Marie von Ernest (1858-1923) - Liebesgedichte

 

 

Marie von Ernest
(1858-1923)



Vergib

Vergib', daß ich dich hab gefangen,
Und daß ich dich zu sehr geliebt!
Ach vor dem Tod auf deinen Wangen
Mein ganzes Glück in Nichts zerstiebt!

Was litt ich nicht um dich, du Süße!
Wie ward ich nicht geschmäht, verkannt,
Weil dort aus deinen holden Launen
Mein ganzer Himmel mir gelacht!

Mit Dornen wollte man verwunden,
In Rosen wurden sie vertauscht,
Wenn du in deinen heißen Stunden
Mit Kuß und Tanz mich tief berauscht.

O sieh, die tugendsamen Leute,
So willig, unser Glück zu schmäh'n,
Wie sie bestürzt in Thränen heute
Auf deine starren Züge seh'n!

Selbst Haß und Neid, bei solcher Trauer,
Sie wandelt sich in Rosen mild,
Die als ein weicher Blumenschauer
Zudecken dein entstelltes Bild.
(S. 91-92)
_____



Die Erde dreht sich

Lehrte man es mich auch reiflich,
Gründlich, wie das Alphabet,
Dennoch schien mir unbegreiflich
Stets, daß sich die Erde dreht.

Bis der Himmel mir bescherte,
Daß ich's endlich wissen muß,
Und der Meister, der mich's lehrte,
Nennt sich: erster Liebeskuß.

Als ich den genoß, zur Stelle
Fühlt' ich's, daß die Welt nicht steht,
Daß sie sich mit Blitzesschnelle
Rund herum im Kreise dreht.
(S. 93)

 

Gedichte aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888


Biographie:

Vaselli, Marie, geborne von Ernest, Ps. Marie von Ernest, Wien II, Untere Donaustrasse 49, den 30. Dezember 1858 zu Breslau geboren, widmete sich, kaum fünfzehn Jahre alt, vorerst der Bühne und debutierte in Berlin am Viktoriatheater. Von dort als erste Liebhaberin an das Hoftheater zu Schwerin engagiert, fand sie in dem Intendanten Baron Alfred Wolzogen einen Gönner und Förderer, dem sie auch die entscheidende Anregung zu literarischem Schaffen verdankt. Es erschien vorerst von ihr ein Band Gedichte "Liederstrauss aus der Puszta", der bei der Kritik ungeteilte Anerkennung fand. Ihr bald darauf entstandenes Lustspiel: "Mit dem Strome" ging über die vornehmsten Bühnen Deutschlands und Österreichs, ebenso wurden die beiden Einakter "Magdalene" und "Briefmarken" in Hamburg, Dresden und Berlin gespielt. M. v. E. war unterdessen an das Hoftheater in Wiesbaden übergesiedelt, wo sie jedoch durch ihre schauspielerische Thätigkeit so stark in Anspruch genommen wurde, dass ihr zur Schriftstellerei nicht genügend Musse blieb. In Wiesbaden erhielt sie Beweise von Huld und Anerkennung vom Kaiser Wilhelm I., von seinem Bruder Prinzen Karl, sowie dem Landgrafen von Hessen und dessen Gemahlin. Nach zwei Jahren in Wiesbaden kam sie an das Hoftheater in Dresden und bald darauf nach München, woselbst sie jedoch nur kurze Zeit verblieb, da sie sich mit dem italienischen Gesangskünstler Vaselli vermählte, dem sie nach Italien folgte. Während ihrer fünfjährigen Ehe schrieb sie fast nur für italienische Blätter; sie beherrscht das Italienische so gut wie das Deutsche. Als sie den Gatten verlor, siedelte sie vor 7 Jahren nach Wien über, wo sie seither nur noch Feuilletons verfasst. Sie schreibt für die "Wiener Abendpost", in der letzten Zeit für das "Neue Wiener Tagblatt".

- Briefmarken. Plauderei. Selbstverlag der Verfasserin
- Liederstrauss aus der Puszta. Gedichte Wien
- Magdalena. Schauspiel
- Mit dem Strome. Lustspiel

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898

 

 


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