Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Der Medizinmann aus Mexiko
weise Wachtel und der Sohn Ibn Sauds von Arabien
mit Diener machen Adon Svet am Haarez
ihre Aufwartung |
Ein Konzert
Ich hörte die Bäume mit Orchesterbegleitung des Meeres rauschen; September
war es, und der Tag legte sich mit mir zeitiger nieder, schwärmerisch zum
Konzert. Ein neues Herbstlied blies der Herbststurm in die laubigen
Dudelsäcke der Kastanien, und noch in der Frühe tanzten die kindlichen
Wolkengebilde über den Rücken der Welt. Dann kam die kleine Sonne im
goldpunktierten Spielkleidchen. Auf die Erde zu scheinen, bedeutet
jedesmal für sie: Mit dem grossen Erdball spielen!! Ach, es war ja soviel
trübe gewesen im Sommer, aber nun hielt sie endlich wieder die
liebesbedürftige Erde in ihren spiellustigen Strahlenhänden. Wir, die wir
beisammen sassen, jahresmüde, froren auf einmal nicht mehr und dachten:
Was das Goldkind doch vermag! Oft habe ich es brennend schreien hören nach
seiner dunklen Erdfreundin hinter der Pforte seines himmlischen
Spielzimmers. Das glaubt mir kein Mensch. Aber alle Wetterberichte
scheitern am Fels der Offenbarung. Nur der Frosch hat das Talent mit auf
die Welt gebracht. Seine Prognose, was Wetter anbetrifft, stimmt auf ein
Froschschenkel! Und man sollte sich des grünen Professors Prophezeiungen
ernster zu Gemüte ziehen. Ich bin verliebt in die Welt! Das gehört dazu,
ihre Sprache zu verstehen, ihre Taten zu erkennen. Das Geheimnisvolle, die
Mystik, wie der Mensch das Gewebe nennt, das er selbst, fremd der Dinge,
über die Schöpfung webt und ihre Pore verstopft, entstand aus der Trägheit
seines Denkens und Empfindens. Das kleinste Tier schüttelt darüber den
Kopf. Die Welt - hört! Steht von Anbeginn für die Geschöpfe, für jedes
Blatt, jeden Kiesel, jeden Tropfen der Gewässer, und für das winzigste
Sandkorn des Strandes weit geöffnet zum Hineingucken - ins glitzernde
Riesenei. Die Welt ist Ostern! Aber auch durch die Schale der Schöpfung
vermögen wir zu sehen, allerdings nur mit keuschem Gesicht. "Wer reinen
Herzens ist, wird Gott schauen." Immer fallen Sterne auf die Erde, denn
alles ist ausgebrütet, glühende Sterne, aber auch weisse kommen aus den
Höhen und bedecken die müde Welt behütend zu. Der liebe Gott fragte mich
einmal im Traum: Gefällt dir meine Welt? Dann will ich sie dir schenken!
Seitdem gehört sie mir, und seitdem habe ich grenzenlos zu tun. Nämlich -
sie immer anzublicken. Fiel mir doch die Schöpfung geradezu in den Schoss.
Wie müdet sich dagegen das Geschöpf ab, sie einzuatmen, die überschäumende
Welt zu leeren. Ich aber beginne von den hohen Bäumen, den laubigen
Erzvätern, besonders den grossblattohrigen, viel zu lernen. Mir hilft kein
Sträuben; der strenge Frost holt mich, aber auch der tyrannische Sturm,
genau wie der holde Julivogel in die Aula der Welt. Jeder Sonnenfleck
huscht tänzelnd über meine Hände, und der Spätsommer sucht mit mir Kerne
an den Sträuchern der Buchäcker. Die esse ich so gern! Wirklich, ich
könnte keinen Zweig mehr vom Lenz pflücken, und doch goss jüngst ein
junger Baum seine Pracht über mich, zauberte aus meinem dunklen Gewand ein
weisses Kleid. Verwachsener und kraftvoller im Mark ist der Baum, und
gütiger und vernünftiger wie der Mensch. Welche Sorgfalt alljährlich übt
in ihrer Grundfarbe die Pflanze auf die anderen Lebewesen der Welt. Der
kleinste Busch, das zierlichste Blatt - wir übersehen das nur
gewohnheitsgemäss. In der frischen, lichtgrünen Nuance des Frühlings
ebenso wie in der gedämpften Juli- und Augustschattierung stärkt sich
unser Auge. Aber auch durch des Herbstes Mannigfaltigkeit erweitert sich
aller Geschöpfe Geruchsinn am Narden der sich ablösenden lichten und
dunklen Baumrinden - und alles beginnt zu atmen mit Andacht. Das ist es
ja! Der Vogel erschrickt bei deinem Wort, ein fremder Laut im Testament
seines Gezwitschers. Still sein im Walde, nur die Liebe ist erlaubt - wir
küssen uns . . . Der Leib, in dem die Seele wohnt, zerfiele vor der Zeit
ohne des Herbstes Mörtel oder ohne dem erwärmenden Spiel der Sonne. Früher
spielte die Seele mit dem Leib, wie die Sonne mit der Erde heute noch tut:
Ball. Es ist ja alles Ebenbild Gottes - und darum sollte man sich vorsehen
in der Welt, etwas zu beflecken - überall möchte ja von der Gottseele
einströmen und vermag sich doch nur in den klaren Stellen
wiederzuspiegeln. Vielleicht begehe ich eine Indiskretion, da ich das
Geheimnis des Menschen und seiner Welt verrate. Der Leib ist nur Illusion.
Und auch den Körper der Welt erdichtete die erste Menschenseele. Der ist
zähe und jedem Stoss gefeit. Aber wenn du einmal ein Erdbeben verspüren
solltest, ein vorübergehender Zweifel der Seelen an ihrer Weltillusion,
denke an mich und verschlingt dich auch der Erdleib, um dich nach
Augenblicken wieder auszuspeien. Das kindliche Wechselspiel der noch
jungen Seele hiess: Sich verkörpern und entkernen! Der lallende Reim wurde
blutiger Ernst. Aber so erklärt sich das Wunder der Fakire, überhaupt
aller Heiligen, des Balchem und der anderen Wunderrabbiner, die durch
Enthaltsamkeit den bezwungenen Leib zu entbrennen vermochten. Die Kabala
sagt: "Der erste Mensch lag ein Schein über die Welt gebreitet." Die
Kabala ist der geistige Garten, etwa der göttliche Plan des Paradieses.
Darin wir heute auch noch leben, von leiblicher Vorspiegelung dunkel
umfangen in Gestalt angenommene Edenwelt. Das ist die Urtragik der
Menschenseele, dass sein erdichteter Koloss sie gefährdet. Ihn abzuwälzen,
zögert selbst oft lange der Tod. Hüte deinen Palast aus wachsender
Illusion pochendem Fleische gut. Aber auch der Dichter vermag schon bei
Lebzeiten die hartnäckige Strophe von seiner Seele zu streichen. Diesen
Zustand nennt man: Inspiration: Platzmachen für Gott! Vor allen Dingen
aber hebt das inbrünstige Gebet, beten macht stark, die sehnsüchtige Seele
aus ihrer nächtlichen Illusion und hüllt sie in ein sabatliches
Flügelkleid. Das Gebet soll sich befreien. Dein Glauben sei ein
fröhlicher! König David tanzte voran im Zuge vor der Bundeslade. - Genau
wie mein Körper mir im Licht steht, so steht der Weltseele erdichteter
Weltkörper ihr im Wege. Man könnte ein drittes Testament darüber
schreiben. Vielleicht weinte dann wieder einmal ein Geschöpf über das
verlorene Paradies. Gibt es etwa noch einen kleinen Paradiesfleck, der
sich nicht der Illusion Verdichtung unterwarf? Vielleicht wartet ein Eden
auf dich hinter der Hecke der Erleuchtung dieser hellseherischen Stunde.
Schon im Traume der Liebe von Stiefempfindungen befreit, lösen sich
süsschmerzend die Horizonte um deine Seele; doch ihren Leib als
willkürliche Dichtung zu begreifen, hiesse ihn ebenso fahrlässig dichten,
als ihn zu verwerfen. Die Körperwerdung beweist das Vorhandensein der
Seele, da nicht einmal ein Weizenkorn Gestalt annehmen kann, ohne der
Seele Vorhandensein. Was sich von Gottseele ablöst, wird Geschöpf, will
wohnen. So sucht die abgestossene Seele Heimat in der Schale ihrer
Illusion. - Wieder schreitet das Meer über mich. Ich eile in mein Haus,
zünde die Kerze an auf meinem Tisch, denn ich zittere vor der dämmernden
Abendstunde. Ich glaubte eher zu sterben als mein Kind und hinterliess ihm
der Reliquie Vers:
Es brennt ein feierlicher Stern . . .
Ein Engel hat ihn für mich angezündet.
Ich sah nie unsere heilige Stadt im Herrn,
Sie rief mich oft im Traum des Windes.
Ich bin gestorben, meine Augen schimmern fern,
Mein Leib zerfällt und meine Seele mündet
In die Träne meines nun verwaisten Kindes,
Wieder neu gesäet in seinem weichen Kern. -
Ich träume - Wellen dringen durch die Wände meines Zimmers, durch den
Spalt der Türe. Ich eile an das Gewässer. Ein Seevögelpaar nimmt mich in
seine Mitte - denn - ich habe keine Eltern mehr. Wir schweben über den
brausenden Champagner in die weite, weite Welt. März ist es geworden. Der
grosse Schneemann steht schwer beleidigt vor der Frühlingstür. Manchmal
schneit er, noch mit Krokodilstränenreif vermischt, die Welt zu ärgern,
doch der Lenz lässt sich nicht von ihm einschüchtern. Auf dem Beerenbaum
vor meinem Fenster sind die Korallen eingeschrumpft. Nur eine wartet noch
auf eine weisse Dohle zur Hochzeitsgabe. Die Korallen der Bäume, die
Nadeln der Fichte und die wenigen noch silberbraunen Blätter der Pappel
waren im Winter meiner Augen Spielfreunde. Die Spatzen weckten mich in
aller Frühe, kamen nur deswegen vom Himmel herab. Ich bin verliebt in die
Welt. Auch in ihre Illusion, die hat ihre Berechtigung. Frage Gott selbst!
Mich verlangte es nur, meine Gedanken und Gefühle zu inkarnieren, sie in
Wort zu kleiden. Darum zerstöre ich meine Illusion, "ich komme sonst aus
dem Häuschen", und ich möchte doch den Sommer von Körper zu Körper erleben
in seiner ganzen verschwenderischen Gestalt. "Hättest Du doch einmal zu
mir gesagt: Ich liebe Dich" . . . . . Es wartet ein Herz mit unseren
beiden Namen geschnitten im Stamm des verständnisvollen Holunder auf den
ersten Willkomm geschmückten Zweig.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001
(S. 192-195)
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