Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Jussuf mit Speer |
Als die Bäume mich wiedersahen
Ich kam vom Meer. Als die Bäume mich wiedersahen, hob ein weiches Wehen in
der Luft, ihre Zweige, mich zu grüßen. Wind und Sturm ermöglichen den
großen und kleinen Bäumen, den Sträuchern und Büschen, allen Kräutern und
den zartesten Stengeln der Blumen, sich nach ihrem Gutdünken zu bewegen.
Sich zu äußern bedient die Pflanze sich der Atmosphäre; ja sie entwickelt
selbst, indem sie die Substanz ihres Temperaments mit den Stoffen der Luft
vermischt, ein Wehen oder ein Stürmen, Blitzen und Donnern in der Natur.
Wie auch des Menschen Willen bewegt wird zu gottgefälligen Handlungen
durch die Bescheidung Gottes. Je temperamentvoller des Baumes Wunsch ihn
durchglüht, sich auszudrücken, desto kräftiger rüsten sich die Lüfte zum
Sturm. Die heißen Stürme, wie sie die Wüste erlebt, verursachen die sich
noch erhaltenen, starken Urleidenschaften der gottalten Asienbäume des
Morgenlandes. Aber auch der Melancholie spätes Säuseln entweht der Palme
lässigem müden Fächeln. Und wisse, wenn du dich unter die Weide legst,
ihre langen laubbehaarten Aeste mit den Lüften der Ferne das Lied der
bangen Sehnsucht. Reize nicht den träumenden Wacholderbaum oder den
Vogelbeerenstrauch! Schone die Nester der Vögel in ihren gastlichen,
kühlen Armen.
Denn jedes Vogelei beträumen die Bäume;
Und ihre zarte Blüte entzwitschert dem Keime.
Zu guter Letzt bitte ich dich von Herzen, die von mir so bewunderte
Kiefernadeltanne nicht zu beleidigen, sie, die Indianerin aller Bäume! Die
Gottheit selbst tauchte ihr gefiedertes Kleid in Waldsmaragd.
Im Grunde äußern sich die Pflanzen im Pflanzenreich wie wir
Menschen uns im Menschenreich, durch uns unbekannte, aber verwandte
Vorgänge. Diese Naturgeschichte lehrt das grünbroschierte
Bilderbuch der Welt. Oft liegt es auf meinem Schoß, und ich schlage es
feierlich auf. Darum weiß ich, wir versündigen uns an der Pflanze,
namentlich an ihrer Blume; sie ist die Seele jedes Laubgeschöpfs, die
sich, ich überzeuge mich immer wieder im Spätsommer, mit dem Körper der
Frucht umhüllt. Und den Pfirsich wie den robustesten Apfel duftend
durchdringt. Seitdem ich mich von dieser süßen Weisheit überzeugte, esse
ich den Leib der Pflanzenseele nur noch mit großer Andacht. Die schwarze
und die goldene Beere der Traube schauen mich an. - Die
Ausdrucksmöglichkeit der Bäume und ihr Gerank beeinflussen die
Witterungen, deren Wechsel wir von mathematischen und astronomischen
Gesetzen abhängig zu machen pflegen. Warum schweifen wir so gerne in die
Ferne; und alles geschieht doch inmitten uns? Die großen, ehrwürdigen
Laubriesen säuseln uns das täglich ins Ohr. Seit dem ungeheuerlichen
Blutbeben, das alle Liebe verschlang, das Urgebot mit Blut bespritzte,
löschte das letzte Aufglimmen des Lichtes. An diesen unersetzlichen
Verlust müssen selbst noch die betreuenden gottalten Paradiesbäume
glauben. Um wieviel grausamer aber die kindlichen Wiesenschaumkrautwiesen
und Vergißmeinnichtteppiche und Gehänge voll des schlichten Klees und
Schafgarbe. Kein wirklicher Sommer, kein richtiger Winter kommt mehr
zustande in den Ländern der Feindseligkeiten. Wälder wurden geopfert wie
ein Haupt, aber es schrie zum Himmel. Und doch, wie bereitwillig sich die
Birke fällen ließ für meinen Tisch, an dem ich dichte; für deinen
Baldachin, unter dem du träumst von mir. - Die heiße Auseinandersetzung im
Pflanzenreich beweist uns die kranke Glut der Tage im verflossenen Sommer,
der uns keineswegs vergoldete, in dessen Sonne nicht der Kokus wuchs, aber
in dessen Fieber wir verdorrten zum neuen Tode. Und wie wenig wiederum
gleichen sich die Winter mit den Wintern der Schneemänner, über dessen
Rücken wir von der Schule nach Hause zu schlittern pflegten. Es sind die
Folgen der gleichgültigen Haltung, die namentlich die Bäume, die
entlaubten, gegenüber der unversöhnlichen Welt einzunehmen sich gewöhnten.
Und wie sie ihren Winterhermelin geliebt haben! Die ersten Schneesterne
schüttelten sich geschickte Aeste selbst vom grauen Busch der Winterwolke.
So haben wir es uns also mit der Natur verdorben, mit dem grün-munteren
Laubvolk, das uns den Ozon und den Atem des Lebens kredenzte. Die
Unberechenbarkeit vom Allzuheiß bis zum Allzukalt ist die Folge der Klage
der aus den Fugen geratenen Pflanzenwelt. Wir haben sie tödlich verwirrt
und getroffen. Denn die Natur ist nicht der Menschen Schemel, den sie
rücken oder gar durchsägen können nach Belieben. Der Mond verzauberte
einmal meine Zweige; ich träumte früh am Morgen, ich sei ein Baum. Und
begreife, warum heute die nie Böses ahnenden Blumen ihre Gesichter zur
Seite in der Pracht ihrer Buntheit legen oder die junge Eiche ihr
grünlockiges Haupt neigt. Dann verdursten wir an der Lauheit der Lüfte,
und unsere Herzen werden alt und ersticken. Die ruhende Stimmung der
Natur, ihre Friedfertigkeit, schaffen das wahre Bild, das Original der
Schöpfung. Das heißt nicht etwa, daß der Baum nicht rauschen soll nach
seiner Laubeslust oder die Welle, seine Freundin, nicht aufbrausen soll.
Jedes Kunstwerk, ob es sich um eine Dichtung, ein Gemälde oder um ein Lied
handelt, erhebt zur wirklichen Schöpfung der ruhende Umriß. Die Kabbalah
spricht von der "Ruhenden Gottheit". Die Luftströmung erhält von der
Pflanze ihren Charakter und - umgekehrt. Wir könnten noch heute im
Paradiese leben, wenn wir Menschen einig wären untereinander.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001
(S. 205-206)
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