Und durch der neuen Blumen Mitte
Geht nicht ihr Hauch mehr, süßgemischt.

Verweht, verwelkt! Denn keine Treue
Wohnt in vergeßlicher Natur:
Sie dringt und treibt nur auf das Neue,
Das Alte schwindet ohne Spur!
Nur in dem engen Menschenherzen,
In seiner Liebe wachem Traum
Ist so für Freuden wie für Schmerzen
Stets gleiche Dauer, gleicher Raum!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 17-18)

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Am Kamin

Ich sitze einsam am Kamin,
Das jüngst noch sie und mich beschien;
Ich träum' und kann es nie vergessen,
Wie anders damals wir gesessen.

Hier stand der Stuhl, auf dem ich saß
Und ihr mein letztes Liedchen las,
Ihr Spinnrad dort, mit Flachs am Rocken,
Nicht goldiger als ihre Locken.

Vom Feuer ging ein warmes Licht
Auf ihre Arme, ihr Gesicht,
Und lange, schwarze Schatten fielen,
Um lustig an der Wand zu spielen.

Ergriff' ich dann die fleiß'ge Hand,
Hui, wie das Rädchen stille stand,
Die Funken im Kamine sprühten,
Die Lippen und die Augen glühten!

Und zog ich sie auf meinen Schooß,
So brach das helle Brennen los;
In spitzen Zünglein schlugen Flammen
Vom Herd empor und dicht zusammen.

Nun sitz' ich wieder am Kamin,
Doch aus ist aus, und hin ist hin!
Kein Rädchen schnurrt, kein Liedchen flistert,
Das Feuer selbst nur traurig knistert.

Zerstreute Funken kriechen stumm
Und träg' im feuchten Holz herum,
Und als ich nach dem letzten hasche,
Erlischt er plötzlich; Alles Asche!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 19-20)

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Gefrornes

Blumen, die mit kalten Händen
Winter an das Fenster malt,
Die nur blüh'n in engen Wänden,
Farblos, kaum vom Licht bestrahlt,
Die in langer Nacht entsprießen
Und am kurzen Tag zerfließen, -
Ach! das sind gefrorne Blumen!

Lieder, die in ödem Zimmer
Der Poet in's Büchlein schreibt,
Während ihn die Sehnsucht immer
Zur entfernten Liebsten treibt,
Die er sich hat singen müssen,
Ohne sie zu sehn, zu küssen, -
Ach! das sind gefrorne Lieder!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 21)

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Trost in Trennung

"Lieber, jene Blumen alle,
Die im Frühling uns entzückt,
Die wir oft am Wasserfalle,
Oft im grünen Wald gepflückt,
Weißt du nicht, daß nicht für immer
Sie des Winters Hand uns nahm,
Daß mit jedem Mai ihr Schimmer
Und ihr Duft noch wiederkam?

Vor des Winters kalten Armen
Haben sie sich jetzt versteckt,
Sich mit Tüchlein, weißen, warmen,
Eingehüllt und zugedeckt!
Blickt die Sonne hell hernieder,
Werfen sie die Tüchlein fort,
Blühen neu und duften wieder
An dem altgewohnten Ort."

Liebste, jene süßen Stunden,
Die uns beide einst beglückt,
Da wir, inniglich verbunden,
Küssend uns die Hand gedrückt,
Weißt du nicht, daß sie im Herzen
Sich zur Zeit nur still versteckt,
Dort mit der Erinn'rung Schmerzen,
Hier mit Liedern zugedeckt?

Glaube mir, daß endlich wieder
Unser Mai auch kommen muß,
Dann verstummen Schmerzen, Lieder,
Und es spricht nur Blick und Kuß;
Wie die fernen Blumen alle
Rufen ich und du ihm zu,
All' in einem Wiederhalle:
Frühling, warum zögerst du?


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 22-23)

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Astronomie

Von den Sternen will ich lernen,
Die am Winterhimmel stehn,
Die im Nahen und im Fernen
Friedlich um einander gehn;
Wie sie kommen, wie sie kreisen,
Nie getrennt und nie vereint,
Wie ihr Weg in festen Gleisen
Ewig vorgezeichnet scheint!

Daß ich so dich lieben lernte,
Immer nah und immer fern,
Du Geliebte, du Entfernte,
Meines Lebens schöner Stern!
Jeden Blick auf dich gerichtet,
All' mein Thun in dir versenkt,
Meine Nacht durch dich gelichtet,
Meinen Lauf nach dir gelenkt!

Doch statt Fixstern und Planeten
Gleicht mein wildes Lieben nur
Einem irrenden Kometen
In der blauen Himmelsflur;
Oder auch dem raschen Blitze,
Der in Wetterwolken naht
Und erlischt in eigner Hitze
Eh' er noch gezündet hat!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 24-25)

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Das Bild

Ich habe zur letzten guten Nacht
Dein liebes Bild geküßt;
Da war mir, als hätte der Mund gelacht,
Das Auge mich heiter begrüßt.

Die Züge lebten in frischem Glanz,
Durchhaucht von athmendem Wehn;
Du warst es selbst, du warst es ganz,
Als sei ein Wunder geschehn.

Drauf, als ich heiß und unbedacht
Noch einmal dein Bild geküßt,
Ist mir, als hättest du gelacht,
Und als ob ich weinen müßt'!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 26)

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Das weiß ich nicht, wie es gekommen,
Daß dir mein Herz auf einmal gut,
Als wir zusammen sind geschwommen
An Bord des Schiffs durch Dampf und Fluth.

Du saßest frisch und unerschrocken, -
Weißt du es noch? - an Deckes Rand,
Vom Regen troffen deine Locken,
Im Sturme wehte dein Gewand.

Sie löschten deines Auges Strahlen
Nicht aus, die Wange ward nicht bleich,
Um deinen Mund zu vielen Malen
Spielte ein Lächeln sonnengleich.

Ein Bild anmuth'ger Frauenmilde,
Doch stark und herrlich standest du;
Dein Loblied sang der Sturm, der wilde,
Dem wilden Meere jauchzend zu.

Sie küßten dir mit kecken Zungen
Den Fuß, des blauen Mantels Saum,
Sie neigten dir sich wie bezwungen
Und krönten dich mit weißem Schaum.

So schwebte, wogen-hochgetragen,
Von Gischt umtost, von Wind gekost,
Die Göttin auf dem Muschelwagen,
Im öden Meer der Augen Trost.

Und: Heil dir, Wellenschaum-Gebor'ne,
Erscholl es huld'gend um sie hin,
Heil dir, du freie, du erkor'ne,
Du hohe Schönheits-Königin!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 73-74)

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Die Mähr vom Feu'r des heil'gen Elm
Ist nicht zur Kurzweil blos erdacht,
Es leuchtet um des Schiffes Helm
Und schmückt den Mast zu mancher Nacht.

Die Möve schießt dann scheu vorbei,
Der Schiffer grüßt es ehrfurchtsvoll,
Er fragt, und schlägt der Kreuze drei,
Ob Sturm, ob Stille werden soll?

Am lichten Tage seh' ich ja
Sanct Elmens Flamme selber klar:
Sie lodert mir, ganz warm und nah,
Aus diesem lieben Augenpaar.

Und tief von ihrem Glanz durchglüht
Beug' ich vor ihrer Macht das Knie:
Wohin mein Schiff auch fürder zieht,
O stünde stets am Steuer sie!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 75)

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Wär' ich der Wind, ich wollte pochen
An deiner Karre grüne Thür;
Wär' ich die Well', ich käm' gekrochen
Und riefe leis: Herfür, herfür!

Wär' ich der Wind, ich spielt' erquicklich
Mit deines Haares dunklem Saum;
Wär' ich die Well', ich küßte schicklich
Dir Hand und Fuß, du fühltest's kaum.

Wär' ich der Wind, ich säng' erbaulich
Dir deiner Schönheit Ruhm und Preis;
Wär' ich die Well', ich gäb' beschaulich
Dein Bild dir wieder marmorweiß.

Wär' ich der Wind, ich weht' und rauschte
Dir lauter Lieb' in's offne Ohr!
Wär' ich die Well', ich stünd' und lauschte
An deiner Lippen Rosenthor.

Wär' ich die Well', ich zög' allmälig
Dich mit mir in mein feuchtes Haus;
Wär' ich der Wind, ich hauchte selig
Ob dir den letzten Seufzer aus!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 76)

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Hier will ich wandeln, bis sie naht,
Auf die mein Auge harrt,
In der Allee, wo früh und spat
Des Seilers Rädlein knarrt.

Ist Liebe denn nicht auch ein Seil,
Ob's Hanf, ob's Seide flicht?
Da kommt sie! - Noch nicht. - Alleweil!? -
Nein, leider wieder nicht!

Ach, Meister Seiler, sag' Er mir,
Wie Er es fänget an,
Daß Er so ruhig für und für
Da gehn und drehen kann?

Betracht' Er sich 'mal meine Eil',
Mein Ungeduldsgesicht!
Da kommt sie! - Noch nicht. - Alleweil!? -
Nein, leider wieder nicht!

Ach, Meister Seiler, spinn' Er schnell
Ein Netzlein stark und fein,
Daß ich mir fange auf der Stell'
Ein holdes Vögelein.

Solch Vögelein das fängt man nicht,
Das lockt man schlau in's Haus,
Zu mir der schlimme Seiler spricht
Und geht und lacht mich aus.

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 77-78)

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Dein Aug' ist meine Sonne, Kind,
Mein Leuchtthurm ist dein Licht;
So lang' die nicht erloschen sind,
Kenn' ich kein Dunkel nicht.

Wir standen heut' am Felsenwall
Und sahen niedergehn
Der Sonne feuerrothen Ball
Auf fernen Meereshöh'n.

Die andren Leute freuten sich
Der Licht- und Farbenpracht,
Doch mehr wie Andre freut' ich mich,
Mir war's ja noch nicht Nacht.

Denn vor mir standen Sonn' und Tag
In deinem Aug' zumal,
Und glühend wie die Welle lag
Mein Herz in ihrem Strahl.

Nun ist auch meine Sonne fort,
Und suchend blicken wir,
Die Andren auf den Leuchtthurm dort,
Ich auf dein Fenster hier.

Doch Beide sind noch schwarz und leer,
In keinem winkt ein Schein,
Und seufzend irr' ich wie das Meer
Tief in die Nacht hinein.

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 79-80)

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Es kam die Fluth, als mir dein Bildniß
Im Herzen aufgegangen war,
Wie plötzlich in der Wasser Wildniß
Der Mond sich spiegelt wunderbar.

Hochwasser war, als die Gedanken
An dich stets höher mich gefaßt,
Bis ich in selig-trunk'nem Schwanken
Erlag der ungewöhnten Last.

Die Ebbe kommt, nun unerweichbar
Das Schicksal mich von dannen treibt,
Und ach! stets weniger erreichbar
Der Mond, dein Bild, dahintenbleibt.

Tiefwasser ist, wann dich erbleichend
Mein Angesicht zum Letzten sieht,
Daß alle Liebe, schmerzlich weichend,
Hinab in's tiefste Herz mir flieht.

Gehst du nun später am Gestade
Frühmorgens den gewohnten Lauf,
So lies auf deinem weichen Pfade,
Was dir die Fluth zurück ließ, auf.

Sind Muscheln nur und glatte Steine
Und Perlen, die wie Thränen sehn:
Auf allen muß Ein Bild, das deine,
Ein Name, dein geliebter, stehn!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 81-82)

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Am Scheidewege

"Der Abend graut, der Tag beginnt zu sinken.
Leb' wohl! Zeit ist's zu gehen für uns beide!"
So sprichst du leise, deine Hände winken
Und deine Augen, daß ich jählings scheide.
Ich aber stehe still am Kreuz der Wege
Und glaub' es nicht, daß mich dein Wort verstieß,
Bis ich die Hand in diese Male lege,
Die mir dein goldner Ring im Finger ließ.

Ja, nimm auch den. Ich darf sie nicht mehr tragen,
Und mag die Schlange nicht bei mir bewahren;
Verbrenne sie, laß sie zu Staub zerschlagen,
Die stolze Ewigkeit von zweien Jahren.
Nimm hin, und daß dein Nehmen nie dich reue,
Wie - ach so früh! - dein Geben dich gereut!
Mit ihm verlobt' ich einst mich deiner Treue,
Mit ihm verlob' ich dich der Freiheit heut'!

O wähne nicht, daß ich im Zorne schiede,
Weil Thränen diese Blätter überschwemmen;
In meiner Brust ist Friede, tiefer Friede,
Wenn Seufzer auch die wogende beklemmen.
Ich ahnt' es längst, ich hätte lernen sollen,
Wie sich's im Leben einsam geht und ruht;
Du hast's gewollt, du kannst nur Gutes wollen,
Du hast's gekonnt, und doppelt heiß ich's gut.

Daß ich dich täuschte, nein, du wirst's nicht sagen,
Nur das nicht, sage sonst, was dir gefalle!
Kehr' in dich, wag' dein Innerstes zu fragen,
Mein ist die Schuld, doch ist sie es nicht alle!
Ein Wurm hat immer in dem Baum gesessen,
Der geifernd durch der Blüthen Fülle kroch;
Nun hat der Wurm des Baumes Mark zerfressen,
Und dieser fällt; was wundern wir uns noch?

Du liebtest mich. Verkannt hab' ich es nimmer;
Du liebst mich noch und willst es nur verschweigen.
Ich liebte dich, ich liebe dich noch immer,
Ich will dir scheidend diese Liebe zeigen.
Denn brechen soll, nicht allgemach vermodern,
Das Band, für eine Ewigkeit geschürzt,
Und himmelhoch der Scheiterhaufen lodern,
Der über unsrem Bund zusammenstürzt.

Du hast ein Recht, dich von mir loszumachen,
Nicht weil ich dich, weil ich mich selbst betrogen.
Man wirft sein Glück nicht gern in einen Rachen,
Der ziel- und haltlos treibt auf weiten Wogen:
So treib' auch ich und seh's mit offnen Augen
Und schließe sie, um weiter nichts zu seh'n.
O schilt mich nicht! Die nicht zu Lootsen taugen,
Sie sollten freilich nicht am Steuer steh'n!

Wir scheiden, nicht mit Fluch, und nicht mit Segen,
Nein! stumm und starr, auf Nimmerwiedersehen.
Mich lasse einsam zieh'n auf dunklen Wegen,
Du bleib' im Dunkel einsam drüben stehen.
Für dich kein Glück! Du wirst nie wieder lieben,
Und könntest du, hast du nie mich geliebt.
Für mich kein Glück! Weil dem, den du vertrieben,
Die Erde fürder keine Heimath giebt.

Ach, daß es so, nicht anders enden müßte,
Wer hätte das gedacht in jener Stunde,
Da ich zum erstenmal als Braut dich küßte
Und deine Mutter weinend stand im Bunde?
Doch ja, sie sind ja damals schon gekommen
Und haben warnend dir in's Ohr geraunt:
Bei Dichterliebe ist kein rechtes Frommen,
Weil Dichter flüchtig sind und schlimm gelaunt.

Beschuldigt mich, nur meine Muse nimmer;
Sie that dir nichts, ich schwör's bei jenen Sternen!
Mit dir verschwistert wandelte sie immer,
Ihr zwei gleich theuer mir im Nah'n und Fernen.
Deß kann nur Aberwitz den Dichter zeihen,
Er kenne nicht getreuer Liebe Glück;
Sein heißes Herz vermag er ganz zu weihen,
Doch unverstanden, nimmt er's stolz zurück.

Ich klage nicht um das, was du genommen,
Und will, was du zerstörst, nicht neu begründen;
Der Vesta Feuer, wenn es ausgeglommen,
Vermag ein Blitz nur wieder zu entzünden.
Ich weine nicht um die verlor'nen Jahre,
Nicht um die Jugend, die du mir geraubt,
Nur darum wein' ich, daß du, ewig Wahre,
Zum erstenmal dir selbst nicht mehr geglaubt!

Doch was du thust, und thätest du's mit Schmerzen,
Vollbringst du nur in einer höh'ren Sendung.
Die Hand, die mich verstieß von deinem Herzen,
Gab mir, dem Dichter, des Berufs Vollendung,
Sie löste ihn von seinen letzten Banden,
Sie nahm ihm Heimath, Ziel und Vaterhaus;
Hab', Schicksal, Dank! Du wurdest recht verstanden:
Nur frei und einsam reift der Dichter aus!

Und nun, die Arme dorthin ausgebreitet,
Wo du mir und die Sonne weggegangen,
Geh' ich allein, vom Grau'n der Nacht begleitet,
Die letzte Thräne auf den bleichen Wangen.
Fahr' wohl, fahr' wohl! Ich scheide ohne Grollen,
Für mich reicht meine Muse dir die Hand,
Und tröstlich wölbt sie zwischen thränenvollen
Entfernungen ihr siebenfarbig' Band.


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 85-88)

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Im Postwagen

Wir saßen im Wagen, zu drei oder vier,
Ein verschleiertes Weib gegenüber mir.

Der Mond schien hell zum Fenster herein
Und floß um ihr Haupt wie Heiligenschein.

Es war so heimlich drinnen, so traut,
Im Dunkel draußen kein Licht, kein Laut.

Nur die Räder knarrten in sandigem Gleis,
Die ledernen Polster seufzten leis.

Wer bist du, fremdes, liebes Gesicht,
Mit den großen Augen im Mondenlicht?

Halt' deine Blicke nicht abgewandt;
Du bist einsam wie ich, komm, reich' mir die Hand!

Und lehn' an meine Schulter dich an,
Wenn die müde Stirn nicht mehr wachen kann!

Ich hörte sie athmen, sanft und tief,
Ihr Busen wogte, das Mädchen schlief.

Eine Stunde, so hielt der Wagen an,
Am Schlage stand harrend im Mantel ein Mann.

Das Posthorn klingt, das Mädchen erwacht,
Ein Grüßen, ein Küssen durch die Nacht.

Sie hatten sich wieder, ein liebendes Paar,
Sie herzten sich, daß eine Lust es war.

Der Schleier fiel, das Laternenlicht
Beleuchtete grell ein Engelsgesicht.

Ich sah es von fern, mein Herz war voll,
Eine Thräne heiß aus der Wimper quoll.

Der Wagen flog wieder davon und vorbei,
Da standen noch immer umschlungen die Zwei.

Ich fuhr allein hinaus in die Nacht;
Ach, wär' sie doch nimmer, nimmer erwacht!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 95-96)

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Letzte Liebe
Ein Canzonen-Kranz

I.
Die Sonne sinkt. Ein brechend' Mutter Auge
Hängt sie noch einmal auf der stillen Erde
Und zittert in des See's durchglühten Wogen.
Ja, dräng' Dich an sie, Welten-Kind, und sauge
Den Segen auf, eh' er verdunkelt werde,
Und eh' an dem erstarrten Himmelsbogen
Die Nacht kommt aufgezogen.
Auch meine Sonn', ich fühl' es, neigt zu Ende;
So möge Dich ihr letzter Strahl verklären!
Ob ich die Kraft, die schwindende, verschwende,
Was thut's? Sie kann ja doch nicht ewig währen.
Ein Bild noch - Deins! - will ich in Glorie fassen
Und lächelnd als Vermächtniß hinterlassen.


II.
Daß ich Dich fand, bevor ich heimgegangen,
Ich weiß nicht, soll mich's freuen oder schmerzen,
Und soll ich weilen bei Dir oder fliehen?
Fertig mit jedem liebenden Verlangen
Hatt' ich schon abgeschlossen mit dem Herzen
Und dachte unter fremden Melodieen
Kühl meines Wegs zu ziehen.
Nun windest du den schweren Wanderstecken
Mir aus der Hand und zwingst mich zu Dir nieder;
Ach! thust Du wohl den alten Geist zu wecken,
Die Jugendträume, die verscholl'nen Lieder?
Sie werden doch mich nicht wie einst bethören,
Dir kann ich nicht und nicht mir selbst gehören!


III.
O hätte Deiner Seele erstes Wählen
Statt meiner einen Besseren getroffen
Und hätten wir uns nimmermehr gefunden!
Der Frühling soll dem Herbst sich nicht vermählen,
Und die Enttäuschung nicht dem gläub'gen Hoffen;
Wie wirst Du, wann Dein Rausch entschwunden,
Erwachen, wann gesunden?
Du weißt nicht, was Du thust. Stets fester rankst Du
Im jungen Triebe Dich um Schutt und Steine;
Wenn diese brechen über Nacht, dann schwankst Du
Zerrissen hin und schutzlos, arme Kleine!
Nein, Rosen sollen nicht aus Trümmern sprossen, -
Geh', such' Dir einen jüngeren Genossen!


IV.
Du zauderst, Dich mit meinem Lied zu schmücken?
Mein Kind, wie schlicht Du bist und wie bescheiden,
Daß Dich die blassen Dichterperlen blenden.
Ich möcht' in's Haar Dir Shakspeare's Krone drücken
Mit Goethes Purpur königlich Dich kleiden
Und des Petrarca Schatz mit beiden Händen
Täglich an Dich verschwenden.
Ach! Wenn unsterblich meine Dichtung wäre
Und siegend dräng' in alle Welten-Fernen,
Ich baute Dir unsterbliche Altäre
Und trüge Deinen Namen zu den Sternen.
Ein kalt' Geschenk für Deine warme Gabe -
Weh! Daß ich Gleiches nicht zu bieten habe!


V.
Du bist nicht wie die and'ren Weiber alle:
Du forschest nicht auf meinem Seelengrunde
Nach längst versunk'nem Lieben oder Leben;
Du putzest minder Dich zu einem Balle
Als für den Freund zu stiller Schäferstunde
Und hast Dich, ohne Schwur und Widerstreben,
Mir ganz dahingegeben.
Jüngst küßte ich den Saum an Deinem Kleide,
Da wardst Du bös' und botest süß-beklommen
Den Mund mir dar; auch Abends, wenn ich scheide,
Fragst Du mich nie: wann wirst du wiederkommen?
O Mädchen, Mädchen, lehre mich vergessen,
Daß ich schon Andere vor Dir besessen!


VI.
Laß, Mädchen, mich Dein Herz demüthig küssen,
Und wiege Du mit reinen Liebes-Armen
Mein Haupt in Deinem jungfräulichen Schooße!
Vor Dir möcht' ich mein ganzes Unrecht büßen,
Du würdest meiner Schuld Dich mild erbarmen
Und mich versöhnen mit dem Dichter-Loose,
In Dornen eine Rose.
Ich zweifelte an Weiber-Lieb' und Treue,
An Freund und Feind, an Gott und meines Gleichen;
Nun fühl' ich wieder Sehnsucht, Schmerz und Reue
Wie Frühlingsathem schmeichelnd mich beschleichen,
Und die mir Lieb' in Jahren schlug, die Wunden,
Die Liebe heilt sie ach! in wenig Stunden.


VII.
Es war am Abend, daß wir uns begegnet, -
Weißt Du es noch? - an jenem Brückenstege;
Du betetest just mit den Versperglocken,
Ich kam vom Berge müd' und ganz durchregnet
Und fragte Dich nach dem verlor'nen Wege,
Da fuhrst Du auf und schütteltest erschrocken
Die langen blonden Locken.
Ach! wohl war ich verirrt: zum Heimathlande
Und zu verlor'nen Jugend-Paradiesen
Hast Du aus unfruchtbarem Wüstensande
Tröstlich und mild die Straße mir gewiesen.
Bald - ist es Zeit. Dann sag' mir Ewig-Blinden,
Wie soll ich meinen Rückweg wieder finden?


VIII.
Mir träumte letzte Nacht: Wir beide saßen
Hier unter Deines Vaters Hochzeitslinde,
So wie wir, Hand in Hand, zu sitzen pflegen.
Zu Deinen Füßen spielte auf dem Rasen
Ein Lamm mit einem blondgelockten Kinde,
Und aus der Hütte drinnen sprang verwegen
Ein Knäblein uns entgegen;
Er klammerte sich fest an Deine Kniee
Und spielte mir liebkosend in den Haaren
Und "Vater" lallend in dem Bart - Und siehe!
Wie grau mein Bart und meine Haare waren! ...
Zu spät, zu spät!! Was frommen alle Träume? -
Wann's Herbst ist, werden fahl und kahl die Bäume.


IX.
Du hörtest wohl die märchenhafte Kunde
Von einer Stadt am Meere, die vor Jahren
Durch eine Sturmfluth ward hinabgeschlungen?
Noch blinkt es oft und wallt herauf vom Grunde,
Und wenn die Schiffer Sonntag drüberfahren,
Ist plötzlich aus den grauen Dämmerungen
Ein Glockenton erklungen!
So, Mädchen, lass' in Deines Busens Grunde
Mein Lieben und mein Leben still versinken,
Und an das Licht gelange keine Kunde,
Als nur ein leises Wallen oder Blinken.
Noch treib' ich leicht und selig auf der Welle,
Beglänzt von Deiner Augen Sternenhelle.


X.
Stirb, Engel, stirb in meinen Armen plötzlich!
Im Kuß laß Deinen rothen Mund erkalten,
Im Kuß den letzten Seufzer sanft zerfließen!
Dann soll mein Herz Dein Bildniß unverletzlich,
Wie Sarg und Grab, in seinem Schreine halten
Und über ihm in treuen Finsternissen
Sich stark und ewig schließen.
Mich quält, daß And're nach mir Dich umfassen
Und Deiner Liebe volle Rosen pflücken,
Drum möcht' ich Dich dem Tode überlassen
Und scheidend in sein Witwer-Bett Dich drücken.
Der Tod ist treu, in seinem Haus ist Frieden,
Und Treu' und Frieden eine Lüg' hienieden.


XI.
Merk' auf! Acht Tag', nachdem Du mich verloren,
Dann werden fromme Tröster zu Dir kommen
Und freundlich auf die rechte Stunde passen;
Sie raunen nachbarlich Dir in die Ohren:
"Du hast zu sehr zu Herzen es genommen,
Er hat dich eigentlich doch schnöd' verlassen,
Versuch' es, ihn zu hassen" ...!...
Spei' ihnen in's Gesicht, den Pharisäern,
Und schließe Dich in Deine stille Kammer;
Dort laß, den Spöttern ferne wie den Spähern,
Ausbluten Deinen ersten Lebensjammer,
Und selbst die Wunde - glaub's - wird Dich beglücken,
Wenn fremder Tölpel Fäuste sie nicht drücken.


XII.
Nun sei geleert die bitt're Abschieds-Schale,
Das harte Wort sei schonungslos gesprochen:
Leb' wohl, leb' wohl! Auf Nimmerwiedersehen!
Hier küßt' ich Deinen Mund zum ersten Male,
Hier werde auch der letzte Kuß zerbrochen,
Du bleib' auf dieser Schwelle einsam stehen,
Mich lasse einsam gehen!
Ja, Du bist groß! - Du heißest ohne Zähre
Und ohne Klage mich von dannen ziehen;
O Mädchen, Mädchen, wenn es möglich wäre - -
Nein, es ist nicht. Du weißt es, ich muß fliehen.
Und dies das Letzte, was ich Dir geschrieben:
Du hast geliebt - Ich werde  nimmer lieben!


XIII.
Den Wolken nah, auf dürrer Felsenspitze,
Wo nur die Eulen nisten und die Raben,
Will ich der Liebe Kenotaph bestatten.
Ein letzter Blick zurück von meinem Sitze:
Ich bin allein, ich habe sie begraben,
Und ach! sie folgt mir nicht, wie einst der Schatten
Euridike's dem Gatten.
Da unten liegt, dem Auge kaum erkennbar,
Die Hütte wie ein Särglein anzuschauen ...
Ein Schmerz durchzuckt mich tödtlich und unnennbar:
Aus mit der Liebe! Fertig mit den Frauen!
Dann weiter in die Welt mit halber Seele,
Der Haß ergänze, was an Liebe fehle!


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 169-181)

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Hohe Liebe: Sonettenkranz


1.
Ein kleines Eiland gönnet mir in Güte,
Den Wellen und dem Sturme abgezwungen,
Damit ich drauf in Friedensdämmerungen
Das Paradies verschwieg'ner Liebe hüte.

Ach, schon so manche stille Herzensblüthe,
So manches Lied mißrathen und gelungen,
Hat der empörte Strom der Zeit verschlungen,
Und immer ärmer werd' ich im Gemüthe!

Ich weiß, dies Eiland auch kann nicht bestehen,
Und wie es aufgetaucht, so wird es eben
Im Wasser über Nacht versinken gehen.

Dann sollt ihr wieder mich im Strudel streben,
Mich mit den Brüdern wieder rudern sehen
Und mit dem Strome streiten um mein Leben.


2.
So lang ich denke, tracht' ich nun nach Frieden;
Je mehr ich über wilde Wasserwogen,
Durch Berg und Thal ihm suchend nachgezogen,
Je mehr hat er mich Suchenden gemieden.

Sein Trugbild war mir dann und wann beschieden
Zu Trost und Hohn, ein siebenfarb'ger Bogen,
Auf das Gewitter meiner Zeit gelogen,
Das Ende droben, der Beginn hienieden.

Da gehest du mir auf, du Bild der Gnaden,
Und führst aus labyrinthischem Gewinde
Mich in mich selbst zurück auf sanften Pfaden.

Nun zieh' ich, vor den Augen eine Binde
Und in der Hand der Liebe rothen Faden,
Dem Frieden nach, gewiß, daß ich ihn finde.


3.
Eh'r wollt' ich, daß die Zunge mir verdorrte,
Als daß sie je von Liebe zu dir spräche;
Bevor ein Blick verkünde meine Schwäche,
Auf ewig schließe sich des Auges Pforte!

Ich trag' in mir den heiligsten der Horte;
Verrath an ihm? Nein, daß mein Tod ihn räche!
Hoch drüber soll mit glatter Oberfläche
Die Welle rauschen, meines Liedes Worte.

Sogar dein Bild, geschützt durch eignen Schimmer,
Steht über mir in seinem Edelschreine,
Und selbst mein Traum berührt es frevelnd nimmer.

Nur daß ich vor ihm knie, bete, weine,
Gestatte das, du Namenlose, immer
Und sei in diesem einen Sinn die Meine!


4.
Verkehrte Wege leitet mich die Liebe
Und setzt, was sonst zum Anfang steht, am Schlusse:
Ich kehre schon zum Blick zurück vom Kusse,
Schon zur Entsagung vom gestillten Triebe.

Auch weiß ich nicht, welch' Ziel ihr übrig bliebe
Nach aller Sättigung zum Ueberdrusse,
Wenn sie in geistig-sinnlichem Genusse,
Nicht immer rückwärts ihren Kreis beschriebe.

Daß späte Reue nur auch wiederbrächte
Die frühe Gluth, in Dunst und Rauch verlodert,
Die Kraft verträumter Tage, heißer Nächte!

Ein ganzes Herz ist, was die Liebe fodert,
Und ach! zu spät erkenn' ich, daß die ächte
Allzeit in Einer Brust entsteht und modert.


5.
Was sind denn diese hohen Spiegelwände,
Von hundertfachem Kerzenglanz durchflittert,
Was anders als ein Käfig, reich umgittert,
Als einer Rebe hölzerndes Gerände?

Dein Auge täuschte, wenn es nicht empfände,
Daß jede freie Ranke dort verwittert,
Wenn in dem Blick, der oft in Thränen zittert,
Kein dunkles Ahnen und Verlangen stände!

Erschiene doch in Traumgesichtes Helle
Dir einmal, so viel reicher oder ärmer
Als dein Palast, die traute Dichterzelle!

Da kniet, außen kälter, innen wärmer,
Dein Bild bekränzend auf verhüllter Schwelle,
Ein still beglückter, still entzückter Schwärmer!


6.
Ein kindisches und doch ein schönes Treiben:
Zu schreiben überall den einen Namen,
In Schnee und Erz, in Bast und Kressesamen,
Und mit dem Diamant in Fensterscheiben!

Ich darf allein nicht nennen und nicht schreiben
Den Namen meiner Dame aller Damen,
Und meine Kunst verherrlicht blos den Rahmen,
Indeß umschleiert stets das Bild muß bleiben.

Da wagt ich denn der sieben Leute Segen,
Zu Trotz dem harten Zwang und dem Verluste,
In eines Reimes Wiederhall zu legen.

Nun tönt er, den ich streng verschweigen mußte,
Ein Echo aus der Grotte, dem entgegen,
Der recht zu rufen, recht zu lauschen wußte.


7.
Die Liebe mag beredt sich gerne zeigen,
Beredt in guten und in schlimmen Tagen;
In Jubel überströmt sie, strömt in Klagen,
Um nur, so lang sie küsset, stillzuschweigen.

Doch meinem Liebesdienst um dich ist eigen,
Daß ihm die leichten Worte leicht versagen,
So daß ich oftmals deinen sinn'gen Fragen
Begegnen muß mit stumm verleg'nem Neigen.

Der Mund, der sich an andere verschwendet,
Warum wird seine goldne Kunst zu Schanden,
Sobald dein Ohr sich huldreich zu ihm wendet?

Nicht wahr, du hast sein Schweigen mehr verstanden,
Als seine Rede, wenn sie stammelnd endet?
Du weißt, ihn hält ein volles Herz in Banden!


8.
Du liebst es, dich in wildem Tanz zu drehen,
Umschwärmt von bunten oder schwarzen Gecken,
Die deine schöne Hand wetteifernd lecken,
Doch nie dein Herz, dein schönes Herz verstehen.

Ich mag indeß im Saal traumwandelnd gehen,
In dunkler Nische schweigsam mich verstecken,
Und wenn mich laute Hornfanfaren wecken,
Im Fluge dich vorübergaukeln sehen.

Urew'ge Scheidung, der sich Gott erbarme!
Was reißest du in deines Jubels Wogen
Mich nicht empor mit weißem Nymphenarme?

Warum hab' ich nicht, kräftig und verwogen,
Dich lieber aus dem eitlen Schwall und Schwarme
In meine Einsamkeit herabgezogen?


9.
Unmöglich! Ach, die Liebe war es nimmer,
Es war der Haß, der dieses Wort erdachte;
Die Liebe war's, die immer möglich machte,
Was aller Welt unmöglich schien für immer.

Fragt drum Leander, den beherzten Schwimmer,
Fragt Eginhard, der seines Kaisers lachte,
Als ihn Schön-Emma auf den Schultern sachte
Hinwegtrug durch den Schnee und Mondenschimmer.

Erst seit die Liebe aus der Welt verschwunden,
Verschwinden auch die Zeichen und die Wunder,
Und nun wird selbst das Mögliche unmöglich.

Noth thät', es würd' ein neues Wort erfunden
Und neue Lieb'! Der Teufel hol' den Plunder:
Nicht 'mal ein Reim ist auf unmöglich möglich!


10.
Wenn einst der Wind aus dem Sonettenkranze
In deine Hände weht der Blätter eines,
Ob du den Spiegel deines holden Scheines
Dann wohl erkennen wirst in ihrem Glanze?

Das ist kein Schritt verkehrt im Strophentanze,
Unkeusch kein Reim, gemein der Bilder keines,
Weil um ein reines, hohes Bild, um deines,
Sich schlingt und reiht das anmuthvolle Ganze.

Ich wäre glücklich, dürft' ich niederstreuen
Den Strauß, so daß er dir zu Füßen fiele,
Und wollte sein ein milder Blick sich freuen.

So dient er leider mir allein zum Spiele
Und muß, gleich Blumen, so die Sonne scheuen,
Entfliehn, wohin er strebt, von seinem Ziele.


11.
Wie lieb' ich diese Winterabendträume,
Die um dein Licht ihr Flügelspiel entfalten,
Die ahnungsreich mit Tönen und Gestalten
Bevölkern, wo du weilst, die hohen Räume.

Bald klimmen sie hinauf die nackten Bäume
Und schaun von da neugierig in dein Walten,
Bald lauschen sie an deiner Thüre Spalten
Und lugen um des Vorhangs Purpursäume.

Doch taucht ein Kopf mit wohlbekannten Locken,
Ein wohlbekannter Schatten, schwach umrissen,
Am Fenster auf: so flüchten sie erschrocken.

Ich fühle dann, als schlüg' mich das Gewissen,
Den Fuß am Grund, das Blut im Herzen stocken,
Und berge mich in tiefren Finsternissen.


12.
Ein andrer Jakob steig' ich unverdrossen
Hinauf die licht- und luftgewebte Leiter,
Mit jeder Nacht um sieben Träume weiter,
Mit jeglichem Sonett um vierzehn Sprossen.

Die Engel haben schon sich angeschlossen
Der Himmelfahrt als Boten und Begleiter,
Ihr alle ähnlich, hold wie sie und heiter,
Wie sie von Glanz und Glorie hell umflossen.

Und blick' ich abwärts, wo ich hergekommen,
So liegt tief unten die verlorne Erde,
Zusammt dem Rückweg ganz in Nacht verschwommen.

Und blick' ich auf mit flehender Geberde,
Zum Ziele auf, dann seufz' ich stillbeklommen:
Wie weit! Wie weit! Weh, wenn ich müde werde!


13.
Dein Leben, reich und herrlich anzuschauen,
Und hoch wie keines, gleicht dem off'nen Meere:
Auf seiner Fläche eine große Leere,
In seiner Tiefe manches Abgrunds Grauen.

Vermöchtest du dem Freunde zu vertrauen,
Er ließe drüber in demantner Schwere,
Besät mit sternegleichem Liederheere,
Der Liebe Himmel weit und offen blauen.

Doch See und Himmel sind sich ewig ferne,
Und jene bricht an öden Felsgestaden
Verschwendend ihrer Muscheln edle Kerne;

Indessen dieser, wunsch- und grambeladen,
Ziellos herabstürzt seine besten Sterne,
In Nacht erloschen und in Nebelschwaden!


14.
Nein, lieber stumm vor Zorn und Schmerz vergehen,
Als aufgeputzt am Leib, im Geist zerschlagen,
In folterndem Verlangen und Verzagen,
So stundenlang an deiner Seite stehen!

Ich fühle deines Athems Wärme wehen,
Seh' deine Augen dicht vor meinen tagen,
Und darf den Blick in ihren Glanz nicht wagen,
In's nahe Ohr kein flüsternd Liebesflehen!

O sei beschworen, sei es auf den Knieen:
Wenn ich die Kraft zu fliehen nie besessen,
Besitze du sie, dich zurückzuziehen;

Was Pflicht und Sitte heischt, das wolle messen
Und streng auf deine kühle Höhe fliehen,
Damit ich könne, was ich muß: vergessen!


15.
Ich habe nie ein wirklich Glück empfunden,
Wie oft es Feinde mir auch neiden mochten:
In jedem Kranz, vom Schicksal mir geflochten,
Fühl' ich die Dornen nur, die mich verwunden.

Es waren immer meine besten Stunden
Vergällt von Launen, die im Finstern kochten,
Von Schwächen, die den Willen unterjochten,
Von Reu' und Schmerz um das, was längst geschwunden.

Nun muß es sich zum Ende seltsam fügen,
Nachdem mir Wahrheit nicht genügen konnte,
Daß mir ein Wahn, ein Spiel, ein Traum genügen.

Das Tageslicht, an dem ich nie mich sonnte,
Ist wohl hinab; doch seine Strahlen lügen
Ein schönres Abendroth am Horizonte.


16.
Ich raffte den Sonettenkranz zusammen
Und nahte mich dem lodernden Kamine;
Daß nie ein Blatt des Tages Licht beschiene,
Zum Feuertode wollt' ich sie verdammen.

Geliebte Blumen, die vom Frühling stammen,
Bald nur noch eine kohlende Ruine!
Verwelkter Strauß, dein kurzes Leben diene
Als Nahrung jenen opferfrohen Flammen!

Schon zuckte meine Hand, die allzurasche,
Ich sah die Blätter sich geduldig neigen,
Das Feuer züngeln, daß es sie erhasche;

Da klang es über mir durch Grabesschweigen:
Verbrenne! Doch es wird aus ihrer Asche
Verjüngt der Phönix deiner Liebe steigen!


17.
Besänftigt ist das stürmische Gelüste
Das sonst auf hoher See dahingeflogen,
Das oft mein schwankes Boot hinabgezogen
An der Sirene felsenharte Brüste.

Ich wäre thöricht, wenn nicht längst ich wüßte,
Wie ich geplündert ward und wie betrogen,
Und wenn mich nicht hinweg aus Wind und Wogen
Verlangte sehnlichst nach der grünen Küste.

Soll nun das Schicksal mich so höhnisch strafen
Und für der Irrfahrt wüste Abenteuer
Mich scheitern lassen, nah dem schönen Hafen?

Nein, lisch nicht aus, du letztes Rettungsfeuer,
Geliebtes Auge, leuchte deinem Sklaven,
Geliebte Hand, sei meines Wrackes Steuer!


18.
Sie wollen gleich dem aufgejagten Wilde
Mich durch die finstren Zeitungsspalten hetzen,
Mich fangen in Verleumdergarn und Netzen,
Die Meister unsrer schwarzen Schützengilde.

Doch soll in mein umhägtes Lustgefilde
Ihr roher Fuß sich nun und nimmer setzen,
Und wenn sie fern die stumpfen Waffen wetzen,
So deck' ich mich mit einem guten Schilde.

Dein Bild und die Gewißheit, dich zu lieben,
Ein Hochgefühl, das mir kein Feind erniedert,
Das ist mein Schild, aus lautrem Gold getrieben.

Dran müssen, die gemeiner Haß befiedert,
Die Pfeile all' zersplittern und zerstieben,
Von eines Lieds metallnem Klang erwidert.


19.
Erstünde aus dem Grab gewes'ner Tage
Die erste Jugend mir noch einmal wieder,
So flösse reicher wohl der Born der Lieder,
Melodischer erklänge meine Klage.

Dasselbe Liebesleid, das ich jetzt trage, -
Es schlägt die Kraft mir unwillkürlich nieder, -
Trug mich einst auf elastischem Gefieder,
So hoch, wie heute nimmer ich mich wage.

Nicht daß die Locken vor der Zeit zu bleichen,
Die Pulse träger schon zu gehn beginnen,
Ist meines Alterns mir ein bitter Zeichen.

Viel tiefer fühl' ich seine Macht nach innen,
Sein Liebesschmerz erstarrt, statt zu erweichen,
Seit spärlicher durch ihn die Reime rinnen.


20.
Was frommte mir es, wenn es nun gelänge,
Den neuen Strom in's alte Bett zu zwingen
Und stilles Ebenmaß zurückzubringen
In meiner Liebe wogendes Gedränge?

Nein, fluthet nur, ihr zärtlichen Gesänge,
Und mögt ihr alles Land umher verschlingen,
Indeß ich auf des Wohllauts weichen Schwingen
Mich wiege über dem Gefäll der Klänge.

Zu früh nur wird die holde Quelle stocken,
Und wann die Ueberschwemmungen verliefen,
Liegt bald die Scholle wieder hart und trocken.

Doch prangen dann auf den getränkten Tiefen,
Des Auges Freude, tausend Blumenglocken,
Die ungeahnt im dunklen Boden schliefen.


21.
Die Luft ist lind, der Wind ist lau geworden,
Sie fächeln wie dein Athem mir die Wangen;
Wie deine himmelblauen Augen prangen
Die Himmel, blau gen Süden und gen Norden.

Und wie die Welle von des Weihers Borden,
Wo sie vom Eis verzaubert festgehangen,
So reißt das Lied aus schweigendem Befangen
Sich los und schwingt in ungedämpften Korden.

Mißgönnst du, meine hohe, ferne Rose,
Dem frühesten der Frühlingsschmetterlinge
Sein keckes Spiel, sein flatterndes Gekose?

Ach, bis zu dir trägt niemals seine Schwinge,
Und bald verstrickt an seinem Fuß das lose,
Vergeßne Fädlein sich zur alten Schlinge!


22.
Ich fühle wohl, daß ich mit jedem Liede,
Womit ich dein geliebtes Bildniß schmücke,
Den Pfeil mir tiefer in die Wunde drücke,
Und fester meine süße Fessel schmiede.

Doch wenn ich nun verzweifelt mich entschiede
Und bräche Pfeil und Fessel rasch in Stücke,
So wär' die Freiheit weder mir zum Glücke,
Noch blühte mir aus jähem Tod der Friede.

Zwar reißt der Tod voll trotziger Verachtung
Den Pfeil aus seiner Brust und sieht in Fluthen
Das Leben fliehn mit stolzer Selbstbetrachtung.

Doch schöner will's den Liebenden gemuthen,
In duldender und zärtlicher Verschmachtung
Langsam und tropfenweise zu verbluten.


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Achter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Zweiter Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 260-282)

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_von_Dingelstedt


 

 


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