Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Prinz Jussuf von Theben und sein Gefolge |
Das Meer
Auch das Meer war einmal vom Körper umfangen gewesen, bevor es losbrauste.
Das Meer ist die weite strömende, der Welt "gebliebenen" Seele. Das Meer
ist von dieser Welt. Aber der Geist Gottes schwebt über seine Wasser. Wir
tauchen in das heilige Element und erlösen uns von aller Erdenschwere.
Schiffe gleiten über den Ozean von Erdteil zu Erdteil. Man möchte immer
das seligbrausende Gewässer anbetend umarmen. Eine Erlösung
sondergleichen, sich der Welle hinzugeben; Hochzeit feiert das Geschöpf
mit dem Meer. Bewundernd blicke ich über die feierlich perlengeschmückte,
rauschende Tafel. - Nun ist es Nacht, das ewige Wasser aber leuchtet
silbern wie mein befreites Herz. Weit breite ich die Flügel aus und weiss
nichts mehr als: Schweben - Vogelsein! Unter mir schlägt eine Welle, eine
grollende Nachtigall erschütternd ein Lied. Heerscharen weissgegürteter
Wasser stürmen an den Strand; uminseln mich. Ich habe mich gefunden!! Wer
ist bei mir? Denn ich bin ein Ruheort. - Ich frage nicht, wer Lust und
Schmerz aus meinem Herzen schöpfte und aller Eigenschaften Ranken
pflückte. So trage ich mich leicht dahin; zurück fall ich entlastet
neugeboren in die Welt. Hier bleibe ich! Am Strand der rauschenden
Genügsamkeit. - Wie meine Mutter starb, zerbrach der Mond. Noch einmal
trennte Er, der Herr, das Wasser von dem Land. Es blitzt! Feurige Worte
schreibt der glühende Zickzack auf die finstere Seide des himmlischen
Bilderbuchs, ein Menetekel an die Westwand der Welt. Gott rollt durch die
Welt! Sein roter Initiale hat mich getroffen, erleuchtete mich und erlosch
im Meer. - Weisst du noch um Mitternacht am liebenden Meeresstrande? Ich
weigerte mich, aufs strömende Geschmeide spät mit dir zu segeln. Der
Sterndeuter hatte vor der schwarzbestrahlten Stunde zwischen Nacht und
Nacht des Uranos mich streng gewarnt. Wir aber segelten vergessen durch
die ewige Liebesflut. "Tuuh!" Das ist das Nebelhorn . . . "Tuuh!!" Wie der
Feldvogel über dem Korn schreit, immer wieder der bange, gelbe Ton über
dem rieselnden finsteren Weizen des Meeres. Wir waren taumelnd mit dem
grossen Gewässer geraten ins Netz des Nebels. Als es hell wurde, eiltest
du weiter in die Welt; ich aber blieb auf dem Steg und labte mich an der
frischen, veredelten Blume des grünschäumenden Ozeans. Nie duftet sein
Wasser so herbe wie in aller Gottesfrühe. Muschel und Salz und Alge und
Seestern mischen sich, und der Fisch gibt vom Perlmutter seiner Schuppe
zum Most.
Neugierige sammeln sich am Strand und messen,
Sich am Meer und mir der Dichterin vermessen.
Doch ihre Redensart löscht aus der Sand.
Ich hab die Welt vor Welt vergessen,
Getränkt von edlen Meeresnässen.
Als läge ich in Gottes weiter Hand.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001
(S. 196-197)
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