Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Hebräische Priester aus Abessinien
und griechische Mönche in Jerusalem |
Dichtung und Christentum
Antwort auf eine Rundfrage
Ich habe schon als Kind die Tiefe des Judentums erkannt; aus den Lehren
der Propheten vom unsichtbaren Gott erfahren und weiter im himmlischen
Klang vernommen, den heiligsten Juden: Christo Jesus. - Wie ein Goldgräber
nach Gold gräbt, hab ich nach Gott gegraben und hoffe, wert zu sein, aus
dem Judentum zu stammen. Ihm entströmte Gott: Christo Jesus, der die Welt
krönte und zum Mahle lud. Aber sein Volk, das Judentum, über alle Völker
liebte. Aus ihm erwählte er seine zwölf Jünger, die sein reines Blut in
Krügen füllten, von dem man kaum nippen dürfte. Nach seinem Hinscheiden
erschien er dem stärksten Manne Israels und säete Weizen in sein Herz.
Saulus war ein Teppichhändler und verfolgte Christo Jesus. Doch er war ein
künstlerischer Mensch, gar ein Künstler, da noch heute die Teppiche im
Morgenlande herrliche gestickte Gemälde sind und herabhängen von Balkonen.
Der Inspiration fähig, erlebte Saulus die lebendigste in der Erscheinung
des gekommenen Messias, an dessen Licht er vorübergehend erblindete. Als
der späte Apostel in Begleitung des Freundes nach Zypern kam und Lahme
gehend, Blinde sehend und Taube hörend machte, und Saulus, der sich
gewandelt hatte in Paulus, zu der Menge redete, glaubte diese, die Götter
seien vom Olymp herabgestiegen und brachten geschmückte heilige Stiere,
sie ihnen zu opfern. "Paulus, Paulus, die große Kunst macht dich rasend",
so mahnte ihn sein Begleiter, den die Leute für Jupiter hielten und für
Merkur den geheiligten Saulus. Ein starker Beweis, daß der Apostel Paulus
dazumal ein Jüngling war, mit jungen Haaren. Ferner entsprang der geliebte
pflanzliche Johannes der Täufer, der Vorahner Christo Jesus, dem
Judentume. Die getauften Völker Europas vergessen das immer wieder. Auch
die Mehrzahl der Juden. Von der Felsperspektive meines gottalten Volkes
erschaue ich das Ewige Licht, das ungetrübt und ungefälscht Messias
entströmt. Voreilig erkennen wollen, dünkt mich ebenso schädlich wie nie
erkennen wollen oder nach seinem Vorteil erkennen wollen oder erkannt
haben. So wird die Liebe Christo Jesus dem Wahren zur Lilie, dem Unwahren
eine Waffe, mit der er den Juden schlachtet meistenteils den Ärmsten des
Volkes. Den Juden, der herab vom Himmel kam, Heiliger Geist, in
Menschengestalt, sollte man sich erst verdienen müssen, das
allerschwierigste Examen des Herzens bestehen. Zu dieser Prüfung wird
jeder vor Gott zugelassen, zu dieser Prüfung träfe man wirkliche Menschen,
zu diesem Abendmahle sind beisammen Menschen! Menschen! Menschen! Hört
nur: - Menschen!! Ausziehen sollte man nach ihm wie in der weiten Mär nach
Wunderquelle. Den Sproß im Tragkleid zu taufen, geschieht sicher nicht
nach dem Willen Christo Jesus, denn dieser noch unverdiente Vorteil
gereicht den allzu vielen zur Überhebung. Wer einen verstoßenen Sohn
aufnimmt, entfremde ihn den Brüdern nicht, wer unseren verlorenen Gott
anbetet, in ehrfürchtiger Liebe, brüste und rüste sich mit seinem
himmlischen Worte nicht. Um eines einzigen Juden willen, eines
machthabenden feigen, der aus hartherziger Diplomatie das erschütternde
Todesurteil fällte über den Gottjuden im Judentume, erleidet nun das
gesamte Judentum Schmach und Haß. Nach 2000 Jahren ist man nicht in der
Lage, eine neue Gerichtsverhandlung darüber anzusetzen, aber handelt es
sich nicht eigentlich um ganz andere Beweggründe, denkt überhaupt der
Pogromrenommist an geschichtliche Scheußlichkeiten? Sind es nicht immer
zufällige Begebenheiten, zu deren Dämpfung man das Judentum anzündet und
rauchen läßt? Werden einmal Völker kommen, die die Sünden rächen, bis ins
siebte Geschlecht, - da sie wissen, was sie tun. -!! Da sie kreuzigen,
tausend und tausende, Männer, Frauen, ja selbst Kinder - unschuldige.
Christo Jesus ließ die Kindlein zu sich kommen. Er wird auch diese
Kindlein zu sich kommen lassen. Er, der herab vom Himmel aus dem
Myriamherzen stieg in die Welt. Wie Gott der Herr des Himmels ist, so ist
der Mensch erdacht, nach Seinem Ebenbilde erschaffen, der Herr der Welt zu
werden. Gottes Stellvertreter, im wachen göttlichen Vernunftssinne. Daß
Christo Jesus niemals ein weltlicher König werden wollte, dieser
Selbstverleugnung waren die Menschen aller Völker nicht gewachsen. "Sein
Reich ist nicht von dieser Welt." Er hat ja auch tiefere Ansprüche. Für
das prunkliebende lustbrüllende Rom allerdings vor tauben Ohren gepredigt,
"dem Griechen eine Torheit, dem Juden ein Ärgernis." Gebunden an Rom.
Liebreiche Politik zu führen und nicht rücksichtslose, haben bis heute die
Völker nicht gelernt; allerdings die Inder und die Juden in Palästina sind
bestrebt. Der Bürger läuft der Herde nach, aber der Einzelmensch, von dem
es unzählige gibt, bildet aus gutem Instinkt keine Herde. Der Einzelmensch
hütet seine Einsamkeit. Und es ergriff ihn schon vor 2000 Jahren Panik
über den Tod des stärksten und holdesten Juden. Aber auch dem jüdischen
Herdenmensch, ungefälscht unterrichtet, wäre es nie eingefallen, den Tod
des heiligsten Juden damals noch heute zu fordern. Ich freue mich, aus dem
Volke Christo Jesus zu stammen. Er liebte David besonders, und wie Ihn
seine Psalme erfreuen, so würde Er auch meine Psalme lieben, die ich dem
Vater dichtete, am Abend im silbernen Heiligenscheine Jerusalems. Ich
liebe mein Volk in Treue und seinen heißen Wüstenglauben zwischen den
Lippen Christo Jesus vergoldet; und ich besterne mich in mannigfaltigen
Strahlen. - Ob es eine christliche Kunst gibt? Für mich gibt es eine
religiöse Kunst, eine lebendige, ja auch eine tote, der der schöpferische
Mensch den Odem nicht unsterblich einzuflößen vermochte. Wirkliche Kunst,
welches Motiv auch, ist stets religiös.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 (S. 131-133)
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