Karl Egon Ebert (1801-1882) - Liebesgedichte




Karl Egon Ebert
(1801-1882)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Der Blüthenzweig

Ich sah im Busch was Weißes wehn,
Und dachte dort mein Liebchen gehn,
Ich brach hindurch in freud'ger Hast,
Da war's - ein weißer Blüthenast.

Den Zweig ich gleich vom Stamme brach,
Und trug ihn heim in's Schlafgemach,
Und träumte süß, entschlummert kaum,
Vom Mila einen goldnen Traum.

O schenkte Gott an jedem Tag,
An dem ich sie nicht finden mag,
An Tagen, einsam hingebracht,
Mir solchen Zweig und solche Nacht!
(S. 5)
_____



Abend- und Morgenthau

Abendthau, du bist die Thräne,
Die der düst're Himmel weint,
Wenn die goldgelockte Schöne
Nicht mehr leuchtend ihm erscheint.

Morgenthau, du bist die Zähre,
Die er träufelt froh herab,
Wenn sie sich in neuer Kläre
Wieder ihm zu eigen gab.

Ach, so wein ich euch ja eben,
Abendthau und Morgenthau,
Wenn ich bald mein Lieb entschweben,
Bald dann glänzend wieder schau.
(S. 6)
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Herz und Blume

Hörte oft das Herz vergleichen
Einer Perle zart und hell,
Dem Demant, dem feuerreichen,
Himmelsklarem Silberquell.

Oft hört' ich den Zorn auch sagen:
"Herz, du mußt ein Eisball sein!"
Und die Wehmuth wieder klagen:
"Herz, du bist ein harter Stein!"

Schmetterling und goldne Falle
Nannten Manche es im Scherz,
Doch mir däucht, sie irrten Alle -
Eine Blume ist das Herz.

Blumen keimen auf in Lenzen,
Herzen in der Jugend Glanz,
Blumen einen sich zu Kränzen,
Herzen sich zum Liebeskranz.

Blumen stolz im Warmen blühen,
Warmer Blick gibt Herzen Kraft,
Blumen sengt des Mittags Glühen,
Herzen glüh'nde Leidenschaft.

Blumen ist der Thau ein Segen,
Milde Thrän' erfrischt das Herz,
Blumen knickt der wilde Regen,
Herzen bricht der wilde Schmerz.

Blumen froh am Tage sprießen,
Herzen da, wo Liebe lacht,
Blumen Nachts die Kelche schließen
Herzen schließt des Hasses Nacht.

Schnee muß Tod der Blume geben,
Herz verwelkt, wenn Alter droht,
Und so lebt's ein Blumenleben,
Und so stirbt's den Blumentod.
(S. 12-13)
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Junge Liebe
An Mila

1.
Zwiefacher Lenz
Alles schwoll mit vollen Kräften
Nach des kargen Winters Lauf,
Alles quoll in frischen Säften
An das neue Licht herauf.

In des Lenzes goldnem Glanze
Wollt' ein jeglich Wesen glühn,
Auch das Herz, die Wunderpflanze,
Drängt' es wieder zu erblühn.

Und so ward's bei gleichem Triebe
Blühend draußen und in mir,
Reicher Frühling, reiche Liebe,
All mein Leben dank ich dir!
(S. 18)


2.
Veilchenweise
Wir pflückte Veilchen, du und ich,
Da fragt' ich dich im Pflücken:
"Sag doch, warum die duft'gen sich
An's Gras so traulich drücken?"

""Ich meine,"" sprachst du, holdes Kind,
Von sanfter Gluth umgossen,
""Weil beide erst die Einz'gen sind,
Die schon im Lenz entsproßen.""

"Ei sieh, wir sind die Einz'gen hier,
Und stehn im Blühen Beide,
So neige du dich auch zu mir,
Dem guten Lenz zur Freude."

Flugs hatt' ich einen Kuß geraubt,
Erst hielt ich dich ein Weilchen,
Du sagtest nichts, du hingst dein Haupt
Herunter, wie das Veilchen.
(S. 18-19)


3.
Spracharmuth
Hörst du, wie die Nachtigallen
Ueber uns im Busche flöten?
Mich verdrießt das süße Schallen,
All' die Sänger möcht' ich tödten.

Mich verdrießt, daß ihre Kehlen,
Was ich sagen möchte, klingen,
Mir vom Mund die Rede stehlen,
Und sie so beweglich singen.

Ach, wie wird ein reich Empfinden
Aermlich durch ein Wort gekündet,
Nur in Sängen läßt sich's künden,
Was ein Liebender empfindet.
(S. 19-20)


4.
Beste Umgebung
Am liebsten seh' ich immer dich im Grünen,
Mein holdes Kind,
Vom Morgen- oder Abendstrahl beschienen,
Durch's Laubgewind.

Da ist mir, als gehörtest du ganz eigen
Der Lenznatur,
Als stiegst du, wie die Blumen alle steigen,
Aus bunter Flur.

Da ist die laute Welt so ganz vergessen,
Da bist du mein,
Da kann ich wärmer an mein Herz dich pressen,
Und sel'ger seyn.

Doch wenn ich dich im Glanz der Menge sehe,
Da wird mir schwer,
Mir ist, als ob ringsum in deiner Nähe
Ein Schranken wär'.

Das ist: Manch Bild wird wohl vom Rahmengolde
Erst recht verklärt,
Für dein Gesicht ist nur Natur, die holde,
Als Rahmen werth.
(S. 20-21)


5.
Mondeszauber
Gestern, als ich mit dir ruhte
In des Mondes klarem Strahl,
Weiß nicht, wie mit einem Mal
Wunderbar mir ward zu Muthe.

Uebergossen hell mit Schimmer
War dein Angesicht, dein Blick,
Meinen Arm zog ich zurück,
Kosen, küssen konnt' ich nimmer.

Deine aufgelösten Locken,
So erstrahlten sie noch nie,
Aus der Hand mir glitten sie,
Reden wollt' ich, mußte stocken.

Zaub'risch war dein ganzes Wesen,
Miene, Haltung und Gestalt,
Wie von Nebel überwallt,
Schienst du dich in Duft zu lösen.

Sage, Holde, sag' es frei mir,
Bist vielleicht ein Elfenkind?
Bist du's, sey mir doch gelind,
Liebe mich, und bleibe treu mir.
(S. 21-22)


6.
Stumme Rede
Sprich nicht, laß nicht das süße Schweigen brechen,
Dein Antlitz nur, das fromme, zu mir wende,
Laß deine stummen Lippen, deine Hände,
Laß deines Herzens Schlag nur zu mir sprechen.

Schnell würd' an dir das laute Wort sich rächen,
Es sagte halb nicht, was die Brust empfände,
Ein Schall ist kurz, sein Wirken bald zu Ende,
Es kann des Tiefempfund'nen Sinn nur schwächen.

So viel erfaßt ja nicht die kleine Pforte,
Gefühl und Sprache sind in steter Fehde,
Empfunden, nicht gesagt sein will Entzücken.

Dein warmer Blick sagt mehr, als tausend Worte,
Dein sanft Umschlingen gilt statt langer Rede,
Und alle Sprach' erschöpft dein Händedrücken.
(S. 22)


7.
Traum und Wahrheit
Jüngst lag ich schlummernd unter'm Lindenbaume,
Des kühle Schatten uns so oft umwehn,
Da ward ich heimgesucht von sond'rem Traume,
Noch staun' ich, denkend, was ich da gesehn;
Ich sah in deiner Beete kleinem Raume
Wie eine Blumenkönigin dich stehn,
Und auf zu dir sich kehrten alle Blüthen,
Die rings um dich in hellern Farben glühten.

Mit einem Mal aus deinen Augen drangen
Zwei blaue Hyazinthen, Rosmarin
Ward aus den Locken, und aus Lipp' und Wangen
Begannen volle Rosen zu erblühn,
Und aus den Fingern Lilien sich schwangen,
Und Winden schlangen um den Leib sich hin,
Und all die Hyazinthen, Lilien, Rosen
Umschwebten Schmetterling' in trautem Kosen.

Da dacht' ich: "Ist vielleicht, als Maid gestaltet,
Mein Lieb der Frühling selbst, und schwindet auch,
Wenn Veilchen welkt, und Sommer wieder schaltet?"
Ich dacht' es, und es hatt' ein lauer Hauch
Mit leisem Wehn das Auge mir entfaltet -
Du saßest, mir nicht fern, am Fliederstrauch,
Und ich umfaßte dich in glüh'ndem Triebe,
Den ganzen Frühling und die ganze Liebe.
(S. 23)


8.
Entschuldigung
O zürne nicht, Liebchen, o sey mir nicht gram,
Weil heute so spät ich am Abend kam,
Der Kopf war mir wüste, der Fuß war mir lahm,
Ich hatte kein Lied dir zu bringen;
Ich wollte noch dichten, und wollt' auch zu dir,
Vor Schwanken und Zaudern verging ich schier,
Da flatterte Amor herein zu mir
Auf leichten goldenen Schwingen.

Er rückte den Stuhl, und setzt' ohne Weil'
Am Tische sich nieder, und tauchte den Pfeil
In die rosigen Lippen, und schrieb in Eil',
Und las es mit stillem Erfreuen:
"Da," sprach er, "nimm es, und sey mir nicht trüb,
Dieß Blättchen der Huldinn, der schmollenden gieb,
Die Liebe dacht' es, die Lieb' es schrieb,
Die Liebe wird dir verzeihen!"
(S. 24)


9.
Wintergenuß
"Wie wird es, Lieber, mit uns werden,
Wenn Frühling, Sommer, Herbst entflieht,
Und das verblichne Grün der Erden
Des Winters Eis dann überzieht?"

"Ach, droht bei rauher Stürme Walten
Nicht auch dem Herzen wohl Gefahr,
Wird nicht die Liebe auch erkalten,
Die ein Geschenk des Lenzes war?" -

""O Holde, hast du nie gesehen,
Was der besorgte Gärtner thut,
Wenn schärf're Luft beginnt zu wehen,
Und lang im Thal der Nebel ruht?""

""Er nimmt die Pflanzen aus dem Garten,
Er stellt sie in sein warmes Haus,
Und treulich weiß er sie zu warten,
Und Blüthen treiben frisch heraus.""

""So wollen wir der Liebe pflegen
In traulich stillem Kämmerlein,
Sey draußen Hagel, Schnee und Regen,
Wir werden wohl geborgen seyn.""

""Und kommt der Frühling dann, der neue,
Ist unsre Lieb' in vollem Flor,
Wir tragen sie hinaus in's Freie,
Und Alles keimt um uns empor.""
(S. 24-25)
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Die Lilie und der Mondstrahl

Der Mond hängt in die düstre Nacht
Recht silberklar herein,
Und sendet seiner Strahlen Pracht
Dem Strome und dem Hain.

Da richtet sich aus süßem Traum
Die Lilie still empor,
Und öffnet ihres Kelches Raum
Und läßt den Duft hervor.

Und flugs in die erschloss'ne Brust
Schwingt sich der leichte Strahl,
Und schmiegt sich an in sel'ger Lust,
Und küßt sie tausendmal.

Sie aber schließt erfreut sich schnell,
Und hält den Buhlen fest,
Der, in der hellen zwiefach hell,
Von ihr sich wiegen läßt.

Und Morgens, wenn die Schäferin
Die thau'ge Lilie pflückt,
Und sie mit frommem Kindersinn
An ihren Busen drückt:

Da wird, wenn sich der Kelch erschließt,
Ihr wundersam zu Muth,
Und unbekannte Sehnsucht fließt
Durch ihr erglühtes Blut.

Und seufzend wallt sie durch das Thal
In jeder lauen Nacht -
Sagt, hat das wohl der Mondenstrahl
Im Lilienkelch gemacht?
(S. 28-29)
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Liebesunglück

1.
Die Liebesrose
Mir blühet eine Liebesrose
Der Blum' im Zaubergarten gleich,
Doch ist es keine dornenlose,
An Dornen, ach, nur allzu reich.

Die steh'n wie Schwert und Dolch im Bunde,
Zu strafen frevlen Liebesmuth,
Und jeder Kuß gilt eine Wunde,
Und jedes Fassen kostet Blut.

Viel andre Blumen seh' ich blühen,
Und sie zu pflücken hab' ich Wahl,
Doch immer treibt mich innres Glühen
Zur Rose, zur geliebten Qual.

Ich schlürf' aus ihres Kelches Bornen
Den Wonnethau, den süßen Schmerz,
Und drücke sie sammt allen Dornen
Mit Wollust an mein leidend Herz.
(S. 50)


2.
Wäre es nicht!
Wäre nur nicht das Sehnen
Hinaus in ferne Weiten,
Wäre nur nicht das Dehnen
Der Stunden zu Ewigkeiten!

Wäre nur nicht das Stürmen
Im hochaufwallenden Herzen,
Wäre nur nicht das Thürmen
Wachsender Zweifelschmerzen;

Pocht' es nur nicht so heftig
Tief in des Busens Räumen,
Wirkte nur nicht so geschäftig
Die Wonn' in lieblichen Träumen;

Dann wäre der Streit geschlichtet,
Dann wär' ich still und ergeben,
Dann aber wär' auch vernichtet
Mein Lieben, mein Hoffen, mein Leben!
(S. 51)


3.
Hartnäckiges Hoffen
Ich bin bis in den Tod betrübt;
Die Lust ist all von hinnen,
Denn was so heiß die Seele liebt,
Ich soll es nicht gewinnen;
Und ach, es ist so schön und hold,
Ein Herz so rein wie laut'res Gold,
Und Perlen ruh'n darinnen.

Ich bin bis in den Tod betrübt,
Wollt lieber gleich verblassen,
Denn was so heiß die Seele liebt,
Ich kann's, ich kann's nicht lassen;
Und rännen mir die Augen aus,
Und häufte rings sich Schreck und Graus,
Noch müßt' ich Hoffnung fassen.

Ich bin bis in den Tod betrübt,
Der Tag will mir sich nachten,
O du, der alle Wesen liebt,
Du kennst mein einzig Trachten;
Laß lächeln mir dein Angesicht,
Gib mir mein Heil, und laß mich nicht
In Qual und Pein verschmachten!
(S. 52)


4.
Heilung
O Liebe, wie mit Frührothschein
Hast du mich einst durchhellt,
Du tauchtest mir in Purpur ein
Die sonst so düst're Welt;
Weit aufgethan war dann mein Blick,
Befriedigt jeglich Sehnen,
Und Alles, Alles nannt' ich Glück,
Selbst Thränen.

O Liebe, wie mit Winterfrost
Behauchst du nun mein Herz,
Du gibst mir Gram zur Mittagskost,
Zum Abendmahle Schmerz;
Der Tag ist ohne Rast und Ruh',
Fort schreit ich, hin durchs Trübe -
Wann endest deine Marter du,
O Liebe!

Ich weiß, wann du es enden wirst,
Mein Sehnen und mein Leid:
Wenn mir das Herz im Leid zerbirst,
Und sinkt mein Staubeskleid;
Dann ist's mit allem Schmerz vorbei,
Mit unerfülltem Triebe,
Dann schwebt gen Himmel froh und frei
Die Liebe!
(S. 53)


5.
Der vertriebene Lenz
Jüngst kam der Lenz vor meine Thüre,
Wie er in jedem Jahr gethan,
Er ließ ein Lerchenlied erschallen,
Mit einem Veilchen pocht' er an.

Da sprang die Thür fast aus den Angeln,
Es wehte laue Luft herein,
Und, schwebend auf den Blumenfüßen,
Trat Lenz der Freudebote ein.

"Willkommen," sprach er, "sey willkommen,
Sieh', meinen Freund vergess' ich nicht,
Gabst du doch immer mir zum Grusse
Ein heit'res Lied, ein froh Gedicht."

"Du hast gewiß schon eins gesungen,
Und sangst du's nicht, so ward's gedacht;
Gib denn dein Lied, ich gebe wieder
Dir meines Reiches vollste Pracht."

Als so er sprach, da fühlt' ich Thränen
Mir rinnen über's Angesicht -
"Du willst ein Lied, das dir gefalle?
O guter Lenz, das hab' ich nicht."

"Die schönen Tage sind vorüber,
Da ich dir heit're Weisen sang,
Bestäubt, verwaist ist meine Laute,
Und unerfreulich tönt ihr Klang."

Wild stürmend fuhr ich in die Saiten,
Gell scholl es wie ein Jammerschrei,
Die Laute dröhnte dumpf und schütternd,
Die Saiten sprangen all entzwei.

Und plötzlich war der Lenz entschwunden,
Ich saß versunken, stumm, allein,
Und draußen sang und grünt' und blüht' es
Im hellsten gold'nen Sonnenschein.
(S. 54-55)


6.
Ungelegene Theilnahme
Daß man üb'rall doch begegnet
Frohen, überfrohen Leuten!
Ich vergönn' euch's, seyd gesegnet,
Aber laßt mich weiter schreiten.

Haltet mich nicht auf mit Fragen,
Was im Schönen Lenz mich trübe,
Wollt mich nicht mit Antheil plagen,
Martern mich mit eurer Liebe.

Aber ihr auch, meine Brüder,
Schmerzgefährten, Unglücksöhne,
Späht mir nicht zum Herzgrund nieder,
Sucht den Quell nicht meiner Thräne.

So geneigt ihr's eben meinet,
Und so tief ihr kennt die Schmerzen,
Anders doch mein Leid euch scheinet,
Als es steht in meinem Herzen.

Laßt mich - eure Wege gehet,
Und ich will den meinen wandern,
Denn, wie Lust nicht Leid verstehet,
So versteht kein Schmerz den andern.
(S. 55-56)


7.
Kampf vor Ruhe
Zu ringen mit den Mächten,
Die Unheil uns bereiten,
Das ist dem Mann, dem echten,
Oft ein willkommnes Streiten;
Erlöst von bangem Krampfe,
Wie wird die Brust erweitert,
In freiem off'nem Kampfe
Die rechte Kraft geläutert.

Doch ruhig still zu liegen,
Vom Schicksal längst gerichtet,
In Stumpfheit uns zu wiegen,
Bis uns ein Schlag vernichtet,
Zu harren, Schmerz verhehlend,
Bis uns der Schmerz zerquäle,
Das ist das wahre Elend
Für eine Männerseele.

Das Schiff im Sturmgetose
Fährt hin in kühnem Streben,
Es würfelt um die Loose,
Es ringt um Heil und Leben
Mit Riffen und mit Klippen,
Mit Winden und mit Wellen,
Bis seine harten Rippen
Am härtern Fels zerschellen.

Doch wenn es nun entmastet
Fort treibt auf ruh'gem Meere
Ein Wrak, entmannt, entlastet,
Ein Leeres in der Leere:
Dann ist's dem Schiff am besten,
Der Fluth sich voll zu trinken,
Und mit den armen Resten
Zum Grund hinab zu sinken.
(S. 56-57)


8.
Spätes Erkennen
Mir träumt', ich läg' im Grabe
Recht tief und still und kühl,
Doch konnt' ich noch immer denken,
Und hatte noch Gefühl.

Und über mir am Hügel
Vernahm ich leisen Tritt,
Und eine liebliche Stimme,
Die aus zitternden Lippen glitt:

"Hier klag' ich an deinem Grabe,
Und möchte mit dir ruh'n,
Den Lebenden nicht verstand ich,
Den Todten versteh' ich nun."

"O daß ich dich wecken könnte,
Und drücken an mein Herz,
Das sollte dann glüh'n und brechen
Vor Lust und Reueschmerz!"

Sie schluchzte laut und lauter -
Da war ich vom Traum erwacht;
Doch seufzt' ich und weinte bitter
Die ganze lange Nacht.
(S. 58)


9.
Ehmals und Jetzt
Ehmals, wenn der Sonne Strahl
Aus dem Morgengrau erblühte,
Und entflammt mit einem Mal
Land und Fluth und Himmel glühte,
O wie blickt' ich frisch und frei
Ueber all den Glanz der Erde,
Als ob mein das Alles sey,
Und es ewig bleiben werde.

Jetzt, wenn Morgenroth erscheint,
Will's mich wie mit Blindheit schlagen,
Denn das Aug', das Nachts geweint,
Kann den Schimmer nicht ertragen;
Und die bunte Erdenzier
Scheint mir nur dazu geschaffen,
Sich zu bergen unter ihr,
Um dem Tag sich zu entraffen.

Ehmals, wenn des Mondes Licht
Alles rings mit Silber stickte,
Und das klare Angesicht
Wie verheißend niederblickte,
O wie ward's in meiner Brust
Voll von Träumen, süßen, linden,
Engelsglück und Himmelslust
Konnt' ich ahnend vorempfinden.

Jetzt, wenn hoch der Mond erprangt,
Regt er alle tiefsten Schmerzen,
Jeder Strahl gehässig langt
Wie ein Schwert nach meinem Herzen;
Wie ein kalter Vampyr thut,
Will der Mond mir Kraft entsaugen,
Aus den Adern heißes Blut,
Heiße Thränen aus den Augen.
(S. 59-60)


10.
Kraft im Leiden
Wer auf der Folter läg', und könnte singen,
Wer über'm Abgrund hing', und könnte lachen,
Wer scheiterte im Sturm, und unter'm Krachen
Der Maste fröhlich ließ' die Zither klingen,

Wer ruhig bliebe in der Boa Ringen,
Und unerschüttert in des Kaimans Rachen,
Wer schrecklos wär', erfaßt vom Zahn des Drachen,
Der - wär' ein Meister in Entsetzensdingen.

Wer aber das nicht kann, der soll nicht sagen,
Ich sey zu feig, mein Schicksal zu ertragen
Mit festem Sinn und ungebeugtem Muthe;

Denn all' die Gräuel, die ich einzeln künde,
Sind schwaches Bild der Qual, die ich empfinde,
Und doch an ihr noch immer nicht verblute.
(S. 60)


11.
Wunsch
Daß Brücken unter mir krachten,
Ueber mir splitterten Eichen!
Viel lieber, als auf der verflachten
Traurigen Haide zu schleichen.

Daß alle Glieder mir wären
Voll tiefer klaffender Wunden!
Besser, als Gram zu nähren,
Vom welchem nie zu gesunden.

Träf' eine Kugel die Stirne,
Und bräche des Geistes Schranken!
Besser, das Blei im Gehirne,
Als hoffnungslose Gedanken.
(S. 61)


12.
Schlimmster Zustand
Als mir versunken des Lebens Lust,
Da rang ich die Hände, zerschlug mir die Brust,
Ich fluchte mir selber, ich rief um den Tod,
Doch war meine Noth nicht die härteste Noth.

Dann seufzt' ich am Tage, und weint' in der Nacht,
Ich klagte sie an, die mich elend gemacht,
Ich jammerte, jammerte, immer erneut,
Doch war mein Leid nicht das schwerste Leid.

Ich seufze nicht mehr, ich klage nicht mehr,
Mein Aug' ist kühl und thränenleer,
Die Brust scheint ehern, das Herz ein Stein
Und nun ist die Pein die gräßlichste Pein.
(S. 61-62)


13.
Rechtfertigung
Ich weiß, es gibt der Dichter viel,
Die Schmerz sich schaffen wie zum Spiel,
Die händeringen, seufzen, weinen,
Um Schicksalsmärtyrer zu scheinen,
Und deren Lied ertönt so bang
Wie dumpfer Grabesglockenklang.

O wer da kennt, was Leiden sind,
Spielt nicht mit ihnen wie ein Kind;
Der höchste Schmerz, der bitt're, scharfe,
Klingt unschön auch zur Laut' und Harfe,
Als sänge, sinneswirr und krank,
Ein Dulder auf der Folterbank.

So klingt mein Lied auch oft zu rauh,
Mir ist es klar, ich fühl's genau;
Doch ist's heraus, es ist gesungen,
Ist tief aus tiefster Brust gedrungen,
Ein laut geword'ner wilder Schmerz, -
Er geh' denn hin, und such' ein Herz;

Kein solches, das, von Gram durchwühlt,
Das eig'ne Leid im fremden fühlt,
Nein, ein's, das einst auch krank gewesen,
Und nun erkennt, es sey genesen,
Weil es, vom Frost der Ruh' gestreift,
So große Qual nicht mehr begreift.
(S. 62-63)
_____



Der ersten Liebe Verlust

1.
Unvergessliches
Wer einmal voll genossen
Der Liebe süßes Glück,
Der ruft die goldnen Stunden
Mit jedem Hauch zurück.

So sehnt die Blum' am Felsen,
Versengt von Mittagsgluth,
Hinunter sich zum Thale,
Zur kühlen Stromesfluth.

So sehnt der lahme Vogel
Im Herbst sich nach dem Süd,
Wenn leicht die Schaar der Brüder
Mit Sang vorüberzieht.
(S. 83)


2.
Ansicht durch Thränen
Lieb' ist herrlich mir erschienen,
Da ich froh mich ihr vertraute,
Doch mit noch viel holdern Mienen,
Seit ich sie durch Thränen schaute.

Aber weh, die Thrän' ist theuer,
Die solch Bild vor mir läßt schweben,
Denn ich hab' mein Lebensfeuer,
Glück und Ruh' darum gegeben.
(S. 83-84)


3.
Lenzestod
Als ich das erste Veilchen erblickt,
Wie war ich von Farbe und Duft entzückt!
Die Botin des Lenzes drückt' ich voll Lust
An meine schwellende, hoffende Brust.

Der Lenz ist vorüber, das Veilchen ist todt,
Rings stehen viel Blumen blau und roth,
Ich stehe inmitten, und sehe sie kaum,
Das Veilchen erscheint mir im Frühlingstraum.
(S. 84)


3.
Erstarrung
Lust und Liebe sind gestorben,
Hoffnung schloß die Thore zu,
Ruhe hab' ich mir erworben,
Aber Todtenruh'.

Lange hab' ich schwer getrauert,
Heiß geweint um Lieb' und Lust,
Kälte, die mein Mark durchschauert,
Füllt mir nun die Brust.

Als ich die erstarrte Rose
Jüngst beklagt' in tiefem Schmerz,
Dacht' ich wohl, daß ihrem Loose
Gleichen würd' mein Herz?
(S. 84-85)


5.
Rückblick
Ich sah auf mein Lieben zurücke,
Wie der Hirt nach der Sonne blickt,
Die, sinkend, mit sterbendem Blicke
Den letzten Gruß ihm nickt.

Den Hirten weckt wohl die Sonne
Am andern Tage früh,
Mir aber ersteht die Wonne,
Die einmal versunkene, nie.

Nun seh' ich mein süßes Lieben,
Wie der Mann sein verbranntes Haus,
Die Asche, die geblieben,
Macht all sein Habe aus.
(S. 85)


6.
Besonderer Himmel
Wenn jede meiner heißen Liebeszähren,
Die ich geweint, seit mich ihr Ausspruch trennte,
Zu einem lichten Sterne werden könnte,
Versetzt von einem Gotte in die Sphären:

Gewiß, daß dann so viele Sterne wären,
Zu glühn an einem neuen Firmamente,
Das in viel tausend Silberfunken brennte,
Die düstre Nacht der Erde aufzuklären.

Was würden da wohl Liebende empfinden,
Einander fest an Herz und Lippen drückend,
Und auf zu einem solchen Himmel blickend?

Wie aber müßte dann der Falschen werden,
Wenn überall, wohin sie zög' auf Erden,
So böse Stern' ob ihrem Haupte stünden?
(S. 86)


7.
Theilnahme der Natur
Gedenkst du der Stunde noch, Nachtigall,
Da du so schmelzend sangest,
Gedenkst du der Stunde noch, Wasserfall,
Da du so freundlich erklangest?

Ich saß, im Arme das liebliche Kind,
Erglüht im schönsten der Triebe,
Und es rief die Welle, der Wald, der Wind:
Liebe! Liebe! Liebe!

Doch gestern, als wild mich des Kummers Gewalt
Hinaus trieb in nächtige Schauer,
Da ächzte die Welle, der Wind, der Wald:
Trauer! Trauer! Trauer!

Ich wollt', ich läg' in der Grabesstell',
Umschlossen von enger Truhe,
Und es lispelten Wind und Wald und Well':
Ruhe! Ruhe! Ruhe!
(S. 86-87)


8.
Perle und Lied
Die Perle wahrend im Gehäuse,
Das seinen Schatz umfangen hält,
So schifft die stille Muschel leise
Durch's tiefe Wogenmeer der Welt.

Der Muschel gleichen meine Lieder,
Von einer Thräne sind sie schwer,
Und leise ziehn sie auf und nieder
Durch meiner Schmerzen tiefes Meer.
(S. 87)


9.
Der Ring
Es glänzt ein Ring an meiner Hand,
Der einst an der ihren geruht,
Und hat sich mein Blick auf ihn gewandt,
Wird wunderbar mir zu Muth.

Da ist mir, als wäre das blanke Gold
Ein Spiegel, glänzend und klar,
Drin Alles zu schaun, was mir lieb und hold,
Was trüb mir und quälend war.

Da ist mir, als wäre der Ring ein Buch,
Das von meiner Verlorenen spricht,
Voll seltner Räthsel, voll Widerspruch,
Voll Bilder dunkel und licht.

O läge der Ring in der tiefsten Fluth!
Viel heiterer wäre mein Sinn; -
Ach, hätt' ich dazu nur Kraft und Muth,
Er läge schon lange drin.
(S. 88)


10.
Nachwirkung
Du böse Maid, dein holdes Bild,
Ich kann es nicht versenken,
Mein Herz erglüht, mein Busen schwillt,
Ich muß noch dein gedenken.

Bleibt ja die Erde warm noch lang,
Und fühlet Tageswonne,
Wenn längst die Nacht hinunter schlang
Den letzten Strahl der Sonne.

Schwankt doch und zittert bang der Baum,
Und ächzt ob seinen Wunden,
Wenn lang schon aus geklärtem Raum
Der wilde Sturm verschwunden.
(S. 89)


11.
Missgefühl
O könnt' ich die Sonne bedecken
Mit schwarzem, umnachtenden Tuche,
O könnt' ich die Fluren entfärben
Mit kräftigem Zauberspruche!

Und könnt' ich den Vögeln verbieten
Ihr lustiges Flattern und Singen,
Den Wäldern ihr freudiges Rauschen,
Den Wellen ihr Hüpfen und Klingen!

Das ist ein schneidendes Wehe,
Wenn Kummer die Brust durchdringet,
Und Alles umher doch glänzet,
Und Alles doch blüht und klinget.
(S. 89-90)


12.
Das Entfernte
Doppelt süß erklingt die Flöte,
Wenn aus fernem Hain sie tönt,
Schöner strahlt die Abendröthe,
Wenn sie blaue Berge krönt.

Nur weil uns so hoch und ferne
Der bestaunte Himmel steht,
Sehnen wir uns nach dem Sterne,
Der in seinen Räumen geht.

Und so ist's mit meiner Liebe,
Ferne liegt sie hinter mir,
Und mit doppelt glühndem Triebe
Sehnt mein Busen sich nach ihr.
(S. 90)


13.
Sonne und Mond
Sonst sah ich die Lieb' als Sonne,
Die funkelnde Strahlen streut,
Wenn Alles in Kraft und Wonne
Des munteren Tages sich freut.

Nun muß ich als Mond sie schauen,
Der dämmerndes Licht ergießt,
Wenn Nacht und ödes Grauen
Die schweigende Welt umschließt.
(S. 91)


14.
Täuschung
Wenn ich vorüber wandle
An ihrem Haus,
Da ist mir, als ob sie sähe
Zum Fenster heraus.

Inmitten glühender Rosen
Ihr Antlitz blüht,
Inmitten blühender Veilchen
Ihr Auge glüht.

Doch plötzlich ist verschwunden
Das blühende Kind,
Und dürre Veilchen und Rosen
Knistern im Wind.

Da eil' ich bestürzt von dannen
In dumpfem Schmerz,
Und krampfe die zitternden Hände
An's zitternde Herz.
(S. 91-92)


15.
Das Grab der Geliebten
Viele wollen bös mir lügen,
Daß mein treulos Lieb noch lebt,
Daß in eines Andern Armen
Süß ihr Herz in Wonne bebt.

Ach, sie ist ja längst gestorben!
Wohl ist mir der Tag bewußt,
Als ich unter heißen Thränen
Sie begrub in meiner Brust.

Linde liegt sie da gebettet,
Laue Seufzer wiegen sie,
Und all' meine Lieder singen
Ihr die Todten-Melodie.
(S. 92)
_____



Mila
Sonettenkranz

O seyd vor der Sonettenform nicht bange,
Ist sie auch eng begränzt und streng gebunden;
Laßt Euch aus kleinem schmalen Becher munden
Den Trank, den Euch zu reichen ich verlange.

Wohl manch Gemüth, gelähmt von äußrem Zwange,
Ward innen reich entfaltet oft erfunden,
Oft sind mit Blumenfesseln wir umwunden,
Und gehn doch aufrecht und mit sichrem Gange.

Die Jungfrau, fest geschnürt in's dralle Mieder,
Bewegt doch anmuthvoll die leichten Glieder
Im flinken Tanz, den wir mit Lust betrachten;

Der Kühne singt im Kerker freie Weisen,
Und Ritter kämpften einst, gepreßt in Eisen,
In Harnisch, Helm und Schienen ihre Schlachten.


1.
Bescheidener Vorsatz
Du stehst zu fern; gleichwie in blauen Sphären
Ein Stern erglänzt, so weilst du weit von mir,
Du blühst zu hold, so seltene Blüthenzier
Will nimmer mir mein düstres Loos gewähren.

Drum stirb dahin, vermessenes Begehren,
Und zügle, bändige dich, heiße Gier,
Der Blume Duft zu saugen g'nüge dir
Zum Stern empor zu schaun in süßen Zähren.

Der Himmelsdemant darf ja Jedem lächeln,
Den würz'gen Hauch der Blume trägt das Fächeln
Geschäft'ger Wind' uns zu als Engelskuß;

Bescheiden sey denn dieß nur mein Genuß,
Doch, Glanz und Duft, ich will euch so genießen,
Daß ihr mir ganz die Seele sollt durchfließen.
(S. 95)


2.
Schönster Reiz
Was mich an ihr so mächtig angezogen?
Die reine, unverkünstelte Natur,
Der Sinn, der, noch nicht fern von ihrer Spur,
Den kalten Hauch der Welt nicht eingesogen.

Ihr ist der Mensch noch Mensch; noch nicht gelogen
Hat ihr ein Traum; die Blüth' auf off'ner Flur
Erfreut ihr unverwöhntes Aug', und nur
Dem Schönen, wo es blüh', ist sie gewogen.

Das ist der höchste holdste Schmuck des Weibes,
Natur zu seyn im Denken und Empfinden,
Und ach, wie selten ist der Schmuck zu finden!

Sie prangen Alle mit dem Reiz des Leibes,
Die Seele bergen sie, die Schaugestalten,
In köstlich reicher Kleider dichten Falten.
(S. 96)


3.
Unvergängliches
Ihr Aug' ist klar, durchsichtig gleich Krystallen,
D'raus blickt ein Bild voll Liebreiz, ohne Fehle,
Das schöne Bild der makellosen Seele:
So blickt ein lichter Stern aus Himmelshallen.

Musik ist's, wenn vom Mund ihr Worte schallen,
Ob Lust sie fülle, ob ein Schmerz sie quäle,
Ein süßer Wohllaut wohnt in ihrer Kehle:
So spricht an's Herz der Ton der Nachtigallen.

Ein schön Gemüth, und dies Gemüth zu künden,
Ein schöner Laut - was wollt' ich mehr noch finden,
Mich zu beglücken für ein halb Jahrhundert?

Ob andrer Reiz ein weiblich Wesen kröne,
In Blick und Ton nur liegt die wahre Schöne,
All Andres welkt, kaum daß wir es bewundert.
(S. 97)


4.
Das Körperlose
Doch wähnet nicht, es fehl' ihr ganz der Segen,
Mit ihrer Hülle äuß'rem Schmuck zu prangen,
Sie ist ein lieblich Bild, das zum Verlangen
Den Sinn des Schönheitkenners mag erregen;

Und wollt' ich gehn auf ausgetretnen Stegen,
Viel könnt' ich rühmen ihre zarten Wangen,
Den Leib, von aller Füll' umfangen,
Den Cederwuchs, ihr anmuthvoll Bewegen.

Doch Eins vor Allem hat mich eingenommen:
Der Funke, der den Körper hat durchglommen,
Das Schönheitgebende, doch Körperlose;

So freut mich wohl der Rose herrlich Blühen,
Doch was für sie zumeist mich läßt erglühen,
Das ist der Geist, das ist der Duft der Rose.
(S. 98)


5.
Hoffen und Zittern
Sie sieht mich oft mit gar vertrauten, linden,
Gar warmen Blicken an, so fest gebannt,
Daß mich der Hoffnung Wonne übermannt,
Als müßte Liebe wieder Liebe finden.

Klar liegt dann ihr Gemüth da, ihr Empfinden,
Als wär's ein Saitenspiel, mir zugewandt,
Das ich nur rühren dürft' mit kühner Hand,
Um mir die trautsten Klänge zu verkünden.

Und dennoch wag' ich's nicht, ich darf's nicht wagen,
Denn mich durchzittert unbeschreiblich Zagen,
Die Dämm'rung, drin ich träume, aufzulichten;

Wie leicht, faßt' ich die Saiten an mit Beben,
Könnt' Antwort mir ein rauher Mißton geben,
Und mir den zarten Zauber ganz vernichten!
(S. 99)


6.
Der Stern
Ich sah im Traum sie reich geschmückt erscheinen
In einem Kleid, gewebt aus Himmelsbläue,
Das Haar durchwirkte eine Perlenreihe
Von Tropfen, wie sie Morgenwolken weinen.

Die Mondessichel glänzte auf der reinen,
Der off'nen Stirn; als Gürtel bog, in Scheue
Vor ihres zücht'gen Leibes heil'ger Weihe,
Ein Regenbogen sich in buntem Scheinen.

Doch - herrlich Wunder! - an des Herzens Stelle,
Dort, wo ihr Schönstes wohnt, da strahlte helle
Ein Stern, und schien sich zitternd zu bewegen;

Auf fuhr ich plötzlich, noch erfüllt vom Traume -
Das Bild war fort, doch klar vom Himmelsraume
Sah flimmernd mir der Liebesstern entgegen.
(S. 100)


7.
Seligkeit und Vernichtung
Ich darf's nicht denken, und ich will's nicht denken,
Was mir oft wunderbar das Herz erweicht,
Denn ach, sich zu berauschen ist zu leicht
Mit holder Hoffnung süßen Zaubertränken.

Doch Rausch ist kurz, und lang, nicht zu beschränken
Das Leben, das oft all zu träge schleicht,
Und weh dem Mann, der nie sein Ziel erreicht,
Mit dem in's Grab den einz'gen Wunsch sie senken.

Wüßt' ich ein kurzes Ende meines Lebens,
Ja dann, mit allem Feuer kühnen Strebens
Tränk' ich der Hoffnung Becher rasch hinunter;

Auf flög' ich, wie ein Adler, hoch zur Sonne,
Und stürzte jauchzend aus der Himmelswonne
In mein bereitet offnes Grab herunter.
(S. 101)


8.
Ein Heilmittel
Wer dämmt den Strom, der aus dem Bett gezwungen,
Wer hemmt den Pfeil, der sich der Sehn' entrafft,
Wer zwingt des schnellen Blitzes Flug und Kraft,
Wer hält den Aar, wenn er sich aufgeschwungen?

Wer zügelt das Gefühl, das, losgerungen
Aus tiefem Busen, sprengte seine Haft,
Wer setzt ein Ziel der raschen Leidenschaft,
Bis sie zum höchsten Gipfel vorgedrungen?

Den wilden Strom, den Pfeil, den Blitz, den Aar
Vermag mit unbegreiflichen Gewalten
Ein Gott allein im Lauf zurück zu halten;

Wer aber dämmt der Leidenschaft Gefahr? -
"Die göttliche Vernunft;" - o himmlisch Wesen,
Reich' mir die treue Hand, laß mich genesen!
(S. 102)


9.
Vernunft und Herz
Vernunft, du sprichst zu streng, zu hart, zu trocken,
Mein Sinn, er kann dich eh'rne nicht begreifen,
Du willst die Blüthen all vom Lenze streifen,
Und gibst dafür des Winters kalte Flocken.

Soll denn das Blut mir in den Adern stocken,
Das erst so rasch war, froh umherzuschweifen,
Soll grausam in die eig'ne Brust ich greifen,
Das Herz draus reißen, lächelnd, unerschrocken?

Du willst's? - wohlan, beim Himmel und der Erden,
Es sey! - mein eig'ner Henker will ich werden,
Daß klug der Welt, und folgsam dir ich heiße;

Doch gib wohl Acht, Vernunft, daß mit dem Herzen
Im Flug der Eil', und in der Wuth der Schmerzen
Ich nicht auch dich aus meinem Haupte reiße!
(S. 103)


10.
Sieg
Vergebens ist das Wollen, Kämpfen, Ringen,
Wie grimm auch Haupt und Herz im Streite liegen,
Wie viele Gründ' auch das Gefühl bekriegen,
Sie prallen ab, der Sieg wird nie gelingen.

Will auch gepanzerter Verstand sich schwingen
Zur Vest' empor, und hat sie schon erstiegen,
Und läßt sein grau Panier im Winde fliegen,
Und seine dröhnende Posaun' erklingen:

Da tritt ihm ohne Harnisch, Helm und Degen,
Ihn warm anhauchend, Liebe sacht entgegen,
Singt süß das zartste, holdste ihrer Lieder,

Und rücklings stürzt der schwere Kriegsmann nieder,
Und sieht, betäubt noch vom gewalt'gen Falle,
Die rothe Fahne flatternd wehn vom Walle.
(S. 104)


11.
Siegesfreude
Ist denn die Lieb' als Held hervorgegangen
Aus dieses Kampfes drohendem Geschick,
So thu' dich auf, mein Herz, sie kommt zurück,
Die Siegerin, - du sollst sie froh empfangen.

So thut euch auf, ihr Arm', in Gluthverlangen,
Und haltet fest das nun erworb'ne Glück,
So thu' dich weit auf, selig trunk'ner Blick,
Und bleib' am sel'gen Aug' der Holden hangen!

So thu' dich auf, mein liederreicher Mund,
Und singe Jubelweisen unserm Bund,
Und schweige nur, um Kühneres zu wagen;

Zu mir, an meine Brust, geliebte Braut!
Der Himmel selbst hat dich mir angetraut,
Und - was da kommt - ich werd' es muthig tragen.
(S. 105)


12.
Höchste Befriedigung
Beglückend Wissen, himmlisches Empfinden!
So ganz verstanden seyn im tiefsten Herzen,
In Lust und Wehmuth, Wonn' und Gram und Schmerzen
So ganz ergründet seyn, und ganz ergründen;

Des halbgesproch'nen Worts Bedeutung finden,
Zum Scherz erregt seyn bei des Andern Scherzen,
Verfinstern sich, wenn ihm sich Wolken schwärzen,
Und in Begeist'rung Flamm' an Flamm' entzünden;

So wie zwei Ströme in einander fließen,
Vermengend die verschiedenfarb'gen Wellen,
Eindoppelt und zweieinig denken, streben,

Die Freude mit zwei Seelen stets genießen,
Die Thränen schöpfen aus zwei Schwesterquellen -
Das ist auf Erden wahres Götterleben!
(S. 106)


13.
Der Seelenkuß
Wenn müd' mein schlummerschweres Haupt ich senke,
Sprech' ich noch leis: "Mein Engel, gute Nacht!"
"Mein Engel guten Morgen!" flüstr' ich sacht,
Wenn mit dem ersten Strahl das Aug' ich tränke.

Ich weiß, wenn ich der Fernen so gedenke,
Hat sie auch mein in gleichem Sinn gedacht,
Drum schlummr' ich süß, und bin mit Muth erwacht,
Zu tragen neu der Menschen Tück' und Ränke.

Und wenn uns wieder dann mit strengem Walten
Der lange Tag, der laute, fern gehalten,
Empfängt die stille Nacht den stillen Gruß;

Solch innig Grüßen, solches Liebesegnen
Ist wie der Augen zärtliches Begegnen,
Ein Händedruck im Geist, ein Seelenkuß.
(S. 107)


14.
Keine Trennung
Uns trennen? - Nimmermehr! - den Tag verleiden,
Die Nacht verderben uns, die Lust vergällen,
Verbittern unsres Glückes reinste Quellen,
Das können sie, und mögen d'ran sich weiden.

Uns trennen? - Nie! - Uns zwingen, uns zu meiden,
Ausgießen zwischen uns des Meeres Wellen,
Die Alpen zwischen uns're Körper stellen,
Das mögen sie, die unsern Bund beneiden.

Doch unsern Einklang stören? Nun und nimmer!
Fort wandern auf des Sonnenstrahles Flimmer
Und auf des Mondlichts Fäden uns're Seelen;

Sie reisen, wie die Düfte, mit den Winden,
Auf tausend Meilen weit sich zu verbinden,
Und über'm Erdendunst sich zu vermählen.
(S. 108)


15.
Ein goldener Morgen
O welch ein Lenztag war's voll Sonnenbrand,
Voll Himmelblau und Grün, voll Glanz und Klängen,
Voll Blättersäuseln, voll von Duft und Sängen,
O welch ein Lenztag war's, als ich dich fand;

Als mir zuerst dein holder Mund gestand,
Was lang verhehlt war in des Busens Engen,
Als ich an deinem Blicke durfte hängen,
Zum ersten Mal mein Arm dich kühn umwand!

Wir saßen still, es schlug die Nachtigall
Im Baum, und der, als gält' es, uns zu segnen,
Ließ rauschend Blüthen auf uns niederregnen;

Und plötzlich hinter einem Wolkenwall
Verbarg die Sonne sich, als wollt' sie sagen:
"Ich seh' euch nicht, ihr könnt das Küssen wagen."
(S. 109)


16.
Maasslose Liebe
Jedwedem Dinge ward sein Maaß gegeben,
In seines Wachsthums Drang erkennt es Schranken,
Die Cedern selbst des Libanon, die schlanken,
Sie können nur zu Baumes Höh' sich heben;

Gefühlen auch, die uns das Herz beleben,
Ward eine Gränze, d'rüber nicht zu schwanken,
Ein Marktstein ist gesetzt für die Gedanken,
Für alles Wollen, alles Thun und Streben.

Nur Eines ist unendlich: "meine Liebe!"
Sie wächst und wächst in immer stärkerm Triebe,
Und keine Schranke gibt es, der sie weichet;

Sie strebt im Licht der Sterne sich zu tränken,
Und nach den Zeichen allen muß ich denken,
Daß sie schon auf bis in den Himmel reichet.
(S. 110)


17.
Beschränktes Vertrauen
"Vertraust du mir?" so hört' ich jüngst dich fragen; -
So fest, wie Helden traun erprobtem Heere,
Und wie der Schiffer traut auf hohem Meere
Dem leitenden Magnet ohn' alles Zagen.

Und so vertraut' ich, daß nach Wintertagen
Der Lenz mit Blüth' und Düften wiederkehre,
Und daß im Sommer reifen wird die Aehre,
Und daß im Herbst die Bäume Früchte tragen.

So trau' ich dir; doch übermächt'gen Streichen
Fällt oft das stärkste Heer, Magnet kann weichen,
Und Blüth' und Frucht vergehn in Ungewittern;

Gehn solche Kräft' im Zufallspiel zu Grunde,
Verdenkst du's mir, daß ich in mancher Stunde
Im Arm dich halten mag mit leisem Zittern?
(S. 111)


18.
Trübes Ahnen
Ich träumt', und stand am Meer. Gewölkumzogen
War rings der Luftkreis bis zum fernsten Rand,
Ein Hochgebirgswind fuhr daher vom Land,
Meereinwärts peitschend die gethürmten Wogen.

Da kam vorbei ein Segelschiff geflogen,
Du standst am Bord mit flatterndem Gewand,
Und strecktest deine Arme nach dem Strand,
Und dann empor zum düst'ren Himmelsbogen.

Es war ein Augenblick! - dann hinter'm Riff,
Das fernher graute, schwand im Flug das Schiff;
Auf schrie ich, weint', und war erwacht mit Weinen.

Ob das in Traumes nebliger Gestalt
Wohl Ahnung war, daß uns Vereinten bald
Die Stunde bitt'rer Trennung wird erscheinen?
(S. 112)


19.
Zuversicht
Ich träumte neuen Traum. Du lagst als Leiche
In Kirchenhallen blaß auf schwarzer Bahr',
Doch frische Rosen glühten dir im Haar,
Und warfen Purpurschimmer auf die Bleiche.

Und ringsum klagten viele Schmerzenreiche,
Und knieten, beteten am Hochaltar,
Ich aber stand wie starr, und rief der Schaar
Der Beter: "Ungeweihtes Volk, entweiche!"

Da schwanden Alle fort. Ich trat zu dir,
Und sprach: "Mich nie zu lassen schwurst du mir,
Du kannst nicht todt mir seyn, mir nicht gestorben!"

Und um den Hals dir schlang ich mich hinan,
Und rief: "Thu' auf dein Aug', und sieh mich an,
Ich bin's, ich bin's, der dich durch Schmerz erworben!"
(S. 113)


20.
Erfüllung
Kaum rief ich's - da empfand ich Händedrücken,
Auf ging dein Aug' in wundervollem Schein,
Und sah bis in die Seele mir hinein
Mit seinen lieben, holden, süßen Blicken.

Und lispelnd sprach dein Mund: "Gott will beglücken
Die höchste treuste Liebe; du bist mein,
Mein sollst du ewig ewiglich nun seyn,
Und nichts mehr stört mein himmlisches Entzücken."

"O küsse mich auf meinen kühlen Mund,
Und laß noch einmal feiern uns den Bund
Der leidenvollen, jetzt gekrönten Minne!"

Da warf ich mich auf dich, und küßte dich,
Und wie ein Blitzesschlag durchzuckt' es mich,
Und mir vergingen alle meine Sinne.
(S. 114)


21.
Verklärung
Und wieder träumt' ich, und voll sel'ger Wonnen
Umschlungen saßen wir in hellsten Gluthen,
In einem Meer von Licht; mich wollt's gemuthen,
Als sey ich selbst vom Lichte ganz durchronnen;

Und deine Augen waren kleine Sonnen,
Die, unaufhörlich rollend, nimmer ruhten,
Die Locken wallten hin wie Strahlenfluthen,
Dein holder Mund war wie des Lichtes Bronnen;

Denn wie du hauchtest, glich's dem Mondenschimmern,
Und wie du sprachst, so ward das Wort zum Sterne,
Der leuchtend niederschwebte durch die Ferne;

Da sah'n wir unten eine Welt von Trümmern,
Du aber sprachst: "Dort in des Schuttes Mitten,
Dort haben auch wir Beide einst gelitten."
(S. 115)
_____


Aus: Gedichte von Karl Egon Ebert
Vollständige Ausgabe in drei Büchern
in dritter stark vermehrter Auflage
Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1845

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Egon_Ebert



 

 


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